Herr Senftleben, Sie sagten vorhin: Demokratie ist mehr als eine Haltung. - Ich will das unterstreichen. Ich denke, aus den Beispielen können wir drei Lehren ziehen, die sich auch im Landeskonzept abbilden. Erstens: Wir müssen weiter daran ar beiten, echte von unechten Problemen zu unterscheiden. Zwei tens: Meinungen sind gut, aber sie sollten mit Fakten unterlegt werden. Menschenfeindliche Äußerungen sind keine Mei nungsbekundungen, sondern ein Fall für den Staatsanwalt.
Drittens: Eine seriöse Partei kann den Populisten-Wettlauf nicht gewinnen und darf sich auch nicht anbieten, weil die wah ren Feinde der Demokratie keine Haltung und Moral kennen, sondern als Igel dem Hasen immer wieder zurufen: Ich bin schon da!
Das Konzept „Tolerantes Brandenburg“ legt die Grundlage, denn jede Generation muss diese Spielregeln immer wieder neu lernen, damit Zivilgesellschaft gedeiht. Ich bin überzeugt: Mit diesem starken Bündnis, das wir hier in Brandenburg haben, schaffen wir das!
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort erhält nun die Abge ordnete Johlige. Sie spricht noch einmal für die Linksfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Die se Aktuelle Stunde hat einen Anlass: Wir feiern heute 20 Jahre „Tolerantes Brandenburg“. Dem Dank an alle Akteure schließe ich mich an. Vor allem möchte ich deutlich machen, was wir hier eigentlich feiern.
20 Jahre Unterstützung lokaler, demokratischer und zivilgesell schaftlicher Strukturen und des demokratischen Zusammen halts, 20 Jahre Ächtung rassistischer Gewalt sowie Unterstüt zung und Solidarität für die Opfer, und wir feiern 20 Jahre Anerkenntnis der Notwendigkeit eines konsequenten Antidis kriminierungsschutzes. Ich glaube, das sind gute Gründe zum Feiern.
Welches andere Bundesland hat ein solches Engagement seiner Landesregierung vorzuweisen? In welchem Landtag gab es über 20 Jahre einen breiten Konsens der demokratischen Partei en, dass ein solcher Weg konsequent beschritten wird?
Welches Bundesland kann aus dieser Tradition heraus auf eine Verfassungsänderung blicken, mit der es sich klar dazu be kennt, das friedliche Zusammenleben der Menschen zu schüt zen und der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegenzutreten?
Deshalb gilt mein Dank neben denjenigen, die sich vor Ort eh renamtlich und hauptamtlich und in den Strukturen von „Tole rantes Brandenburg“ für eine offene Gesellschaft engagieren, auch den Akteuren in der Landesregierung und denjenigen hier im Landtag, die den Konsens der demokratischen Parteien auf rechterhalten und das „Tolerante Brandenburg“ über die Partei grenzen hinweg und auch gegen Widerstände unterstützt haben und weiterhin unterstützen.
Ich will anschließen: Das war vor 20 Jahren nicht selbstver ständlich, und leider ist es auch heute nicht selbstverständlich.
Meine Damen und Herren, am Ende dieser Debatte möchte ich vor allem etwas zur Zukunft sagen: Es ist niemandem verbor gen geblieben, dass die gesellschaftlichen Auseinandersetzun gen in den vergangenen Monaten an Schärfe gewonnen haben. Es ist auch niemandem verborgen geblieben, dass wir es mit einer Verrohung der politischen Kultur, mit einer Polarisierung der Positionen und damit verbunden mit einer Unfähigkeit, ge sellschaftliche Konflikte durch Dialog, Gespräch und Konsens findung zu lösen, zu tun haben.
Wir beobachten eine niedrigere Hemmschwelle zu verbaler und körperlicher Gewalt und im Übrigen auch weniger gesellschaft liche Ächtung solcher Taten. Es ist offensichtlich, dass rechtspo pulistische und rechtsradikale Akteure und auch sogenannte Rechtsintellektuelle zunehmend Hand in Hand agieren. Gleich zeitig übernehmen einige politische Kräfte des demokratischen Lagers in Deutschland - wohl auch aus der Hoffnung heraus, diese Akteure rechts von sich zurückzudrängen - deren Ge schäft. Eine Politik, die ein Ende der offenen Gesellschaft ein läutet und im Übrigen die Europäische Union nah ans Scheitern bringt, kann jedoch niemals die Lösung sein.
Wir müssen der Versuchung widerstehen, einfache Antworten auf schwierige Fragen in unserer globalisierten Welt zu geben. Alle gesellschaftlichen und politischen Akteure und auch das „Tolerante Brandenburg“ stehen deshalb vor Herausforderun gen, die ich hier kurz umreißen will:
Die erste Herausforderung ist aus meiner Sicht, den gesell schaftlichen Frieden dauerhaft zu sichern. In den vergangenen Jahren ist zu oft der Eindruck entstanden, die Politik kümmere sich nur noch um Geflüchtete. Die Sozialstaatsgarantie, die wir hier im Land ausgesprochen haben, indem wir uns dazu be kannt haben, dass keine soziale Leistung gekürzt wird, um Kos
ten für Geflüchtete zu tragen, ist in der öffentlichen Debatte leider untergegangen. Doch genau darum geht es: Gesellschaft lichen Frieden schafft nur, wer garantiert, dass niemand zurück bleibt. Das schafft man nur, wenn die Armut zurückgedrängt wird,
eine Chance für jede und jeden besteht, sich ein selbstbestimm tes und auskömmliches Leben aufzubauen, mit fairen Arbeits bedingungen und Löhnen, mit bezahlbaren Wohnungen und mit gesicherter Mobilität in allen Landesteilen. Das ist die Aufgabe, die wir als Politik zu bewältigen haben, um den sozialen und gesellschaftlichen Frieden zu sichern.
Die zweite Herausforderung ist, demokratische Strukturen zu fördern und Teilhabe zu sichern. Eine tolerante und weltoffene Gesellschaft braucht gesellschaftliche Teilhabe für alle hier le benden Menschen. Das erfordert die Dialogbereitschaft und die Bereitschaft zum Kompromiss. Aktuell sind die Fronten oft verhärtet, und selbst am Zuhören hapert es oft. Dialogprozesse in schwierigen Situationen, Strukturen, in denen Zuhören, Mit machen und Mitreden selbstverständlich sind, die Organisation der Teilhabe in Entscheidungsprozessen und die Stärkung der gesellschaftlichen Akteure in diesen Prozessen sind wichtige Voraussetzungen für gesellschaftlichen Frieden. Diese Prozesse zu entwickeln und weiterzuentwickeln ist eine Aufgabe der po litischen Akteure, aber auch des „Toleranten Brandenburgs“.
Die dritte Herausforderung ist aus meiner Sicht die Zurückge winnung der Humanität. Die gesellschaftlichen Debatten sind aktuell nicht selten von einer Entmenschlichung, wie ich sie mir wirklich nicht vorstellen konnte, gekennzeichnet. Wen inte ressiert es denn aktuell noch, dass Menschen in der Sahara ver dursten oder im Mittelmeer ertrinken?
Herr Ministerpräsident, für Ihre Ankündigung, die Menschen von dem umherirrenden Schiff „Lifeline“ aufzunehmen, bin ich Ihnen sehr dankbar.
Wir hatten schon einmal Flüchtlingsboote, die kein Land gefun den haben, an das sie anlegen konnten. Das darf nie wieder pas sieren!
(Königer [AfD]: Jetzt unterstützen Sie die Schlepperban den! - Domres [DIE LINKE]: Wie primitiv denken Sie? - Königer [AfD]: Das ist so!)
und dafür brauchen wir eine ehrliche und sachliche Auseinan dersetzung ohne Nebelkerzen aus politischem Kalkül.
Dazu brauchen wir die Perspektive der Migranten und Migran tinnen ebenso wie die der hier Geborenen. Vor allem aber brau chen wir den Dialog und das immer wieder zu erneuernde Be kenntnis, dass die Würde der Menschen - und zwar aller Menschen - unantastbar ist.
Ich will noch eine vierte Herausforderung formulieren: die Zu rückdrängung von gruppenbezogener Ausgrenzung, Men schenfeindlichkeit und Gewalt.
Wir beobachten eine hohe Zahl rassistischer und fremdenfeind licher Gewalttaten. Antisemitische Ressentiments sind auf dem Vormarsch, Jüdinnen und Juden fühlen sich nicht mehr überall sicher. Auch antimuslimische Ressentiments nehmen zu. Das sind Phänomene einer gruppenbezogenen Menschenfeindlich keit, die nicht selten in Gewalt mündet. Hier sind wir alle gefor dert, klare Kante zu zeigen und deutlich zu machen, dass dafür in unserer Gesellschaft kein Platz ist.
Für diese Herausforderungen brauchen wir das „Tolerante Bran denburg“. Das wird allerdings nicht reichen; wir brauchen dar über hinaus das Bekenntnis und das Engagement jeder und je des Einzelnen von uns. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. - Es sind zwei Kurzinterventionen angezeigt. Das Wort erhält zunächst der Abgeordnete Jung. Bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her ren! Liebe Gäste! Hier ist sehr viel über Hetze, über Fremden feindlichkeit und Gewalt gesprochen worden. Ich hatte den Eindruck, dass der letzte Beitrag der Linken eher eine Reflexi on über die eigenen Missetaten war.