Die Aussprache wird vom Abgeordneten Lüttmann eröffnet. Er spricht für die SPD-Fraktion. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! Insbesondere möchte ich heute Herrn Dusel bei uns im Saal begrüßen,
bis vor kurzem noch Beauftragter des Landes für die Belange der Menschen mit Behinderungen, jetzt Beauftragter des Bun des. Ich glaube, das war eine gute Wahl, und wir wünschen für die Arbeit viel Glück und Erfolg.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Landtagswahl 2014 gab es einen Wahlratgeber, den ich mitgebracht habe und aus dem ich zitieren möchte. Hierin befindet sich ein Hinweis für betreute Menschen:
„Wenn Sie eine Betreuerin oder einen Betreuer für alle Angelegenheiten haben, dürfen Sie nicht wählen. Betreu ungen für alle Angelegenheiten sind oft nicht nötig. Wenn Sie bei einer Landtagswahl mitmachen möchten, können Sie die Betreuerin oder den Betreuer bitten, sich um eine Änderung des Betreuungsbeschlusses zu kümmern.“
Dieser Absatz, meine Damen und Herren, wird im nächsten Wahlratgeber für die Landtagswahl und auch für die Kommu nalwahl, falls es einen solchen geben sollte, nicht mehr existie ren. Wir streichen ihn, und das ist toll.
Damit sind wir das erste ostdeutsche Bundesland, das diese Wahlrechtsausschlüsse betreuter Menschen streicht. Wir setzen damit auch ein wichtiges Zeichen in Richtung Bund. Herr Du sel hat vor kurzem darauf hingewiesen, dass sich der Bund jetzt
beeilen muss, auch entsprechende Ausschlüsse zu streichen, denn die Europawahl steht vor der Tür. Und wir setzen ein Zei chen in Richtung der anderen Bundesländer - ob ost- oder west deutsch, ist dabei egal -, denn bisher gibt es nur in NordrheinWestfalen und Schleswig-Holstein das Wahlrecht für betreute Menschen und in Kürze, nach der Veröffentlichung, wird es das auch hier in Brandenburg geben.
Wir beseitigen damit den Ausschluss von rund 2 500 Men schen, die bisher von Kommunal- und Landtagswahlen ausge schlossen waren. Und wir beenden einen Zustand, den das Deutsche Institut für Menschenrechte diskriminierend und un verhältnismäßig genannt hat. Ganz wichtig wird sein - das ist klar -, dass wir den Neuwählerinnen und -wählern wieder genü gend Material an die Hand geben, um sich auf die Wahl vorzu bereiten, und dass wir auch die Verbände, die Träger der Behin dertenhilfe dabei unterstützen, die Wahl vorzubereiten und den Neuwählerinnen und -wählern entsprechend zur Hand zu ge hen.
Aus Oberhavel haben mich zur Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für betreute Menschen viele Reaktionen erreicht. Da hieß es „Ich darf jetzt wählen gehen, toll!“ oder „Ist das cool, dass ich jetzt bestimmen darf, wer da sitzt!“ - mit „da“ ist dieser Raum gemeint. Es gab sogar, so wurde mir berichtet, Einzelne, die vor Freude geweint haben, dass sie das erleben dürfen.
Allein diese Reaktionen, meine Damen und Herren, zeigen doch, wie wichtig der Schritt ist, den wir heute gehen - hin zu einer inklusiveren Gesellschaft auch hier in Brandenburg.
Vielen Dank. - Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich auf der Besuchertribüne den Bundesbeauftragten für Men schen mit Behinderungen, Herr Dusel, in Brandenburg bestens bekannt, begrüßen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Das Recht zu wählen ist eine tragende Säule unse rer Demokratie. Dieses Menschenrecht ist aber einer Gruppe von Menschen mit Behinderungen bislang vorenthalten. Die Wahlrechtsausschlüsse betreffen insbesondere diejenigen, bei denen eine Anordnung der Betreuung in allen Angelegenheiten vorliegt. Das kann der Komapatient sein, das kann aber durch aus auch ein Mensch mit Downsyndrom sein. Die Feststellung, wer eine Betreuung in allen Angelegenheiten - eine sogenannte Totalbetreuung - erhält, obliegt der Einzelfallprüfung eines Be treuungsrichters.
Hier scheiden sich seit längerem die Geister, ob damit der Wahlrechtsausschluss überhaupt gerechtfertigt ist. Nein, sagen durchaus auch Betreuungsrichter. Hier gibt es die Unterschei
dung zwischen rechtlicher und politischer Meinungsbildung. Bei der Einzelfallprüfung wird begutachtet, in welchen Berei chen die Person nicht entscheidungsfähig ist, zum Beispiel bei der eigenen Vermögensvorsorge. Es gibt aber keine Kriterien - wie sollte es sie auch geben? -, anhand derer gemessen werden kann, ob eine Person eine Wahlentscheidung treffen könnte. Und wer wollte dies prinzipiell feststellen - nicht nur bei Men schen mit Behinderungen, sondern bei jedem Menschen, der das Recht zur Wahl hat?
In erster Linie geht es hier also um das Recht, wählen zu gehen, das selbstverständlich gewährt werden sollte. Ob dieses dann auch umgesetzt wird oder werden kann, ist in diesem Falle nachrangig - es geht ums Prinzip. Warum sollte zum Beispiel ein Demenzkranker, der in einem fortgeschrittenen Zustand der Demenz ist und im Altenpflegeheim wohnt, nach wie vor das Recht haben, wählen zu gehen, was Menschen mit Behinde rung, die in einer Wohngruppe leben und eine vollumfängliche Betreuung haben, verwehrt ist? Ist das gerecht?
Es geht hier auch um die UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland unterschrieben hat. Darin steht klar, dass sicherzu stellen ist, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend an politischen und öffent lichen Themen teilhaben können. Brandenburg ist - mein Kol lege Lüttmann hat es erwähnt - nicht das erste Bundesland, das das Wahlgesetz dazu ändert.
Dass das Prinzip auch auf das passive Wahlrecht angewendet wird - auch als Resultat der Anhörung und der Beratungen im Ausschuss -, finde ich sehr begrüßenswert.
Als Botschaft aus dem Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesund heit, Frauen und Familie möchte ich auf einen mehrfach formu lierten Wunsch unseres Landesbehindertenbeauftragten, Jürgen Dusel, eingehen, der ja mittlerweile auf die Bundesebene ge wechselt ist - und es freut mich sehr, dass Sie heute auf der Besuchertribüne sind -, weil es sein Herzensanliegen war und er dieses Thema immer wieder angesprochen hat. Ich glaube, man sieht ihm die Freude an, dass das jetzt umgesetzt und hier - ohne die weitere Debatte vorwegzunehmen - auch zum Ab schluss gebracht wird. Ich bin guter Dinge, dass es, nachdem es schon in der letzten Legislaturperiode angestrebt worden war, jetzt endlich auch auf Bundesebene umgesetzt wird. Da gibt es ein paar mehr Baustellen im Wahlgesetz. Aber es ist im Koali tionsvertrag festgeschrieben, und mit der starken Stimme von Herrn Dusel werden wir das bald auch auf Bundesebene umge setzt haben. Wir stimmen der Beschlussempfehlung heute zu. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dusel, ich freue mich, dass Sie heute hier sind. Ich freue mich, dass wir in breitem Konsens rechtzeitig in Vorbereitung auf die
Wahlen im nächsten Jahr eine Lücke im Landes- und Kommu nalwahlrecht schließen können. Mit dem Gesetzentwurf zum inklusiven Wahlrecht halten wir mit der bundesweiten Entwick lung Schritt. Wir sichern den Grundsatz der allgemeinen Wah len auch für Menschen mit Behinderungen, wobei es eben nicht darum geht, ihnen großzügig ein Recht einzuräumen, sondern darum, ihnen ein Recht zu belassen, das sie grundsätzlich ha ben.
Damit werden mehr als 2 000 Menschen - Björn Lüttmann hat von rund 2 500 Menschen gesprochen - im Land Brandenburg zum ersten Mal die Möglichkeit haben, an den Kommunalwah len und an der Landtagswahl im nächsten Jahr teilzunehmen. Dem ist eine längere konstruktive Diskussion im Ausschuss für Inneres und Kommunales vorausgegangen. Am Anfang dieser Diskussion stand eine ganze Reihe von Bedenken gegen eine Aufhebung des Wahlausschlusses für dauerhaft vollbetreute Menschen und schuldunfähige Straftäterinnen und Straftäter.
Wir haben uns in einem ersten Schritt entschieden, für diese Menschen mit Behinderungen das aktive Wahlrecht zu schaf fen, also das Recht, andere Menschen zu wählen. Diese Be grenzung auf das aktive Wahlrecht hat sich im Nachhinein als nicht haltbar erwiesen. In der Anhörung im Innenausschuss ist deutlich geworden, dass eine Trennung zwischen aktivem und passivem Wahlrecht kaum vermittelbar ist - wenn man schon bereit ist, diesen Schritt zu gehen. Deshalb haben wir das im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene aktive Wahlrecht um das passive Wahlrecht erweitert. Ausschlaggebend dafür war die in der Anhörung überzeugend vorgetragene Position des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen.
Meine Damen und Herren, mit der Annahme des Gesetzent wurfs erhält das Land Brandenburg - neben Nordrhein-Westfa len und Schleswig-Holstein - ein zeitgemäßes Wahlrecht, das den Vorgaben der UN-Behindertenkonvention entspricht. Da mit nehmen wir unsere Verantwortung wahr, wissen aber, dass der Wahlrechtsausschluss nach wie vor bei der Bundestagswahl und den Europawahlen gilt. Wir erwarten, dass sich die Landes regierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür einsetzt, dass auch auf diesen Ebenen die notwendigen Veränderungen vorge nommen werden. - Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Es geht in dem heute zu verabschiedenden Gesetz um ca. 2 400 bevormundete Menschen und ihr Wahlrecht im Land Brandenburg.
Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderun gen der Vereinten Nationen hat sich 2015 über die bestehenden Wahlrechtsausschlüsse in der Bundesrepublik Deutschland be sorgt gezeigt und unter Bezugnahme auf Artikel 29 der Behin dertenkonvention die Abschaffung dieser Regelungen gefor dert. Das ist primär zu begrüßen.
In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und SchleswigHolstein wurden im Jahr 2016 die Wahlrechtsausschlüsse im Landes- und Kommunalrecht gestrichen. Mit Erfolg? Wo sind die wissenschaftlichen Studien und Langzeituntersuchungen? Der bisher bestehende Wahlrechtsausschluss infolge Richter spruchs bleibt bestehen, denn dem Gerichtsentscheid geht eine spezifische, auf die Wahl bezogene Güterabwägung voraus. Diese Abwägung nimmt der Richter bzw. die Richterin vor; Frau Augustin von der CDU-Fraktion führte dies bereits aus. Dem stimmen wir ausdrücklich zu; das ist völlig in Ordnung.
Bisher gibt es lediglich die Vermutung, dass unter Betreuung stehende oder in stationärer psychiatrischer Behandlung befind liche Menschen nicht in der Lage sind, eine relative Wahlent scheidung zu treffen. Es besteht kein zwingender interner Zu sammenhang zwischen der Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten und der Befähigung des Betroffenen zur politischen Willensbildung. Das heißt: Die unterschiedlichen Befähigungen des Betroffenen lassen nicht den Schluss zu, dass er sich der vollen Auswirkungen seines Handelns auch gewiss ist. Hier hat das Land immer noch eine Fürsorgepflicht für diese Personen.
Solange es keine empirischen Studien anderer Bundesländer gibt, die explizit nachweisen, dass der Personenkreis im vollen Bewusstsein an einer Wahl zum eigenen Wohl teilnimmt, wer den wir uns bei dem Antrag enthalten. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Verehrter Herr Dusel! Als die Landesregierung im Janu ar 2017 ihr Behindertenpolitisches Maßnahmenpaket 2.0 vor stellte, haben wir Bündnisgrüne die fehlenden politischen Par tizipationsmöglichkeiten behinderter Menschen moniert. Mehr noch: Es ärgerte uns, dass sie deren gezielte Wahlrechtsau schlüsse sogar durch Aussagen wie „Menschen mit Behinde rungen können im Rahmen der geltenden bundes- und landes gesetzlichen Bestimmungen gleichberechtigt an politischen Wahlen teilnehmen“ verschleierte, wohl wissend, dass die gel tenden landesgesetzlichen Bestimmungen Menschen, die unter Betreuung stehen oder im Maßregelvollzug in psychiatrischen Kliniken untergebracht sind, von Wahlen ausschließen. Deswe gen forderten wir bereits damals in einem Antrag, das Branden burgische Landeswahlgesetz so anzupassen, dass es den Forde rungen der UN-Behindertenrechtskonvention zu einem
Unsere Forderungen haben seither einen langen, verschlunge nen Weg hinter sich. Anfangs wurden sie im Sozialausschuss beraten, der den zuständigen Innenausschuss aufforderte, aktiv zu werden. Dieser bat dann wiederum den zuständigen Innen minister um einen Sachstandsbericht zum Wahlrecht behinder ter Menschen. Zwischendurch wurde auch immer wieder mal der damalige Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderun gen zum Thema angehört, der gebetsmühlenartig wiederholte, dass der Landesgesetzgeber unverzüglich tätig werden und so
Ebenfalls in dieser Zeit beschloss der Europarat eine Resoluti on über die Stärkung politischer Rechte von Menschen mit Be hinderungen. Während auf Bundesebene im Koalitionsvertrag die Schaffung eines inklusiven Wahlrechts vereinbart wurde, philosophierte das brandenburgische Innenministerium noch über verfassungsrechtliche Bedenken.
Unsere Fraktion hat am 8. März mit dem inklusiven Parité-Ge setz eine Vorlage zur Beseitigung von Wahlausschlüssen von Menschen mit Behinderungen auf Landesebene geliefert. Im Gesetzentwurf vom April nahm man sich zwar des Kommunal wahlrechts an, beschränkte sich aber auf das aktive Wahlrecht.