Protokoll der Sitzung vom 10.04.2019

Herr Prof. Driehaus, ehemals Vorsitzender Richter am Bundes verwaltungsgericht, wies in seinen Ausführungen darauf hin, dass die von Befürworterinnen und Befürwortern einer Ab schaffung lautstark eingeforderte „Gerechtigkeit“ ein Irrglaube sei. Entlastet würden durch eine Beitragsabschaffung einzig und allein Grundstücksbesitzerinnen und -besitzer, weshalb der nun von SPD, Linken und Herrn Vida vorgelegte Gesetz entwurf treffender den Titel „Grundeigentümerentlastungsgesetz“ tragen müsse.

Die Ungleichbehandlung zwischen Grundstücksbesitzerinnen bzw. -besitzern und zur Miete wohnenden Menschen wird nicht die einzige bleiben. Bereits seit einigen Wochen errei chen mich E-Mails von Bürgerinnen und Bürgern, welche ihre Straßenbaubeiträge vor der geplanten rückwirkenden Stich tagsregelung zum 1. Januar 2019 entrichteten und sich nun be nachteiligt sehen. Dasselbe gilt für Brandenburger und Bran denburgerinnen, die weiterhin eine Zahlungsaufforderung für Erschließungsbeiträge zu ihrer Anliegerstraße erhalten. Erste Initiativen zur Abschaffung der Erschließungsbeiträge sind be reits gestartet; wir haben hier ja mehrere Statements dazu ge hört. Das wird das Einfallstor sein.

Sehr geehrter Minister Schröter, wir sind bekanntermaßen recht selten einer Meinung, aber Ihren Bedenken bezüglich der finanziellen Belastung des Landeshaushalts durch den Gesetz entwurf Ihrer Partei sowie der Linken kann ich mich guten Ge wissens anschließen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie des Abgeordneten Senftle ben [CDU])

Der Bericht Ihres Hauses zur Weiterentwicklung der Straßen ausbaubeiträge beziffert die Mehrbelastung durch den Wegfall der Beiträge noch auf 25 Millionen Euro pro Jahr.

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Mittlerweile stehen 31 Millionen Euro zur Debatte - plus eventu elle Mehrkosten durch Spitzabrechnungen einzelner Kommu nen. Neben der erheblichen Belastung des Landeshaushalts ist auch mit einer Zusatzbelastung der kommunalen Haushalte zu rechnen, wenn die dämpfende Wirkung der Straßenbaubeiträge auf die für erforderlich gehaltenen Ausbaumaßnahmen entfällt.

(Senftleben [CDU]: Das ist wirklich ein Argument!)

Eine von Sachverständigen angeführte Berechnung aus Bay ern, wo die Straßenbaubeiträge vor den Landtagswahlen 2018 ebenfalls abgeschafft wurden, zeigt, dass allein zum Substanzerhalt von Gemeindestraßen Finanzierungslücken von ca. 50 % entstehen. Diese müssten anderweitig geschlossen wer den, zum Beispiel durch Anhebung der Grundsteuer bzw. Kür zungen bei freiwilligen Leistungen wie Volkshochschulen oder Freibädern. Beide Optionen halte ich für inakzeptabel und sehe darüber hinaus die Gefahr, dass der Straßenausbau bis zur Klärung aller finanziellen Fragen zeitweilig zum Erlie gen kommen wird. Um dies zu verhindern, erwarte ich ebenso wie der Städte- und Gemeindebund, dass die Rechtsverord nung zur Erstattung der Kosten möglichst zeitgleich mit der Änderung des Kommunalabgabengesetzes in Kraft gesetzt wird.

Ebenso erwarte ich Lösungsansätze zur Beitragsproblematik bei Sandstraßen, von denen es in Brandenburg etliche gibt. Kollegin Richstein hat das Beispiel Falkensee angeführt. Wir haben nach der Wende 90 % Sandstraßen vorgefunden, die meisten älter als 80 Jahre. Das ist eine sehr komplexe Proble matik. Für die beitragspflichtigen Grundstückseigentümerin nen und -eigentümer wird schwer nachzuvollziehen sein, war um für eine Teilanlage einer Ausbaumaßnahme ein Beitragserhebungsverbot greift, andere Teilanlagen aber nach Erschlie ßungsrecht weiter abgerechnet werden sollen.

Wir Bündnisgrüne verkennen nicht den erheblichen politischen Druck, der gerade in Vorwahlzeiten durch die Abschaffung der Beiträge in anderen Bundesländern entsteht. Wir werden uns dem übermächtigen Wunsch nach Beitragsabschaffung nicht verweigern, sehen aber erhebliche Probleme bei der Ausgestal tung und den langfristigen Belastungen des Landeshaushaltes auf uns zukommen.

Der Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuss für In neres und Kommunales stimme ich mit dem Wunsch nach ei ner perspektivreichen Diskussion zu und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Zu uns spricht nun der Abgeordnete Vida.

(Unruhe bei der CDU)

Entschuldigung, Kollege Genilke hat eine Kurzintervention angezeigt. - Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Kollegin Nonnemacher! Ich habe mich schon gewundert, dass dieses Argument nicht von Rot-Rot kam, bin aber umso mehr verwundert, dass es von den Grünen kommt. Ich sehe keinen sinnhaften Kontext darin, den Straßen ausbaubeiträgen eine Dämpfungswirkung auf die Geltendma chung irgendwelcher Ansprüche zuzuschreiben. Das heißt: Ich erhebe Beiträge, und damit werden die Wünsche der Bürger kleingehalten. - Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, den Kommunen eine vernünftige Infrastruktur in diesem Land zu ermöglichen.

36 % der Straßen der Kommunen sind fast 30 Jahre nach der deutschen Einheit in einem desolaten Zustand - das zeigt, dass das derzeitige Verfahren nicht funktioniert.

(Beifall CDU)

Wir können aber nicht immer so tun, als hätte ein Beitrag eine abschottende Wirkung darauf, dass die Menschen das bekom men, worauf sie Anspruch haben: eine vernünftige Infrastruk tur. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Frau Abgeordnete Nonnemacher, möchten Sie darauf reagie ren? - Nein, okay.

Nun spricht der Abgeordnete Vida.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Durch die heutigen Beschlussfassungen bringt der Landtag die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge und somit ein großes Stück sozialen Frieden auf den Weg. Damit reiht sich auch un ser Land in die lange Liste der Bundesländer ein, die erkannt haben, dass Straßen Teil der Daseinsvorsorge sind, dass sie Gü ter der Allgemeinheit sind, die von der Allgemeinheit genutzt werden. Sie sind für jedermann da und dürfen nicht einseitig die belasten, die zufällig an ihnen wohnen - auch das gehört zur Gerechtigkeit.

Damit endet auch die Legende der vermeintlichen Wertsteige rung, die für die Betroffenen in keiner Weise bezifferbar ist. Trotzdem wurden mit dieser fiktiven Wertsteigerung bis zu 75%ige Anliegerbeiträge gerechtfertigt.

Die Zeit der sozialen Sorge wegen des Straßenausbaus wird nun ein Ende finden, und hoffentlich findet auch die Legende ein Ende, man würde die Bevölkerung spalten. Die Volksinitia tive „Straßenausbaubeiträge abschaffen!“, die binnen zweier Monate über 100 000 Unterschriften gesammelt hat, wurde von sehr vielen Mietern unterschrieben, weil sie erkennen, was es bedeutet, solidarisch zu sein und nicht populistisch von den angeblichen Millionären in den Brandenburger Siedlungsstra ßen zu reden. Sie haben eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie sich keine Spaltung einreden lassen, sondern gemein sam für mehr Abgabengerechtigkeit eintreten wollen. All die sen Bürgern danke ich ausdrücklich.

Es ist wahrlich an der Zeit, dass es zu einer Änderung kommt. Die Kostenbeteiligung der Anlieger war angesichts des Ver waltungsaufwandes, der sozialen Sorgen und der rechtlichen Streitigkeiten schon lange nicht mehr gerechtfertigt. So können wir durch eine sinnvolle Neuregelung endlich sozialen Frieden schaffen. Der kann aber nur ein Zwischenschritt sein. Für BVB/FREIE WÄHLER sage ich: Wir müssen das Erschlie ßungsbeitragsrecht in Landesrecht überführen und hierzu eben falls Lösungsvorschläge entwickeln, die die einseitige Belas tung der Anlieger beenden. Als ein schneller Schritt kommt die Einführung der umfassenden Mitbestimmung nach Bernauer Modell in allen Kommunen Brandenburgs in Betracht - wie ich es bereits im Jahr 2015 beantragt habe -, um eine Mitbestim mung in allen Orten zu ermöglichen. Außerdem muss die

Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stärker beach tet werden, welche klar definiert, dass kein Erschließungsfall vorliegt, wenn schon vor der Wende ortsübliche Ausbaugepflo genheiten eingehalten worden sind. Auch das wird nicht konse quent beachtet.

Zum vorliegenden Gesetzesantrag - und das ist ganz simpel in wenigen Sätzen erklärt, Herr Genilke - habe ich deswegen mehrere Änderungsanträge eingebracht, weil ich erstens als Vertreter der Volksinitiative Miteinreicher bin, aber natürlich weitergehende Änderungsvorschläge habe, die sich in den Än derungsanträgen niederschlagen. Die Änderungsanträge sind noch zur ersten Fassung eingereicht worden und werden dann im Zuge der Ausschussberatung, weil sie ja mitüberwiesen werden, wie Sie wissen, entsprechend angepasst.

Erster Änderungsvorschlag: Änderung des Stichtages auf den 1. Januar 2018. So schaffen wir umfassende Akzeptanz für die Neuregelung. Angesichts dessen, dass die Volksinitiative be reits im Jahr 2018 startete und schon im Mai, also im ersten Halbjahr 2018, ein Entschließungsantrag der Regierungsfrakti onen beschlossen worden ist, gibt es auch genügend Legitima tion dafür. Angesichts dessen, dass das auch der Städte- und Gemeindebund - wahrlich kein Freund dieser Initiative - for dert, gibt es auch eine ausreichende Grundlage.

Zweitens: Änderung des Bezugspunktes für den Bemessungs stichtag - weg vom Abschluss der Maßnahme, hin zur Ertei lung des Bescheides. Denn nur der Zugang des Abrechnungs bescheides ist für den Bürger ein transparent nachvollziehbarer Zeitpunkt. Entgegen der Stellungnahme des Innenministeriums ist es eben nicht so, dass der Abschluss der Maßnahme für den Bürger zweifelsfrei erkennbar ist. Denn Abschluss der Maß nahme und Beginn der Verjährung ist nicht, wenn der letzte Bagger abrollt, sondern wenn die Schlussrechnung in der Bau akte freigezeichnet wird. Das ist ein verwaltungsinterner Vor gang, der für den Bürger nicht erkennbar ist und teilweise sechs, acht, zwölf Wochen nach der Maßnahme liegt.

Dritter Änderungsantrag: Eine kleine Korrektur beim Mehrbe lastungsausgleich, damit die Gemeinden, die jüngst die Eigen anteile für die Bürger gesenkt haben, keinen Nachteil haben.

Es ist übrigens auch nicht so, dass eine dämpfende Wirkung wegfällt, sondern durch diese Regelung entsteht die dämpfen de Wirkung. Denn jetzt muss die Gemeinde mit dem Geld aus dem allgemeinen Haushalt wirtschaften, das Geld aller Bürger ausgeben und ist dementsprechend gehalten, sparsamer damit umzugehen, als wenn 70 oder 80 % von den Anliegern bezahlt werden.

Im vierten Änderungsantrag geht es darum, die Evaluierung angesichts steigender Baupreise bereits ein Jahr vorher - schon 2022 - vorzunehmen. Ich hoffe, dass der Innenausschuss im Zuge der Beratung einiges hiervon übernehmen wird. Es wird ein bestehendes Gerechtigkeitsdefizit abgeschafft, und die Ge meinden werden dazu angehalten, ressourcenschonende, orts bildwahrende und sparsame Ausbauparameter zu wählen. Die Bürger werden bei einem Punkt entlastet, bei dem sie es wahr lich verdient haben, und es wird eine Abgabe, für die es gerade keine gesellschaftliche Akzeptanz gibt, abgeschafft.

Durch die Annahme der Volksinitiative - was ja heute der förmliche Beschluss ist - dokumentiert der Landtag zugleich, welch positive und erneuernde Wirkung direkte Demokratie

haben kann. Wir schaffen mehr Abgabengerechtigkeit im Land und zeigen, dass die Stimme der Bürger auch in Sachfragen Gewicht hat. Ich freue mich, dass das jetzt Wirklichkeit wird, und setze darauf, dass wir im Juni die finalen Gesetzesände rungen beschließen werden. - Vielen Dank.

Für die Landesregierung spricht jetzt Minister Schröter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Ab geordneten! Verehrte Gäste! Es ist wahr, die Frage der Ab schaffung der Straßenbaubeiträge bewegt das Land, deshalb bewegt sie auch den Landtag. Seit 2018 hat die Debatte Fahrt aufgenommen, zweifelsohne auch wegen der Volksinitiative; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Die Vorlagen, über die wir heute beraten, sind eine direkte Folge dieser Debatte.

Da ist zum einen der Bericht der Landesregierung vom vergan genen Jahr. Er bietet eine nüchterne Sachverhaltsdarstellung so wie einen entsprechenden Problemaufriss. Er sollte die Grundla ge für die Fortführung der politischen Debatte zu diesem Thema bieten, und ich denke, dazu hat er auch gute Dienste geleistet.

Nur der Vollständigkeit halber will ich daran erinnern, dass dem Bericht der Landesregierung in der Anhörung im Innen ausschuss von allen Experten ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde, auch von so renommierten Experten wie Herrn Prof. Brüning oder - er wurde schon erwähnt - Herrn Prof. Driehaus, als Papst des Abgabenrechts bekannt.

Aber es war auch von Anfang an klar, dass die Straßenbaubei träge eine politische Frage sind, die auch politisch beantwortet werden wird, so wie in den anderen Ländern auch. Man kann in dieser Frage aus durchaus guten Gründen sehr unterschiedli che Auffassungen vertreten, aber es ist eine Tatsache, dass es in dieser Debatte bundesweit einen klaren Trend gibt. Dieser Trend geht in Richtung Abschaffung der Straßenbaubeiträge, daran ist nicht zu zweifeln. Das ist im Übrigen speziell in Ost deutschland so. Brandenburg bewegt sich hier durchaus in ei nem Geleitzug, der den vermeintlich sicheren Hafen namens Beitragsfreiheit ansteuert.

In Berlin wurden die Beiträge bereits abgeschafft. Nebenbei bemerkt: Der Hebesatz für Grundsteuern liegt in Berlin bei 800 %. In Sachsen gibt es ein Wahlrecht der Kommunen. In Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ist die Abschaffung vorgesehen. In Sachsen-Anhalt läuft eine Volksinitiative; man braucht nicht viel Fantasie, um ihren Aus gang vorherzusehen.

Das also ist die Lage. Auch in Brandenburg hat sich in der Lan despolitik ein breiter Konsens herausgebildet, der die Abschaf fung der Beiträge, und das in möglichst kurzer Zeit, anstrebt. Was also ist zu tun? Wie jeder weiß, heißt das Ministerium, dem ich vorstehe, Ministerium des Innern, gelegentlich auch Ministerium für Arbeit, vor allem für schnelle, auch außerplan mäßige Arbeit. Aber immer ist es auch das Ministerium der Herzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall sowie Heiterkeit bei SPD und DIE LINKE)

Und dieses Ministerium der Herzen hilft natürlich immer und schnell, das ist allgemein bekannt. So hat mein Haus eine For mulierungshilfe erarbeitet, mit der sich zunächst das Kabinett befasst hat und die dann den regierungstragenden Fraktionen schnell und kollegial zur Verfügung gestellt wurde, um ein möglichst zügiges Verfahren zu ermöglichen. Dieser Entwurf, der nun hier als Gesetzentwurf vorliegt, zeigt den Weg auf, wie es gehen könnte.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber selbstverständlich.

Herr Minister, seit wann ist es eigentlich üblich, dass das Kabi nett Formulierungshilfen beschließt und sie dann ausgewählten Fraktionen und nicht allen Fraktionen dieses Landtags zukom men lässt, die ja alle die Möglichkeit haben, Gesetzentwürfe zu erarbeiten und in den Landtag einzubringen?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Dr. Redmann. Ich bin der Überzeugung, dass das nicht das erste Mal war. Und da es si cher schon vorher solche Beispiele gab, kann ich Ihnen nicht sagen, seit wann das üblich ist.

(Zurufe von der CDU - Dr. Redmann [CDU]: Das ist un glaublich! Wann gab es das schon mal?)

- Das weiß ich nicht, ich gehe davon aus, dass es das gab. Das war für mich ein völlig normales Verfahren.