Protokoll der Sitzung vom 14.06.2019

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Der Bericht zur Umsetzung des Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“ zeigt erneut, wie umfassend und konsequent das Land Brandenburg gemeinsam mit Akteuren der Koordinie rungsstelle, des Beratungsnetzwerks und der Kooperations partner den Kampf gegen rechtsextreme, rassistische und frem denfeindliche gesellschaftliche Entwicklungen führt.

Er zeigt auch, wie weit verzweigt und vielfältig das zivilgesell schaftliche Engagement in Brandenburg ist. Das Ziel, ein tole rantes und weltoffenes Brandenburg ohne Rassismus, Frem denfeindlichkeit und Gewalt, ohne Hetze gegen gesellschaftli che Gruppen und mit einer Kultur des Miteinanders zu schaf fen, in der man einander zuhört und aufeinander eingeht, eint die Akteurinnen und Akteure des Toleranten Brandenburgs. Darauf können wir stolz sein. Wir tun gut daran, allen, die hier zu ehrenamtlich und hauptamtlich ihren Beitrag geleistet haben und von denen heute ganz viele hier sind, herzlich Danke zu sagen: Ich danke euch und Ihnen!

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD sowie der Abgeord neten Richstein [CDU], Vogel und Nonnemacher [B90/ GRÜNE])

Meine Damen und Herren! Es ist niemandem verborgen ge blieben, dass die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den vergangenen Monaten an Schärfe gewonnen haben. Es ist auch niemandem verborgen geblieben, dass wir es mit einer Verrohung der politischen Kultur, mit einer Polarisierung der Positionen und mit einer Unfähigkeit zu tun haben, gesell schaftliche Konflikte durch Dialog, Gespräch und Konsensfin dung zu klären. Wir beobachten eine niedrigere Hemmschwel le zu verbaler und körperlicher Gewalt und im Übrigen auch eine geringere gesellschaftliche Ächtung solcher Taten.

1998, als das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ entwickelt wurde, gab es eine ähnliche gesellschaftliche Situa tion. Handlungsleitend war damals - und ist heute -, dass Kräf te für Toleranz, Solidarität und Weltoffenheit und gegen Ras sismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt gebündelt, unter stützt und gestärkt werden sollen.

Heute gibt es in Brandenburg - das ist der vielleicht größte Un terschied zur Situation von vor etwas über 20 Jahren - eine über Jahre gewachsene starke Zivilgesellschaft, die bereit ist, für ein weltoffenes, tolerantes und solidarisches Brandenburg zu kämpfen. Dass es eine solche starke Zivilgesellschaft gibt, hat auch mit der Arbeit des Toleranten Brandenburgs zu tun.

(Beifall DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Umso wichtiger ist es, dass wir im Brandenburger Landtag er neut beweisen, dass es einen Konsens der demokratischen Kräfte dieses Hauses gibt, das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ weiter mit Leben zu erfüllen. Deshalb danke ich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU, dass dieser ge meinsame Entschließungsantrag zustande gekommen ist, mit dem wir deutlich machen, dass die demokratischen Kräfte die ses Landtags nach wie vor gegen Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Gewalt zusammenstehen.

(Beifall DIE LINKE und B90/GRÜNE, vereinzelt SPD sowie des Abgeordneten Dr. Redmann [CDU])

Der AfD erteilen wir dadurch mit einer Stimme eine Absage, die dem hier vorliegenden Antrag ihren Feldzug gegen die Ak teure des Beratungsnetzwerks „Tolerantes Brandenburg“ fort setzt. Es ist schon eine erstaunliche Aktivität bei der AfD zu verzeichnen: Den Haushaltsanträgen, dem Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ jegliche finanziellen Zuwendungen zu streichen, folgte eine wahre Anfrageflut; und dies endet nun in diesem Antrag. Es ist wirklich interessant, wie beharrlich Sie bei diesem Thema sind. Man gewinnt den Eindruck, dass Sie, die Sie sich bei anderen wichtigen Sachthemen meist heraus halten, hier jedes parlamentarische Mittel nutzen, um Ihr Feindbild zu bekämpfen.

Genau deshalb bin ich froh, dass wir Demokratinnen und De mokraten Ihnen mit einer Stimme antworten. Das Handlungs konzept „Tolerantes Brandenburg“ wird auch weiterhin von einem Konsens der demokratischen Parteien dieses Landtags getragen. Selbstverständlich wird es nicht zum Ende der 6. Wahlperiode eingestellt, wie Sie in Ihrem Antrag fordern.

Im Gegenteil: Das Tolerante Brandenburg hat in den vergange nen Jahren einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag geleis tet, und es ist so flexibel, dass auf Herausforderungen schnell und umfassend reagiert werden konnte. Deshalb werden wir es auch weiterhin bedarfsgerecht ausstatten und, wenn nötig, der aktuellen Situation anpassen.

Die aktuelle gesellschaftliche Situation fordert alle zivilgesell schaftlichen demokratischen Kräfte mehr denn je. Wir befin den uns mitten in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Frage, wie wir unser Zusammenleben gestalten wollen. Eine starke, lebendige Demokratie lässt sich nicht herbei beschließen. Sie lässt sich aber aktiv fördern und ist es wert, dass wir gemeinsam um sie kämpfen.

Das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Wir tun gut daran, es zu hegen, zu pflegen, weiterzuentwickeln und gegen jegliche Angriffe, auch hier in diesem Parlament, zu verteidigen. - Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Nonnemacher.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe zahl reich anwesenden Akteure aus den Beratungsnetzwerken des Toleranten Brandenburgs! Das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ steht exemplarisch für das, was auch in Bran denburg die Wehrhaftigkeit unsere Demokratie ausmacht: Zi vilgesellschaft, Staat und demokratische Parteien stehen eng zusammen, wenn extremistische Kräfte das Wertefundament unserer Gesellschaft untergraben wollen.

Vorurteilen und Hass begegnen wir bereits dort, wo sie entste hen, und schaffen Strukturen, die einer weltoffenen Gesell schaft Vorschub leisten - und das ist notwendig: Der jüngste Verfassungsschutzbericht zum Jahre 2017 beziffert das rechts extremistische Personenpotenzial auf 1 540 Personen und da mit auf den zweithöchsten gemessenen Stand seit 1993.

Das Tolerante Brandenburg ist eine Erfolgsgeschichte, die es weiterzuschreiben gilt, damit sie zukünftige Herausforderun gen stemmen kann. Die konsequente Weiterentwicklung und Aktualisierung des Konzepts dürfen wir bei aller Zufriedenheit mit den bisherigen Erfolgsbilanzen nicht aus dem Blick verlie ren. Insofern begrüßen wir den eingeschlagenen Weg der regel mäßigen Evaluierung durch die Wissenschaft. Auch das Parla ment leistet unter anderem mit der heutigen Debatte und der regelmäßigen Begleitung seinen Beitrag.

Eine nicht zu unterschätzende Stärke des Konzeptes sind seine Präsenz in der Region und seine Flexibilität. Allein das „De mokratie-Mobil“ war über 40-mal im Einsatz. Das mobile Be ratungsteam in Cottbus wurde als Reaktion auf das dort kon zentrierte Auftreten rechtsextremer Netzwerke gestärkt. Aufsu chen, unterstützen, ermutigen - diesem Motto macht das Kon zept alle Ehre.

Ein wichtiger Schritt ist die zum 1. Januar dieses Jahres erfolg te Einrichtung der Fachstelle „Antisemitismus“ in Trägerschaft des Moses Mendelssohn Zentrums. Hier wird sinnvoll an be stehende Strukturen angeknüpft und an Handlungsfähigkeit hinzugewonnen. Im Dezember 2018 veröffentlichte die Agen tur der Europäischen Union für Grundrechte eine Studie mit alarmierenden Ergebnissen. In Deutschland gaben 85 % der befragten Betroffenen an, dass Antisemitismus für sie ein Prob lem darstellt. Ich zitiere aus der Studie:

„Allein die Tatsache, jüdisch zu sein, erhöht die Wahr scheinlichkeit für die Betroffenen, anhaltenden Beleidi gungen in den verschiedensten Formen ausgesetzt zu sein […].“

Kürzlich äußerte sich der Antisemitismusbeauftragte der Bun desregierung, Felix Klein, dahin gehend, Juden nicht empfeh len zu können, jederzeit überall in Deutschland Kippa zu tra gen. Diese Entwicklung ist beschämend, und wir werden kei nen Zweifel an unserer Entschlossenheit aufkommen lassen, diesen Entwicklungen entgegenzutreten.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Auch populistische Bestrebungen müssen zukünftig stärker in den Blick genommen werden. Insbesondere der in den letzten Jahren erstarkte Rechtspopulismus will den Boden für eine An schlussfähigkeit rechtsextremistischen Gedankenguts an die gesellschaftliche Mitte bereiten. Der zivilgesellschaftliche Bei trag für ein Tolerantes Brandenburg ist sehr groß, und auch der Staat tut viel, um die Demokratie zu schützen.

Baustellen gibt es dennoch. Das umstrittene V-Leute-Wesen gehört dazu, was sich aus dem NSU-Untersuchungsausschuss bericht ableiten lässt. Herausstellen möchte ich hier aber auch das System der Strafverfolgung. Welche Botschaft sendet der Staat an die Zivilgesellschaft, wenn wegen vermeidbarer Ver fahrensverzögerungen ein NPD-Kader wie Maik Schneider aus der Untersuchungshaft entlassen werden muss?

Die AfD zeigt heute erneut, wes Geistes Kind sie ist. Es ist be zeichnend, dass sie das Konzept mit zahlreichen Anfragen in den Fokus ihrer ansonsten spärlichen parlamentarischen Akti vitäten gerückt hat und bekämpft. Sie beantragt heute die Ab schaffung des Konzeptes - das ist ein folgerichtiger Offenba rungseid.

Das Konzept stärkt die Zivilgesellschaft gegen Hass und Het ze, fördert eine offene Gesellschaft und entzieht so auch dem Rechtspopulismus seine Grundlage. Wer die Rede von Herrn Kalbitz heute gehört hat, weiß: Das Netzwerk „Tolerantes Brandenburg“ bleibt unverzichtbar für unser Land.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Die Betonung liegt bei diesem Handlungskonzept auf dem Handeln. Wenn ich den Bericht zur Umsetzung lese und in die ser Runde in die Gesichter der Demokratinnen und Demokra ten schaue, weiß ich, dass wir dieses Verständnis teilen und gemeinsam und entschlossen für ein Tolerantes Brandenburg eintreten werden. Davon zeugt auch der Entschließungsantrag von vier Fraktionen. Ein sehr gutes Zeichen!

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, DIE LINKE und CDU)

Vielen Dank. - Der Abgeordnete Jung hat eine Kurzinterventi on angezeigt.

Sehr geehrte Frau Nonnemacher! Ich teile das, was Sie zum Antisemitismus geäußert haben.

Ich möchte Sie trotzdem fragen, wie Sie zu Folgendem stehen: Am 9. November dieses Jahres jährt sich zum 50. Mal der Brandanschlag Ihres Mitglieds und ehemaligen Abgeordneten der Grünen bzw. der AL, Dieter Kunzelmann, der vor das Jüdi sche Gemeindehaus in Berlin eine Brandbombe gelegt hat, die - Gott sei Dank - ihre Wirkung nicht entfalten konnte. Wie ste hen Sie dazu?

Frau Kollegin Nonnemacher möchte reagieren. Bitte schön.

Herr Jung, ich fühle mich in keinster Weise für Herrn Kunzel mann verantwortlich.

Aber ich möchte in anderer Weise auf Sie reagieren. Ihre Kurz intervention von vorhin, als Sie hier standen und mit hassver zerrtem Gesicht gebrüllt haben, hat mich erschreckt.

(Jung [AfD]: Ich bin stark betroffen!)

- Ja, ich weiß, dass Sie persönlich stark betroffen sind. Aber wie Sie sich in diesem Haus präsentiert haben, hat mich zu tiefst erschreckt.

(Kalbitz [AfD]: Wir werfen keine Brandbomben!)

Ich habe mich immer wieder klar geäußert, distanziert und ge sagt, dass ich persönliche Verfolgungen oder Demonstrationen vor Privathäusern von Politikern für inakzeptabel halte.

(Beifall B90/GRÜNE - Galau [AfD]: Sie messen mit zweierlei Maß!)

Aber der Auftritt, den Sie hier geliefert haben, zeigt uns, was wir von Ihnen zu erwarten haben. Da geht jede Begrenzung verloren.

(Beifall B90/GRÜNE und SPD)

Vielen Dank. - Das Wort erhält jetzt der Abgeordnete Königer.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren Abgeordnetenkollegen! Liebe Besucher, auch vom Toleranten Brandenburg! Vor fünf Jahren habe ich hier meine erste Rede im Parlament gehalten, diese ist meine letzte. In dieser Zeit ist viel geschehen. Nicht nur die politische Welt hat sich verändert, auch ich habe mich verändert und bin mir trotzdem treu geblieben.

Als ich vor fünf Jahren ins Parlament eingezogen bin, hatte ich von vielem vorgefasste Meinungen, Ansichten, die ich mir als politisch interessierter Bürger schon in meiner Jugendzeit selbst bildete. Ich hatte auch eine apodiktische Meinung über das Tolerante Brandenburg. Damals forderte ich mit aller Ent schlossenheit die Einstellung des Programms, in dem ich ein Mittel der herrschenden gesellschaftlichen Kräfte sah, alles zu stigmatisieren, was nicht dem linken Zeitgeist entspricht. Als Konservativer fühlte ich mich vom Toleranten Brandenburg re gelrecht angefeindet.

Als Landtagsabgeordneter merkte ich schnell, dass der Grat zwischen Urteil und Vorurteil verdammt schmal sein kann. In der Beschäftigung mit vielen Themen gelangt man an Informa tionen, die zumindest eine Überprüfung des eigenen Urteils notwendig machen. Ich sprach im Laufe der Zeit mehrere Male mit ideologieunverdächtigen Bürgern über das Programm. Nie mand von ihnen äußerte sich in irgendeiner Weise übermäßig negativ.

Also habe ich - das sehe man mir nach - meinen Mitarbeiter als „Spion“ zu mehreren Veranstaltungen des Toleranten Branden burg geschickt. Ich selbst hatte ein wenig Provokationen oder Anpöbeleien befürchtet; deswegen habe ich einen Mitarbeiter geschickt. Er ging auch dorthin und „enttarnte“ sich als mein Mitarbeiter. Er berichtete mir von harten, aber grundsätzlich fairen Diskussionen. Die meisten Vertreter des Toleranten Brandenburgs - so wusste er zu erzählen - differenzierten ganz deutlich zwischen Glatze- und Stiefel-Neonazis, AfD-Anhän gern, die nur eine neue konservative Heimat suchen, und Poli tikern, die jenseits der roten Linien unserer freiheitlich-demo kratischen Grundordnung herumgeistern.

(Zuruf von der AfD: Ist das ein Schmarrn!)

Deshalb stehe ich dem Programm des Toleranten Branden burgs heute entspannter gegenüber und will es keinesfalls mehr abschaffen. Vielmehr glaube ich, dass es wichtige Extremismu saufklärung betreibt, die erweitert werden sollte, um den Vor wurf der Einseitigkeit zu entkräften. Ihrem Entschließungsan trag entnehme ich auch solches.