Protokoll der Sitzung vom 18.05.2000

[Sen Branoner: Aber genau so!]

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Das eine Beispiel ist der lokale Beschäftigungspakt in Neukölln, der auch EU-gefördert wird, ein anderes Beispiel ist für mich Jugend-LOK. Jugend-LOK verfolgt auch einen ganzheitlichen Ansatz. Da geht es darum, Existenzgründungen für junge Leute zu fördern. Da ist es geschafft worden, Beratung aus einer Hand und vor Ort zu machen. Das alte Problem ist nach wie vor sonst nicht gelöst, die notwendigen Ansprechpartner zu bündeln. Ich glaube auch nicht, dass die IBB der große Hoffnungsträger dabei ist, Licht in das Förderdunkel zu bringen mit einer Bündelung. Ich finde es wesentlich sinniger, stärker vor Ort zu arbeiten. Hier ist Jugend-LOK ein hervorhebenswertes, positives Beispiel. Sie leisten in der Zusammenarbeit mit dem Bezirk kontinuierliche Beratung, haben gemeinsam mit dem Bezirk einen Gewerberaummietspiegel entwickelt und unterstützen Existenzgründer bei der Suche nach Gewerberäumen, indem sie diese Räume vorher erfassen. Damit leisten sie einen wesentlichen Beitrag, um Existenzgründungen möglich zu machen.

Der wesentliche Ansatz ist aber Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik mit Existenzgründungsförderung zu verbinden. Man muss von der bisherigen Trennung wegkommen, die es auch in den Ressorts Wirtschaft und Arbeit gibt. Das ist schon okay so, aber die entsprechend unterschiedlichen Logiken, die sich reduzieren lassen auf die eine Seite CDU-Unternehmer. Die Hoffnung der CDU, dass alle Existenzgründer, die es demnächst geben wird, geborene CDU-Mitglieder sind, kann ich nicht teilen.

[Gräff (CDU): Von den Grünen sind sie sicher auch nicht!]

Das hat etwas mit der veränderten Situation zu tun, aus der heraus die Menschen heute eine Existenz gründen. Auf der einen Seite ist die alte klassische Geschichte: Jeder Unternehmer ist der junge, dynamische CDU-Unternehmer aus entsprechend abgesicherten Verhältnissen, der kann auch eine Bürgschaft mitbringen. Auf der anderen Seite – so das Bild der Koalition – stehen die mit persönlichen Defiziten behafteten ehemaligen oder auch Noch-SPD-Wähler und Arbeitslose. Für sie muss man individuelle, spezifische Programme stricken.

Frau Abgeordnete! Sie müssen dann zum Schluss kommen. Die Redezeit ist beendet.

Oh! – Zu dieser Trennung passt auch das Hickhack der Fachverwaltungen. Da gibt es die Wirtschaftsverwaltung, die die klassischen CDU-Unternehmer fördert; und da gibt es die Arbeitsverwaltung, die auf dem ESF-Topf sitzt, die überlegt, welche Untergruppe es noch gibt, die gezielt gefördert werden muss.

[Sen Branoner: So ein Quatsch!]

Wir sollten dazu kommen, diese Logik bei den Existenzgründungen umzudrehen und statt zu fragen, welche fünf Mitarbeiter der Verwaltung sich noch ein neues Programm aushirnen sollen, die Leute zu fragen, auch die jungen Leute zu fragen, was sie eigentlich machen wollen. Von der Seite ist auszugehen und die Verwaltung eher als Dienstleister zu entdecken und vor allem Initiativen vor Ort zu stärken.

Ich bitte Sie um Ihren Schlusssatz.

Das muss beraten und begleitet werden.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition! Herr Branoner! Frau Schöttler, die leider nicht da ist!

[Zuruf]

Bei der Gestaltung der Modellregion Berlin-Brandenburg gibt es doch Möglichkeiten. Bei uns Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten wurde noch einmal thematisiert, dass die Bezirke gerne diese lokale Beschäftigungspolitik zu einem lokalen Beschäftigungspakt aufgreifen möchten. Und da sehe ich eben auch – und das gibt es in Neukölln ja schon mit der Gründerzahl entsprechenden Möglichkeiten, Existenzgründungen vor Ort zu unterstützen, und Jugendlok macht das Gleiche auch schon in Friedrichshain. Also bei der Entscheidung – –

Nun ist die Redezeit endgültig beendet.

[Frau Paus (Grüne): Der letzte Satz!]

Irgendwann ist Ende. Ich habe Ihnen schon so viel Zeit gelassen. Es tut mir Leid. Ich mache das nicht gerne, aber irgendwann geht es nicht mehr. [Beifall bei den Grünen]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Große Anfrage beantwortet und besprochen.

Die lfd. Nrn. 10 und 11 sind bereits durch die Konsensliste erledigt.

Wir sind dann bei der

lfd. Nr. 12:

a) Drucksache 14/379:

Große Anfrage der Fraktion der Grünen über Kinder brauchen Kinder – Bildung, Erziehung und Förderung in den Kitas stärken

b) Drucksache 14/380:

Antrag der Fraktion der Grünen über Kinder brauchen Kinder – I: Kitabesuch fördern – offensiv werben

c) Drucksache 14/381:

Antrag der Fraktion der Grünen über Kinder brauchen Kinder – II: von Eltern angemeldeten Bedarf anerkennen – Antragsverfahren für einen Kitaplatz vereinfachen

d) Drucksache 14/382:

Antrag der Fraktion der Grünen über Kinder brauchen Kinder – III: sozial benachteiligte Kinder besonders fördern

e) Drucksache 14/383:

Antrag der Fraktion der Grünen über Kinder brauchen Kinder – IV: Elternbeteiligung im Kitabereich auf Landesebene fördern und unterstützen

f) Drucksache 14/384:

Antrag der Fraktion der Grünen über Kinder brauchen Kinder – V: Finanzierung der Kitas in kommunaler und freier Trägerschaft angleichen

Zur Begründung hat Frau Abgeordnete Jantzen das Wort – bitte sehr!

Herr Präsident! Ich bitte darum, dass Herr Böger anwesend ist bei dieser Großen Anfrage, er ist nämlich nicht nur der Schulsenator, sondern auch der Jungendsenator. interjection: [Atzler (CDU): Er ist da!]

Er ist da! Sehen Sie, pflichtbewusst.

[Wieland (SPD): Wenn man von der Sonne spricht, geht sie auf! – Frau Richter-Kotowski (CDU): Er hat nur hinter der Tür gewartet, bis Sie nach ihm fragen!]

Gut, er wollte auch einmal herbeizitiert werden, okay! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Im internationalen Vergleich abgehängt. Armutszeugnis für die deutsche Bildung“, so lautete eine der Schlagzeilen zum

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neuesten Bildungsbericht der OECD. Der Aufschrei des Entsetzens nach internationalen Bildungsvergleichen ist nicht neu, auch nicht der Ruf nach mehr und besserer Bildung. Seit Jahrzehnten beklagen Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen, dass die Schulabgänger den an sie gestellten Anforderungen nicht mehr genügen, und zwar egal ob sie von Gymnasien, Hauptoder Realschulen kommen. Die Oberschulen schieben den Schwarzen Peter den Grundschulen zu, die Grundschullehrerinnen und -lehrer weisen ebenso wie die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas seit vielen Jahren immer wieder darauf hin, dass immer mehr Kinder mit Defiziten in der psychomotorischen Entwicklung, im Sozialverhalten und im Sprachgebrauch in die Kitas und Schulen kommen. Sie auszugleichen sind sie auf Grund von Kürzungsmaßnahmen der großen Koalition immer weniger in der Lage.

Schon hat man die wahren Schuldigen gefunden. Da heißt es dann vorschnell, die Eltern kämen ihrer Erziehungsverantwortung nicht mehr nach, besonders die Frauen, denen Beruf und Familie inzwischen wie den Männern gleich wichtig geworden ist und ohne deren Erwerbsarbeit heute übrigens kaum noch eine Familie mit mehreren Kindern zu ernähren ist. Den Eltern nichtdeutscher Herkunft wird vorgeworfen, sie wollten sich nicht integrieren, sie sollten ihre Kinder doch in die Kita schicken und zu Hause mit den Kindern Deutsch sprechen.

Erinnern Sie sich an die Debatte um den Sozialstrukturatlas 1997: Der Regierende Bürgermeister berief eine erste Innenstadtkonferenz zur schulischen Bildung ein. Die vorschulische Bildung wurde als wichtiges Element hervorgehoben, eine verstärkte Werbung für den frühzeitigen Kitabesuch angekündigt und für die Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache rief man gar nach einer Kitapflicht. Was ist daraus geworden? – Heute, zwei Jahre danach: Von offensiver Werbung für die Kitas keine Spur. Und statt wie von uns und den Eltern seit Jahren gefordert das Anmeldeverfahren zu vereinfachen und den Zugang zu den Kitas zu erleichtern, legt die Senatsverwaltung eine Rechtsverordnung zum Antragsverfahren vor, mit dem sie das Anmeldeverfahren noch einmal verschärfen und den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für die Drei- bis Sechsjährigen endgültig auf ein vier- bis fünfstündiges Angebot beschränken.

„Kinder brauchen Kinder“, so ist der Titel unserer Großen Anfrage und unserer Anträge. Wissenschaftliche Studien belegen seit Jahren, dass Kinder für die Entwicklung motorischer, kognitiver und sozialer Fähigkeiten den Kontakt mit Gleichaltrigen und mit anderen Bezugspersonen als ihren Eltern brauchen.

[Beifall der Frau Abg. Martins (Grüne)]

Dies ist heute nicht mehr so selbstverständlich gegeben. Das muss von Eltern oft mühsam organisiert werden. Es gibt immer mehr Einzelkinder, und durch die in der Arbeitswelt geforderte Mobilität sind immer mehr junge Eltern ohne Großeltern oder andere Verwandte in ihrer Nähe. Die Orte, wo sich die Kinder ganz automatisch trafen und miteinander spielten, die großen auf die kleinen aufpassten und die kleinen von den großen lernten, nämlich die Hinterhöfe, Straßen und Bürgersteige, da fahren oder parken heute die Autos. Das ist ein Ergebnis Ihrer verfehlten Verkehrspolitik.

Mit unserer Idee der autofreien Stadt und den von uns initiierten Leitlinien für eine kinder- und jugendfreundliche Stadt, die Sie zwar verabschiedet, bisher aber nicht umgesetzt haben, wollen wir solche Orte für Kinder wieder schaffen und die Straßen mit Menschen statt mit Autos beleben.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Wie die Debatte aber vorhin in der Fragestunde gezeigt hat, schafft es diese große Koalition noch nicht einmal, sich auf drei autofreie Sonntage zu verständigen. Und noch schlimmer: Der Innensenator Werthebach erklärt gar im „Landespressedienst“ Berlin 2000 zur Hauptstadt der Autofahrer. Das ist im Anschluss an Ihre großmundigen Reden im UNICEF-Jahr 1999 unter dem Motto „Berlin – Hauptstadt für Kinder“ ein Skandal.