Protokoll der Sitzung vom 18.05.2000

wenn er die Möglichkeit hat, in nur 90 Minuten in Berlin zu sein, in einer Metropole, die kulturell 24 Stunden geöffnet ist, quasi die Expo im Kleinen – wenn wir uns nicht größer machen als wir sind. Während die Expo in Hannover 80 ha hat, haben wir 880 m2 – das ist so groß wie Frankfurt, Stuttgart und München zusammen, und dann haben wir immer noch 8 m2 mehr. Dass wir natürlich diese Chancen nutzen und die Leute zu uns holen wollen, dass der Tourismus und der Einzelhandel davon profitieren, ist aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit. Und der Kollege Stölzl wird ebenfalls seinen Teil des Kuchens für die Kultur davon abbekommen. [Beifall bei der CDU – Heiterkeit links]

Die Expo ist also die Theorie, und Berlin ist die Praxis. Das ist gut und richtig so!

In der Tat – Kollege Borghorst hat darauf hingewiesen: Wir haben im letzten Jahr einen Zuwachs von 15 % im Tourismus, im März 30 % Zuwachs. Allein von der Expo können wir, selbst wenn alles nur pessimistisch gerechnet ist, zusätzlich eine Million Besucher zusätzlich nach Berlin bekommen. Das würde, gäben wir sie in die Hotels, eine Steigerung um 20 % bedeuten. Das ist auch gut so. Sollten Sie Bekannte oder Verwandte haben, die vielleicht von außerhalb nach Hannover kommen, würde ich sagen, laden Sie sie nach Berlin ein und teilen Sie Ihre Vision einer Expo zusammen.

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne)]

Ich weiß nicht, Frau Kollegin, ob Sie eine Tante in Hannover haben. Sie freut sich genauso – und wir uns hier in Berlin. Ich würde natürlich, wenn Sie mich einladen, auch zum Kaffeetrinken

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Sen Branoner

mit Ihrer Tante kommen. Der Wirtschaftssenator wird sich gern auch in dieser Hinsicht einbringen.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Wenn ich eine Tante hätte, würde ich sie aber nicht mit Ihnen bekannt machen!]

Berlin ist ein kulturelles und politisches Zentrum, von Hannover aus in eineinhalb Stunden per Zug erreichbar. Zurzeit kann man in Berlin ohne Zweifel preiswerter übernachten, auch wenn man die Bahnfahrt zu den Übernachtungspreisen hinzurechnet, als irgendwo dort. Der Wirtschaftsumsatz für uns – gehen wir einmal davon aus, es würde die Million an Menschen sein, die hierher kommt, grosso modo jeden Tag 300 DM hier ausgebend – würde ein Umsatzplus von mindestens 600 Millionen DM erbringen. Wenn wir diese Chance nicht ergriffen, wären wir geradezu „mit dem Klammerbeutel gepudert“.

Berlin hat die Chancen der Expo frühzeitig erkannt. Wir haben uns seit 1996 an den Aktivitäten beteiligt.

[Over (PDS): Sehr frühzeitig!]

Sie haben sich eben geoutet, dass Sie sich seit 12 Jahren beteiligt haben, haben aber offensichtlich nichts mitbekommen. Ich habe den Eindruck, Sie hätten sich erst seit 12 Stunden mit dem Thema auseinandergesetzt. Berlin ist Gesellschafter der Trägergesellschaft Deutscher Pavillon. Der Deutsche Pavillon wird in der Woche vom 19. bis zum 25. Juni die Berlin-Woche durchführen. Wir haben unter anderem kulturelle Veranstaltungen. Das junge Berlin wird sich dort präsentieren. Am Freitag wird der Berliner Wirtschaftstag stattfinden. Das ist gut so. Um den potentiellen Expogästen rechtzeitig die Möglichkeiten aufzuzeigen, die Expo zu besuchen und nach Berlin zu kommen, haben wir seit 1999 zielgruppenspezifisch geworben. Wir haben die Expo – wenn Sie so wollen – mitvermarktet. Wir profitieren nicht nur von der Expo, sondern die Expo natürlich auch von uns, von Berlin. Wir haben potentielle Zielgruppen im Rahmen unserer Akquisition angesprochen.

Wir nutzen die Expo 2000, Herr Over, zur Darstellung der Innovationskraft der Berliner Wirtschaft. Und wenn Sie sagen, dass es keinen Grund gibt, nach Hannover zu reisen, empfehle ich Ihnen einen Besuch bei der CeBIT oder der HannoverMesse. Bilden Sie sich ein bisschen fort. Nutzen Sie die Chancen, die unsere Gesellschaft bietet.

[Over (PDS): Es gibt auch sonst keinen Grund, von Berlin nach Hannover zu fahren!]

Es kann selbst Ihnen überhaupt nichts an der Stelle schaden.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es ist davon auszugehen, dass sich gerade die internationalen Besucher den Abstecher nach Berlin nicht entgehen lassen werden. Insofern fügt es sich für uns geradezu günstig, im Jahre 2000 auch das Millenniumsprogramm mit seinen Höhepunkten und dem besonderen Highlight der Ausstellung der Berliner Festspiele „Sieben Hügel – Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts“ hier gegenüber im Martin-Gropius-Bau nicht zu versäumen. Keine Weltausstellung konnte bisher von sich sagen, dass sie eine dem Projekt entsprechende Hauptstadt vorzuweisen hat. Insofern bin ich sehr dankbar, dass eigentlich durchgängig von der zentralen Vermarktung – wie ein roter Faden durch die Expo – Berlin als eine lohnenswerte Reise propagiert wird. Auch das ist sehr deutlich. Wenn Sie Ihren Teil dazu beitragen zu belegen, dass wir – wenn Sie so wollen – die räumliche Realität einer Expo in Hannover sind, werden wir uns noch ein großes Stück Kuchen davon abschneiden können.

Nun möchte ich noch einige kritische Bemerkungen anführen: Leider hat die Expo 2000 in Hannover im Vorfeld nicht alle Chancen genutzt, was die Vermarktung anbelangt. Das zentrale Ticketing-System und die Programmplanung kamen zu spät. Das, was an Inhalten im Bereich Tourismus zwischen einem und zwei Jahren wenigstens in Eckwerten hätte vermarktet werden können, ist von der Expo nicht aufbereitet worden und konnte deswegen sowohl von dort, als auch von uns, aber auch von anderen professionellen Veranstaltern nicht frühzeitig vermarktet werden. Die Hotelpreise in Hannover – eine zweite Bemerkung – sind während der Expo zum Teil unverschämt hoch. Dieses ist

aber zugleich für die Berliner Hotellerie eine Chance, durch preiswerte Paketangebote, die auch die Bahnfahrt beinhalteten, die Besucher umzuleiten.

Der Deutschen Bahn wurde vorgeworfen, dass sie ihre Fahrpreise für den Zeitraum des während der Expo gültigen Sommerfahrplans für alle ICE-Regelzüge von und nach Hannover verdoppeln würde. Tatsächlich stimmt das nicht. Es gibt bestimmte Zuschläge, um zum Teil Menschen auch auf die Sonderzüge umzuleiten. Es gibt darüber hinaus Familienpaketangebote. Hier muss die Bahn noch etwas mehr in die Transparenz in ihrer eigenen Preiskalkulation investieren und sie nach außen deutlich machen. Die Sparpreise liegen bis zu 50 % unter den Regelpreisen; die Mitfahrt eigener Kinder ist in den Preisen inbegriffen. Was bedeutet das für die Familien? Natürlich sind die Enkelkinder auch eingeschlossen.

Mit der Expo wird zudem – damit möchte ich dann enden – oft das Thema Angst vor der Entwicklung in der Gesellschaft verbunden. Natürlich muss die Expo dazu dienen, die Menschen nicht nur vom Ausstellungskonzept, sondern von den Inhalten mitzunehmen, sie zu begeistern, sie zu interessieren, dort hinzugehen, sich mit Themen und Themenbereichen auseinanderzusetzen. Natürlich ist es so, dass in dieser Gesellschaft, in dem Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft der technologische, aber auch der gesellschaftliche Wandel enorm und rasant sind, dass Ängste damit verbunden sind und Antworten gegeben werden können, den Diskurs zu versuchen, obwohl Sie auch von der Opposition sehr einseitig sagen, dies sei so oder so. Nehmen Sie die Chance wahr, sich mit den Themen, mit den Ausstellungsmachern, mit der Industrie und mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Nehmen Sie die Chancen wahr, die Kritik aufzunehmen. Die Expo bietet hierzu gute Lösungen an. Ich fordere ausdrücklich uns alle dazu auf, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Die Expo bietet dazu ein gutes Forum und für Berlin alle Chancen. Wir sehen uns sicherlich häufiger, und zwar in Hannover bei der Expo!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Danke schön, Herr Senator! Das Wort hat nunmehr Frau Dr. Lötzsch für die Fraktion der PDS. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, was die Einschätzung der PDS betrifft. In der letzten Sitzung im Abgeordnetenhaus wurde uns noch erklärt, es hätte sich gerade gezeigt, dass die PDS doch eine verknöcherte Alt-Kaderpartei wäre; Alt-Kader hätten sich durchgesetzt. Eine Sitzung später schon ist PDS eine ChaosPartei. Sie sind in der Einschätzung sehr flexibel.

[Zuruf des Abg. Dr. Borghorst (SPD) – Goetze (CDU): Das ergänzt sich wundervoll!]

Sie haben den Kollegen Over hier als Chaoten bezeichnet. Ich weiß nicht, ob das parlamentarisch war und ob Herr amtierender Präsident Momper zugehört hat. Herr Over ist in unserer Fraktion ein sehr pünktlicher und zuverlässiger Kollege.

[Heiterkeit]

Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Dr. Borghorst, auf die Frage hin, wen Herr Over vertritt, teile ich Ihnen mit, dass Herr Over bereits zwei Mal seinen Wahlkreis gewonnen hat. Wenn ich das im Abgeordnetenhandbuch richtig gelesen habe, Herr Dr. Borghorst, ist Ihnen das leider nicht gelungen. Vielleicht können Sie daran noch arbeiten.

Wer der PDS Bedenkenträgerei vorwirft, sollte sich vielleicht auch mit anderen Publikationen auseinandersetzen. Wenn ich mich hier auf Auseinandersetzungen im Parlament vorbereite, schaue ich mir gern an, was der Senat geschrieben oder veröffentlich hat. In der Regel kann man davon etwas lernen. Als erstes fiel mir eine Zeitschrift der Senatsverwaltung für Stadtenwicklung „Foyer“ vom April 2000 in die Hand, in der ein großer Artikel zur Expo veröffentlicht war. Die Überschrift lautete: „Anachronismus zum Anfassen – Expo 2000 – Vom Jahrmarkt der

Industrie zum Event der Mediengesellschaft“. Nun will ich Ihnen nicht den Artikel vorlesen, aber augenscheinlich spricht der Senat mit gespaltener Zunge. Herr Branoner ist für die gute Laune zuständig. Zu lesen bekommt man dann andere Dinge. Es wird klar gesagt, dass die Zeit der großen Weltausstellungen vorbei sei. Es wird die Festivalisierung von Wirtschaftsideologie und Technikoptimismus kritisiert. Es wird klar dargestellt, dass man sich 1990 überhaupt nicht vorstellen konnte – es ist auch dem Konzept abzulesen –, wie rasant sich die Technik in dieser kurzen Zeit entwickeln würde. Die Defizite sind hier schon benannt worden. Der Artikel in der Zeitschrift von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sagt als Fazit, dass sich die Frage nach dem Sinn der Weltausstellung nicht beantworten lässt. Vielleicht diskutieren Sie erst einmal im Senat und in der Koalition darüber, wer hier Bedenkenträger ist, bevor Sie das pauschal an die Opposition abgeben.

[Beifall bei der PDS]

Schauen Sie sich Ihre eigenen Publikationen an. Nicht nur zuhören bildet, Herr Branoner, sondern manchmal auch Lesen, vor allem das, was im eigenen Haus geschrieben wurde. Eine Umfrage unter Studenten der Technischen Universität, denen man sicher schwer Technikfeindlichkeit unterstellen kann, zeigt auch – die letzte Nummer der TU-Zeitung haben wir gerade erhalten –, dass die meisten Studenten der Technikwissenschaften sagen, es sei alles eine große Show, die sich nicht lohne und in diesem Zeitalter eine nicht mehr angemessene Ausdrucksform sei.

Herr Dr. Borghorst! Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie die Plattenbauten und die ökologische Sanierung der Plattenbauten so positiv hervorgehoben haben. Der Fairness halber könnte man aber auch erwähnen, dass der Bezirksbürgermeister Dr. Uwe Klett – gestellt von der PDS – gemeinsam mit den anderen Bezirksbürgermeistern der Bezirke, in denen sich die meisten Plattenbauten befinden, Herr Dr. Buttler und Herr Dr. Friedersdorff von Marzahn und Lichtenberg sowie Frau Dr. Grygier aus Hohenschönhausen, sich dabei große Dienste erworben haben.

[Zurufe von der CDU und der SPD]

Ja, ja, regen Sie sich nur darüber auf! – Herr Dr. Klett vertritt dieses Projekt auf der Expo. Und ich hätte mir in diesem Zusammenhang gewünscht, Herr Dr. Borghorst, dass Sie vielleicht einmal 10, 9 oder 8 Jahre zurück denken und etwas Selbstkritik üben. Denn wie haben Sie von der Koalition Anfang der 90er Jahre die Plattenbauten heruntergeredet, über den Abriss diskutiert?

[Dr. Borghorst (SPD): Das stimmt doch gar nicht!]

Und nun haben Sie sich ohne ein Quäntchen von Selbstkritik an die Spitze der Bewegung gestellt, nachdem wir Ihnen nämlich erzählen mussten, dass dort Hundertausende von Menschen wohnen.

[Dr. Borghorst (SPD): Das wussten wir schon vor der Wende!]

Ja, Sie haben Anfang der 90er Jahre noch rechtzeitig die Kurve bekommen und sich auf den richtigen Weg begeben. Aber vielleicht wäre es auch für einen Sozialdemokraten, der gerne andere kritisiert, ein Stückchen Selbstkritik angebracht.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Herr Senator Branoner! Wenn die Expo- Besucher Berlin besuchen sollen, sollten sie vielleicht auch angeregt werden, sich die Berliner Expoprojekte anzuschauen. Dies sollten Sie zumindest in Ihr Konzept aufnehmen, aber davon haben Sie nicht gesagt. Im Interesse der Zeit möchte ich nur ein Beispiel nennen, die Rummelsburger Bucht. In die Rummelsburger Bucht können nur Expobesucher gehen, die gut ausgestattet sind. Sie müssen eine Kaffeekanne dabei haben und ein Stullenpaket. Denn in diesem ganzen Gebiet gibt es kein einziges Restaurant, kein Cafe´, es gibt einen Bäcker, bei dem ein Stehimbiss eingenommen werden kann. Aber das ist wahrscheinlich nicht das, was man sich als Tourist vorstellt. Es sind dann möglicherweise nur

die, die froh sind, kein Geld ausgeben zu müssen und sich nicht ärgern zu müssen, dass andere im Restaurant sitzen können. Das ist sicherlich kein besonderer Anziehungspunkt.

Können Sie bitte zum Schluss kommen, Frau Kollegin! Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident!

Eine Bemerkung darf man sich nicht verkneifen: Die Expo wird gemanagt von Frau Breuel.

[Frau Greiner (CDU): Eine gute Frau!]

Frau Breuel hat ein Buch geschrieben: „Es gibt kein Butterbrot umsonst“. Sie fordert darin von Staat und Gesellschaft Einsicht und Opfer. Sie schreibt, bisher Privilegierte müssten den Verzicht auf Vorrechte lernen. Frau Breuel erhält im Jahr 700 000 DM plus 425 000 DM Reise- und Bewirtungsspesen.