Protokoll der Sitzung vom 18.05.2000

[Oh! von der CDU – Gram (CDU): Ja, hier!]

Wir wollten in dieser Legislaturperiode im VerfassungsschutzAusschuss einen neuen Ton anschlagen. Das ist mein Beitrag dazu. [Beifall bei den Grünen]

Sie haben zwei Thesen aufgestellt. Die eine ist die, das Landesamt arbeitete erfolgreich.

Herr Gram, erzählen Sie uns, wo er erfolgreich gearbeitet hat. Sie haben gesagt, vieles sei geheim und die loyalen Mitarbeiter könnten die als geheim eingestuften Angelegenheiten nicht öffentlich machen. Mir könnten Sie es allerdings im abhörsicheren Raum erzählen. Nicht einmal dort wird uns etwas geboten, Herr Gram. Zudem erzählten Sie uns, im Bereich Rechts- und Linksextremismus hätten wir hervorragende Berichte bekommen. Das, was in diesen Berichten stand, ist teilweise falsch, nicht durch das Gesetz gedeckt, und es kommt zu spät. Ich kann Ihnen viele Stellen nennen, beispielsweise an den Universitäten oder die regionale Ausländerinitiative, die schon zwei bis fünf Jahre früher über Entwicklungen im Bereich Rechtsextremismus berichtet haben. Der Witz dabei ist, dass Sie, wenn Sie sich die Berichte des Amtes über Rechtsextremismus ansehen, merken, dass von diesen Stellen zitiert wird. Wenn ohnehin von den Projekten, die in Brandenburg und Berlin Arbeit mit Rechtsextremen Jugendlichen machen, um diese zu einer Einstellungsänderung zu bewegen, abgeschrieben wird, dann schlage ich vor, dem Amt das Geld wegzunehmen und es gleich den Projekten zu geben. Das würde Sinn machen. [Beifall bei den Grünen und der PDS] Man könnte die ganze Plenarsitzung damit ausfüllen, Gründe für die Auflösung des Amtes aufzuzählen. So viel Zeit haben wird nicht. Herr Klemm hat bereits einige Punkte genannt. Wenn man weiter zurückblickt, erkennt man einen jahrzehntelangen Rechtsmissbrauch zu Zeiten der Alliierten. Herr Vermander hat gesagt, das Landesamt sei zu Zeiten der Alliierten nicht mehr als eine Art Servicebüro gewesen. Ich hätte mir gewünscht, dass das ein Amtsleiters ca. 1985 gesagt hätte. Nämlich als wir diese Behauptung aufgestellt haben und Sie uns dafür verteufelt und gesagt haben, wir redeten nur dummes Zeug. Heute geben Sie selbst zu, dass es damals keine rechtmäßige Arbeit gab. Seit 1986 gab es nur Skandale, und zwar so viele, dass man sich nicht einmal zu sagen traut, das sei eine Chronique scandaleuse, denn dieses Wort wird der Anzahl der Skandale nicht gerecht. Ich habe den Begriff schon so häufig benutzt, dass ich mich frage, welche Steigerung es dazu gibt. Zu den Beispielen, die Herr Klemm genannt hat, muss man sagen, dass es immer nach dem gleichen Muster ablief: Zuerst wurde nichts gesagt, dann hat man etwas herausgefunden, das stand dann in der Zeitung, dann wurde das Parlament belogen, dann haben wir dem jeweiligen Amtleiter oder Innensenator die Rosinen aus den Nasen gezogen, und wenn sie draußen waren, wurde gesagt, nicht der Senator, der Staatssekretär oder der Amtleiter sei es gewesen, sondern die kleinen Mitarbeiter. Das ist kein christlicher Stil, Herr Gram. [Beifall bei den Grünen] Was hat sich in der Zwischenzeit geändert? Unter dem rotgrünen Senat gab es eine Projektgruppe, die Vorschläge gemacht hat. Danach hat Herr Heckelmann die Boeden-Kommission eingerichtet, die 1992 einige Vorschläge gemacht hat. Im Grunde hat sich nichts getan. Im Frühjahr – Februar oder März – diesen Jahres hat Herr Werthebach gesagt: Jetzt geht es endlich los. Wir haben mittlerweile fast zehn Jahre voll; jetzt strukturieren wir um. – Wir haben schnell die Haushaltsabstimmung gemacht, und Sie haben erklärt, die Hierarchien würden flacher, alles werde schön und rechtmäßig. Sie hatten das Ding noch nicht im Plenum abgestimmt als Sie sagten: Nein, wir machen das doch nicht. Wir lösen das ganze Amt auf. – Herr Gram, wenn das eine Erfolgsstory ist, dann können Sie das Wort nicht richtig definieren. [Beifall bei den Grünen und der PDS] Es wurden wiederholt zwielichtige Gestalten als V-Leute genutzt, unbescholtene Personen verdächtigt, die krudesten Dinge ausgewertet, es gab Druck von oben und rechtswidrige Arbeit. Herr Gram, wenn Sie ehrlich wären, dann müssten auch Sie zugeben, dass unter dem Begriff Extremismus Dinge und Verhaltensweise subsumiert werden, die eines Demokraten würdig wären. Im Linksextemismusbericht steht auf Seite 3 unter dem Kapitel Terrorismus, dass sich eine Gruppe aktiv gegen die drohende Vollstreckung der Todesstrafe bei Abu Jamal – ein Schwarzer in den USA – einsetzt.

(A) (C)

(B) (D)

Bitte achten Sie auf Ihre Zeit!

Ich komme sofort zum Schluss. – Dieses Einsetzen gegen die Vollstreckung der Todesstrafe steht in Artikel 102 des Grundgesetzes. Es ist keine Schande, sich dafür einzusetzen.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Bei der letzten Akteneinsicht habe ich noch eine Liste von 40 bis 50 PDS-Bürgermeistern in den neuen Bundesländern gefunden. Das gehört doch nicht in diesen Bericht.

[Zuruf von der PDS: Die ist noch nicht einmal vollständig!]

Dieses Amt arbeitet nicht rechtmäßig. Mit diesen Mitarbeitern kann man nicht rechtmäßig arbeiten. Es hält sich nicht an Recht und Gesetz. Wir wollen nicht wieder ein großes Tamtam, mit dem uns etwas vorgegaukelt wird und zwei Monate später der Innensenator vor uns steht und sagt: Es hat nicht geklappt; wir fangen von vorne an. – Wir fordern: kein Schnickschnack, keine Nebelkerzen, sondern Auflösung. Das ist die richtige Antwort.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Danke. – Der Kollege Benneter wird uns jetzt zeigen, wie man eine gute Rede hält und trotzdem die Zeit einhält.

Herr Präsident! Danke für diesen Vorschuss. – Herr Gram, ich glaube, ich werde Herrn Werthebach künftig vor Ihnen in Schutz nehmen müssen. Er will uns etwas ganz Modernes vorlegen. Das, was Sie an Lob über diesen Dienst ausgeschüttet haben, hat nichts mit der Realität zu tun. Aus diesem Grund möchte Herr Werthebach zur Radikalkur greifen. Das ist auch der Grund dafür, dass die Grünen und die PDS meinen, nicht mehr bei ihren alten Anträgen bleiben zu können, sondern auch zur Radikalkur greifen. Insofern hat der Präsident Recht, denn ich stehe dazwischen und wünsche mir, dass PDS und Grüne, die in den letzten Jahren besonders unter dem Verfassungsschutz gelitten haben, nun mitmachen.

[Frau Künast (Grüne): Ich habe nicht gelitten!]

Also kein Leiden wie das, das immer in Oberammergau dargestellt wird. Ich meine ein Leiden im politischen Sinn.

Wenn heute die Überschriften lauten, dass Werthebach seinen Verfassungsschutz zusammenstreicht, dann können wir das nicht hoch genug bewerten. Wenn wir zudem lesen, dass er Führungspositionen überregional ausschreiben und zeitlich befristet einsetzen will – womit er der Verwaltungsreform damit beim Verfassungsschutz voll und ganz Geltung verschaffen will –, dann können wir das nur begrüßen. Ich gehe davon aus, dass das ganze Amt aufgelöst wird. Das Personal wird gänzlich durchgemischt. Frau Koller führt mit jedem einzelnen Mitarbeiter Gespräche. Es wird Aufwand getrieben, um zu einer entsprechenden Personaldurchmischung zu kommen und qualifiziertes und wissenschaftliches Personal zu bekommen.

Herr Gram hat übertrieben formuliert, dass wir in der letzten Woche einen einzigartigen Bericht über den Linksextremismus bekommen hätten. Meinem Eindruck nach war er relativ strukturlos aneinander gereiht, irgendwelche Erkenntnisse waren zusammengemengt, und man hat aus dem Kaffeesatz gelesen. Frau Künast hat auch ein paar skandalöse Schlussfolgerungen zitiert. Wir wissen, dass wir bei Herrn Werthebach aufpassen müssen. Das Bundesverwaltungsgericht hat ihm – in seiner Eigenschaft als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz – schon einmal bescheinigen müssen, dass er mit den Informationen und dem dortigen Datenbestand nicht sorgfältig genug umgegangen ist. Das werden wir in Berlin zu verhindern wissen. Ich bitte deshalb die Oppositionsparteien, uns zu unterstützen und die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, um zu einer Informationsbehörde zu kommen, dass wir zu einer Landeszentrale für politische Bildung und Aufklärung kommen. Das müssten wir gemeinsam schaffen können.

Vielen Dank, Herr Benneter! Sehen Sie, es hat gut funktioniert, Sie haben alles wieder hereingeholt.

Damit ist der Verfassungsschutz besprochen. Der Ältestenrat empfiehlt zu beiden Gesetzesanträgen die Überweisung an den Ausschuss für Verfassungsschutz und an den Hauptausschusse. Zum Antrag der PDS, Drucksache 14/298, wird Überweisung allein an den Ausschuss für Verfassungsschutz empfohlen. Wer diesen Überweisungen so zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Beides letzteres sehe ich nicht. Damit ist das so beschlossen.

Wir kommen zu

lfd. Nr. 4, Drucksache 14/359:

I. Lesung der Vorlage – zur Beschlussfassung – über Erstes Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2000

Dieses steht auf der Konsensliste. Über diese wird bestätigt, dass die Vorlage – zur Beschlussfassung – über Erstes Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2000, Drucksache 14/359, vorab an den Hauptausschuss überwiesen worden war. Der Hauptausschuss hat hierzu gestern getagt und eine Beschlussempfehlung abgegeben. Die II. Lesung dieses Gesetzes findet mit Aussprache auf unserer nächsten ordentlichen Sitzung am am 8. Juni dieses Jahres statt. Damit entfällt die Sondersitzung des Abgeordnetenhauses. – Hier hätte ich fast Beifall erwartet. [Beifall bei der SPD]

Für die II. Lesung am 8. Juni muss ich auf einen Fehler in der Begründung der Drucksache hinweisen. Im letzten Satz muss das Wort „jährliche“ vor dem Wort „Garantiebetrag“ gestrichen werden.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 5:

a) Drucksache 14/360:

I. Lesung des Antrags der Fraktion der Grünen über Gesetz zur Änderung des Berliner Vergabegesetzes

b) Drucksache 14/361:

Antrag der Fraktion der Grünen über: Der Ausbildungsmisere für Jugendliche ausländischer Herkunft im öffentlichen Dienst entgegentreten

Für die gemeinsame Beratung steht uns nach unserer Geschäftsordnung eine Redezeit von bis zu 5 Minuten pro Fraktion zur Verfügung. Wortmeldungen liegen mir vor. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Dr. Klotz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin hat seit Jahren ein chronisches Defizit an Ausbildungsplätzen. Obwohl das Jugendsofortprogramm JUMP eine erste Entspannung gebracht hat und die Ausbildungszahlen der Industrie- und Handelskammer sich gesteigert haben, bilden noch immer 75 % der Berliner Betriebe nicht aus, wurden 1999 gemessen an den Gesamtbewerberzahlen nur 50 % der Jugendlichen in einen dualen Ausbildungsplatz vermittelt; allein in Berlin befinden sich noch immer 9 000 Jugendliche in berufsvorbereitenden Warteschleifen. Das ist kein adäquater Ersatz für duale Ausbildungsplätze.

Aus alledem ergibt sich eine besondere Verantwortung des öffentlichen Dienstes des Landes Berlin. Man kann jetzt schon sagen, der öffentliche Dienst wird der Verantwortung nicht gerecht. Wir haben schon mehrmals darüber gesprochen, dass

in den vergangenen Jahren jährlich zweistellige Millionenbeträge, die in den Haushalt für die Ausbildung eingestellt waren, nicht verausgabt wurden und dafür nicht ausgebildet wurde. Dies ist blamabel und nicht zu akzeptieren.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Besonders alarmierend ist allerdings die Ausbildungssituation junger Migrantinnen und Migranten. Obwohl ihr Anteil an der Altersgruppe der 16- bis 20-Jährigen 13 % beträgt, erlernen nur 6 % von ihnen einen dualen Ausbildungsberuf, und von diesen sind wiederum nur ein Drittel Frauen. Wir alle aber wissen: Sprache, Bildung und Arbeit sind die Kernstücke von Integration. Wer es mit der Integration ernst meint, muss den hier lebenden Migrantinnen und Migranten die Chance auf eine Berufsausbildung geben.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Die Gründe für die geringe Teilhabe von Migrantinnen und Migranten an der Ausbildung sind vielfältig: Das sind im Schnitt schlechtere Schulabschlüsse, das ist zum Teil die fehlende Unterstützung in den Familien, bis hin zur Unübersichtlichkeit der Förderprogramme. Aber wir müssen feststellen, wir haben es auch mit Diskriminierung und der Benachteiligung ausländischer Jugendlicher bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen zu tun. Diese Diskriminierung gehört abgeschafft.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Auch hier hat der öffentliche Dienst als größter Arbeitgeber eine besondere Verantwortung, weil er direkt dem Einfluss der Politik untersteht. Man kann anhand des öffentlichen Dienstes des Landes Berlin besichtigen, was für eine richtig schlechte Integrationspolitik diese Koalition mit ihrem Senat in den letzten Jahren durchgeführt hat. Der Anteil ausländischer Jugendlicher in einer Ausbildung des öffentlichen Dienstes ist seit 1992 kontinuierlich gesunken und liegt derzeit bei 2 %. Ich wiederhole: 13 % ist der Anteil an der entsprechenden Altersgruppe in der Bevölkerung, bei 2 % liegt die Teilhabe ausländischer Jugendlicher an den Ausbildungsplätzen im öffentlichen Dienst, und dies muss verändert werden.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Deswegen haben wir zwei Vorschläge gemacht. Der erste bezieht sich auf das Berliner Vergabegesetz, wo wir insbesondere die Aufnahme und Nennung Jugendlicher ausländischer Herkunft empfehlen, als Signal an die Betriebe, jungen Migrantinnen und Migranten eine Chance zu geben und ihnen zu zeigen, dass sie in dieser Stadt erwünscht sind und auch als Auszubildende erwünscht sind.

Zum zweiten fordern wir den Senat auf, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, damit im gesamten Geltungsbereich des öffentlichen Dienstes der Anteil von Migrantinnen und Migranten an den Auszubildenden erhöht wird, und dem Abgeordnetenhaus darüber zu berichten. Wir erwarten, dass der Senat eine Konzeption zur Verbesserung der Ausbildungssituation vorlegt. Wir erwarten vor allem, dass dies nicht als eine geheime Veranstaltung geschieht, sondern dass dieser politische Wille laut und deutlich artikuliert wird. Deswegen schlagen wir eine öffentlichkeitswirksame Kampagne vor, die deutlich macht, dass interkulturelle Kompetenz in dieser Stadt gewollt ist, und zwar nicht nur auf den Speisekarten der Restaurants, sondern auch in den Ausbildungsplätzen des öffentlichen Dienstes.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Vielen Dank, Frau Dr. Klotz! – Für die Fraktion der CDU hat nun Frau Galland das Wort. – Sie haben ebenfalls bis zu 5 Minuten Redezeit, Frau Galland!

Ich werde mich bemühen, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Das Anliegen der Anträge, die Ausbildungschancen für Jugendliche ausländischer Herkunft zu verbessern, ihnen zu einem Ausbildungsplatz zu verhelfen,

wird von uns verstanden und ausdrücklich begrüßt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen glaubt uns hier einfache Lösungen für ein drängendes Problem anbieten zu können. Aber nicht alles, was eingängig klingt, ist auch gut und gelingt. Scheinbare Plausibilität täuscht häufig darüber hinweg, dass das Problem nur teilweise erfasst worden ist und außerdem ein ungeeigneter Lösungsweg vorgeschlagen wird.