Protokoll der Sitzung vom 18.05.2000

wird von uns verstanden und ausdrücklich begrüßt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen glaubt uns hier einfache Lösungen für ein drängendes Problem anbieten zu können. Aber nicht alles, was eingängig klingt, ist auch gut und gelingt. Scheinbare Plausibilität täuscht häufig darüber hinweg, dass das Problem nur teilweise erfasst worden ist und außerdem ein ungeeigneter Lösungsweg vorgeschlagen wird.

Die hier diskutierten Anträge sind ein Musterbeispiel dafür. Es ist richtig: Trotz aller und besonders in Berlin sehr vielfältiger Anstrengungen stehen tatsächlich zu wenig Ausbildungsplätze in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst zur Verfügung. Dies gilt aber für alle Jugendlichen und nicht nur für die ausländischer Herkunft.

[Beifall bei der CDU]

Der Mangel hat zu einem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb geführt – auch das gestehen wir zu. Voraussetzung für eine Lehrstelle ist eine immer höhere formale Qualifikation geworden. 20 % der Jugendlichen ausländischer Herkunft verlassen die Berliner Schulen ohne einen Abschluss.

[Berger (Grüne): Und die anderen 80 %?]

Ein weiteres Drittel erringt nur den Hauptschulabschluss. Das heißt, dass 50 % der Jugendlichen ausländischer Herkunft dem Verdrängungsdruck durch Realschüler und Gymnasiasten allein schon aus formalen Gründen nicht standhalten können.

[Berger (Grüne): Das erklärt die Prozentzahlen dennoch nicht!]

Erklärt welche Prozentzahlen dennoch nicht?

[Berger (Grüne): 13 % und 2 %!]

Wie Sie meinen! – Ich möchte verdeutlichen: 1998 sind drei Viertel der Ausbildungsplätze bei den freien Berufen an Realschüler, Fachoberschüler und Gymnasiasten vergeben worden. Bei der öffentlichen Hand erreichen Hauptschüler nennenswerte Ausbildungsanteile nur noch, wenn es um Straßenreinigung und Grünflächenamt geht. Da können Sie mir doch nicht erklären, dass das eine Diskriminierung ist, wie Sie meinen. Dies allein, dass eben drei Viertel der Plätze an Gymnasiasten und Realschüler vergeben wurden, zeigt schon, dass das eigentliche Problem nicht die ausländische Herkunft, sondern vor allem die geringe formale Qualifikation ist. Davon sind nicht nur ausländische Jugendliche betroffen, sondern auch deutsche Jugendliche. Wir haben das in Berlin erkannt, und deswegen gibt es bei uns das MDQM-Modell, die modularen dualen Qualifikationsmaßnahmen. Hier schaffen wir es, über Berufsvorbereitung und Ausbildungsfähigkeitssteigerung in Kombination mit schulischer Berufsausbildung diesen Jugendlichen eine Chance zu geben.

Ich muss allerdings gestehen, dass es richtig ist, dass ausländische Jugendliche in besonderem Maße von der Ausbildungsmisere betroffen sind. Hier muss es aber darum gehen, die Ausbildungsfähigkeit, das heißt, die Sprachkompetenz zu verbessern. Ich finde, dass man das verlangen kann. – Ich wundere mich, dass Sie nicht reagieren, aber offensichtlich haben Sie verinnerlicht, dass auch Cem Özdemir sagt, dass man das von intelligenten Menschen verlangen kann.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Da hätten Sie mir mal zuhören sollen: dass das auch Gründe sind, die aber nicht die 2 % im öffentlichen Dienst erklären!]

Ich gestehe ja zu, dass Sie da Recht haben. Aber wenn Sie sich ansehen, dass bundesweit nur noch 0,3 % der Ausbildungsverhältnisse im öffentlichen Dienst von Hauptschülern besetzt werden, dann ist ganz klar, wenn 50 % darüber nicht hinauskommen, warum wir so schlechte Quoten haben.

[Beifall bei der CDU – Berger (Grüne): Ein bisschen rechnen!]

Manchmal klappt’s. Danke! – Daher ist die vorgeschlagene Quote für uns ein ungeeignetes Mittel, die Situation der Jugendlichen ausländischer Herkunft nachhaltig zu verbessern.

Ich verwahre mich übrigens an dieser Stelle ganz ausdrücklich gegen Ihre Formulierung im Antrag, wo Sie behaupten, der öffentliche Dienst wäre zum – ich zitiere jetzt – „Vorreiter verstärkter ethnischer Diskriminierung“ geworden. Dafür sollten Sie sich entschuldigen!

[Beifall bei der CDU – Berger (Grüne): Sind nur Tatsachen!]

Wir sind aus den bereits genannten Gründen auch gegen die vorgeschlagene Änderung des Vergabegesetzes. Wir glauben, dass es damit nur zu einer weiteren Ausweitung der Bürokratie kommt. Das behindert gerade kleine und mittlere Unternehmen. Unsere Position ist: Wir wollen Unternehmen fördern und nicht behindern, um damit Ausbildungsplätze zu schaffen.

Ich bitte Sie außerdem, sich die Gefühle eines deutschen Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz vorzustellen, wenn er von dieser Privilegierung eines Teils der Bevölkerung auf Grund von Herkunft und ohne Berücksichtigung der Leistung hört.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Hören Sie jetzt lieber auf! Das wird ja furchtbar!]

Ich bin mir sicher, dass er dafür kein Verständnis hat, und ich finde das nachvollziehbar. Wenn Sie das nicht nachvollziehen können, dann tut es mir Leid! – Aber wir dürfen es uns nicht zu leicht machen, und da muss ich Ihnen Recht geben. Es geht nicht an, dass einfach nur gesagt wird, die ausländischen Jugendlichen sollten sich mehr Mühe geben. Das tun sie auch, manche ein bisschen spät, wie man hört. Dass einige in die Schule kommen und nicht wissen, wie man dort die öffentlichen Toiletten benutzt,

[Widerspruch bei der PDS und den Grünen]

dann ist da augenscheinlich Integration nicht ganz gelungen. – Fragen Sie mal im Wahlkreis nach! Ich kenne das aus dem Wedding, das habe ich mir nicht aus den Fingern gesogen, das berichten mir die Lehrer dort.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Also, ein paar deutsche Kollegen hier im Haus wissen mitunter auch nicht, wie man Toiletten benutzt! – Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und der PDS – Heiterkeit der Rednerin]

Ich glaube nicht, dass es Aufgabe des Staates sein sollte, durch eine Quotierung dirigierend einzugreifen. Aufgabe des Staates ist es aber ganz sicher, die Defizite bei der Sprachkompetenz, die Wurzel allen Übels, zu bekämpfen und darum unterstützende Maßnahmen für die Jugendlichen ausländischer Herkunft vorzuhalten. Wir fordern deshalb, die Zusammenarbeit mit Elternvereinen, insbesondere mit dem Türkischen Bund, zu intensivieren.

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit!

Ich bin gleich fertig! – Wir wollen die Unterstützung weiterer Bildungsmessen für Jugendliche nichtdeutscher Herkunft. Und wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass speziell Unternehmer und Geschäftsführer ausländischer Herkunft als Ausbilder gewonnen und qualifiziert werden; da gibt es ein sehr gutes Modell der lokalen IHK. Wir wollen die Unterstützung solcher Projekte wie Kumulus, die Jugendlichen konkrete Orientierungshilfe geben. Die Forderung nach mehr Unterstützung ist berechtigt. Aber die vorgeschlagene Änderung des Vergabegesetzes und die geforderte Quotierung der Ausbildungsplätze sind untauglich zur Lösung des Problems. – Vielen Dank! interjection: [Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete! – Für die Fraktion der PDS hat jetzt Frau Baba das Wort. – Ich bitte nochmals alle Redner, die Redezeit einzuhalten. Es kann nicht gehen, dass jedes Mal ein, zwei Minuten länger als vereinbart gesprochen wird.

[Dr. Steffel (CDU): Das war schon interessant eben!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden vorliegenden Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen greifen ein Thema auf, das wesentlich mehr Aufmerksamkeit in diesem Hause erfordert: die prekäre Ausbildungssituation ausländischer Jugendlicher. Es ist nicht nur mehr Aufmerksamkeit erforderlich, sondern konkrete Schritte und Maßnahmen fehlen hier. Sie wurden auch im Ergebnis der so genannten In-Konferenzen der zurückliegenden Wahlperiode nicht eingeleitet. Während in der alten Koalitionsvereinbarung den Angehörigen ethnischer Minderheiten ein erleichterter Zugang zum öffentlichen Dienst sowie gezielte Fördermaßnahmen für gleiche Chancen auf einen Ausbildungsplatz und Arbeitsplatz versprochen wurden, reicht der neuen Koalition nur ein Hinweis auf den Integrationsvertrag nach dem sogenannten holländischen Modell.

Wir sehen als wichtige Aufgabe an, Jugendliche ausländischer Herkunft stärker bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen in allen Berufen zu berücksichtigen. Die PDS unterstützt das Anliegen der vorliegenden Anträge. Die Ausbildungsplatzsituation für Jugendliche ausländischer Herkunft ist nicht nur prekär. Sie hat sich seit Jahren verschlechtert. In dem Maße, wie das Defizit an Ausbildungsplätzen insgesamt gewachsen ist, sind ausländische Jugendliche vom Ausbildungsmarkt verdrängt worden als sozial Schwächere, als Leistungsschwächere, als Benachteiligte. Gleichzeitig ist ihr Anteil an berufsvorbereitenden Maßnahmen überdurchschnittlich hoch, ohne dass sich im gleichen Maße Ausbildung anschließt, die zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führt.

Der im Herbst 1999 für Berlin vorgelegte Ausbildungsbericht nennt nüchterne Fakten: Der Anteil der ausländischen Auszubildenden an den Auszubildenden in der dualen Ausbildung ist von 8,8 % in den Jahren 1993 und 1994 auf 5,5 % im Jahr 1998 gesunken, und das bei einem Anteil ausländischer Jugendlicher an der entsprechenden Altersgruppe der 16- bis 20-Jährigen von ca. 13 %. Innerhalb der dualen Ausbildung im öffentlichen Dienst beträgt der Anteil ausländischer Jugendlicher 1998 noch ganze 2 % und ist von 241 Ausbildenden 1993 auf 39 im Jahr 1998 gesunken. Demgegenüber sind wiederum 18,5 % der Teilnehmer an berufsvorbereitenden Lehrgängen der Arbeitsämter ausländische Jugendliche.

Das Land Berlin, die öffentlichen Arbeitgeber sind wegen der extrem schlechten Bedingungen für die Ausbildung ausländischer Jugendlicher und auf Grund ihrer politischen Verantwortung in einer besonderen Pflicht, Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungssituation Jugendlicher in ihrem Verantwortungsbereich zu ergreifen. Wenn man sich darüber hinaus ansieht, in welchem Ausmaß Mittel für die Ausbildung sowohl in den Bezirken als auch in den Senatsverwaltungen nicht ausgeschöpft wurden, so ist die geringe Zahl ausländischer Jugendlicher überhaupt nicht zu akzeptieren.

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Ein weiteres Problem, um konstruktive Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungssituation für Jugendliche ausländischer oder deutscher Herkunft – hier ausdrücklich: Herkunft! – ergreifen zu können, liegt in der unzureichenden statistischen Erfassung. Während der Berufsbildungsbericht ausländische Jugendliche wenigstens noch hinsichtlich des Passes erfasst, passiert das in der Antwort auf meine Kleine Anfrage zur betrieblichen Ausbildung nicht einmal mehr. Daten, die die Herkunftssprache und die sprachliche Kompetenz erfassen und berücksichtigen, was ja in allgemeinen schulischen Bereichen ein wichtiges Kriterium ist, liegen für den berufsbildenden Bereich nicht vor. Die Ausbildungssituation von Jugendlichen ausländischer Herkunft, aber mit deutschem Pass, ist somit nicht exakt einschätzbar. Auch hier ist dringend ein anderes Herangehen erforderlich.

Der Antrag zielt auf Verbesserung in einem Bereich der Ausbildung für ausländische Jugendliche – den öffentlichen Dienst. Aber insgesamt ist weit mehr erforderlich. Nicht zu vergessen ist, dass für Jugendliche ausländischer Herkunft genau genommen keine Chancengleichheit in der beruflichen Ausbildung besteht.

(A) (C)

(B) (D)

Sie starten mit durchschnittlich schlechteren oder geringerwertigen schulischen Abschlüssen in die Ausbildung und werden damit schneller als andere weggedrängt. – Danke!

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, vor allem auch für die gute Zeit! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt Frau Thieme-Duske das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Sibyll-Anka Klotz! Ich gebe zu, ihr seid mit euren Anträgen auf der Höhe der Zeit. Der Bundespräsident hat ja dazu in der letzten Woche eine bemerkenswerte, wie ich meine, herausragende Rede gehalten, und das Problem der Integration unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ist sicherlich eines der großen Probleme in unserer Gesellschaft. Ihr habt einen Teil davon hier in euren Anträgen aufgenommen, und das ist sicherlich richtig.

[Beifall bei den Grünen]

Der Bundespräsident hat in seiner „Berliner Rede“ der praktischen Politik ein paar Grundsätze ins Stammbuch geschrieben. Einige nenne ich hier:

Erstens: Integration ist die Aufgabe, die wir gemeinsam anpacken müssen, wenn wir das Zusammenleben erfolgreich und friedlich gestalten wollen.

Zweitens: Am wichtigsten für die Integration sind Kindergärten, Schulen und Hochschulen. Das sind die Orte, an denen sich entscheidet, ob Integration in unserem Land gelingt.

Drittens: Es ist in unserem gemeinsamen Interesse, dass alle Ausländer und neu Eingebürgerten möglichst gute Bildungschancen haben.

Der Bundespräsident hat am richtigen Ort das Richtige gesagt, und dafür gebührt ihm unser aller Dank.

Für die Integration leistet Bildung den entscheidenden Beitrag. Wenn unsere Bemühungen um ein Gelingen von Integration Erfolg haben, dann profitieren nicht nur die Migranten davon, sondern wir alle ziehen den Nutzen daraus. Die Intention der beiden Anträge der Grünen ist für mich klar: Sie sollen durch Verbesserung der Ausbildungschancen von Jugendlichen ausländischer Herkunft zu deren Integration beitragen.