Das Gleiche, Herr Branoner, gilt auch für jeden Versuch – wenn Sie ihn machen –, Gelder aus der Wirtschaftsförderung in Ausund Weiterbildung umzulenken. Eines ist sicher – und das wird für Sie alle hier der Lackmustest sein, nicht die Reden, die man hier über tolle Sachen, die sich entwickeln, hält –
Das ist mein letzter Satz! – Eines ist sicher: Am Bildungsetat 2001 wird sich zuallererst erweisen, wie ernst es Ihnen allen mit den neuen Medien und den neuen Kommunikationstechniken wirklich ist.
Sechster Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR 1999
Der Ältestenrat empfiehlt für die Besprechung des Berichts eine Redezeit von bis zu fünf Minuten pro Fraktion, die wir allerdings großzügig auslegen wollen. Es liegen Wortmeldungen vor. Für die Fraktion der PDS hat das Wort die Frau Abgeordnete Seelig. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn wir in den vergangenen Jahren die Tätigkeit des Berliner Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR durchaus manchmal auch kritisch begleitet haben, müssen wir doch im Jahre 10 nach der Wiedervereinigung deutlich feststellen, dass es nicht ohne Belang ist, dass es sich bei Martin Gutzeit um jemanden handelt, der aus der ehemaligen DDR kommt. Gerade in der Einleitung seines Berichts wird deutlich, dass er sich der Problematik bewusst ist, dass zehn Jahre nach der Aufarbeitung fast ausschließlich Bürger der DDR betroffen sind und dass der Eindruck erweckt wurde, der Westen sei moralisch integer, nicht anfällig für Stasiwerbung gewesen, und überhaupt seien hier die besseren Menschen. Wir wissen, dass dieser Eindruck durch eine ganz große Koalition, die die Vernichtung ausgerechnet der HVA-Akten aus sehr unterschiedlichen Gründen billigte, durchaus befördert wurde. Schade, dass Herr Werthebach nicht hier ist. Er war damals dabei und könnte vielleicht das eine oder andere dazu beitragen.
Die Feststellung im Bericht, dass endlich auch die Tätigkeit des MfS im freien Teil Deutschlands und die erschreckende Willfährigkeit vieler Altbundesbürger gegenüber dem MfS in der öffentlichen Diskussion und im öffentlichen Bewusstsein einen angemessenen Platz einnehmen, ist eine Position, die ich teile, die dem historischen Verlauf und der damit verbundenen Kränkung vieler Ostdeutscher aber sicher keine andere Richtung mehr geben wird.
Wie wir wissen, hat das Interesse an den Stasiakten in der deutschen Politik abrupt abgenommen, seit unter anderem CDU-Politiker wie Helmut Kohl darüber sehr tief fallen könnten.
Selbst Eberhard Diepgen fing ganz plötzlich an, öffentlich darüber nachzudenken, dass man die Akten jetzt schließen sollte. Das ist ein Wunsch, den man bisher nur der PDS unterstellte, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass die PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus für die Einsetzung des Berliner Stasibeauftragten eingetreten ist. Ist dieser plötzliche Sinneswandel nicht komisch? Oder zeigt er nur allzu deutlich, wie instrumentalisierbar offensichtlich das Unterlagengesetz schon immer gewesen ist?
Wir haben im Übrigen auch 1999 einer gesetzlichen Regelung auf Landesebene zugestimmt, die bei Neueinstellungen im öffentlichen Dienst jenen, die zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen aus dem Beruf geworfen wurden, eine Sonderstellung einräumt. Nun sind die kurze Geltungsdauer der Regelung ebenso wie der Personalabbau im öffentlichen Dienst zwar Fakten, aber zu hinterfragen wäre schon, was bisher daraus praktisch geworden ist. Ich hatte damals große Skepsis, dass das mehr wird als das, was da auf dem Papier steht.
Wir teilen nach wie vor die Position des Stasibeauftragten, dass die Stellung der Opfer schwach ist und dass die Ungerechtigkeit vielfältig ist. Ich kann ihm nur beipflichten, dass die Rentenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR die Gerechtigkeitslücke noch vergrößert hat. Aber ich hoffe, wir sind uns einig darin, dass in einem Rechtsstaat nicht die Verfassung ausgehebelt werden darf, um diese Lücke zu schließen, sondern dass diese nur zu verringern ist, wenn den Opfern unbürokratischer und großzügiger geholfen wird.
Nach dem bisherigen Verlauf der Gesetzgebung ist allerdings erheblicher Zweifel angesagt, dass an den Rehabilitierungsgesetzen noch viel nachgebessert wird. Zumindest bedenkenswert ist die Anregung, im Prinzip allen Rehabilitierten eine Ehrenpension und verbilligte Leistungen der öffentlichen Hand zuzugestehen. Es würde der großen Koalition in einer Stadt wie Berlin gut zu Gesicht stehen, sich von der Westberlinzentriertheit zu lösen und gerade in dieser Richtung im Bundesrat initiativ zu werden.
Die Opferberatung und -begleitung scheint wie auch in den vergangenen Jahren den größten Schwerpunkt in der Arbeit des Berliner Landesbeauftragten auszumachen, und das ist gut so. Allerdings erwarte ich auch Lösungsvorschläge für die geschilderten Fälle, in denen beim MfS tätige Bauingenieure und Datenverarbeitungsfachleute etwa drei Jahre auf Einsicht in die Kaderakten warten müssen, damit sie die für eine Arbeitsaufnahme notwendigen Arbeitszeugnisse erhalten. Da es sich aus meiner Sicht nicht um einen massenhaften Ansturm handeln wird, könnte sicher etwas mehr Durchsetzungskraft gegenüber dem NochHerrn der Bundesakten nicht schaden. Die innere Einheit dieser Stadt braucht diese Normalität.
Lobenswert finde ich an diesem Bericht auch die Zusammenarbeit mit ausgewiesenen Experten wie denen vom Behandlungszentrum für Folteropfer oder der Abteilung Sozialpsychiatrie der FU Berlin, auch wenn diese Institutionen von der Ausländerbehörde des Herrn Werthebach wesentlich weniger Wertschätzung erfahren, aber auch die Zusammenarbeit mit den Opferverbänden und Archiven. Und da begrüße ich besonders die klare Positionierung von Martin Gutzeit zu den unabhängigen Aufarbeitungsinitiativen wie Havemann-Archiv und DomaschkArchiv. Mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur war aus meiner Sicht die Hoffnung verbunden, eine langfristige und sichere Finanzierung gerade dieser wichtigen basisorientierten Einrichtungen zu sichern. Dass diese Stiftung sich nun offensichtlich gegen die unabhängigen Archive richtet und damit auch zum größten Teil gegen Oppositionelle aus der DDR, deren eigene Biographien und Erlebnisse einen wesentlichen Teil der historischen Einordnung ausmachen, ist skandalös. Ich denke, hier sollte sich die Berliner Politik parteiübergreifend vor diese Einrichtungen stellen, und hier sind natürlich Bündnisgrüne und SPD gefragt, entsprechenden Druck auf die Bundesregierung zu machen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Sätze in eigener Sache sagen, nicht weil ich Sorge hätte, die Mehrheit meiner Fraktion würde nicht hinter mir stehen, sondern weil das mit meiner Biographie zu tun hat, die sich von denen der meisten in diesem Saal unterscheidet. Ich bin dafür, dass im Interesse der Opfer die Stasiunterlagen weiter offen gehalten werden. Dies war auch der Grund dafür, dass ich mit anderen für ein Stasiunterlagengesetz war, das wenig kompatibel mit dem Grundgesetz war und ist. Das muss man auch dazu bemerken, wie inzwischen auch die CDU, nun betroffen, festgestellt hat. Ich bin aber auch dafür, weil der zweitwichtigste Grund, warum viele von uns aus der Opposition dies so wollten, bisher nicht umgesetzt ist. Wir wollten auch anhand dieses Molochs und einer beispiellosen Offenlegung das Bewusstsein dafür schärfen, dass Geheimdienste grundsätzlich demokratiefeindlich sind und ihr vermeintlicher Nutzen nicht annähernd die durch sie verursachten Schäden an Rechtsstaatlichkeit und an Menschenleben rechtfertigen kann. [Beifall bei der PDS und den Grünen – Niedergesäß (CDU): Ha, ha, ha!]
Wenn, wie in diesem Bericht erwähnt, der ja wohl befreundete Geheimdienst CIA die Verfilmung von HVA-Akten erbeutete, dann werden Sie mir doch nicht erzählen wollen, dass der geheime Freund dies zum Nutzen und Frommen der Bundesrepublik Deutschland tat. Schaffen Sie die Geheimdienste ab, lassen Sie Herrn Gutzeit im Interesse der Opfer tätig sein. Vielleicht kommt noch ein neues Aufgabenfeld hinzu, wenn die Opfer anderer Geheimdienste auch zu betreuen sind. Wir nehmen den vorliegenden Bericht erst einmal mit Dank zur Kenntnis. – Danke schön. [Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 6. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten mag für manche nicht besonders appetitlich zu lesen sein. Dass er notwendig und wichtig ist, steht für uns außer Frage. Wir haben zu danken für einen sehr umfangreichen Bericht, der zeigt, dass dahinter auch ganz konkret Arbeit steckt, Arbeit mit den Menschen, mit den Betroffenen und Verfolgten, politische Bildungsarbeit, denn das ist auch einer der Aufträge, ebenso wie das Aufzeigen von Anregungen für politisches Tun, von Schwächen und Problemen. Auch das finde ich sehr wichtig, und dass dies in diesem Bericht vorkommt, ist, glaube ich, auch für uns Politiker deshalb hilfreich, weil wir damit auch eine Richtschnur zukünftigen Handelns sehen können. Fazit: Der Bericht macht deutlich, an wie vielen Stellen noch gearbeitet werden muss, welche Aufgaben insgesamt vor uns stehen. Wer hier verdrängt oder unter den Teppich kehrt, arbeitet jenen zu, für die die Verklärung der jüngsten deutschen Geschichte eine politische Methode ist, eine Methode zum bequemen Vergessen.
Zur Arbeit selbst: Schwerpunkt der Arbeit ist die Bürgerberatung, einerseits eine Erläuterung des umfangreichen Gesetzeswerkes, ich denke nur an die Rehabilitierungsgesetze oder Unrechtsbereinigungsgesetze, aber auch eine Erläuterung der Nichtnachvollziehbarkeit von Verwaltungsentscheidungen und fehlenden Gesetzen. Ich denke jetzt hier nur an das Beispiel der Nichtanerkennung von Haftfolgeschäden. 95 % derer, die Anträge auf Anerkennung von Haftfolgeschäden stellen, bekommen eine Absage. Daran wird deutlich, welch hohe Defizite es in diesem Bereich noch gibt, insbesondere bei der beruflichen Rehabilitation. Hier ist einiges schon aufgezählt worden. Adäquate Rentenausgleichsysteme wären dringend notwendig, es gibt keinen finanziellen Ausgleich von Verdienstausfällen, Aufstiegsschäden und Zwangsarbeit, keine gesetzliche Regelung für eine erleichterte Anerkennung gesundheitlicher Schäden, dafür nachteilige Ausgleichsleistungen für verfolgte Schüler, Zwangsausgesiedelte, in die Sowjetunion Verschleppte und von sowjetischen Militärtribunalen Verurteilte im Vergleich mit anderen Verfolgten, keine Kapitalentschädigung für die Hinterbliebenen von verfolgungsbedingten Suizidfällen und die benachteiligte Behandlung der BAföG-Empfänger, die vor dem 31. Dezember 1990 in der Bundesrepublik eine Ausbildungsförderung auf Darlehensbasis erhielten.
Um es nicht ganz so theoretisch zu machen: Mit dem Rentenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom April letzten Jahres können so genannte Bestandsrentner, hierzu zählen u. a. Rechts- und Gesellschaftswissenschaftler, die bei der Unterdrückung maßgebliche ideologische Arbeit geleistet haben, mit einer Rente von monatlich 4 000 bis 5 000 DM rechnen. Während etwa der Student, der bei Protesten gegen den Einmarsch der Sowjets in Prag für vier Jahre Haft, die er vielleicht abgesessen hat, eine Kapitalentschädigung von 28 000 DM erhalten kann, bekommt jener Professor, der dafür gesorgt hat, dass dieser Student exmatrikuliert worden ist, eine Rentennachzahlung von 35 000 DM für diese vier Jahre. Oder, noch schlimmer, der MfS-Offizier bekommt nach diesem Urteil für acht Jahre ordentliche Arbeit eine Nachzahlung von 42 000 DM. Der Satz „Widerstand lohnt sich nicht“ ist hier bittere Realität, und es geht weiter. Ein Hochschulabsolvent, der 20 Jahre Verfolgung nach
weist, bekommt 400 DM weniger Rente als ein Absolvent, der nicht durch Widerstand aufgefallen ist, und erhält natürlich 150 DM weniger Rente als ein Stasi-Offizier, der durch 10-jährige hauptamtliche Tätigkeit „geglänzt“ hat. Im Klartext heißt dies, je länger im Widerstand gearbeitet wurde, umso geringer fällt die Rente aus. Je länger staatstragend gearbeitet wurde, umso größer ist die Rente. Dies ist bittere deutsche Realität.
Man könnte dies beliebig fortsetzen, denken wir nur an den 17. Juni 1953; wir stehen kurz vor dem 47. Jahrestag. Hier kann ich ein ganz konkretes Beispiel anführen: Der damals 20-jährige Bauarbeiter, der der Streikleitung angehörte und wegen – wie es so schön hieß – „provokatorischer Losungen“, die die Arbeiter aufwiegelten und der Verbreitung von Lügennachrichten des RIAS fünf Jahre im Gefängnis verbrachte, musste nicht nur das erleiden, sondern hat heute eine um 50 DM geringere Rente als der Arbeiter, der damals brav zu Hause blieb. Ich kann den Satz nur noch einmal wiederholen: Je länger im Widerstand, umso geringer ist die Rente. Je länger staatstragend gearbeitet wurde, umso höher fällt die Rente aus. Das ist bittere deutsche Realität im Jahre 10.
Aufgabe der Politik ist nun, diese Gerechtigkeitslücken zu schließen. Wir haben in Berlin schon einige Initiativen dazu gestartet. Ich erinnere nur an die bevorzugte Einstellung von politisch Verfolgten bei gleicher fachlicher Qualifikation. Dies ist aber nur ein Weg. Wir haben auch versucht, eine Ehrenpension in Höhe von 1 400 DM monatlich einzuführen. Dies ist im Bundesrat gescheitert, weil zu wenige mitgemacht haben. Diese 1 400 DM sind der Betrag, den Verfolgte des Nationalsozialismus erhalten. Wir werden mit einem Antrag über Entschädigungsleistungen für Zivildeportierte östlich von Oder und Neiße weiterarbeiten. Auch dort gibt es noch eine riesige Gerechtigkeitslücke. Wir werden prüfen, inwiefern eine Gleichstellung der Verfolgten nach dem Berliner Gesetz über die politisch und rassisch Verfolgten mit den Opfern der NS-Zeit möglich ist, um diese Opfergruppe vielleicht in Berliner Gesetzesregelungen aufzunehmen, um ihnen auf diesem Weg dort Vorteile gewähren zu können. Wir werden die Einführung eines Ausweises prüfen, der verbilligte Leistungen in staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen der Kultur, des Sports und des Verkehrswesen ermöglicht.
Die Lücke insgesamt können wir nicht schließen, aber wir wollen die Folgen von Ungerechtigkeit mildern. Das muss Linie unseres Handels sein.
Wir sind auch weiterhin für die Förderung von Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen. Dazu gehören nicht nur die in dem Bericht genannten, sondern auch diejenigen, die in der jüngsten Zeit etwas vernachlässigt worden sind, beispielsweise die Gedenkbibliothek. Wir sind dafür, dass die Funktion eines Landesbeauftragten beibehalten wird und dass die Arbeit eines Landesbeauftragten weitergeführt wird. Die CDU wird diese Arbeit weiterhin unterstützen. Sie aufzugeben oder eine Aufgabe in Erwägung zu ziehen wäre ein fataler Fehler und unverantwortlich gegenüber Betroffenen und nachfolgenden Generationen, für die die Erinnerungen an dieses grausame Kapitel jüngster deutscher Geschichte nicht verblassen darf! Danke!
Schönen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Wir reden heute über den Tätigkeitsbericht einer Behörde, die ausnahmsweise einmal nicht die übliche Bürokratie repräsentiert, sondern über eine Behörde, die sich aktiv um das Schicksal von Opfern der DDRDiktatur und der Stasiwillkür kümmert. Herr Apelt hat freundlicherweise schon einige Details vorgetragen. Ich erspare mir deshalb die Wiederholung. Für mich steht auch nach dem Lesen des Berichts fest, dass heute, 10 Jahre nach der Wende, die Stasiopfer die eigentlichen Verlierer der deutschen Einheit sind. Während die alten Staatsfunktionäre die Aufstockung ihrer
Rente und ihres sozialen Status höchstrichterlich durchsetzen konnten, haben viele Opfer noch immer nicht ihre berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitation erreichen können. Der Bericht des Landesbeauftragten führt dies aus. Es ist noch schlimmer und geradezu ein Hohn, dass sich diese Opfer erneut der Willkür von Behörden aussetzen, beispielsweise dann, wenn sie ihre gerichtlichen Ansprüche durchsetzen wollen. In den Leistungsämtern von östlichen Bezirksämtern müssen sie schikanöse Behandlungen durch die Sachbearbeiter über sich ergehen lassen. Es ist bekannt, dass in diesen Behörden dieselben Leute loyal und systemergeben Dienst tun, wie sie es zu DDRZeiten getan haben. Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich das Denken und das Verhalten der Menschen automatisch mit der Wende verändert hat. Angesichts solcher Verhaltensweisen und dieser Leute kommt mir immer eine Karikatur in den Sinn. Es ist ein DDR-Emblem mit der Unterschrift: Hier lebten und arbeiteten 17 Millionen Widerstandskämpfer.
Auch in den Schulen der neuen Bundesländer unterrichten fast ausnahmslos dieselben Lehrer und Parteifunktionäre, die zu DDR-Zeiten die Überlegenheit der DDR-Diktatur vor dem Klassenfeind gepriesen haben. Gab es bei all diesen Staatsdienern eigentlich jemals eine Reflexion des eigenen Verhaltens? Gab es ein Bekenntnis zur Mitverantwortung? Gab es Selbstkritik? Gab es – wenn nötig – Entschuldigungen gegenüber den Opfern? Und wenn es sie gab, dann waren sie sehr leise und für die Mehrzahl dieser Opfer jedenfalls kaum wahrnehmbar. Hier besteht auch nach 10 Jahren ein dringender Handlungsbedarf. Der Rechtsstaat hat bis heute nicht die passenden und die gerechten Antworten auf das DDR-Unrecht gefunden; schon gar nicht kann er das Geschehene Ungeschehen machen. Deshalb dürfen wir die Opfer nicht allein lassen. Wir haben neben den Opferverbänden auch die Unterstützung und das Engagement der Mitarbeiter des Landesbeauftragten. Auch in der Frage der Ehrenpension hat er sich beispielhaft für die Opfer eingesetzt.
Versuchen Sie doch einfach einmal, sich in die Rolle der Opfer hineinzuversetzen. Stellen Sie sich vor, Sie wären an Schul- oder Berufsabschlüssen gehindert worden, sie hätten politisch im Gefängnis gesessen, ihre Peiniger dagegen würden dicke Renten beziehen und Sie würden immer häufiger mit dem Satz konfrontiert: „Es war doch nicht alles schlecht in der DDR.“ Dabei ist dieser Satz als solcher völlig korrekt. Nirgendwo ist jemals alles schlecht gewesen. Dieser Satz steht schließlich für die meisterhafte Leistung unseres Gedächtnisses, die Erinnerungen zu selektieren, die Leistung unseres Gedächtnisses, negative und bedrückende Ereignisse zu verdrängen und das Positive zu bewahren. Das gilt ebenso für den Rückblick der Zeit des Nationalismus wie für die Zeit der DDR. Es war auch wirklich nicht alles schlecht.
Das Problem ist aber, dass dieser Satz den Wunsch vieler Menschen im Osten zum Ausdruck bringt, einen Schlussstrich über die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu ziehen. Es ist lästig und unerfreulich, sich an Willkür, an Wehrlosigkeit, an die Wut, an die Angst, aber auch an das Duckmäusertum sowie die Selbstgerechtigkeit und die Ignoranz zu erinnern. Aber genau das ist doch notwendig! Es darf nicht sein, dass die DDR-Vergangenheit ebenso wenig aufgearbeitet wird wie die Hitler-Diktatur. Ich will hier – wohlgemerkt – keinen Vergleich der Systeme, sondern will lediglich die Verdrängungsmechanismen vergleichen, die auf den Absturz dieser Systeme gefolgt sind und die aus meiner Sicht völlig gleich sind. Wenn wir das erkennen – und wir haben es erkannt –, müssen wir das Verdrängen und das Vergessen verhindern.
Es ist die Aufgabe von uns Politikerinnen und Politikern, darauf zu drängen, dass die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Mechanismen mit der DDR-Diktatur Pflicht wird. Sie muss zumindest Pflicht werden für alle diejenigen, die in der öffentlichen Verantwortung stehen, für Behördenmitarbeiter, ganz besonders für Lehrer, aber auch für die Angehörigen der Armee, der Polizei und auch für Schülerinnen und Schüler. Die unabhängige Aufarbeitungsinitiative des Landesbeauftragten ist auch deshalb notwendig, um diesen breiten Diskurs weiterzuführen, um aufzuklären
und um der sentimentalen ostalgischen Verklärung vorzubeugen. Abschließend möchte ich anmerken, dass ich es gerade für das angeschlagene Selbstvertrauen der Ossis – meiner Landsleute – als sehr wohltuend empfinde, dass im Rahmen der Aktion Rosenholz in Kürze auch aufgeklärt wird, wie willfährig sich auch die Landsleute aus den alten Bundesländern gegenüber der Stasi und den Geheimdiensten verhalten haben. In diesem Sinne gibt es für den Landesbeauftragten noch viel zu tun. Die Fraktion der Grünen wünscht Ihnen, Herr Gutzeit, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel Kraft für Ihre Aufgabe!