Marion Seelig
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Innenpolitikerin möchte ich mich noch einmal zu dem, was in diesem Bereich inzwischen getan wurde, und dem, was im Sofortprogramm der CDU gefordert wird, äußern.
Wir haben uns gestern, obwohl wir an einigen Punkten Bauchschmerzen haben, zu den anlassbezogenen Maßnahmen des Berliner Senats positiv verhalten. Wir denken, es ist schnell, es ist umsichtig gehandelt worden, und es ist mit der nötigen Besonnenheit gehandelt worden. Wir sind auch der Meinung und unterstützen auf jeden Fall den Senat in der Absicht, die Verhandlungen mit dem Bund aufzunehmen. Die Kosten für die Hauptstadtsicherheit können selbstverständlich nicht von Berlin allein getragen werden. Die Polizisten und Sicherheitskräfte in dieser Stadt sind im Moment in einem Maße überlastet, dass wir auch da sehen müssen, wo wir Hilfe und Unterstützung bekommen.
Ein Problem finde ich bei allem, was heute an Nachdenklichkeit und Besonnenheit in den Reden herüber gekommen ist, selbst bei Ihnen, Herr Steffel: dass dieses Paket, das Sie heute vorgelegt haben, das CDU-Maßnahmenpaket, leider eine andere Sprache spricht. Es ist weder sachgerecht noch dient es dazu, tatsächlich Ängste abzubauen, sondern das Gegenteil ist der Fall. Die Sprache des Papiers malt förmlich ein Kriegsszenario, wie es – Gott sei Dank! – keine Realität in dieser Stadt ist. Die Aufgabe von Politik ist es doch, gerade jetzt innen- wie außenpolitisch zur Besonnenheit zu mahnen. Die monströsen Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon haben uns doch gerade gezeigt, dass die teuersten Sicherheitskräfte der Welt sie nicht verhindern könnten, nicht die CIA, nicht das FBI und auch nicht die US-Armee. Statt nun einen Moment innezuhalten und zu überlegen, was wirklich gegen die terroristische Bedrohung hilft – und das werden zuallerletzt vordergründig repressive Mittel sein –, erklären Sie Angst und Betroffenheit zum markigen Wahlkampfthema. Das finde ich sehr bedauerlich.
Sie machen den Menschen in dieser Stadt Angst – Das muss Ihnen doch bewusst sein! –, wenn Sie behaupten, Berlin habe keinen funktionierenden Katastrophenschutz, was nachweislich nicht stimmt. Sie wollen ca. 80 Millionen DM zusätzlich für Polizei und Verfassungsschutz ausgeben. Dann sagen Sie, nachdem uns die große Koalition diesen maroden Haushalt überlassen hat, woher Sie das Geld nehmen. Sollen die Schulen weiter vor sich hin rotten? Und meinen Sie, die Zukunft unserer Kinder ist ausschließlich durch den Religionsunterricht zu retten? Was ich Ihnen nicht glaube, ist, dass Sicherheitsexperten Ihnen bei Ihrem Papier die Feder geführt haben.
Sie holen im Gefolge einer der größten zivilen Katastrophen der Menschheit all diese alten Forderungen aus der Mottenkiste, dir gar nichts, aber auch gar nichts mit dem Schutz vor Attentaten zu tun haben. Sie wissen doch genau, dass Videoüberwachung öffentlicher Plätze absolut nichts mit dem Schutz vor Terrorismus zu tun hat.
Sie wissen doch ganz genau – oder offensichtlich wissen Sie es nicht; jedenfalls nach der Rede von Herrn Steffel und dem Papier muss ich es annehmen –, dass selbstverständlich bei Geiselnahmen es möglich ist, einen finalen Rettungsschuss abzugeben – man kann auch von einem gezielten Todesschuss reden –, und dass die Auseinandersetzung darum sich ausschließlich darüber abspielt, ob wir es mit der Verfassung vereinbaren können, den Tod eines Menschen in ein Gesetz zu formulieren, oder ob dies immer die Ultima Ratio in dieser Gesellschaft bleiben muss. Sie bauen Popanze auf
und versuchen, den Leuten einzureden, es wäre etwas, was tatsächlich etwas mit ihrer Sicherheit zu tun hätte. Das Trennungsgebot von Polizei und Verfassungsschutz soll schnell mal über den Haufen geworfen werden. Das ist, wie Sie auch wissen müssten, eine demokratische Lehre aus den finsteren Zeiten des Faschismus.
Auch da gebe ich Ihnen Recht! – Datenaustausch findet doch bei Anhaltspunkten in Ausländerakten sowieso schon statt; ich frage mich, wo Sie leben.
Ich sage noch einmal: Es geht jetzt nicht darum, den Berliner Senat mit sicherheitspolitischer Besserwisserei übertrumpfen zu wollen. Es gibt die notwendigen Sofortmaßnahmen in einem Sofortprogramm. Wir tragen sie mit. Wenn Sie jetzt finden – das ist ja das Absurde an Ihrer Argumentation –, dass die Berliner Polizei nicht ausreichend Sicherheit gewährleisten kann, dann müssen Sie Ihre eigenen Innensenatoren und Polizeipräsidenten der letzten Jahre fragen, warum keine sinnvollen Reformen in den letzten 10 Jahren oder 20 Jahren sogar zu Stande gekommen sind. Als Ad-hoc-Aktion in einer Krise wird das nicht zu machen sein. Sie stellen Ihrer eigenen Sicherheitspolitik ein Armutszeugnis aus, statt dazu beizutragen, den Menschen in dieser Stadt ihre Ängste zu nehmen, ein Klima von Toleranz und Besonnenheit zu schaffen,
in das alle Bevölkerungsgruppen einbezogen werden.
In Ihrem Papier fordern Sie zum Schluss, man sollte umdenken, alle sollten umdenken, denn Recht darf dem Unrecht nicht weichen, wen und was Sie damit immer meinen. Ich sage Ihnen: Bürger- und Menschenrechte dürfen dem Terror nicht weichen, denn dann – und nur dann – hätten die Mörder von New York und Washington einen Sieg errungen. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Lorenz! Ich stimme Ihnen im Prinzip zu. Aber CS-Gas verwendet die Polizei hier auch nicht im Wasserwerfer. CS-Gas ist viel mehr geächtet, weil noch gefährlicher. Aber deswegen haben wir auch den Begriff Tränengas eingeführt, damit solche Verwechselungen nicht vorkommen.
Ich habe auch immer den Eindruck, dass die CDU hier nur nach dem Motto agiert und redet, ohne sie ginge das Vaterland unter. – Ich zitiere unseren neuen Innensenator, der sagte: Das Vaterland geht nicht unter, wenn die CDU mal nicht an der Regierung in Berlin ist. – Sie agieren genau so, als würden Sie das befürchten, und versuchen das auch der mehr oder weniger geneigten Öffentlichkeit überzuhelfen.
Das Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin – so heißt das nämlich, kurz wird es glücklicherweise UZwG genannt – ist insofern etwas Besonderes, als es Gewaltausübung gegen Menschen regelt. Deshalb ist gerade bei diesem Gesetz besondere Sorgfalt notwendig. Der von der alten Koalition vorgelegte Gesetzentwurf ließ genau diese Sorgfalt vermissen. Er war schlampig gearbeitet und benutzte die undefinierten Begriffe Reiz- und Betäubungsstoffe, worunter man sich allerlei vorstellen kann. Wir halten von unserem Verfassungsverständnis her für dringend geboten, dass bei einem solchen, in die körperliche Unversehrtheit von Bürgerinnen und Bürgern eingreifenden Gesetz alle Regelungen abschließend sind. Es kann nicht Verwaltungen oder gar dem Polizisten vor Ort überlassen werden, ob er statt der aufgeführten Pistolen und Revolver lieber eine Pumpgun benutzt oder ob er statt des jetzt vorgeschriebenen Pfeffersprays irgendwelche chemischen Kampfstoffe anwendet. Wir haben jetzt eine klare Regelung für die Einführung von Pfefferspray, das ein milderes Mittel als Tränengas darstellt. Auch Pfefferspray ist nicht ungefährlich, aber CN- und erst recht CS-Gas sind insbesondere aus nächster Nähe verwendet nachweislich krebserregende Stoffe. Mit diesem Tränengas werden wir uns bei bestimmten Großlagen noch abfinden müssen, bis auch hier mildere Mittel zur Verfügung stehen. Die Polizistin und der Polizist auf der Straße werden nun – und das ist auch der Wunsch der Polizei, das haben Sie völlig übersehen, meine Damen und Herren von der CDU – ausschließlich mit Pfefferspray statt des Tränengases ausgerüstet sein. Diese Regelung ist eindeutig. Es ist schlicht nicht nachzuvollziehen, dass die CDU hier schon wieder die öffentliche Sicherheit gefährdet sieht. Bis zur Einführung des kleinen Waffenscheins können Sie sich gerne noch selbst mit Tränengas ausrüsten, wenn Sie so viel Freude daran haben. Meistens kriegt man es bei der Anwendung selbst ins Gesicht. Dazu hat die Berliner Polizei verständlicherweise keine Lust. Aber Ihnen, Herr Gewalt, bleibt das unbenommen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU beglückt uns heute mit ganzen Stapeln von Anträgen. Diesen Eifer war man von ihr über viele Jahre nicht gewöhnt. Es sind auch sehr unterschiedliche und teilweise sehr eigenartige Anträge, zu denen sie auch noch Redebedarf angemeldet hat. interjection: [Unruhe bei der CDU]
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Das ist völlig neu. Wenn wir das vorher getan haben, hat man in der Regel ziemlich massiv versucht, uns davon abzuhalten. Es gibt auch eigentlich nicht zu allem Redebedarf. Zum Teil haben Sie die Anträge zudem von uns abgeschrieben. Es ist schon recht erstaunlich.
Der Antrag, den Sie uns hier vorgelegt haben, ist zu diesem Zeitpunkt schlicht überflüssig. Ich stehe selbstverständlich zu dem, was ich in der Rederunde gesagt habe, als es um den Bericht des Landesbeauftragten ging, aber der Termin seiner Amtszeit ist bis zum 30. November 2002 festgesetzt. Warum müssen Sie das gerade heute einbringen? Kann es sein, dass das tatsächlich nur mit Wahlkampf zu tun hat?
Sie haben mich ja schon zitiert, und ich kann mich nur wieder zitieren. Alle Fraktionen in diesem Hause haben dieselbe Position vertreten:
Ich gehe nicht davon aus, dass die Behörde des Landesbeauftragten im kommenden Jahr bereits ihre Tätigkeit einstellen kann, wie es die derzeitige Befristung vorsieht. Schadenausgleich und Wiedergutmachung für die Opfer staatlicher und geheimdienstlicher Willkür in der DDR sind nicht an einem Punkt angelangt, wo man sagen kann, dass dieses Kapitel abgeschlossen werden könnte.
Dazu stehen wir nach wie vor. Wir können diesen Antrag jetzt in Ausschüsse überweisen und darüber diskutieren. Wir können uns sachlich damit auseinandersetzen.
Aber selbstverständlich!
Ich lese Ihnen den Titel des Antrags vor. Ich glaube, das spricht für sich selbst: Gesetz über die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nationalsozialismus. Unter diesem Titel sollte der Änderungsantrag stehen. Wenn Sie nicht billige Polemik, sondern eine vernünftige Regelung für die Opfer des Systems und der Stasi wollen, dann werden Sie mich an Ihrer Seite haben. Aber mit solchen populistischen und perfiden Anträgen werden Sie als das aufgezeigt, was Sie hier sind, nämlich jemand, der sich als Verfolgter gibt, sehr tiefschürfende Reden hält, aber sich letztlich an diesem populistischen Wahlkampf beteiligt, der hier stattfindet. Tut mir Leid!
Es hat übrigens einen Änderungsantrag gegeben, den Sie zu erwähnen vergessen haben, der sich auf eine Entscheidung des Bundesrates beruft. Den haben SPD-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen verabschiedet, und wir haben ebenfalls zugestimmt. Darin sind Regelungen für Opfer vorgesehen.
Das haben Sie hier unterschlagen.
Der Antrag, um den es hier geht, geht jetzt in den Ausschuss; wir werden uns damit auseinandersetzen, wie und in welcher Form die Behörde von Herrn Gutzeit weiter besteht. Die Redezeit ist für mich nun beendet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Werthebach, wenn ich von Herrn Wansner als Einzigem verstanden würde – wie er es offensichtlich bei Ihnen tut –, dann hätte ich starke Bedenken. interjection: [Beifall bei der PDS – Beifall des Abg. Wieland (Grüne)] Den Koalitionspartner, Herrn Lorenz, haben Sie nicht verstanden. Das kann man nach Ihrer Rede nicht behaupten. Hauptsache ist, dass Sie den Innensenator verstehen, der im Grunde eine Veranstaltung unter dem Motto „Wünsch dir was!“ gibt. Er behauptet, alle Bürgerinnen und Bürger hätten auf sein erfolgreiches Tun in Kreuzberg mit Begeisterung geblickt. Herr Werthebach, selbst die Boulevardzeitungen haben Umfragen unter Bürgerinnen und Bürgern in Kreuzberg gemacht, die alles andere als begeistert von ihrem Handeln waren. Auch die politischen Kräfte in Berlin sind – so habe ich das gesehen – bis auf Ihren treuen Adlatus Wansner von Ihrer Taktik am 1. Mai nicht begeistert und wünschen sich nicht, dass Sie damit in den kommenden Jahren fortfahren. Wie Sie wissen, ist auch die GdP nicht an Ihrer Seite, wenn es darum geht, das Konzept der Deeskalation hier aufzugeben. Sie sind dann glücklicherweise auch wieder auf Ihr Lieblingsthema zurückgekommen. Damit ist deutlich, dass Sie auf dem Rücken der friedlichen Besucher des 1. Mai-Festes am Kreuzberger Mariannenplatz und auch auf dem Rücken von 9 000 Polizisten versuchen, Ihren manischen Kreuzzug gegen das Versammlungsrecht fortzusetzen. Sie wissen, dass es im Desaster endete. Sie versuchen nun hier schönzureden und zu tun, als wäre es friedlicher als in den vergangenen Jahren gewesen. Es war so nicht! Ohne Not haben Sie das in den letzten Jahren praktizierte AHA-Konzept zur Deeskalation aufgegeben. Dies bestand nicht nur darin, Fußballspiele für erlebnisorientierte Jugendlich zu veranstalten, sondern auch darin, vertrauensbildende Gespräche mit Festveranstaltern, Demo-Anmeldern, Gewerbetreibenden und politisch Verantwortlichen zu führen. Im Prenzlauer Berg ist dieses Konzept in den vergangenen Jahren aufgegangen. Das Fest am Humannplatz, vielleicht vergleichbar mit dem Fest am Mariannenplatz, ist inzwischen einer der Kernpunkte für einen friedlichen 1. Mai in diesem Bezirk, weil sich die Polizei dort an Absprachen mit den Veranstaltern hält. Dass Sie sich nicht darum scheren, was das Abgeordnetenhaus am 1. Oktober 1998 zu deeskalierenden Einsatzkonzepten beschlossen hat, ist nichts Neues. Sie halten sich oftmals nicht an Vorgaben des Hauses. Aber dass Sie sich auch an Ihre eigenen Mitteilungen wie die vom 17. Januar 1999 nicht halten, erstaunt schon etwas. Ich zitiere: Die Senatsverwaltung für Inneres und die Berliner Polizei fühlen sich im Übrigen nicht erst seit der Beschlussfassung des Abgeordnetenhauses vom 1. Oktober dem Prinzip der Vermeidung bzw. Befriedung von Konfrontation verpflichtet, sondern sehen darin auch als Ausfluss des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Handlungsmaxime für ein möglichst grundrechtsausgleichendes bzw. schonendes polizeiliches Einschreiten. So geht es weiter. Darunter steht: „Dr. Werthebach.“ Nennen Sie die mehrmaligen Aufrufe an potentielle Störer, sich zum Mariannenplatz zu bewegen, wo ein friedliches Fest stattfand, in diesem Sinne konfliktvermeidend? Nennen Sie die Tatsache, dass unzählige friedliche Festbesucher oder Kreuzberger auf dem Nachhauseweg mehr als 7 Stunden unter teilweise unwürdigen Bedingungen festgehalten wurden, eine deeskalierende Polizeitaktik? Ich sage es noch einmal: Wir nehmen nicht hin, dass nach dem Desaster vor dem Desaster ist, auch wenn Sie das Wort nicht mögen. Wenn Innensenator Werthebach mit seiner Kraftmeierei weitermacht, setzen wir auf das Gespräch mit allen Beteiligten und eine sinnvolle Vorbereitung des nächsten 1. Mai. Die Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch! interjection: [Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]
Die Spirale der Gewalt, die Sie in diesem Jahr wieder angeschoben haben, muss durchbrochen werden. Ich setze auf eine Mehrheit in diesem Haus. Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gutzeit! Lassen Sie es mich vorab sagen: Ich gehe nicht davon aus, dass die Behörde des Landesbeauftragten ihre Tätigkeit bereits im kommenden Jahr einstellen kann, wie es die derzeitige Befristung vorsieht. Schadensausgleich und Wiedergutmachung für die Opfer staatlicher und geheimdienstlicher Willkür in der DDR sind nicht an einem Punkt angelangt, wo man sagen kann: Dieses Kapitel können wir abschließen. Gerade im mentalen Bereich wird die Begleitung der Opfer eher an Bedeutung zunehmen, denn leider sind die gesetzlichen Spielräume für Rehabilitierung und Entschädigung – es ist schon darauf eingegangen worden – so eng gesetzt, dass es für viele immer schwerer wird, sich den Zumutungen bürokratischer Hürden zu stellen. Ich gehe davon aus, dass gerade die Stadt Berlin, besonders gezeichnet durch die direkte Konfrontation in den Jahren des Kalten Krieges, auch eine besondere Verantwortung für das
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Zusammenwachsen von Ost und West hat. Normalität wie gleiche Gehälter und Löhne, die wir für dringend notwendig halten, sind die eine Seite. Die andere Seite ist die Aufarbeitung der Geschichte; es gilt, die Folgen daraus als ständigen Lernprozess eben nicht in der Normalität des Alltags untergehen zu lassen.
Was ich am Bericht des Landesbeauftragten für wichtig erachte, ist die notwendige Parteinahme, die über den Tellerrand hinaus sieht. So fand ich es im letzten Jahr besonders bemerkenswert, dass sich der Bericht vehement gegen die Absicht der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gewandt hat, die Robert-Havemann-Gesellschaft und das MatthiasDomaschk-Archiv zu vereinnahmen. Auch die in dem jetzigen Bericht vertretene Meinung, dass die seit zehn Jahren bewährte Akteneinsicht beim Bundesamt für Stasi-Unterlagen nun auf einmal hohe Wellen schlägt, kaum geht es um die Frage, welche Grenzen es für die Einsichtnahme in Aktenüberlieferungen geben soll, die das MfS über einen Altbundeskanzler angelegt hat, macht deutlich, dass es gerade nicht um die Exklusivität der Öffnung ostdeutscher Biographien geht und gehen kann. Und mit Verlaub: Warum wird gerade jetzt die Rechtsstaatlichkeit des Stasi-Unterlagengesetzes hinterfragt, wo immer deutlicher wird, das auch viele westdeutsche Bürgerinnen und Bürger mit dem MfS zusammengearbeitet haben? Mit welchen verbalen Kraftakten ist in den letzten Jahren auf Teile der PDS eingeschlagen worden, die eine Schließung der Akten forderten? Ich persönlich war immer dagegen und fand, es wurde zu Recht kritisiert. Jetzt, wo die Gefahr besteht, die eigene, vormals so weiße Weste beschmutzt zu bekommen, gibt es sehr merkwürdige Allianzen.
Ein weiterer Punkt, der aus dem Bericht hervorzuheben ist, scheint mir das Fazit zu sein, dass viele, die sich in der DDR verweigert oder eingemischt haben, bis hin zum Widerstand, sich vielleicht ihre Selbstachtung bewahrt haben, aber darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt gesellschaftlicher Anerkennung und materiellen Schadensausgleichs sich eine solche Haltung nicht ausgezahlt hat. Dieses Signal finde ich verheerend in die jetzige Gesellschaft hinein. Wenn wir mangelndes Engagement – dazu zählt auch das Aufdecken von Missständen in dieser Gesellschaft – beklagen, dann hat das auch etwas mit dem öffentlichen Umgang mit Menschen zu tun, die sich unter anderen Bedingungen und mit weitaus größerem Risiko engagiert haben.
Die CDU-geführte Bundesregierung hat genauso wie RotGrün leider zu wenig an Signalen in die richtige Richtung gegeben. Zu kurze Fristen in den Rehabilitierungsgesetzen, bürokratische Hürden, Nachweispflichten, die oft nicht zu erbringen sind, belegen dies ebenso deutlich wie die im Bericht geschilderten Einzelfälle, die trotz schwer wiegender Beeinträchtigungen bei Rentenzahlungen, Qualifikationen oder Entschädigungen schlicht nicht vorkommen. So gibt es beispielsweise einen so genannten Abstiegsschaden für Menschen, die ihre Positionen, weil sie politisch unliebsam waren, verloren haben und dann „zur Bewährung“, wie es so schön hieß, in die Produktion geschickt wurden. Aber wie vielen wurde die Biographie schon in der Schule gebrochen, so dass erst gar keinen Aufstieg gab? Alle diese Bereiche werden von der jetzigen Gesetzgebung nicht abgedeckt.
Alles in allem zeigt der Bericht deutlich, dass es für den Landesbeauftragten auch nach dem 7. Tätigkeitsbericht noch viel zu tun gibt. Wir bedanken uns für den Bericht und wünschen viel Erfolg bei der weiteren Arbeit, weil es eben nicht nur darum geht, was in der Vergangenheit war, sondern auch um die Zukunft in dieser Gesellschaft. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gewalt, man könnte ja meinen, dass das, was lange währt, endlich gut wird. Sie haben seit Jahren angekündigt, eine Änderung des Gesetzes zu machen, weil Sie meinen, Pfefferspray wäre nun das neue Allheilmittel für die Berliner Polizei.
Wenn es tatsächlich um Abrüstung gehen würde – also darum, ein weniger aggressives Mittel statt eines gefährlicheren einzusetzen –, hätten Sie völlig unideologisch mit uns über Pfefferspray diskutieren können. In diesem sogenannten Gesetzentwurf von Ihnen befindet sich aber leider davon nichts. Sie führen den völlig undefinierten Begriff Reiz- und Betäubungsstoffe ein. Das geht bei Grundrechtseingriffen nicht so einfach, wie Sie sich das vorstellen. Darunter könnte alles Mögliche fallen. Dieser Begriff ist beliebig ausfüllbar. Was meinen Sie damit? Pfefferspray? Das steht aber nicht da.
Sie stellen in Ihrer Begründung fest, dass Reizgas – also Pfefferspray – im Vergleich zum bisher verwandten CS-Gas – auch Tränengas genannt – mit geringeren Gesundheitsgefahren verbunden ist. Immerhin sind CN- und CS-Gase krebsfördernd und können Kurz- oder Langzeitschäden der Gene bewirken. Das wissen Sie offensichtlich und haben trotzdem kein Problem mit dessen Einsatz. Aber der Einsatz dieses Mittels – das haben Sie eben bestätigt – findet weiter statt. Er ist in der Bezeichnung Reiz- und Betäubungsstoffe auch enthalten. Im bisherigen Gesetz war der Begriff Reizstoff eindeutig als Tränengas definiert. Das war wenigstens nachvollziehbar. Übrigens haben Sie auch versäumt, den alten Begriff aus dem § 21 zu streichen. Das ist schlampig wie der gesamte Gesetzentwurf. Wir haben also das gefährliche Tränengas und zusätzlich vermutlich – es steht nirgends – das nicht ungefährliche Pfefferspray.
Die medizinische Wirkung von Pfefferspray beim Sprühen ins Gesicht sieht folgendermaßen aus: starkes Augenzwinkern, ungewolltes Schließen der Augen, Entzündungen der Atemwege, Husten, Atemnot, mühsames Atmen, Hautirritationen, je nach Konzentration zeitweilige Kehlkopflähmung und kurzzeitige Sprachstörungen. Bei amerikanischen Untersuchungen über Todesfälle im Zusammenhang mit OC – wie der Wirkstoff genannt wird – sollen Begleitumstände – wie Atemlähmung durch Drogenkonsum – Todesursache gewesen sein. Das heißt aber im Umkehrschluss, Herr Gewalt und meine Damen und Herren von der CDU beziehungsweise auch von der SPD, dass Drogenkonsumenten durch dieses so harmlose Mittel möglicherweise erheblich verletzt oder getötet werden können. Auch für Asthmatiker ist die Gefahr erheblich, da bei der Verwendung von Aerosolsprays Kleinstpartikel in die Lunge gelangen. Es geht nicht um das vermeintlich mildere Mittel.
Darum geht es auch in einem anderen Punkt nicht. Natürlich würde auch ich sagen, dass statt des Einsatzes einer Schusswaffe lieber Pfefferspray verwendet werden sollte – das wird von Ihnen der Öffentlichkeit zum Teil auch suggeriert –; doch ich frage mich, warum die jetzt so genannten Reiz- und Betäubungsstoffe nicht mehr wie zuvor als Waffe neben den Schusswaffen
und Schlagstöcken aufgezählt sind – zumal CS-Gas noch darunter fällt –, sondern plötzlich unter den milderen Hilfsmittel der körperlichen Gewalt – wie Fesseln, Dienstpferde und technische Sperren – rangieren. Diese Herabstufung kann nur bedeuten, dass die gefährlichen CS-Gase und zusätzlich das Pfefferspray nicht alternativ zum möglichen Schusswaffengebrauch als milderes Mittel zum Einsatz kommen sollen, sondern weit im Vorfeld, nämlich da, wo noch nicht einmal Schlagstöcke eingesetzt werden.
Sehr gut gefällt mir Ihre Begründung für die Einführung von Revolvern als Polizeiwaffen – das ist auch geändert worden –:
Gegenüber den anderen Dienstwaffen der Polizei verringern Revolver als polizeiuntypische Waffen das Entdekkungsrisiko für verdeckt eingesetzte Beamte.
Nach diesem Gesetzentwurf werden die Revolver zu polizeitypischen Waffen, was sich auch unter den Ganoven herumsprechen könnte. Folglich werden Sie das Gesetz bald wieder ändern müssen und nach der nächsten polizeiuntypische Waffe suchen. Oder wie darf ich den Quatsch verstehen?
Weiterhin haben Sie den Einsatz von Sprengmitteln, der vorher schon in den Ausführungsvorschriften der Polizei geregelt war – deren Einsatz in konkreten Fällen unbestritten notwendig ist –, den Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt zugeordnet. Der Grund dafür dürfte allein Ihnen bekannt sein. Wo ist die körperliche Gewalt bei Sprengmitteln, die – Gott sei Dank – noch nicht gegen Personen eingesetzt werden dürfen? Treffe ich die Eisentür jetzt körperlich mit einer Sprengung, und gilt die Grundrechteeinschränkung der körperlichen Unversehrtheit für die Tür? Was haben Sie sich dabei gedacht?
Ich schlage vor, diesen unausgegorenen Gesetzesantrag noch einmal an die Verursachen zurückzugeben, um ihn sauber zu formulieren und klar von Pfefferspray als Ersatz von Tränengas zu sprechen, damit wir uns im Innenausschuss darüber sachlich unterhalten können. Dann werden Sie auch unsere Mitarbeit haben. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:
1. Wie erklärt der Senat, dass umfangreiche Rechercheergebnisse eines Polizeibediensteten, wonach auf Grund von falschen Dienstplänen dem Land Berlin jährlich Mehrausgaben in Höhe von etwa 25 Millionen DM entstehen, seit Sommer vergangenen Jahres beim Polizeipräsidenten von Berlin schmoren und er sowie der Senator für Inneres in dieser Sache untätig geblieben sind?
2. Wann und wie gedenken der Polizeipräsident und der Senator für Inneres, nach Prüfung des Vorgangs rechtlich einwandfreie neue Dienstplanmodelle zu entwickeln, so dass künftig keine Minusstunden mehr anfallen sowie ein erheblicher Abbau der Überstunden erreicht wird, oder wartet der Senat erst auf eine Stellungnahme des inzwischen mit der Sache befassten Landesrechnungshofs?
Herr Senator! Wie erklären Sie sich dann die Tatsache, dass aus Ihrem Hause bzw. dem Hause des Polizeipräsidenten am Tage des Erscheinens des „Tagesspiegels“ zwar sofort in dem jetzt auch von Ihnen beantworteten Sinne Seriosität der Unterlagen abgestritten, aber gleichzeitig mitgeteilt wurde, dass in Teilbereichen noch geprüft wird? Wie erklären Sie sich ferner, dass in der Direktion 6 seit Februar 2000 ein Modellversuch für ein neues Dienstplanmodell läuft, das dazu geführt hat, dass dort keine Minusstunden mehr anfallen und Überstunden sehr gering sind, und auf der anderen Seite von der Polizeipressestelle am 14. Februar 2001 mitgeteilt wurde, dass dieser Probelauf Auswirkungen auf das ganze Landesschutzpolizeiamt haben könne? Das deutet nicht gerade darauf hin, dass alles in Ordnung ist.
Herr Senator! Stimmen Sie mit mir darin überein, dass die Unterlagen, die Sie geprüft haben wollen, auch den Bereich des Verkehrsdienstes umfassen und dass der Verfasser der Dienstpläne in der Direktion 6 identisch mit dem Verfasser der Eingabe ist, die von Ihnen bearbeitet worden ist? Haben Sie, wenn Sie denn geprüft haben, auch die Bereitschaftspolizeiabteilungen einbezogen, da dort die höchste Überstundenanzahl zu finden ist?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktualität unserer Aktuellen Stunde liegt auf der Hand. Vor einigen Tagen erst hat die Innenministerkonferenz unter anderem auf Grund eines Berliner Papiers Einschränkungen der Versammlungsfreiheit beschlossen. Dieses Werthebachpapier wurde in diesem Parlament bisher überhaupt nicht besprochen.
Nun handelt es sich aber beim Versammlungsrecht nicht um irgendein Recht, sondern um ein konstituierendes dieses Staates, um ein Grundrecht, das nicht aus kosmetischen Gründen über den Haufen geworfen werden darf. Gerade der aktuelle Anlass der NPD-Demonstration am letzten Sonnabend hat noch einmal deutlich gemacht, dass dieses Grundrecht nicht angetastet werden darf, weil es auch keinen Nutzen bringt. Man täuscht der Öffentlichkeit Aktivität vor, und im Falle dieses Innensenators benutzt man diese unerfreulichen Demonstrationen von Rechtsextremisten, um das schon lange angestrebte Ziel, die Versammlungsfreiheit in die Nähe des Erlaubnisvorbehalts des Staates zu rücken, zu erreichen.
Erinnert sei, dass, kaum in Berlin angekommen, Innensenator Werthebach den Straßenverkehr und die Einkaufslust durch zu viele Demonstrationen behindert sah – wahrlich ein Rechtsverständnis.
Kommen wir zurück zum Sonnabend, zur Aktualität. Nehmen wir an, das Brandenburger Tor, das Holocaust-Denkmal, die Neue Wache wären befriedete Orte gewesen: Die Neonazis hätten auch dann durch diese Innenstadt demonstriert. Auch dann wäre es das einzig richtige Zeichen gewesen, dass sich die Menschen dieser Horde in den Weg stellen und sagen: Es gibt keinen Platz für Nazi-Aufmärsche, auch nicht in Hellersdorf oder Marzahn.
Wir müssen doch in diesem Parlament darüber reden, wer dann bestimmt, was Orte von herausragender Bedeutung sind. Interessanterweise sind NPD-Aufmärsche durch die Versammlungsbehörde nicht selten in Ostbezirke umgelenkt worden, noch nie allerdings nach Wilmersdorf oder Charlottenburg. Diese Gewichtung würden wir doch hier gerne mal klären und uns erläutern lassen. Wollen wir, wenn denn einmal der Damm gebrochen ist, vielleicht ganz Berlin zur versammlungsfreien Zone erklären, bis auf die Plattenbaubezirke? Wenn wir als Parlament nicht darüber reden, werden wir eines Tages aufwachen und feststellen, dass auch die Polizeigewerkschaft ihren Unmut über die Bundesregierung in Marzahn und nicht am Brandenburger Tor ausdrücken darf.
Die müsste dann allerdings auch rechtzeitig aufwachen. Ich finde, wir müssen hier und heute darüber reden, dass die freie Wahl von Ort und Zeit ebenso wie die Selbstbestimmung über Art, Inhalt und Form der Versammlung zum unbestrittenen Kernbereich der Versammlungsfreiheit gehören. Wer dies antastet,
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verändert die Republik, aber ändert nichts an den Ursachen und auch nichts an den Erscheinungsformen des Rechtsextremismus in diesem Land.
Wenn wir wollen, dass in Zukunft ausschließlich der Staat wie am 9. November – es war eine wichtige, große Demonstration, an der ich auch teilgenommen habe – definiert, wann und wo die Anständigen aufzustehen haben, begeben wir uns in vordemokratisches Terrain. Die offene, wehrhafte Demokratie braucht die Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Schutz, und je mehr Menschen bereit sind, auch die Symbole der Republik vor Rechtsextremisten zu schützen, desto stärker ist diese Demokratie.
Zur offenen und wehrhaften Demokratie gehört auch, dass die Verfassungswidrigkeit einer Partei ausschließlich durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt werden kann. Es geht eben nicht, wie ja auch im Antrag Senator Werthebachs an die IMK vorgesehen, dass der Begriff der Verfassungsfeindlichkeit einfach aus dem Verfassungsschutzrecht übernommen wird. Das ist juristischer Humbug und steuert das Gegenteil einer offenen Demokratie an. Offen, das ist nämlich die Kehrseite der Wehrhaftigkeit, und überhaupt nur so im Grundgesetz verankert.
Das Parlament kann doch die Exekutive nicht einfach auf diesem gefährlichen Weg weitermachen lassen, ohne sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Den größten Sieg, den die Rechtsextremisten in diesem Land erreichen können, ist der, dass die Demokratie sich bei deren vermeintlicher Bekämpfung selber abschafft.
Und da sollten wir nicht schon bei den Rechten des Parlaments, aktuell so brisante Entwicklungen zu besprechen, beginnen wollen. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen – als der Anschlag auf die Synagoge am Fraenkelufer erneut die lange Kette von Übergriffen auf jüdische Einrichtungen in dieser Stadt fortsetzte – erzählte mir ein Mitglied unserer Fraktion von einem Anruf aus Amsterdam. Sie, die aus einer großen jüdischen Familie stammt, von der 90 Prozent der Mitglieder den Holocaust nicht überlebten, war von einer Freundin aufgeregt gefragt worden, was in Deutschland los sei, ob sie sich noch sicher fühle und ob sie ihrer Familie eine Wohnung in den Niederlanden besorgen solle.
Die von Hass getragenen Überfälle auf jüdische Gemeinden und ihre Einrichtungen finden s o l c h e Aufmerksamkeit. Sie sind in Anbetracht unserer Geschichte das Symbol für Rechtsextremismus schlechthin. Auch wenn wir wissen, dass Rechtsextremismus ganz viele Facetten hat – insbesondere Fremdenfeindlichkeit, völkischen Nationalismus und autoritäre Denkmuster –, so wird doch die Aufmerksamkeit des Auslands und das Entsetzen der demokratischen Öffentlichkeit an den Übergriffen auf jüdische Mitbürger und ihre Einrichtungen fokussiert.
Auch wenn im Einzelfall Täter – wie bei der Störung des Neujahrsfestes in der Synagoge Rykestraße – nicht rechtsextremistischen Kreisen zuzuordnen sind oder möglicherweise von arabischen Tätern jüdische Gebetshäuser mit dem Staat Israel gleichgesetzt werden, so gibt es doch unzählige eindeutig rechtsextremistische und antisemitische Schmierereien und Übergriffe, die in der Regel nicht aufgeklärt werden. Bei diesen Nacht-undNebel-Aktionen kann man zumindest davon ausgehen, dass die Täter feige sind und Aufwand und Nutzen – also öffentliche Wahrnehmung und Empörung – in hohem Maß zu Gunsten der Täter ausfallen. Viel mehr wissen wir nicht über die Einzelnen. Aber wir wissen, dass es beim Rechtsextremismus um eine Ideologie geht, die menschenverachtend und -gefährdend ist.
Deshalb müssen wir diese großen Sorgen auch ernster nehmen, als es oftmals über Betroffenheitsrituale vermittelt wird.
Natürlich werden die jüdischen Einrichtungen durch die Polizei in Berlin geschützt. Es gibt Konzepte, die zwischen Innensenat und dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde abgestimmt sind; doch gerade die gewünschte Vielfalt jüdischen Lebens mit Schulen, Kindergärten, Restaurants, Kulturvereinen, Geschäften, Straßenfesten und nicht zuletzt Synagogen setzt jedem staatlichen Schutz auch immer Grenzen. Es wird immer diskutiert werden können, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem
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bestimmten Ort gerade genug Polizei präsent war und ob Pfefferspray für Polizisten die geeignete Ausrüstung ist. Dazu können wir konkret diskutieren und Anhörungen im Innenausschuss veranstalten, aber wir werden keinen Königsweg finden.
Ernst nehmen heißt auch, dass sich jede Instrumentalisierung des Themas für parteipolitische Zwecke verbietet. Wenn die Jüdische Gemeinde Videokameras in Wahrnehmung ihres Hausrechts an ihren Einrichtungen haben will, dann wenden wir uns nicht dagegen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass der Innensenator mit diesen berechtigten Ängsten auch eine Videoüberwachung des öffentlichen Raums in Berlin gleich mit durchsetzen kann.
Wenn wir nicht wollen, dass Neonazis durch die Stadt marschieren, dann müssen wir ein gesellschaftliches Klima schaffen, das dies nicht zulässt und eindrucksvoll Gegenöffentlichkeit mobilisieren. Das haben wir für den 27. Januar geplant.
Die Demonstrationsplätze sind angemeldet, um sie den Rechten nicht zu überlassen. Es wäre nicht schlecht, wenn die CDUFraktion sich daran beteiligen würde.
Natürlich sind wir auch für Verbote, wenn es das Versammlungsrecht hergibt. Da ist die Verwaltung bei der Verbotsbegründung natürlich gefordert. Aber das Versammlungsrecht einschränken wird mit uns nicht zu machen sein. Wenn die bestehenden Gesetze konsequent angewendet werden, dann begrüßen wir das. Oft hatte man früher nicht diesen Eindruck, insbesondere wenn es sich um rechtes Klientel handelte. Wir brauchen aber keine neuen Gesetze und hektische, wie bürgerrechtsfeindliche Maßnahmen.
Wir finden es auch nicht vertrauensbildend, auf der einen Seite zu sagen: Wir tun alles für den Schutz der jüdischen Einrichtungen –, was dann oft nicht gelingt, und auf der anderen Seite wird die Lehre und Verantwortung aus dem Exodus der Juden und Jüdinnen aus Deutschland während des Naziregimes, nämlich das im Grundgesetz verankerte Asylrecht, über Bord geworfen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten sich bei diesem Grundrecht genau darauf bezogen, dass nun gerade Deutschland als Land der Täter in der Verantwortung steht, Menschen in Not und Bedrängnis die Türen zu öffnen. Stattdessen haben wir Gesetze, die Flüchtlingen ihre Menschenwürde absprechen und sie auch rechtlich zu Fremden und anderen machen.
Wenn wir die Ängste der jüdischen Gemeinde ernst nehmen wollen, dann so, indem wir uns unserer Verantwortung für alle Opfergruppen bewusst sind. Andreas Nachama ist immer vor Ort, wenn es um Bündnisse gegen Rechtsextremismus geht, seien antisemitische, nationalistische oder rassistische Anlässe zu beklagen. Es bedeutet doch auch Schutz, das andere Opfer nicht auszublenden, solidarisch gegen jeden Übergriff auf Menschen und ihre Würde zu reagieren.
Die Krux repressiver Maßnahmen ist der Schaden für das gesamte Gemeinwesen. Desto pluralistischer diese Demokratie ist, desto schwerer haben es Demokratiefeinde mit ihren autoritären Politikvorstellungen. Auch das ist ein Schutz, der ebenfalls in Anbetracht unserer Geschichte nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Ernst nehmen heißt, dass wir auch Hilflosigkeit eingestehen, die jetzt durch das zweischneidige Mittel des eiligen NPD-Verbotsantrages kaschiert werden soll, denn nur wenn niemand glaubt, auch nicht die eigene Fraktion, über ein Allheilmittel zu verfügen, kann es zu einem parteiübergreifenden, gesellschaftlichen Dialog kommen, um die Grundlagen für rechtsextremistische Gewalt, die in der Mitte unserer Gesellschaft angesiedelt sind, überhaupt zu analysieren und geeignete Maßnahmen zu verabreden.
Ignatz Bubis, der nicht einmal in Deutschland begraben werden wollte, sagte auf die Frage, was wir denn eigentlich machen, wenn die rechte Gewalt schlimmer wird: Die 70 000 Juden, die hier leben, gehen nach Israel, die hier lebenden Türken gehen in die Türkei. Die Frage wird sein: Wohin gehen die Deutschen? – Ich schlage vor, wir bleiben alle hier und begreifen Vielfalt als Gegengewicht zu völkischer Einfalt. Auch die Vielfalt unserer Gesellschaft ist doch Chance und Schutz für alle. Die jüdischen Bürgerinnen und Bürger, da bin ich mir ganz sicher, sehen auch darauf, wie dieser Staat mit Homosexuellen, Obdachlosen, Behinderten und Punks umgeht, die nicht selten Opfer rechtsextremistischer Gewalt geworden sind. Zivilcourage ist auch keine Sache schöner Sonntagsreden und eine Erfindung der gerade neu entdeckten Bürgergesellschaft, die wir hier häufig beschwören. Sie existiert oft genug auch am Rande und unter Ausschluss der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten.
Dann ist Zivilcourage aber auch anstrengend und gefährlich. Uli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv sagt: Für einen kleinen Punker in Thüringen heißt Zivilcourage, mit dem Rücken zur Wand zu stehen und trotzdem das Maul nicht zu halten. – Dazu gehört einiges, und wir haben schon genug von denen zu Grabe getragen.
Wie viel Angst gibt es schon in unserer Gesellschaft und nicht nur bei potentiellen Opfern, sondern auch bei denjenigen, die helfen würden? – Ich komme noch einmal auf den Anfang meiner Rede zurück. Meine Fraktionskollegin hat sehr ernsthaft überlegt, ob sie sich hier beim Namen nennen lässt, und sich dann, vor allem auch im Interesse ihrer Familie, dagegen entschieden. Letztlich kann der Staat nur Sicherheit gewährleisten, wo wir, wo eine demokratische Gesellschaft ihn auch in die Verantwortung nimmt und dabei niemanden ausgrenzt. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn wir in den vergangenen Jahren die Tätigkeit des Berliner Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR durchaus manchmal auch kritisch begleitet haben, müssen wir doch im Jahre 10 nach der Wiedervereinigung deutlich feststellen, dass es nicht ohne Belang ist, dass es sich bei Martin Gutzeit um jemanden handelt, der aus der ehemaligen DDR kommt. Gerade in der Einleitung seines Berichts wird deutlich, dass er sich der Problematik bewusst ist, dass zehn Jahre nach der Aufarbeitung fast ausschließlich Bürger der DDR betroffen sind und dass der Eindruck erweckt wurde, der Westen sei moralisch integer, nicht anfällig für Stasiwerbung gewesen, und überhaupt seien hier die besseren Menschen. Wir wissen, dass dieser Eindruck durch eine ganz große Koalition, die die Vernichtung ausgerechnet der HVA-Akten aus sehr unterschiedlichen Gründen billigte, durchaus befördert wurde. Schade, dass Herr Werthebach nicht hier ist. Er war damals dabei und könnte vielleicht das eine oder andere dazu beitragen.
Die Feststellung im Bericht, dass endlich auch die Tätigkeit des MfS im freien Teil Deutschlands und die erschreckende Willfährigkeit vieler Altbundesbürger gegenüber dem MfS in der öffentlichen Diskussion und im öffentlichen Bewusstsein einen angemessenen Platz einnehmen, ist eine Position, die ich teile, die dem historischen Verlauf und der damit verbundenen Kränkung vieler Ostdeutscher aber sicher keine andere Richtung mehr geben wird.
Wie wir wissen, hat das Interesse an den Stasiakten in der deutschen Politik abrupt abgenommen, seit unter anderem CDU-Politiker wie Helmut Kohl darüber sehr tief fallen könnten.
Selbst Eberhard Diepgen fing ganz plötzlich an, öffentlich darüber nachzudenken, dass man die Akten jetzt schließen sollte. Das ist ein Wunsch, den man bisher nur der PDS unterstellte, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass die PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus für die Einsetzung des Berliner Stasibeauftragten eingetreten ist. Ist dieser plötzliche Sinneswandel nicht komisch? Oder zeigt er nur allzu deutlich, wie instrumentalisierbar offensichtlich das Unterlagengesetz schon immer gewesen ist?
Wir haben im Übrigen auch 1999 einer gesetzlichen Regelung auf Landesebene zugestimmt, die bei Neueinstellungen im öffentlichen Dienst jenen, die zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen aus dem Beruf geworfen wurden, eine Sonderstellung einräumt. Nun sind die kurze Geltungsdauer der Regelung ebenso wie der Personalabbau im öffentlichen Dienst zwar Fakten, aber zu hinterfragen wäre schon, was bisher daraus praktisch geworden ist. Ich hatte damals große Skepsis, dass das mehr wird als das, was da auf dem Papier steht.
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Wir teilen nach wie vor die Position des Stasibeauftragten, dass die Stellung der Opfer schwach ist und dass die Ungerechtigkeit vielfältig ist. Ich kann ihm nur beipflichten, dass die Rentenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR die Gerechtigkeitslücke noch vergrößert hat. Aber ich hoffe, wir sind uns einig darin, dass in einem Rechtsstaat nicht die Verfassung ausgehebelt werden darf, um diese Lücke zu schließen, sondern dass diese nur zu verringern ist, wenn den Opfern unbürokratischer und großzügiger geholfen wird.
Nach dem bisherigen Verlauf der Gesetzgebung ist allerdings erheblicher Zweifel angesagt, dass an den Rehabilitierungsgesetzen noch viel nachgebessert wird. Zumindest bedenkenswert ist die Anregung, im Prinzip allen Rehabilitierten eine Ehrenpension und verbilligte Leistungen der öffentlichen Hand zuzugestehen. Es würde der großen Koalition in einer Stadt wie Berlin gut zu Gesicht stehen, sich von der Westberlinzentriertheit zu lösen und gerade in dieser Richtung im Bundesrat initiativ zu werden.
Die Opferberatung und -begleitung scheint wie auch in den vergangenen Jahren den größten Schwerpunkt in der Arbeit des Berliner Landesbeauftragten auszumachen, und das ist gut so. Allerdings erwarte ich auch Lösungsvorschläge für die geschilderten Fälle, in denen beim MfS tätige Bauingenieure und Datenverarbeitungsfachleute etwa drei Jahre auf Einsicht in die Kaderakten warten müssen, damit sie die für eine Arbeitsaufnahme notwendigen Arbeitszeugnisse erhalten. Da es sich aus meiner Sicht nicht um einen massenhaften Ansturm handeln wird, könnte sicher etwas mehr Durchsetzungskraft gegenüber dem NochHerrn der Bundesakten nicht schaden. Die innere Einheit dieser Stadt braucht diese Normalität.
Lobenswert finde ich an diesem Bericht auch die Zusammenarbeit mit ausgewiesenen Experten wie denen vom Behandlungszentrum für Folteropfer oder der Abteilung Sozialpsychiatrie der FU Berlin, auch wenn diese Institutionen von der Ausländerbehörde des Herrn Werthebach wesentlich weniger Wertschätzung erfahren, aber auch die Zusammenarbeit mit den Opferverbänden und Archiven. Und da begrüße ich besonders die klare Positionierung von Martin Gutzeit zu den unabhängigen Aufarbeitungsinitiativen wie Havemann-Archiv und DomaschkArchiv. Mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur war aus meiner Sicht die Hoffnung verbunden, eine langfristige und sichere Finanzierung gerade dieser wichtigen basisorientierten Einrichtungen zu sichern. Dass diese Stiftung sich nun offensichtlich gegen die unabhängigen Archive richtet und damit auch zum größten Teil gegen Oppositionelle aus der DDR, deren eigene Biographien und Erlebnisse einen wesentlichen Teil der historischen Einordnung ausmachen, ist skandalös. Ich denke, hier sollte sich die Berliner Politik parteiübergreifend vor diese Einrichtungen stellen, und hier sind natürlich Bündnisgrüne und SPD gefragt, entsprechenden Druck auf die Bundesregierung zu machen.