Protokoll der Sitzung vom 08.06.2000

lfd. Nr. 33 A, Drucksache 14/443:

Antrag der Fraktion der Grünen über Umsetzung des Abgeordnetenhausbeschlusses über ein Bleiberecht auch für junge Flüchtlinge

Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD mit der Drucksachennummer 14/443-1.

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Auf die Beratung wird verzichtet.

[Zuruf des Abg. Berger (Grüne)]

Herr Berger, Sie wollen Ihre Rede zu Protokoll geben. Dann haben Sie das Wort!

Ich gebe meine Rede zu Protokoll.

Anliegen unseres dringlichen Antrags ist es, einer überschaubaren Gruppe von 80 jungen Menschen in Berlin endlich die Chance zu geben, ihr Leben in unserer Stadt einzurichten, ihre Zukunft in Berlin zu gestalten.

Zu Beginn der 90er Jahre sind diese jungen Leute als unbegleitete Kinder in Berlin angekommen – ohne Eltern oder andere Verwandte. Sie kommen aus Ländern, die von Kriegen, Bürgerkriegen oder anderen gewalttätigen Ereignissen erschüttert waren – wie Angola, Somalia, Äthiopien, Eritrea, Sri Lanka. Ihrer Flucht gehen oft dramatische Begebenheiten voraus. Manche sollten als Kindersoldaten in den Krieg ziehen, andere haben ihre Eltern verloren.

Die Berliner Gesellschaft hat damals auf die Ankunft dieser Kinder und Jugendlichen gut reagiert. Sie wurden betreut und in die Schule geschickt. Sie haben fließend Deutsch gelernt, eine Ausbildung absolviert, in der Stadt nicht nur Helfer, sondern auch Freunde gefunden. Wir möchten den Verbänden, die die Betreuung dieser Flüchtlingskinder übernommen haben, ausdrücklich danken. Wir sagen aber auch: Wenn Flüchtlinge ein Bleiberecht in Berlin und in Deutschland erhalten sollen, dann sind es vor allem diese jungen Menschen. Es ist doch absurd, wenn wir ihnen jetzt die Tür vor der Nase zuschla

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gen, wenn wir sie aus dem Land drängen, in dem sie groß geworden sind, in dem sie gelernt und in dem sie ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben.

Genau diese Verdrängung – um nicht zu sagen – Vertreibung soll jetzt aber nach dem Willen des Innensenators stattfinden. – Zum Bleiberecht hat dieses Parlament am 18. Mai einen wichtigen Beschluss gefasst. Für Flüchtlingsfamilien mit langjährigem Aufenthalt in Berlin hat der Senator diesen Beschluss inzwischen umgesetzt. Wir nehmen das mit großer Befriedigung zur Kenntnis. Aber unverständlich und unmenschlich ist, dass die Ärmsten der Armen – die genannten Kinderflüchtlinge – außen vor bleiben. Der Parlamentsbeschluss hatte sie ausdrücklich genannt; die Weisung des Senators schließt sie ebenso ausdrücklich aus.

Das ist untragbar, das muss sofort korrigiert werden. Es ist völlig unlogisch, wenn die Bleiberechtsregelung der Innenminister so ausgelegt wird, wie Herr Werthebach das bis jetzt tut. Nach dieser Vereinbarung dürfen Kinder von Asylsuchenden, die im Familienverband eingereist sind und die inzwischen volljährig geworden sind, im Land bleiben. Es verstößt gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn Kindern ohne Familie dieser Anspruch verweigert wird. Sie kamen allein, sie hatten nicht den Schutz der Eltern, sie hatten es viel schwerer. Für dieses schwere Los dürfen sie doch nicht mit einer Aufenthaltsverweigerung bestraft werden. Für dieses schwere Los dürfen sie nicht schlechter gestellt, sie müssen gleichgestellt werden.

Die formalen Bedenken des Innensenators überzeugen da überhaupt nicht. Herr Werthebach und Herr Jakesch haben mehrfach erklärt, dass das Bleiberecht für Kinderflüchtlinge nicht mit dem Innenministerbeschluss vereinbar sei. Der Bundesinnenminister jedenfalls sieht das anders. In seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion im Bundestag hat er noch am 16. Mai erklärt:

Es besteht beim Erlass einer Anordnung jedoch keine Verpflichtung, die Altfallregelung entsprechend dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 19. November 1999 wörtlich zu übernehmen. Den Ländern steht vielmehr ein gewisser Spielraum zur Verfügung.

Berlin muss diesen Spielraum im Sinne der Humanität nutzen.

Unser Parlament hat nicht erst am 18. Mai ein Bleiberecht für die jugendlichen Flüchtlinge verlangt. Schon im März 1995 fasste das Abgeordnetenhaus einen solchen Beschluss – damals mit den Stimmen der CDU. Das war vor fünf Jahren, und noch immer sind diese jungen Leute ohne Aufenthaltsrecht und ohne Zukunftsperspektive.

Herr Innensenator, geben Sie sich endlich diesen so kleinen wie wichtigen Ruck. Setzen Sie das längst überfällige Zeichen von Humanität, welches das Abgeordnetenhaus in seinem Mehrheitswillen von Ihnen verlangt.

Weitere Wortmeldungen gibt es nicht.

Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bittet zwar um sofortige Abstimmung, aber ich lasse zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD mit der Drucksachennummer 14/443-1 abstimmen. Wer diesem Antrag seine Zustim

mung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Stimmenthaltungen waren in Mehrheit Sozialdemokraten.

[Hoffmann (CDU): Schwarz-Grün! – Wieland (Grüne): Aber aus gegensätzlichen Motiven, so wird das nichts!]

Damit ist der Antrag angenommen.

[Wieland (Grüne): Einstimmig sogar!]

Einstimmig. Enthaltungen zählen nicht mit, das ist trotzdem einstimmig.

Wir sind dann bei

lfd. Nr. 33 B, Drucksache 14/444:

Antrag der Fraktion der Grünen über neuen Entwicklungsträger für Berlin-Adlershof

Wird hier der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. – Auf Beratung wird verzichtet.

Der Überweisungvorschlag ist an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umweltschutz, der federführend sein soll, an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr und an den Hauptausschuss. Wer so entscheiden will, den bitte ich um das Handzeichen! – Stimmenthaltungen? – Gegenstimmen? – Dann haben wir das so beschlossen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 33 C, Drucksache 14/445:

Antrag der Fraktion der PDS über Abschiebeschutz für äthiopische und eritreische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger

Wird hier der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. – Auf Beratung wird verzichtet.

Es wird die Überweisung gewünscht an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Gegenstimmen? – Dann haben wir das mit großer Mehrheit so beschlossen.

Wir kommen nun zur

lfd. Nr. 33 D, Drucksache 14/446:

Antrag der Fraktion der PDS über Deckelungszahlen für offenen Ganztagsbetrieb an Grundschulen abschaffen

Wird hier der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. – Auf Beratung wird verzichtet.

Es wird die Überweisung an den Ausschuss für Jugend, Familie und Sport sowie an den Hauptausschuss gewünscht. Wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist das so mit großer Mehrheit beschlossen.

Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Die nächste Sitzung des Abgeordnetenhauses findet am Donnerstag, den 22. Juni 2000 um 13 Uhr statt. Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg und einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.

[Schluss der Sitzung: 20.13 Uhr]

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A n l a g e

Beschlüsse des Abgeordnetenhauses

Wahl von einer Vertreterin einer Organisation, die die Interessen von Frauen vertritt, zum stellvertretenden Mitglied des Kuratoriums der Fachschule für Verwaltung und Rechtspflege

Gemäß § 64 Absatz 4 und Absatz 5 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 1 Nr. 7 des Gesetzes über die Hochschulen im Land Berlin (Berliner Hochschulgesetz – BerlHG) in der Fassung vom 17. November 1999 (GVBl. S. 630) wurde für die Dauer von zwei Jahren gewählt:

Frau Jutta C u j a s s.