Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man könnte den Eindruck haben, Sie könnten durch Lautstärke mehr Geld herbeischreien.
Es ist in der Tat so, dass nicht mehr derjenige, der am lautesten schreit, als Erster ruhig gestellt wird, und das ist auch richtig.
Ich finde, wir müssen, wenn wir dies debattieren, auch die Deutsche Bahn und das, was sie für Berlin im letzten Jahrzehnt getan hat, würdigen. Die Deutsche Bahn hat in Berlin 18 000 Mitarbeiter. Sie bildet in Berlin 1 100 Lehrlinge aus. Sie sitzt mit ihrer Konzernleitung und diversen Führungsgesellschaften in Berlin. [Zuruf des Abg. Over (PDS)]
Das hat nichts mit Statistik zu tun, sondern es ist ein bedeutendes deutsches Unternehmen, das in erheblichen Schwierigkeiten ist, Herr Over! Mich gehen diese Arbeitsplätze von 18 000 Berlinerinnen und Berlinern etwas an. Über die schwadroniere ich hier nicht so wie andere. –
Und dann müssen wir feststellen: Es gab bei der Bahn jahrelang politisch beeinflusste Entscheidungen. Es ist doch ein großer Fortschritt, dass mit Antritt von Herrn Mehdorn bei der Bahn jetzt marktpolitische Kriterien gelten. Dass die Bahn sich insgesamt neu ausrichtet, ist angesichts der Zahlen, die auf der Bilanzpressekonferenz präsentiert worden sind, völlig richtig. Wenn wir in Berlin von der BVG immer wieder verlangen, dass sie sich neu ausrichtet, dass sie sich neu entwickelt, dass sie neu darüber nachdenkt, welche Verkehrsprojekte Priorität haben müssen und welche Projekte und Planungen zeitlich gestreckt werden können, dann müssen wir das der DB nicht nur zubilligen, dann müssen wir das auch durch eine konstruktive Haltung, durch Gesprächsbereitschaft, aber auch durch klare Forderungen nach den für Berlin unverzichtbaren Leistungen der Deutschen Bahn unterstützen.
Es kann keine Rede davon sein, dass die Bahn Berlin in den letzten zehn Jahren im Stich gelassen habe. Allein seit 1990 hat die Bahn in Berlin 6 Milliarden DM investiert. Das ist nicht nur der Tiergartentunnel gewesen, sondern das waren Sanierung und Elektrifizierung der Stadtbahn, Wiederaufbau und Elektrifizierung der Zulaufstrecken der Magdeburger und Hamburger Bahn, Neubau der Hochgeschwindigkeitsstrecken, ICE-Bahnbetriebswerk in Rummelsburg, Bahnhof Spandau, Nordring. Wir haben neue Bahnhöfe erhalten wie Friedrichstraße, Bahnhof Zoo oder Alexanderplatz. Die S-Bahn allein hat in Berlin 2 Milliarden DM investiert. Ich finde, auch wenn wir jetzt Streit haben, muss man sich daran erinnern, dass die Bahn diese Leistungen für Berlin im letzten Jahrzehnt erbracht hat und damit einen wesentlichen Punkt auch gesetzt hat für die wirtschaftlichen Entwicklungen, die wir in Berlin in Zukunft haben können.
Der Senat ist am 17. Januar in einem Gespräch mit dem Vorstand der Deutschen Bahn über Umplanungen und Streckungsüberlegungen informiert worden. Anlass für diese Überlegungen sind erhebliche Verteuerungen der Investitionen im Tiergartentunnel sowie auf der ICE-Neubaustrecke Köln-Frankfurt. Das hat also nichts mit dem Konzept in Berlin zu tun, sondern es hat mit der Unfähigkeit der handelnden Organisationen und Personen beim Knoten zu tun.
Es gehört nun einmal zur neuen betriebswirtschaftlichen Philosophie der Bahn, nur noch das zu bestellen, was auch bezahlt werden kann. Deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe eingesetzt, bestehend aus der Verkehrsverwaltung, der Bahn und dem Bundesverkehrsministerium. In dieser Arbeitsgruppe soll ausgearbeitet werden, welche Auswirkungen eventuelle Verschiebungen oder auch die Aufgabe einzelner Projekte auf den Zugverkehr von und nach Berlin haben könnten. Wir erwarten erste Ergebnisse Mitte nächsten Monats. Die Bahn hat nach den Presseberichten noch einmal in einer eigenen Stellungnahme deutlich gemacht, dass keine Entscheidungen – außer über den Lehrter Bahnhof – getroffen worden sind, dass es aber Prüfungen gibt. Der Senat geht davon aus, dass Entscheidungen der Bahn erst dann fallen, wenn sie mit dem Land Berlin bis zu Ende diskutiert sind und gemeinsam vertreten werden können.
Ich will auch darauf hinweisen, dass wir im Gespräch mit der Bahn und dem Bundeskabinett darauf hingewiesen haben, dass nach unserer Auffassung Planungen und Projektentwicklungen der Deutschen Bahn immer noch zu sehr von der alten westdeutschen Sicht geprägt sind. Es fehlt uns ein deutliches Engagement zur neuen geographischen Situation des vereinigten Deutschlands. Es gehört auch zur Akzeptanz von Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz, bessere Zugverbindungen zu haben und einen Knoten in Berlin insbesondere im Personenverkehr einzurichten.
Wir wissen, dass der Neubau von Strecken und die Planung von Streckenbelebungen zeitintensiv sind. Die Bahnplanungen für Berlin sind aber von entscheidender Bedeutung für die künftige Entwicklung der Stadt, nicht nur in verkehrlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Die Bahnprojekte sind für diese Stadt auch wesentliche städtebauliche Bezugspunkte von großer Bedeutung. Deshalb geht es nicht so einfach an, zu sagen, man müsse über den Lehrter Bahnhof nicht weiter nachdenken, es seien nur Bürogebäude. Der gesamte Eingangsbereich zum Regierungsviertel, der gesamte städtebauliche Entwurf lebt von den Bügelbauten des Lehrter Bahnhofs. Wenn diese Bügelbauten nicht kommen und es kommen nur überdachte Bahnsteige, wird von dieser Region kein weiterer Impuls für wirtschaftliche Entwicklung ausgehen. Das ist ein Problem. Aber möglicherweise müssen wir das in einer Prioritätendiskussion durchaus hinnehmen. Zu sagen, es sei überhaupt kein Problem, weil hier nur die Verkehrspolitiker reden, schiene mir zu kurz gegriffen.
Vergleichbar gilt das für die Papestraße. Der Senat hatte immer gehofft, dass für die Bezirke Schöneberg und Tempelhof große Impulse von diesem Bahnhof ausgehen. Dieser Bahnhof sollte nicht nur ein großer Parkplatz werden, sondern er ist wichtig als eine Relation zwischen Regional- und Fernverkehr. Er ist ein Umsteigepunkt. Deswegen muss er als Bahnhof erhalten werden. Wir hätten uns gewünscht, es wäre möglich, dort ein großes Gebäude, einen großen Bahnhof, der auch eine örtliche Verbindung zwischen Schöneberg und Tempelhof herstellt, zu schaffen, Parkplätze für das Park-and-ride-System, aber verbunden mit Dienstleistungs-, Gewerbe- und Einzelhandelsansiedlungen. Wenn wir nach der Priorität gefragt werden, dann sagen wir: Wichtig ist uns die Funktionsfähigkeit des Pilzkonzepts. Deswegen muss der Haltepunkt Papestraße jetzt gebaut werden. Ob die stadtentwicklungspolitischen Impulse jetzt kommen können, ist eine Frage der Investitionsbereitschaft. Es ist auch nicht in erster Linie Aufgabe der Bahn, große Gebäude zu errichten und Einzelhandelskonzentrationen zu schaffen. Wenn es andere gibt, die glauben, an dieser Stelle sei eine solche Einzelhandelskonzentration zu vermarkten und zu finanzieren, wenn es andere gibt, die sagen, auch mit einem großen Parkhaus kann man Geld an dieser Stelle verdienen, dann werden diese Investitionen eben von anderen getätigt werden können. Das gilt auch für die Bügelbauten am Lehrter Bahnhof.
Ich glaube, die härteste Entscheidung der Bahn wäre, wenn auf den Bau der Dresdner Bahn verzichtet werden würde. Die Dresdner Bahn ist ein entscheidender Bestandteil des Pilzkonzepts. Die Dresdner Bahn ist – wie ausgeführt worden ist – vor allem auch eine notwendige Verbindung für den zu schaffenden internationalen Flughafen Berlin-Brandenburg. Die schnelle, kundenfreundliche und serviceorientierte Erreichbarkeit des neuen Flughafens Berlin Brandenburg International ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Akzeptanz dieses Flughafens. Abgeleitet aus der Akzeptanz und der wirtschaftlichen Kraft dieses Flughafens wird sich ergeben, ob er denn zu dieser Beschäftigungsmaschine wird, die wir uns alle vorstellen, die wir uns erhoffen.
Es ist gegenwärtig vorgesehen, über die Dresdner Bahn vom Lehrter Bahnhof nach Schönefeld in 19 Minuten zu kommen. Natürlich sind diese 19 Minuten etwas, das deutlich macht, dass das nicht ein Flughafen jwd ist, sondern das ist ein Flughafen mit einer hervorragenden innerstädtischen Lage. Ich betone zum wiederholten Male: Dieser Flughafen liegt näher an der Mitte Berlins, als der Flughafen Köln-Bonn an Bonn liegt –, auch wenn es in die Köpfe nicht hinein will. Je länger diese Strecke wird, desto größer wird die psychologische Barriere sein, anzuerkennen, dass es sich um einen Berliner stadtnahen und deshalb bequem erreichbaren Flughafen handelt. Die Idee, über die Anhalter Bahn zu fahren, würde die Fahrzeit auf 27 Minuten verlängern. Es ist dabei aber völlig unklar, ob die Anhalter Bahn diesen zusätzlichen Verkehr verkraften und zu welchen Taktzeiten das dann führen könnte und ob es notwendig wäre, die Anhalter Bahn noch weiter auszubauen.
Nun weiß ich, meine Damen und Herren Abgeordnete, dass einige von Ihnen ihre Wahlkreise entweder an der Dresdner
Bahn oder an der Anhalter Bahn haben und deswegen mit einer besonderen Sicht auf die Dinge argumentieren.
Ich glaube nicht, dass es selbst für Wahlkreisabgeordnete verantwortbar ist, zu sagen: „Dann wird eben auf die Dresdner Bahn verzichtet, und wir fahren über die Stadtbahn in 35 Minuten zum Flughafen.“ – Das halte ich für unverantwortlich.
Es geschieht nur, weil man einem Konflikt an einer bestimmten Stelle aus dem Weg gehen will. Gesamtpolitik muss im Gesamtinteresse gemacht werden.
Im Übrigen verweise ich darauf, dass die Flughafenanbindung von Lehrter Bahnhof über Papestraße nach Schönefeld in den Ausschreibungsunterlagen für den Flughafen BBI enthalten ist, und auch im Konsensbeschluss über die Schaffung des Flughafens in Schönefeld wird der Flughafenexpress auf der Strecke Lehrter Bahnhof, Bahnhof Papestraße und Flughafen Schönefeld erwähnt. In unseren bisherigen Gesprächen haben die Vertreter des Bundesverkehrsministeriums deutlich gemacht, dass sie der Anbindung des BBI über die Dresdner Bahn eine hohe Priorität einräumen.
Ich komme damit zum Bereich des Ostkreuzes: Dieser Bahnhof ist für die Abwicklung eines reibungslosen und den Bedürfnissen der Stadt Berlin entsprechenden Nahverkehrs absolut notwendig. Er muss funktionsfähig sein und ist ohne Zweifel seit Jahrzehnten sanierungs- und modernisierungsbedürftig. Alle baulichen Unterhaltungsrückstände, die in der Zeit der Deutschen Reichsbahn bis 1989 im Bahnsystem insgesamt eingetreten sind, kumulieren am Bahnhof Ostkreuz. Viele Anlagenteile sind baufällig und sanierungsbedürftig, Brücken und Bahnsteigdächer sind nur noch durch kontinuierliche Instandhaltungsarbeiten nutzbar zu halten. Seit 1995 hat die DB AG Projekt Knoten Berlin den Auftrag, die Planung für den Bahnhof Ostkreuz durchzuführen. Die von dort genannten Termine zur Einleitung des erforderlichen Planfeststellungsverfahrens wurden wiederholt verschoben. Als letzter Termin wurde der Sommer 2000 genannt. Jedenfalls muss im Rahmen einer Prioritätenabwägung und eines Gespräches mit der Bahn sichergestellt sein, dass der Bahnhof Ostkreuz voll funktionsfähig ist – dass er also nicht in einzelnen Teilen wegen Baufälligkeit gesperrt werden muss, sondern dass dieses Herzstück des Berliner Bahnsystems tatsächlich seine Funktion wahrnehmen kann.
Es kommt auch am Ostkreuz noch ein Stück mehr hinzu: Die Bahnprojekte sind strukturbildend für Berlin.
Ich habe das schon am Beispiel des Lehrter Bahnhofs ausgeführt, und ich habe das auch in Bezug auf die Papestraße begründet. Beim Ostkreuz verhält es sich nichts anders: Das Entwicklungsgebiet Rummelsburger Bucht ist ursächlich im Zusammenhang mit dem Neubau des Bahnhofs Ostkreuz entstanden. Der Bahnhof Ostkreuz ist konzipiert als die Eingangspforte zu diesem schönen Stadtentwicklungsgebiet, so dass auch die Aufwertung dieses gesamten Stadtquartiers notwendig von diesem Bahnhof Ostkreuz lebt.
Darüber hinaus gibt es am Bahnhof Ostkreuz noch ein Problem, nämlich die Verknüpfung von Straßenbahn und Eisenbahn. 200 Meter entfernt vom Bahnhof Ostkreuz endet in einer Querstraße die Straßenbahn. Auch deshalb ist der Umbau dieses Bahnhofs notwendig, um nämlich die Anbindung dieser Regionalverkehre zu ermöglichen. Aber selbst wenn eine solche Anbindung um ein paar Jahre verschoben werden muss, wird man damit noch leben können, weil dies nicht das Gesamtsystem zum Zusammenbruch bringt. Es muss aber in jedem Fall garantiert sein, dass der Bahnhof selbst so funktionsfähig ist, dass die Verkehre über ihn abgewickelt werden können, ohne dass es für die Funktionsfähigkeit oder gar für die Menschen dort Gefährdungen gibt.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Entwicklung Berlins als Metropole im Herzen Europas, als Sitz der Regierung und als Bundeshauptstadt Fragen der Erreichbarkeit und der Anbindung an den europäischen Schienenverkehr aus ökonomischer, ökologischer und stadtentwicklungspolitischer Sicht von immenser Bedeutung erscheinen lässt. Aus diesem Grund können eventuelle Entscheidungen der Deutschen Bahn, die zu einer Beeinträchtigung des Zugverkehrs von und nach Berlin führen, nicht mitgetragen werden. Dass neben diesen, von uns als unverzichtbar dargestellten Positionen aber zeitliche Verschiebungen und Streckungen von Bauvorhaben, die nicht unmittelbar mit Verkehrsanforderungen verbunden sind, diskutierbar und verhandelbar sind, möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen.
Nach der inzwischen deutlich anders als noch vor 10 Jahren prognostizierten Verkehrs-, Bevölkerungs- und Stadtentwicklung müssen auch in Berlin einige Projekte neu bedacht, bewertet und entsprechend überprüft werden. Der Büroflächenmarkt, aber auch der Wohnungsmarkt haben sich anders entwickelt. Bestimmte erwartete Entwicklungen treten verzögert ein. Dem kann und muss Rechnung getragen werden. Entscheidend bleibt jedoch, dass die optimale Anbindung des Flughafens Berlin International gesichert bleibt
und der Lehrter Bahnhof mit dem an ihn unmittelbar anbindenden Tunnel, der Bahnhof Papestraße als wichtiger Bestandteil des Pilzkonzepts und der Bahnhof Ostkreuz als Träger von unverzichtbaren Verkehrsaufgaben funktionieren.
Einige der hier ursprünglich parallel geplanten städtebaulichen Entwicklungen lassen sich zeitlich neu einordnen und in ihrer Bedeutung differenziert bewerten. Hier geht es nicht um Verzicht, sondern um eine neue und realistische Einschätzung der Lage, und es geht auch darum, ein traditionsreiches Unternehmen wie die Deutsche Bahn in ihrem so wichtigen Gesundungsprozess zu unterstützen. Dies ist auch eine Hilfe für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Deutschen Bahn, die in diesen Tagen ebenfalls schon erklärt haben, dass sie zum Gesundungsprozess der Deutschen Bahn ihren Beitrag leisten.
Ich rate uns dazu, ohne Hektik und ohne Aufgeregtheit mit der Deutschen Bahn das Gespräch zu suchen und deutlich zu machen, dass wir ihre Probleme verstanden haben. Wir sind Freunde, und unter Freunden kann man sich auch Wahrheiten sagen. [Beifall bei der SPD]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, nach der ersten Rederunde muss einiges klargestellt werden, damit keine Missverständnisse im Raum bleiben. Frau Matuschek, Sie haben den Eindruck zu erwecken versucht, das Pilzkonzept sei der Bahn aufgedrängt worden.
[Frau Matuschek (PDS): Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt: Berlin hatte eine Rolle dabei!]