Bei der Anzahl der Aussiedler, die Sie benennen, gehen Sie lediglich von der Zahl aus, die über das Länderkontingent nach
Berlin gekommen ist. Hinsichtlich der Problemlagen und den angefragten Integrationskonzepten und Modellen ist die Anzahl derer, um die es geht, wesentlich größer. Sie verweisen sicherlich zu Recht darauf, dass die Aussiedler rechtlich der einheimischen Bevölkerung gleichgestellt sind. Aber die Anzahl als auch die rechtliche Stellung ist in der gesamten Bevölkerung wesentlich differenzierter zu betrachten. Davon ausgehend, bezeichnen Sie in der Antwort zu unserer Großen Anfrage die Eingliederungsinstrumentarien als gut und ausreichend. Sie begrüßen die Bemühungen der Bundesregierung und wollen selbstverständlich alle Änderung für eine wirkungsvolle Eingliederung sorgfältig prüfen und betonen letztendlich damit: Es gibt aus Ihrer Sicht keine Integrationsdefizite und eigentlich keinen Handlungsbedarf.
Nach unserer Auffassung legt die vorgelegte Antwort des Senats nur folgenden Schluss zu: Das Land Berlin verfügt über keine wirkliche, der Situation angemessene Idee und kein Konzept für eine Aussiedlerintegration in dieser Stadt.
Das heißt vor allem: Berlin hat keine Ideen und keine konkreten Vorschläge, nicht einmal eine Analyse eines tatsächlichen Integrationsbedarfs, die Grundlagen einer zielgerichteten Verwendung der zahlreichen Mittel der EU, des Bundes und des Landes sein könnten. Die Förderung von freien Trägern, die Hilfsangebote für Spätaussiedler anbieten, ist bei der Förderpraxis dieses Landes nicht an den Problemen dieser Bevölkerungsgruppe orientiert, sondern an den Finanztöpfen, die diese Förderungsgruppe offensichtlich für viele eröffnet hat.
Es macht keinen Sinn, die Augen vor dieser Realität zu verschließen. Auch das russische Sprichwort „wsjo budjet“ – für die, die kein Russisch in der Schule hatten: das heißt: „Alles wird gut!“ – wird an dieser Stelle nicht helfen. Die Neubürger sind mit einer großen Erwartungshaltung nach Berlin gekommen. Es gibt unter ihnen einen Deutschlandmythos, den man beachten muss.
Ich dachte wie viele andere, Deutschland ist ein Märchenland. Im Fernsehen habe ich eine Sendung gesehen über neue Technologien in Deutschland, ein Wundertopf, der alleine kochen, braten und backen konnte.
Das Erste, was wir in Deutschland getan haben: Wir sind zum Arbeitsamt gegangen und haben gesagt, dass egal wir unbedingt arbeiten möchten. Man hat uns angelächelt.
Sehr geehrte Damen und Herren! Bei der Durchsetzung und Verwirklichung der Gleichbehandlung und tatsächlichen Integration von Spätausssiedlerinnen und Spätaussiedlern und deren Angehörigen in unserer Gemeinschaft geht es aus unserer Sicht nicht allein um die Herstellung eines rechtlichen Zustandes samt Fördermöglichkeiten, sondern in erster Linie um die beidseitige Sichtweise der jeweiligen, um die es geht. Diese Integration in Berlin verläuft problematisch. Sie verläuft nicht nach dem Plan der Bundesregierung und auch des Berliner Senats. Die wesentlichen Knackpunkte sind:
−eine hohe Arbeitslosigkeit unter den Neubürgern durch nicht vorhandene Anerkennung ihrer Qualifikation,
In der Erwartung, in den folgenden Ausführungen, die der Senat zu dieser Großen Anfrage noch machen wird, etwas konkreter die konzeptionellen Vorstellungen, Überlegungen des Senats kennenzulernen, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. – Danke schön!
Danke schön, Frau Kollegin! – Für den Senat hat nunmehr Frau Senatorin Schöttler zur Ergänzung der schriftlichen Beantwortung das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Antwort auf die Große Anfrage wurde in der letzten Sitzung verteilt. Die Beantwortung liegt Ihnen schriftlich vor, und wir antworten auf die Fragen, die Sie stellen. Sie haben ausdrücklich die Fragen nach Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern gestellt. Wir haben, wie Sie richtig sagen, in den letzten 10 Jahren mehr als 30 000 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler aufgenommen, und fast alle sind aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zugewandert. Diese Menschen – auch da haben Sie Recht, Frau Schulze – sind mit großen Erwartungen und Vertrauen auf eine freundliche Aufnahme zu uns gekommen, denn Deutschland war die Heimat ihrer Vorfahren. Sie haben mit ihren Familien in einem fremden Land, einer anderen Gesellschaft gelebt und sich jetzt zur Rückkehr entschlossen, weil sie mit Leistungsbereitschaft und Arbeitswillen und hohen Erwartungen für sich und ihre Kinder einen Neuanfang wollen. Ich bitte alle Berlinerinnen und Berliner, dass wir diese Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen wie alle Neuberlinerinnen und Neuberliner freundlich und hilfsbereit in unserer Stadt aufnehmen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, denn – auch da haben Sie Recht, Frau Schulze – Integration kann man nicht verordnen.
Im Folgenden fasse ich die wesentlichen Aussagen meiner Antwort auf die Große Anfrage zusammen, so dass die Eckpunkte unseres Konzeptes deutlich werden.
Wir können als Grundlinie festhalten, dass Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen zu allen Förderungen, Aktitiväten und Programmen Zugang haben, die in Berlin zur Verbesserung der Lebenssituation angeboten werden. Die breit gefächerte Beratung, die von bewährten Trägern angeboten wird, erschließt den Spätaussiedlern und Spätaussiedlerinnen all diese Möglichkeiten. Beispielhaft verweise ich hierbei auf die berufliche Integration, die für alle Zielgruppen gleichermaßen angeboten wird. Integration gelingt nach Auffassung des Senats am besten, wenn im Alltag und in den Maßnahmen ein Kontakt mit den verschiedenartigen Menschen, die in Berlin leben, stattfindet. Die Große Anfrage und auch manche Anträge und auch Ihr Redebeitrag zu dem Thema lassen die Tendenz erkennen, dass am programmatischen Aufwand über die Qualität von Politik und das Gelingen von Integration entschieden werden soll. Unser Konzept setzt einen anderen Schwerpunkt. Plakativ gesagt: Wir müssen so viel staatliche Unterstützung geben wie nötig, doch unsere wichtigsten Aktivposten sind die Menschen. Wir brauchen Integrationsbereitschaft bei den Zuwandernden und Aufnahmebereitschaft sowie gute nachbarschaftliche Unterstützung durch die Berlinerinnen und Berliner, und beides fördern wir.
Wir wissen alle, dass die Beherrschung der deutschen Sprache ein Türöffner für das Leben in dieser Gesellschaft ist. Deswegen steht die Verbesserung der Sprachkompetenz im Mittelpunkt der Integrationsbemühungen. Ich habe bei der Beantwortung der Großen Anfrage im Einzelnen dargelegt, wie breit gefächert die Angebote zur sprachlichen Integration angelegt sind. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang die gute und wirkungsvolle Arbeit des Bezirksamtes Tiergarten von Berlin, das als verantwortliche Durchführungsbehörde für den Garantiefonds eine hohe Qualität in der Sprachförderung für unser Bundesland erreicht hat. Integration findet zuerst im Wohnumfeld und am Arbeitsplatz statt. Hier leisten die Bezirke bei der
Betreuung und Eingliederung beispielhaft gute Arbeit. Sie ermöglichen, dass die Programme des Senats, der Bundesregierung und der Europäischen Union vor Ort mit Leben erfüllt werden und den einzelnen Menschen Nutzen bringen.
Lassen Sie mich abschließend – denn Sie haben auch die schriftliche Antwort vorliegen – noch einmal grundsätzlich werden: Integration ist keine Einbahnstraße. Es gibt nicht nur eine Bringeschuld an die Integrationsbereitschaft der Zuwandernden, sondern gefordert ist auch die Bereitschaft von uns allen, die Aussiedler und Aussiedlerinnen in unserer Gesellschaft aufzunehmen. Es darf keine, wie Sie es beschrieben haben, Pöbeleien, Schlägereien oder Ausgrenzungen geben, die den Neuberlinerinnen und Neuberlinern Angst machen und ihnen eine selbständige Lebensführung erschweren. Im Gegenteil, sie brauchen – wie wir alle – freundliche Nachbarschaften und Kollegen in der Ausbildung und am Arbeitsplatz, die sie unterstützen.
Ich möchte mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zum Abschluss aus der Berliner Rede des Herrn Bundespräsidenten zitieren:
Integration kommt nicht von allein. Man muss etwas dafür tun. Das ist oft anstrengend. Wir dürfen diese neue Anstrengung nicht missverstehen als einen mildtätigen Akt, mit dem wir Ausländern
einen Gefallen tun. Wenn wir etwas für bessere Integration tun, dann tun wir das nicht nur aus Mitmenschlichkeit oder christlicher Nächstenliebe, sondern in unserem aufgeklärten Eigeninteresse.
Ich hoffe, dass die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, die nach Berlin kommen, sich in unserer Stadt gut und freundlich angenommen fühlen. Der Senat wird das seinige dafür tun.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, dass fast alle in diesem Raum der Meinung sind, dass wir in diesem Bereich überhaupt keine Probleme haben.
Die von Frau Schöttler vorgetragene Rede, die man als Sonntagsrede bezeichnen kann, schummelt sich an der tatsächlichen Situation vorbei. Frau Schöttler, die Realität ist eine andere. Die Realität in Marzahn, Lichtenberg, Hohenschönhausen und anderen östlichen Bezirken ist in der Tat eine andere. Das, was Sie wünschen, ist nicht Realität. Ihre Wünsche können wir nur unterstützen, aber das, was Sie dort vorfinden, ist inzwischen etwas anderes. Ihre Integrationswünsche und Ihre Integrationskonzepte sind dort nicht aufgegangen. Das muss man in dieser Stadt zur Kenntnis nehmen, analysieren und vor allem konzeptionell so bearbeiten, dass daraus ein Konzept wird, das sich an den tatsächlichen Problemen dieser Menschen orientiert, die nach Berlin gekommen sind.
Was meinen wir damit konkret? – Wir können nicht davon ausgehen, dass die Aussiedlerinnen und Aussiedler und deren Familienangehörige, die nach Berlin kommen, qua Pass sofort Deutsche sind. Sie erleben den deutschen Alltag völlig anders. Sie sind nach dem Verständnis ihrer eigenen Mitbürger, die um sie herum wohnen, eben keine Deutschen, sondern sie werden als Russen wahrgenommen und haben zunehmend die Probleme von Migrantinnen und Migranten anderer Nationalitäten in dieser Stadt. Ein Integrationskonzept muss dem Rechnung tragen.
Eingliederungshilfen – gemessen an den offiziellen Zuzugszahlen, die ständig reduziert werden, wodurch auch der finanzielle Anteil an diesen Förderungsmöglichkeiten reduziert wird –
orientieren sich nicht an der Situation, die momentan gegeben ist. Die nachgezogenen Familienangehörigen und die nicht anerkannten Spätaussiedler bleiben bei diesen Fördertöpfen außen vor. Gemessen an den realen Zahlen, sind es vor allem die Jugendlichen, die dabei außen vor bleiben und die Integrationsprobleme hautnah erleben, und auch die, die mit diesen Kindern und Jugendlichen arbeiten. Zunehmende sprachliche Defizite von Aussiedlerinnen und Aussiedlern und vor allem von deren mit eingereisten Familienangehörigen führen zu unüberwindbaren Hürden. Das haben Sie selbst beschrieben. Aber Sie lassen es zu – oder heben es auf die Bundesebene –, dass die Möglichkeiten der Sprachausbildung und Sprachausübung ständig reduziert werden. Frau Schöttler, hier müssen Sie aktiv werden! Hier können Sie nicht darauf warten, dass sich dieses Problem von allein löst, sonst werden Sie nach den Innenstadtkonferenzen irgendwann einmal „Außenstadtkonferenzen“ durchführen müssen, um sich dieser Problemlage konkret anzunehmen. Die Volkshochschulen am Rande der Stadt können das Problem auch nicht lösen. Sie wollen – so schreiben Sie in Ihrer Antwort – einen situationsbedingten Integrationsansatz erarbeiten. Toll! Das finden wir richtig, und das unterstützen wir auch. Aber trotzdem müssen wir Sie fragen, was Sie darunter eigentlich verstehen. Tragen Sie der Tatsache Rechnung, dass es regionale Konzentrationsgebiete gibt, wo diese Menschen wohnen? Wollen Sie Kooperationsund Netzwerkstrukturen initiieren, die sich nicht nur auf eine Beratung mit der Senatsverwaltung konzentrieren? – Sie schreiben in Ihrer Antwort, dass Sie dort angefangen haben. Spricht man mit den Initiativen und den Leuten vor Ort, so hört man, es habe eine Beratung stattgefunden und mehr nicht. Das ist lobenswert, gehen Sie auf diesem Weg weiter, aber beeilen Sie sich, damit Sie nicht von den Problemen eingeholt werden! Was unternehmen Sie, um eine regionale Planung vor Ort überhaupt initiieren zu können? Welche Netzwerkstrukturen schweben Ihnen vor? Welche Förderprogramme wollen Sie miteinander vernetzen, um die Menschen dort zu erreichen? Die Beratungs- und Betreuungsangebote sind von Ihnen hoch gelobt worden, wir halten Sie für wichtig und richtig, aber die Realität in diesen Angeboten sieht so aus wie in fast allen Bereichen der sozialen Arbeit: Sie werden fast ausschließlich über ABM und SAM finanziert. Die Menschen, die dort Arbeit finden, sind froh darüber, aber die Qualität der Arbeit, die dort geleistet werden müsste, die konkrete Integrationshilfe von Menschen, die auch etwas von Integrationsarbeit verstehen, kann eigentlich nicht durchgeführt werden. Die Träger, die das anbieten, leiden unter ständiger Existenzunsicherheit, die stabilen Strukturen, die vor Ort entstehen sollten – Ihre so genannten Netzwerke –, können sich gar nicht etablieren. Und die Vorbehalte und Ressentiments diesen Menschen gegenüber wachsen in der Bevölkerung. Nehmen Sie bitte auch das zur Kenntnis! Stabilisieren und Qualifizieren Sie die Grundausstattung dieser Beratungsangebote, damit sie wirklich die Menschen beraten und ihnen Hilfe anbieten können! [Beifall bei der PDS] Sie haben die Integrationschancen von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern auf dem Arbeitsmarkt als etwas sehr Positives hervorgehoben. Es gibt zahlreiche Projekte im Land Berlin, in denen Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler und zum Teil auch deren Angehörige – diese allerdings etwas weniger – die Möglichkeit erhalten, sich berufsorientiert ausbilden zu lassen. Aber was macht es für einen Sinn, wenn sich bei 77 Projekten, die Sie angeboten haben, die Mehrheit in Altenpflege und Bürokommunikation ausbildet? Haben Sie einmal überprüft, was bei diesen 77 Projekten herausgekommen ist? Wie viele dieser Menschen haben überhaupt eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt erhalten? Wo ist der Integrationserfolg, den Sie mit diesen Projekten initiieren wollten? – Sie sollten an dieser Stelle etwas mehr Realitätssinn für diese Probleme entwickeln und vor allem darüber nachdenken, welche arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien der Qualifikation, dem Qualifikationsniveau und auch den persönlichen Möglichkeiten dieser Menschen, die hierher gekommen sind, Rechnung tragen! [Beifall bei der PDS]
Lassen Sie mich ein Letztes hinzufügen: Als PDS sind wir der Meinung – sicherlich auch bedingt durch unseren direkten Zugang und unsere persönliche Wahrnehmung in den Bezirken, die ich genannt habe –, dass die Kenntnisse über die Geschichte und die Gründe der Einwanderung von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern und deren Angehörigen zu wenig bekannt sind. Man beschäftigt sich weder in der Schule noch auf kommunaler oder Landesebene mit den tatsächlichen Gründen. Man erwägt das Für und Wider nicht und baut damit ein Stück realitätsferne Wahrnehmung der eigentlichen Gründe auf, die diese Menschen nach Deutschland gebracht haben. Hier haben wir gemeinsam die Aufgabe, Aufklärungsarbeit darüber zu leisten, warum diese Leute gekommen sind. Das sind wir ihnen schuldig. Wir haben sie gemeinsam hier willkommen geheißen. – Danke schön, Frau Schöttler!