Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Gaebler, bitte sehr!

[Dr. Steffel (CDU): Rot-Rot sag’ ich nur!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte macht mich etwas ratlos, sowohl in ihrer beständigen Wiederholung als auch in dem alten Denken, das darin zum Ausdruck kommt. Das zeigt jedenfalls die Verbissenheit der Dis

kussion. Auf der einen Seite die Angst vor dem Gespenst der autofreien Stadt; meine Damen und Herren von der CDU, ich glaube, Sie haben ein bisschen Zweifel an ihrer eigenen Position und glauben, dass die Berlinerinnen und Berliner vielleicht doch auf den Geschmack kommen könnten, wenn man ihnen nahelegt, weniger Auto zu fahren. Dann war Ihre ganze Politik, die Sie in den letzten Jahren zu machen versucht haben, vergeblich.

[Frau Merkel (SPD): Hat man ja bei der Lkw-Demo gesehen!]

Auf der anderen Seite aber Bündnis 90/Die Grünen und im Schlepptau jetzt besonders lautstark die PDS: die fürchten offensichtlich mangelndes Interesse in der Bevölkerung und wollen deshalb durch ordnungsbehördlichen Zwang die Fahrverbote durchsetzen.

[Cramer (Grüne): Deshalb seid ihr für sowohl – als auch!]

Herr Cramer, vielleicht ist das ja der erste Punkt, über den sich der CDU-Generalsekretär Ingo Schmitt und Ihr Fraktionskollege Müller-Schoenau unterhalten können. Das wäre mal ein erstes schwarz-grünes Projekt, das an der Stelle zu einer vernünftigen Verständigung kommt. Wir würden uns jedenfalls darüber freuen, weil aus unserer Sicht diese Diskussion, wie sie hier geführt wird, niemanden weiter bringt – weder die Stadt, noch die Bürger, noch die Umwelt.

[Beifall bei der SPD – Frau Dr. Klotz (Grüne): Jetzt kommt der vorwärtsweisende Aspekt!]

Aus Sicht der SPD sollten wir uns wirklich mehr einfallen lassen als Verbotsschilder, die vor jedem Gericht scheitern würden. Ich darf auch mal Ihre ehemalige Fraktionsvorsitzende, Frau Künast, sinngemäß zitieren,

[Kriebel (SPD): Die war sehr weitsichtig!]

die gesagt hat: „Wir müssen endlich aufhören, Menschen durch Verbote ändern zu wollen.“

[Beifall bei der SPD – Frau Merkel (SPD): Sehr richtig!]

Offensichtlich, Herr Cramer, haben Sie wegen Ihrer kleiner werdenden Wählerschaft Angst davor, dass Sie nicht genug Leute mobilisieren können, um dann tatsächlich Straßen auch anders zu nutzen. Das ist nämlich das, was wir anstreben und was auch Senator Strieder die letzten beiden autofreien Sonntage praktiziert hat. Viele Initiativen, viele Aktivitäten, die Menschen auf die Straße bringen, aber nicht durch Verbote, sondern durch Angebote, durch Feste dort wirklich das erlebbar zu machen. Ich glaube, das ist der richtige Weg, und den werden wir auch weiter fortschreiben.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die beste Möglichkeit – da hat Herr Over natürlich Recht – wäre es, regelmäßige Lkw-Demos abzuhalten, weil, wie Sie sehen, die offensichtlich den größten Effekt auf den Umsteigewillen der Bevölkerung haben. Aber das ist vielleicht etwas aufwendig.

Im Übrigen darf ich Ihnen mal sagen, an diesem europaweiten autofreien Tag, dem 22. September, als ich abends nach Hause kam, habe ich die Nachrichten gehört, Inforadio, ein seriöser Sender, da wurde gesagt: Der Aufruf zu einem autofreien Tag ist europaweit auf wenig Widerhall gestoßen. Es waren keine Veränderungen im Verkehrsaufkommen zu spüren. – Da sage ich Ihnen: Wo ist da eigentlich der große Erfolg gewesen? – Ich glaube nicht, dass wir so weiterkommen, sondern wir müssen wirklich versuchen, Stadtraum anders zu nutzen, aber mit entsprechenden Aktivitäten.

[Beifall der Frau Abg. Merkel (SPD)]

In diesem Sinne halten wir gar nichts davon, irgendwelche Beschlüsse als Monstranz vor sich her zu tragen, und anschließend passiert nichts. Das scheint aber Ihre Politik zu sein. Wie Sie sehen, reden wir nicht endlos über die Sachen, sondern wir handeln. Senator Strieder hat das bereits umgesetzt. Und der

Antrag, der Ihnen hier vorliegt in der jetzt geänderten Form, mit Einsteigen und Umsteigen fördern – ich weiß nicht, was Sie dagegen haben.

[Over (PDS): Steht ja nichts drin!]

Es steht ausdrücklich drin: „Im Zusammenhang mit europäischen Initiativen begrüßt das Abgeordnetenhaus den freiwilligen Verzicht auf die Nutzung der Kraftfahrzeuge.“ Ich sage mal, das ist vielleicht ein kleiner Schritt für einen Grünen, aber ein großer Schritt für die CDU-Fraktion. Insofern sind wir sehr froh, dass sie sich darauf eingelassen hat. Wir werden im nächsten Jahr sicherlich dann tatsächlich auf die Zahl von vier autofreien Sonntagen kommen. Wir wollen die Mehrheit der Bevölkerung, die nicht Auto fährt, tatsächlich mobilisieren, Mut machen zu Straßenfesten, Veranstaltungen, Initiativen. In diesem Sinne fordern wir alle zum Mitmachen auf: Autofrei und Spaß dabei, aber ohne sauertöpfische Verbotsdiskussion.

[Beifall bei der SPD]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse dann abstimmen über die Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zum Antrag Drucksache 14/220 empfehlen die Ausschüsse die Ablehnung. Wer dem Antrag Drucksache 14/220 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! – Die Gegenstimmen! – Stimmenthaltungen? – Dann ist der Antrag abgelehnt.

Zum Antrag Drucksache 14/268 empfiehlt der Ausschuss eine neue Fassung mit neuer Überschrift gemäß Drucksache 14/704. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das erste war die Mehrheit. Dann ist das so beschlossen.

Die lfd. Nr. 9 ist durch die Konsensliste erledigt.

Lfd. Nr. 9 A, Drucksache 14/722:

Beschlussempfehlung des Hauptausschusses zur Vorlage – zur Beschlussfassung – gemäß § 38 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin (Nr. 12/2000 des Verzeichnisses über Vermögensgeschäfte)

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Der Hauptausschuss empfiehlt einstimmig bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen die Annahme dieses Vermögensgeschäftes. Beratung wird nicht gewünscht, so dass wir abstimmen können. Wer gemäß Drucksache 14/722 so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Die Gegenstimmen! – Stimmenthaltungen? – Bei Enthaltungen der Opposition ist das Vermögensgeschäft beschlossen.

Die lfd. Nr. 10 haben wir mit der Aktuellen Stunde besprochen.

Wir sind dann bei der

lfd. Nr. 11, Drucksache 14/707:

Antrag der Fraktion der Grünen über humanes Wohnrecht für Flüchtlinge

Hier ist eine Beratung von 5 Minuten vorgesehen. Widerspruch erhebt sich nicht, dann können wir so verfahren. Es gibt auch Wortmeldungen. Für die Fraktion der Grünen hat das Wort der Abgeordnete Berger, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der unmittelbar vorangehende Tagesordnungspunkt heißt, Sie erinnern sich, „Maßnahmen und Konzepte gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Berlin“. Wir haben über diesen Punkt im Rahmen der Aktuellen Stunde gesprochen. Ich möchte trotzdem an diesen Punkt anknüpfen und hier für unsere Fraktion deutlich sagen: Wer, und das ist gut so, wie unser Abgeordnetenhaus über Rassismus und ethnische Diskriminierung redet

und diskutiert in unserer Stadt, der darf auch den staatlichen Umgang mit Asylbewerberinnen und Flüchtlingen in dieser Stadt nicht schweigend übergehen. Am Beispiel des Sozialhilfesystems, um das es heute geht, läßt sich das verdeutlichen. Hier haben wir es mit einer ganz krassen Diskriminierung und Ausgrenzung von Flüchtlingen zu tun. Das Asylbewerberleistungsgesetz des Bundes von 1997 schafft zwei Kategorien von Menschen. Es erniedrigt und entwürdigt Menschen, die durch die Sozialhilfe allein schon in Armut leben, noch einmal. Wer Sozialhilfe bezieht, lebt bekanntlich unter der Armutsgrenze, erhält vom Staat nur das Existenzminimum. Gezielt unter das Existenzminimum werden aber durch das Asylbewerberleistungsgesetz Asylsuchende und Flüchtlinge gedrückt. Ihre ohnehin kärglichen Sozialhilfesätze werden drei Jahre lang noch einmal abgesenkt. Sie haben im Unterschied zu Sozialhilfeempfängern nicht einmal die Möglichkeit, ihre Situation durch Arbeit zu verbessern, denn für sie gilt auch weiterhin – hoffentlich bald zeitlich beschränkt – ein Arbeitsverbot. Sie haben es in dieser Stadt als nichtprivilegierte Arbeitnehmer besonders schwer, überhaupt vom Arbeitsamt eine Arbeit genehmigt zu bekommen.

Wir sagen, dass das Asylbewerberleistungsgesetz eine der härtesten Ausgeburten an staatlich verordneter Fremdenfeindlichkeit ist, die unser Land kennt. Jeder Tag, an dem dieses erniedrigende und diskriminierende Gesetz in Kraft ist, ist ein Tag zu viel. Wir sagen dies mit ganz bewusstem Blick auf den Bundestag und unsere eigene Verantwortung als Grüne im Bundestag und – allerdings auch, Herr Strieder, weil Sie Landesvorsitzender der SPD sind

[Dr. Steffel (CDU): Stimmt! Immer noch! – Sen Strieder: Immer wieder!]

mit Blick auf unseren dortigen Koalitionspartner. Wer glaubwürdig Rassismus und Rechtsextremismus in diesem Land und in dieser Stadt bekämpfen will, muss erst schauen, ob wir nicht selbst in einem Glashaus sitzen. Wir müssen auch den Rassismus in den Institutionen, in den Gesetzen und in der Politik zum Thema machen.

Die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes – das sage ich daher für die Grünen – ist ein Gebot der Stunde. Der Fortbestand des Gesetzes erschüttert die Glaubwürdigkeit der rot-grünen Bundesregierung gerade im Hinblick auf die Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit. Er erschüttert auch die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokraten.

In unserem Antrag, zu dem ich hier spreche, humanes Wohnrecht für Flüchtlinge, geht es aber nicht um Bundespolitik, sondern um Landespolitik. Es geht um das Problem der Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften. Dies ist noch eine Verschärfung gegenüber der finanziellen Armut, zu der sie gezwungen sind. Die Menschen in Wohnheimen leben oft unter menschenunwürdigen Verhältnissen, zusammengepfercht auf engstem Raum. Sie haben kaum einen Privatbereich. Sie haben kaum eine Möglichkeit, sich zurückzuziehen und zur Ruhe zu kommen. Oft sind erwachsene Kinder im Schlafzimmer der Eltern oder in einem einzigen Raum untergebracht. Pubertierende Jugendliche beiderlei Geschlechts müssen in einem Raum schlafen. Diese Situation ist lagerähnlich. Sie erinnert an eine Internierung. Sie führt verständlicherweise zu einem ständigen Stress unter den Menschen, unter den Flüchtlingen; sie führt zu Aggressionen.

Gleichzeitig leben die Flüchtlinge – ich hatte es angedeutet – in Arbeitslosigkeit und erzwungener Untätigkeit durch Arbeitsverbote. Diese Situation greift das Selbstwertgefühl der Flüchtlinge zentral an. Es nimmt ihnen in einer ohnehin schwierigen Lebenssituation jede Ablenkungsmöglichkeit und führt zu Depressionen. Das Leben in Sammellagern ruiniert auch die seelische Gesundheit der Flüchtlinge. Es macht die Menschen krank und kaputt. Sicher können wir diese Situation insgesamt nur durch die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes – ich sprach eingangs davon – gründlich kurieren. Wir können aber auch auf Landesebene einen kleinen und wichtigen Schritt vorangehen. Wir schlagen in unserem Antrag vor, dass nach den drei Jahren, für die die Diskriminierungen des Asylbewerberleistungsgesetzes gelten, die Flüchtlinge generell und ausnahmslos

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die Möglichkeit erhalten, sich in Wohnungen anzumelden. Dies ist gegenwärtig leider nicht Praxis in Berlin. Viele Berliner Sozialämter lehnen die Anträge auf Übernahme der Mietkosten ab, auch wenn die Flüchtlinge bereits Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz beziehen.

Herr Abgeordneter! Sie müssen dann zum Schluss kommen!

[Beifall des Abg. Dr. Heide (CDU)]

Ich komme zum Schluss. Ich möchte daran erinnern – aber wirklich nur beiläufig –, dass diese humanitäre Maßnahme, die wir vorschlagen, Flüchtlinge in Wohnungen und nicht in Sammelunterkünften unterzubringen, zudem noch mächtig Geld einspart. Bekannt ist, dass Wohnen in Sammelunterkünften sehr viel teurer als in Mietwohnungen zudem in einer Stadt mit großem Leerstand ist. Sie sollten unseren Antrag – das sage ich abschließend – aber nicht wegen der eingesparten Gelder unterstützen, sondern weil er einen kleinen, aber wichtigen Schritt zu mehr Humanität für die Flüchtlinge in unserer Stadt darstellt. Vielen Dank!