Protokoll der Sitzung vom 26.10.2000

Eine peinliche Rolle hat auch der CDU-Fraktionsvorsitzende gespielt, als er nach anfänglichen Dementis zugegeben hat, dass er vom Gegensatz des Jung-Karajans Thielemann zum Juden Barenboim geredet hat.

[Landowsky (CDU): Das ist mir zu doof!]

Das ist schlimm. Das ist primitiv und das ist dämlich, denn Daniel Barenboims künstlerische Arbeit in Berlin hat nichts mit seiner Religion zu tun. Herr Landowsky, ich fordere Sie nachdrücklich auf: Hören Sie auf damit, die Religion einer Person zur Beschreibung und Bewertung ihrer Arbeit heranzuziehen.

[Beifall bei den Grünen]

Mit solchen Äußerungen schaden Sie der Politik, der Kultur und der ganzen Stadt.

Wir haben gestern Daniel Barenboim besucht, weil wir es nicht unwidersprochen lassen wollten, wie dieser Künstler hier in Berlin abgefertigt wird. Er hat es nun wirklich nicht nötig, in Berlin um einen Posten zu betteln.

Frau Abgeordnete, Sie müssen bitte zum Schluss kommen!

Der Umgang mit Daniel Barenboim ist skandalös

[Landowsky (CDU): Na, so ein Unsinn!]

und hat mit einer seriösen künstlerischen Diskussion um die Zukunft der Berliner Opern nichts zu tun. Deswegen raten wir allen Beteiligten dringend, zu einer sachgerechten Diskussion zurückzukehren, weil alles andere Berlin und seine Politik endgültig in Verruf bringt.

[Beifall bei den Grünen – Landowsky (CDU): Na, so eine furchtbare Rede! – Dr. Steffel (CDU): Das war schwach! – Landowsky (CDU): Das war ja noch flacher als Girnus!]

In der Aktuellen Stunde hat nun das Wort Herr Senator Stölzl, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist die Rede von einer Landschaft, wie sieht die aus? – Da ragen ein paar Kathedralen empor, aber die definieren natürlich nicht Berlin. Wie sieht das Wetter über der Landschaft aus? – Berlin leuchtet, Berlin ist eine Landschaft der Superlative. Und manchen in Deutschland leuchtet Berlin schon lange viel zu hell, man sieht das Auf und Ab der publizistischen Meinungen zurzeit, schaut man ein bisschen kritischer, aber auch dies ist ein Zeichen der Liebe Deutschlands und Europas zu Berlin.

[Müller-Schoenau (Grüne): Diese Bescheidenheit schätzen wir doch!]

Die Stadt, das ist vorher schon gesagt worden, ich will das betonen, ist nicht allein eine Stadt der Opern, sondern der 170 Museen, der Sammlungen, der 14 privaten Sprechtheater, der vier staatlichen Sprechtheater, der über 200 Offtheater und Tanzgruppen – ein einzigartiges Programmspektrum, fünf Symphonie- und drei Opernorchester. Wir haben einmal durchgezählt, wie sich diese Landschaft zusammensetzt: rund 2 300 kulturelle Einrichtungen, in denen sich 25 000 Kunstschaffende, 5 000 bildende Künstler und 1 200 Autoren finden. Viele Künstler von Weltrang haben ihr Leben und ihr Schicksal mit dieser Stadt identifiziert, so schlecht kann es also gar nicht aussehen.

[Dr. Girnus (PDS): Mehr ihr Schicksal als ihr Leben!]

Dieses beeindruckende kulturelle Panorama der Bundeshauptstadt steht – Sie wissen das – für Lust und Last eines gewaltigen historisch, politischen und kulturellen Erbes und eines sich täglich neu definierenden Magnetismus.

Übrigens zieht Berlin nicht nur Gäste an, die es sich anschauen und wieder wegreisen, sondern in den letzten Jahren auch – und alle Indizien sagen das – eine sprunghaft wachsende Zahl von Künstlern aus aller Welt. Die Attraktivität dieses kosmopolitischen Berlins gerade für die junge Kunstszene liegt auch daran, dass die Arbeitsbedingungen für Künstler in Berlin – jedenfalls nach Aussage der Zugezogenen, dieses wollte ich Frau Ströver doch zurufen – ungleich besser sind als in anderen Kulturmetropolen wie beispielsweise Paris und München.

Sie haben mit Recht auf die freie Szene hingewiesen. Man sagt, das sei der eigentliche Reichtum Berlins. Schaut man auf die Zuschauerzahlen, braucht sie die Konkurrenz der Traditionshäuser überhaupt nicht zu scheuen. Sie hat selbstverständlich Anspruch auf faire Förderung der öffentlichen Hand.

[Frau Ströver (Grüne): Stimmt!]

Im Gegensatz zu dem schwarzen Stift, der hier das Gemälde malt, soll einmal daran erinnert werden, dass Berlin dieser Forderung auch nachkommt. Es hat z. B. bundesweit mit rund 8 Millionen DM die höchste Mittelausstattung für die freien Theater. Zum Vergleich: In Hamburg gibt man 1,5 Millionen DM für gleiche Zwecke aus. Durch die Bezirke erhielten die freien Träger und die Jugendkulturprojekte 1999 insgesamt 8,2 Millionen DM. Und von der Literaturförderung zu vielem anderen zeigt die Statistik, dass Berlin im Bundesländervergleich weit überproportionale Leistungen tut. Dies ist in der Tat in dieser Zeit des Sparens sehr schwierig durchzuhalten, wir versuchen alles, was man tun kann. Es werden auch andere Haushaltsjahre kommen als dieses extrem schwierige 2001.

Trotzdem stehen wir dafür, dass verantwortliche Kulturpolitik bei den Großen wie bei den Kleinen niemals von der Utopie einer flächendeckenden staatlichen Kulturversorgung ausgeht. Wir müssen das Etablierte, ob groß oder klein, immer dauernd kritisch hinterfragen, erst recht, wenn es durch chronische Defizite Anlass zur Sorge gibt. Und warum? – Schon deswegen, weil jeden Tag neue förderungswürdige Talente und Gruppen auftreten und ihren Anspruch anmelden. In Zeiten des schwierigen Sparens ist nicht Erhaltung von Erbhöfen, sondern Bewegung das Motto. Und „knappe Mittel“, wenn die hier genannt worden sind, sind im bundesdeutschen Vergleich relativ zu sehen. Fragen Sie einmal die Kulturdezernenten von Rhein und Ruhr, was die unter „knapp“ verstehen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes – ich habe hier die Zahlen von 1997, die haben sich nicht groß geändert – sind die Pro-Kopf-Kulturausgaben in Berlin doppelt so hoch wie im bundesdeutschen Durchschnitt. Wir setzen alles daran, dass sich daran in Zukunft auch nichts ändert. Für Verbesserungen sind wir stets zu kämpfen bereit. So schlecht wie es manche schrille Stimmen während des trockenen Geschäftes der Haushaltsberatungen in diesen Wochen gerufen haben, kann es also um die Kunstfreundlichkeit der Stadt nicht stehen.

Trotzdem ist Berlin keine Idylle. Die Kulturstadt leuchtet, manchmal blitzt es auch. Und dass nach Blitzen auch Donner und Windstöße kommen, weiß jedes Kind. Dass zurzeit heftige Gefühlsstürme wehen und man sich innerhalb und außerhalb Berlins mit dem beschäftigt, was schon immer der Inbegriff großer Emotion gewesen ist, der Oper also, ist ein gutes Zeichen. Denn Lethargie in Sachen Kultur ist schlimmer als aller Streit um den richtigen Weg. Die Kunst geht alle an, schon deshalb weil alle Bürger sie gemeinsam bezahlen müssen. Sie alle wissen, dass eine Opernreform angesichts der Haushaltslage unvermeidlich ist. Es war das Parlament, das im Frühjahr des Jahres eine Bestandsaufnahme der Berliner Bühnenlandschaft eingefordert hat, um dem Jahr für Jahr entstehenden, sich akkumulierenden Defizit entgegensteuern zu können. Und es war die öffentliche Meinung eigentlich schon seit der Wiedervereinigung, die gefordert hat, dass eine Berliner Dramaturgie die

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Sen Dr. Stötzl

Abstimmung der Spielpläne sehr viel genauer vorzunehmen habe, als es in der freien Konkurrenz von drei Opern, die sich wie Scheinselbständige auf dem Markt behauptet haben, geschehen ist.

Darüber nachzudenken ist kein staatlicher Rotstift, sondern öffentliche Aufgabe. Die Demokratie, die über Sozialpläne und über Verkehrspolitik diskutiert, darf selbstverständlich auch über künstlerische Inhalte diskutieren. Das ist kein Eingriff in den Artikel 5 des Grundgesetzes, sondern etwas ganz Selbstverständliches. Am Schluss – da stimme ich Ihnen vollkommen zu –, im Detail müssen die künstlerisch Verantwortlichen die Spielpläne schreiben.

Die Kulturverwaltung hat den Bericht Ende Juni vorgelegt und gegen seine eindeutige, leider bedauerliche Analyse hat niemand ernstlich Einspruch eingelegt. Allen Beteiligten wurde damals klar, dass ein Festhalten am Status quo mittelfristig zur Schließung eines Hauses führen würde. Manche Ironiker haben die Spielplandichte vorgeführt und davon geredet, es sei in Wahrheit schon ein halbes geschlossen. Oder, wie es in einem überregionalen Blatt kürzlich zu lesen war: „Wenn nichts passiert, passiert viel.“

Es war das Parlament, das von der Kulturverwaltung mit Recht darüber Auskunft verlangte, wie ein Modell aussehen könnte, das die Berliner Opernhäuser auf der Basis der heutigen Haushaltsanteile langfristig sichert. Dieses Konzept wurde in der vorletzten Woche vorgelegt, und wie nicht anders zu erwarten, schlagen seither die Wogen hoch. Ich sage deutlich: Ich habe alles Verständnis für die Aufregung, die das Reformpapier hervorgerufen hat. Ich ehre jeden Künstler, der sich um die Kunst Sorgen macht, der er sich verschrieben hat. Ich achte das Festhalten an Traditionen, aber Kritik an Tarifstrukturen – ich empfehle jedem, den heutigen „Tagesspiegel“ zu lesen, um in die Abgründe des Tarifrechts einzutauchen – und die Frage nach gemeinsamem Musizieren von Mitgliedern zweier Orchester im Staatsdienst ist noch kein Putsch gegen die Kunst.

[Beifall bei der CDU]

Polemik und Gerüchte dienen vielleicht der publizistischen Unterhaltung, helfen tun sie niemandem. Lassen Sie es mich an dieser Stelle noch einmal ganz klar sagen: Wir sind offen für alle tragfähigen Verbesserungsvorschläge, Ideen, auch alternative Modelle. Aber – und das bedauere ich außerordentlich – trotz der vielen Verlautbarungen der letzten Tage habe ich in der öffentlichen Debatte jedenfalls bisher wenig Konstruktives, geschweige denn einen echten nachrechenbaren alternativen Vorschlag erkennen können.

[Beifall bei der CDU – Frau Ströver (Grüne): Ich sage es Ihnen gleich noch einmal!]

Der ewige Ruf nach dem Bund ist leider hier völlig sinnlos. Ich kann sagen, dass ich in vielen Tagen und Abenden die Seele von Herrn Naumann zu gewinnen versucht habe; da geht im Moment nichts, was nichts daran ändert, dass wir diese Forderung, der Bund muss sich stärker auch im Theater engagieren, weiterhin aufrechterhalten wollen. Aber es ist wirklich nicht seriös, in diesen Tagen nach dem Bund zu rufen.

[Frau Ströver (Grüne): Das machen Sie doch immer!]

Der Hauptstadtkulturvertrag entlastet, wie wir alle wissen, Berlin von vielen Haushaltsrisiken und ist dadurch mittelbar auch eine Förderung des Theaterwesens. Wir können über Rechtsformen reden, können über die Ausgestaltung von Leitungsstrukturen streiten und über die Zahl der Orchester diskutieren, aber eines können wir ganz gewiss nicht tun: aus Angst vor Veränderung jetzt sagen: Es geht alles weiter wie bisher.

[Beifall bei der CDU]

Und Zweitens: Die Schließung eines Hauses, wie in den letzten Tagen noch einmal von ganz prominenter Stelle gefordert, genauer gesagt am letzten Samstag, kommt für den Berliner Senat nicht in Frage.

[Beifall bei der CDU]

Das Blühen des einen Opernhauses um eines anderen willen, vice versa, Ost oder West, sollte sich niemand wünschen. Wir wollen das nicht.

[Frau Ströver (Grüne): Sie betreiben das!]

Wir wollen alle drei Opern erhalten, diese auf eine dauerhafte Finanzierungsbasis stellen und die Voraussetzung für eine größere Repertoirevielfalt schaffen. Das ist ein legitimes Ziel. Das sind die Kerninhalte der Reform, und die stehen nicht zur Disposition. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat ihren Leitartikel vom 21. Oktober unseren Problemen gewidmet. Dort heißt es unmissverständlich:

Jede Schließung eines der Berliner Opernhäuser wäre in mehrfacher Hinsicht eine Katastrophe. Da der Status quo nicht aufrechtzuerhalten ist, kommt man um bald greifende Veränderungen nicht herum. Ohne die Initiative aus den Institutionen selbst heraus ist indes wenig gewonnen.

Wahr gesprochen. Und wie antwortet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, dies bitte richtig auf der Zunge zergehen lassen: „Dass Künstler rechnen und Bescheidenheit lernen müssen, ist unumgänglich.“ Wenn wir uns darauf verständigen, werden wir bald eine Antwort auf die Berliner Opernfrage finden, die für alle legitimen künstlerischen Interessen akzeptabel ist.

In diesem Zusammenhang werden wir, wie ich hoffe, auch zu einem Agreement, einer richtigen Antwort auf Daniel Barenboims Frage kommen, in welcher Weise er in Berlin weiter künstlerisch tätig sein wird. Sie alle wissen, dass die Stadt sich das wünscht und dass wir alles unternehmen werden, um zu einer Einigung zu kommen.

[Beifall bei der CDU]

Jede Deutung des Reformprogramms als eines West-Ostoder Ost-West-Konfliktes ist purer Unsinn. Von anderen, vollends absurden Missdeutungen soll hier geschwiegen werden. Das ist das Beste, was man tun kann. Niemand versagt der Komischen Oper, der in vielen Augen und Ohren originellsten Musiktheaterschöpfung der DDR, seine Bewunderung. Niemand will die großartige Tradition und die heutige Leistung der Staatskapelle schmälern. Beide Orchester der großen Oper, die Staatskapelle und das Orchester der Deutschen Oper, werden selbstverständlich – und hier bitte ich, das Papier genau zu lesen – die gesamte Musik aller Epochen spielen. Was denn sonst? Dass wir uns wünschen, sie würden dies in beiden Häusern tun, ist nicht die schlechteste Idee beim Zusammenwachsen der Stadt. [Beifall des Abg. Kausch (CDU)]

Kurz: Vernunft ist angesagt, gepaart mit freimütigem Gedankenaustausch. Wer reformieren will, darf nicht wehleidig sein. Deshalb freue ich mich auch auf das Gespräch mit den Opernintendanten aus anderen Städten morgen in Berlin, das Professor Götz Friedrich organisiert hat. Dem Vernehmen nach – ich habe lange telefoniert – wollen sie der Berliner Kulturpolitik, aber – hört, hört! – auch ihren Berliner Intendantenkollegen kräftig die Leviten lesen, haben aber auch Alternativvorschläge im Gepäck. Grundsätzlich positiv – Sie sehen, so verschieden ist die Welt der Intendanten – zu unserem Reformansatz hat sich übrigens der Direktor der Wiener Staatsoper, Herr Holender, geäußert. Auch er wird bei der weiteren Reformarbeit beteiligt sein.

Alle neuen Gedanken sollen uns herzlich willkommen sein, wenn sie denn förderlich sind für das Ziel, das Reformer und Kritiker der Reform nach eigener Aussage immerhin gemeinsam haben: den Wunsch nach künstlerisch glanzvollen, gleichzeitig aber bezahlbaren Berliner Musiktheatern. Es gibt viel zu tun. Die Runden Tische stehen bereit. Da gibt es Stühle, keine Sättel für einen Galoppritt, wie hier angemahnt. Ich bitte vor allem das Parlament von Berlin, den Reformprozess so sachkundig, aber auch so leidenschaftlich zu begleiten, wie wir dies in den zuständigen Ausschüssen bisher erfahren haben. – Ich danke Ihnen sehr herzlich. [Beifall bei der CDU und der SPD]

Nunmehr hat der Abgeordnete Wowereit für die Fraktion der SPD das Wort. – Bitte sehr!

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