Ist der Problemstau bei der Strafverfolgungsbehörde bereits erheblich, so scheint – mir zumindest – bei der Gerichtsbarkeit dieser Problemstau noch gravierender zu sein. Allerdings ist er in den verschiedenen Gerichtszweigen nicht gleich groß, das gebe ich zu. Die äußerst bedenkliche Situation bei der Berliner Strafgerichtsbarkeit beschäftigte in den Sommermonaten dieses Jahres wieder einmal die regionalen und überregionalen Medien. Und das geschieht oft ohne konkreten Anlass, sondern allgemein zur Illustration von unhaltbaren Zuständen in der Justiz. Benötigen also Journalisten Bilder von einer kollabierenden Strafjustiz, dann gehen sie einfach nach Moabit, und schon haben sie diese Bilder. Das ist natürlich keine wirkliche Analyse oder Wertaussage, aber es ist ein Zeichen, nämlich ein Zeichen für die problematischen Zustände.
Was ist eigentlich seit dem Besuch des Rechtsausschusses vor zwei Jahren im Amtsgericht Tiergarten, der für alle Beteiligten hinsichtlich der Zustände sehr eindeutig war, was ist seit diesem Besuch eigentlich geschehen? Was wurde getan? – Uns, den Mitgliedern des Rechtsausschusses, stellte unlängst ein Personalvertreter die Frage. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Herr Rösler, beantwortete diese Frage: Wir werden schon den geeigneten Weg finden, diese Frage zu beantworten. – Wenn also die heutige Große Anfrage und ihre Beantwortung der geeignete Weg sein sollen, dann werden die Personalvertreter wohl sagen: Es ist nichts dabei herausgekommen.
Und die Antwort des Senats zu dem Problem: reine Realitätsverweigerung. Zu den teilweise unhaltbaren Zuständen bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit: kein offenes Wort.
Es ist nicht nur alles eine Frage der Ausstattung, das stimmt. So signalisierte zum Beispiel der Präsident des Verwaltungsgerichtes – und dieses Gericht ist hinsichtlich der Unterbringung und Ausstattung verglichen mit dem Amtsgericht Tiergarten in einem anderen Jahrhundert –. also Herr Präsident Wichmann signalisierte im Frühjahr durch die Presse, dass infolge der Überlastung des Verwaltungsgerichts eine Ausdehnung der durchschnittlichen Verfahrensdauer auf 20,6 Monate und ein erheblicher Verlust an Rechtsschutz drohe. In der Antwort des Senats zu den Problemen beim Verwaltungsgericht: kein Wort. Statt dessen heißt es – ich verweise einmal auf die Passage –, die Eingangszahlen hätten sich auf hohem Niveau stabilisiert, die Stellenzahl sei seit 1989 um 24 Richter angehoben worden. Kein Wort zu der steigenden Verfahrensdauer, kein Wort zu sinkenden Erledigungszahlen, kein Wort zur Veränderung der Verfahrensinhalte. Unsere Frage: Ist ein Plus von 24 Richterstellen tatsächlich die angemessene Reaktion auf die Verlagerung des Regierungssitzes nach Berlin, die ja nicht nur eine Verlagerung von Regierungsbehörden beinhaltet, sondern auch die Ansiedlung von Verbänden, Vereinen, Stiftungen usw. in Größenordnungen, woraus erhebliche Aufgaben für die Verwaltungsgerichte erwachsen?
Der Problemhaushalt im Strafvollzug ist mit Abstand der größte. Die Anhörung im Rechtsausschuss zur Situation im Berliner Strafvollzug vor einigen Wochen hat unzweifelhaft offenbart, dass die Zustände als unhaltbar, schlecht, krisenhaft und latent
explosiv bezeichnet werden müssen. Das betrifft vor allem den geschlossenen Männervollzug und die Untersuchungshaftanstalt. Der vom Strafvollzugsgesetz gebotene Behandlungsvollzug ist über weite Strecken zusammengebrochen, Verwahrvollzug ist auf der Tagesordnung. Wir haben nunmehr eine Situation – das sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen –, in der sich der Staat beim Umgang mit Gesetzesbrechern nicht mehr an die Gesetze hält.
Das ist so, das ist einfach anachronistisch und eine gesellschaftspolitische Bankrotterklärung. Man muss sich einmal die Auswirkungen vor Augen führen.
Und in der Antwort des Senats auf die Große Anfrage: Wirklichkeitsverweigerung und Schönfärberei. – Da steht zum Beispiel bezüglich des Strafvollzugs – dazu muss man sagen, dass interne Kapazitätserweiterungen meist bedeuten: Doppelbelegung von Einzelzellen, Belegung von Aufenthaltsräumen der Gefangenen und der Bediensteten –, also dort steht im Bericht:
Ungeachtet der Kapazitätserweiterung konnte der Belegungsdruck auf Grund überproportional gestiegener Gefangenenzahlen nicht abgebaut werden.
Die Wirklichkeit ist aber anders. Seit Jahren findet eine permanente Verschlechterung der Situation statt. Und alle Kenner der Materie, und zwar einschließlich der leitenden Beamten des Strafvollzuges, warnen vor Eskalations- und Explosionsgefahren im Berliner Männervollzug. Diese Dramatik der Situation habe ich zumindest in der Antwort, die wir heute bekommen haben, nicht wiedergefunden. Viele der im Strafvollzug kumulierenden Probleme sind gesellschaftlicher Natur und nicht durch politisches und Verwaltungshandeln im Bereich der Justiz einfach zu lösen, das gebe ich zu. Das ist aber kein Grund für Wirklichkeits- und Politikverweigerung, denn viele Probleme sind hausgemacht, das hat auch unsere Anhörung zum Strafvollzug ergeben, ja selbst die Überbelegung ist zum Teil hausgemacht, weil fehlende Betreuungskapazitäten dazu führen, dass Strafgefangene, die längst aus der Haftanstalt entlassen sein könnten, Knastplätze belegen.
Auch die weitgehende Schädigung und Beschneidung der internen und externen Sozialarbeit mit den Gefangenen muss sich der Senat als politisches Versagen zurechnen lassen. Und da muss ich noch einmal auf Herrn Diepgen eingehen: – –
Dieses Gezerre um das Projekt „Arbeit statt Strafhaft“ ist geradezu beispielhaft. Herr Diepgen hat es hervorgehoben, aber der Senat bringt eine Vorlage in den Haushaltsausschuss ein, wo diesem praktisch die Existenzgrundlage entzogen wird.
Nun muss ich leider zum Schluss kommen, will aber noch eine Bemerkung zu dem Antrag machen, der hier auch mitverhandelt werden soll. Die CDU und Herr Diepgen haben angedeutet, dass sie eigentlich der Meinung sind, dass Berlin wieder einen eigenständigen Justizsenator braucht. Ich denke mir, Sie sollten sich einen Ruck geben und nicht bis zur nächsten Senatsbildung warten, wobei ich Zweifel habe, dass Sie an der beteiligt sein werden. Sie können sich jetzt beteiligen und wieder ein eigenständiges Justizressort einrichten.
Wenden Sie Schaden von der Justiz ab und setzen Sie einen Justizsenator ein. Er ist sicher keine Garantie, dass sich etwas bessert, aber er ist vielleicht eine Hoffnung und eine Chance, dass sich etwas bessern könnte. – Ich danke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, dass wir verschiedene Antworten auf die Große Anfrage bekommen haben.
Ich meine jedenfalls, dass das, wir mir vorliegt, eine beeindruckende Aufzählung dessen ist, was in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich passiert ist.
[Hoff (PDS): Sie sind ja auch noch neu in diesem Haus! – Over (PDS): Dann haben wir aber verschiedene Antworten bekommen!]
Die Tatsache, dass in diesen letzten zehn Jahren zwei Justizverwaltungen zu vereinigen waren, die von völlig unterschiedlichen Ausgangsbasen auszugehen hatten, nötigt schon Respekt ab, wenn man diese Listen sieht, was in diesen zehn Jahren alles passiert ist, und zwar nicht nur, dass eine völlig neue Gesetzlichkeit vorhanden war und mit – wenn man so will – der vorhandenen bundesdeutschen Gesetzlichkeit zusammenzubringen war, dass auch das vorhandene Personal nicht einfach übernommen werden konnte – das musste nicht nur umgeschult werden, sondern musste häufig naturgemäß, wenn ich an Staatsanwälte denke, dann völlig ausgetauscht werden. Das sind Dinge, die hier unter immensen persönlichen und auch sachlichen Anstrengungen, Investitionsanstrengungen, geleistet wurden. Und die sind eben, wenn man hier von Nordrhein-Westfalen spricht, dass dort schon 1996 die IuK-Mittel ganz anders eingesetzt worden seien, Herr Weinschütz, dann ist das etwas anderes in Nordrhein-Westfalen gewesen in den letzten zehn Jahren als das, was wir hier in Berlin zu bewältigen hatten.
Deshalb gilt doch gerade denjenigen, die in den letzten zehn Jahren für diesen Bereich Verantwortung hatten, unser besonderer Dank. Dem konnte sich auch Ihr Kollege Wieland nicht entziehen. Ich will mich hier nicht zurücknehmen und hier auch noch einmal ausdrücklich Jutta Limbach, Lore Peschel-Gutzeit und auch Ehrhart Körting für das danken, was sie in den letzten zehn Jahren zur Vereinigung des Justizbereichs geleistet haben.
Aber die drei hätten das naturgemäß nicht leisten können, wenn sie nicht eine entsprechende Motivation und Unterstützung vor Ort gehabt hätten. Hier ist es richtig, wenn darauf hingewiesen wird, dass das Personal – sowohl die nichtrichterlichen Beschäftigten als auch Richter, Staatsanwälte, Rechtspfleger, alle im Justizbereich – enorme Anstrengungen in den letzten zehn Jahren unternommen hat.
Aber richtig ist, jetzt geht es um die Umorientierung der Justiz zu einem Dienstleistungsbetrieb. In diesem Dienstleistungsbetrieb – darauf haben alle Redner hingewiesen – liegt sicher einiges im Argen, um nicht zu sagen, teilweise vieles im Argen. Der zuständige Senator und Regierende Bürgermeister hat darauf hingewiesen, dass er bestrebt sei, die Defizite trotz der Haushaltssituation zu überwinden, und dass der Senat diese Defizite aufarbeiten wolle. Ich will Ihnen, Herr Diepgen, gleich ein gutes Beispiel geben. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung als einen wesentlichen Punkt für sich die Zeugenbetreuung genannt. Herr Staatssekretär Rauskolb hat am runden Tisch noch im Juni dieses Jahres erklärt, dass das Zeugenbetreuungsprogramm von Ihnen vordringlich behandelt wird, wenn die räumlichen Gegebenheiten vorhanden seien. Nun hat sich – u. U. zu Ihrem Erstaunen – der Amtsgerichtspräsident entschlossen, Ihnen in der Wilsnacker Straße solche Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die stehen zur Verfügung. Jetzt wird nur die zugesagte personelle Ausstattung benötigt. Hier, Herr Diepgen, haben Sie die Möglichkeit, die Defizite aufzuarbeiten und Versprechen wahr zu machen, was das Zeugenbetreuungsprogramm angeht. Wir halten dieses Programm für wichtig. Wenn solche Versprechun
gen gemacht wurden und die räumlichen Verhältnisse gegeben sind, dann sollte das nicht noch ein Jahr länger warten, sondern sofort aus dem Justizhaushalt umgesetzt werden.
Bei der Verwaltungsreform kann die Justiz auch nicht ausgespart werden. Sie haben hier dargelegt, dass wir beispielsweise in den Justizvollzugsanstalten schon jetzt eine dezentrale Fachund Ressourcenverantwortung haben. In Tegel wird dies noch weiter modellhaft durchgeführt und weitergeführt. Aber nach unserer Auffassung könnte diese Dezentralität, die nach der Verwaltungsreform und nach dem Verwaltungsreformgrundsätzegesetz vorgesehen ist, sehr wohl bei den Gerichten, insbesondere auch bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit, noch weiter durchgeführt werden, als sie hier nur angedeutet ist.
Wir sind der Auffassung, so dezentral wie möglich, und dabei möglichst auch für jedes einzelne Amtsgericht eine entsprechende eigene Fach- und Ressourcenverantwortung durchzuführen. Dabei wird die Unabhängigkeit der Justiz nicht gefährdet, schon gar nicht die Unabhängigkeit richterlicher Entscheidungen.
Wenn hier die Rede davon war, dass es schnelle angemessene Aburteilungen für Gewalttäter geben müsse, dann wird dem in diesem Hause sicher niemand widersprechen. Aber es nützt nichts, mit forschen pauschalen Sprüchen zu kommen und forsche pauschale Forderungen zu stellen. Die Strafjustiz wird die gesellschaftlichen Versäumnisse nicht aufarbeiten können, nicht aufholen können. Die Strafjustiz kann lediglich Fehlentwicklungen sanktionieren und aufhalten. Gestalten muss die Gesellschaft selbst, und zwar in Schule, in Familie, in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dann ist es auch notwendig, dass dafür die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das ist die Hauptaufgabe, die wir hier in diesem Parlament zu leisten haben, das hier in diese Richtung zu bringen. Dann brauchen wir auch nicht mehr nach schnellen angemessenen Aburteilungen zu rufen, sondern dann werden sie einfach erfolgen können, weil die entsprechenden personellen und sachlichen Voraussetzungen auch im Justizbereich gegeben sind.
Herr Braun, ich will noch kurz zu den P-Staatsanwaltschaften Stellung nehmen. Die damals beabsichtigte Umorganisation ist nicht erfolgt, Herr Wieland. Da haben Sie nicht Recht, sondern auf unsere Intervention hin
ist dieses Vorhaben, wieder gesonderte P-Staatsanwaltschaften einzuführen, aufgegeben worden. Wir haben nicht diese gesonderten P-Staatsanwaltschaften, wir haben jetzt eine normale Organisation im staatsanwaltschaftlichen Bereich. Dort gibt es eine Zuständigkeit sicher auch für politische Delikte,
aber nicht als gesonderte Staatsanwaltschaften, sondern diese Staatsanwaltschaften sind auch für andere Delikte zuständig. Wir wollten gerade verhindern, dass sich in diesen Staatsanwaltschaften so eine Bunkermentalität breit machen kann. Dies ist auch verhindert worden. Diese Organisationsreform hat so nicht stattgefunden.
Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Herr Nelken, Sie haben auf die katastrophalen Zustände im Justizvollzug hingewiesen. Ausgangspunkt ist die katastrophale Überbelegung, die es mehr und mehr unmöglich macht, einen Betreuungsvollzug durchzuführen. Es besteht die Gefahr, dass nur noch verwahrt wird und steht damit in klarem Widerspruch zum Strafvollzugsgesetz. Hier wird man kurzfristig die Verhältnisse nur bessern können, wenn die Zahlen verringert werden und wenn daran gedacht wird, zumindest vorübergehend den Strafantritt für