Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Heute richtet sich das Augenmerk meiner Fraktion auf das Wesen und die Zukunft des Verfassungsschutzes in Berlin. Die große Koalition ist angetreten, in Zusammenarbeit mit dem Berliner Innensenator Deutschlands modernsten Nachrichtendienst zum Schutze der verfassungsmäßigen Ordnung in Berlin zu schaffen, und das ist ihr gelungen!

[Beifall bei der CDU]

Das Gesetzeswerk liefert mit seinen Instrumentarien hierfür alle Voraussetzungen. Herr Kollege Benneter hat vorhin ausführlich – ich will nur noch einmal daran erinnern – auf die nachrichtendienstlichen Mittel hingewiesen, natürlich unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das haben wir ausdrücklich hineingeschrieben. Der Verfassungsschutz darf auch modernste Technik einsetzen. Die Konzentration allerdings auf die seelenlose Technik und Methodik macht noch keinen funktionierenden Verfassungsschutz aus. Im Gegenteil könnte sie eher dazu verführen, die eigentliche Aufgabe eines solchen Dienstes aus den Augen zu verlieren, nämlich die freiheitlichste Verfassung, die ich kenne, vor den Angriffen ihrer Feinde zu schützen.

[Beifall bei der CDU]

Hierzu braucht die neue Verfassungsschutzabteilung jedes erforderliche Rüstzeug, aber sie braucht auch Mitarbeiter und Menschen in ihrem Umfeld, die sich nicht nur mit ihrem Verstand, sondern auch mit ihrem Herzen dieser wichtigen Aufgabe widmen.

[Zuruf des Abg. Krüger (PDS)]

Dies heißt selbstverständlich, dass sich jeder Mitarbeiter an Geist und Buchstaben des jetzt zu verabschiedenden Gesetzes zu halten hat. Aber es heißt auch, dass diesem neuen Dienst und seinen künftigen Mitarbeitern von seinen Gegnern und auch von den Medien eine faire Chance eingeräumt wird, diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Vergessen wir nie, der Verfassungsschutz ist keine Polizei. Seine Erkenntnisse sollen die Politik beraten und ihr die Möglichkeit geben, auf verfassungsfeindliche Bestrebungen zu reagieren, wie z. B. beim angestrebten NPDVerbot. Herr Kollege Zillich, Ihre Ausführungen dazu kann nun überhaupt nicht mehr nachvollziehen!

[Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Wolf (PDS)]

Diese so bedeutende Aufgabe kann Berlins Verfassungsschutz nur dann erfüllen, wenn er und seine Mitarbeiter wieder Vertrauen finden – übrigens nicht zuletzt auch bei anderen Ämtern

unseres Landes. Das neue Gesetz, das wir geschaffen haben, beinhaltet alle Voraussetzungen, diesen Anforderungen gerecht zu werden, insbesondere dadurch, dass es der Behörde eine personelle Blutauffrischung verschafft und auch die verstärkte wissenschaftliche Qualifikation eines Teils der dort Tätigen verlangt. Das wird den Verfassungsschutz in die Lage versetzen, aufklärende Öffentlichkeitsarbeit z. B. an Universitäten und Schulen zu betreiben und Politik und hoffentlich auch Justiz substantiell zu beraten. Weiterhin wird dem Dienst auch die Möglichkeit gegeben, sich jetzt endlich des berühmten Schlapphutimages zu entledigen.

Dieses intensive Vorgehen, das wir mit dem Gesetz geplant haben, ist Zeiten extremistischer, menschenverachtender Gewalttaten in diesem Land von enormer Bedeutung. Hier sei nochmals gesagt: Verfassungsschutz ist nur ein Glied in der Kette.

Elternhäuser, Schulen, Kirchen, Gewerkschaften, Politik, Justiz und viele andere sind ebenfalls aufgerufen, frühzeitig unsere Verfassung auch dadurch zu schützen, dass sie sie in den Herzen – insbesondere junger Leute – nachhaltig verankern und sie nicht seelenlos als technokratisches Thema behandeln.

[Beifall bei der CDU]

Auch die Medien haben eine besondere Verantwortung. Gäbe es zum Beispiel einmal „Tanja am Mittag“ weniger in der Woche und stattdessen eine jugendgerechte Sendung über die Grundwerte unseres Rechtsstaats,

[Gelächter bei der PDS]

Sie sind offensichtlich Befürworter der Privatmedien. –

[Beifall bei der CDU]

dann würden nach meiner Ansicht weder die Sender ruiniert werden noch das Bildungsniveau der Zuschauer merklich sinken.

Verfassungsschutz ist eine Aufgaben für uns alle.

[Zuruf von der PDS]

Dass Sie davon nichts verstehen, ist mir klar. Verfassungsschutz ist auch für Sie eine Aufgabe. Daran müssen Sie sich gewöhnen. – Die Mitarbeit an diesem Gesetz und seine Mitverabschiedung habe ich trotz aller Schwierigkeiten nie bereut. Es erfüllt mich mit Stolz und Zuversicht, an einem kleinen Bereich des Schutzes unserer Verfassung mitgearbeitet zu haben.

[Beifall bei der CDU]

Für die Fraktion der Grünen hat Herr Cramer das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die Chronique scandaleuse des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz mit der heutigen Verabschiedung des Reformgesetzes ein Ende findet, kann man nur hoffen, Herr Gram. Es kann nur besser werden, weil man im Niveau nicht mehr sinken kann.

[Beifall bei den Grünen]

Denn die gezielte und fehlerhafte Indiskretion ungeliebter Mitarbeiter, das gegenseitige Mobbing, die Verwicklung selbst in politische Morde – wie beim Schmücker-Skandal –, der weit verbreitete Dilettantismus und das permanente Vertuschen und Verdunkeln sind die stechenden und ätzenden Reizworte dieses Amtes. Auch die Bespitzelung der Opposition – nicht in Ost-Berlin unter Erich Honecker, sondern in West-Berlin unter Eberhard Diepgen – war Bestandteil der Leitkultur dieser Behörde in der täglichen Praxis.

[Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Kein Wunder, dass sich dieses Skandalamt über die Stadtgrenzen hinaus einen zweifelhaften Namen gemacht hat.

Kein Wunder, dass wir seit Jahren dessen Auflösung forderten. Man muss sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, dass ein CDU-Innensenator – einst oberster Schlapphut der Republik – unsere Forderung übernimmt und das Landesamt für Verfassungsschutz auflöst. Herzlichen Dank, Herr Werthebach, auch im Namen von Frau Künast!

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Benneter (SPD)]

Wenn es noch eines Beweises für die Richtigkeit unserer Forderung bedarf, so steht sie in Ihrem Begründungstext:

Das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin ist seit Jahren in negativen Schlagzeilen.

Es sei unabdingbar, den Verfassungsschutz neu auszurichten. Gestatten Sie mir an diesem Tag, an diesem Ort und zu diesem Anlass ein Zitat von Ovid:

Nicht durch die Kraft höhlet der Tropfen den Stein, sondern durch häufiges Fallen.

Durch unseren Druck und durch die positive Rolle des Datenschutzbeauftragten konnte beim vorliegenden Reformgesetz Schlimmeres verhindert werden. Die große Koalition musste den Gesetzentwurf in wesentlichen Bereichen nachbessern. Nicht durchgesetzt haben wir uns – neben der generellen Auflösung von Verfassungsschutzbehörden – mit einer Vorabinformation zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zillich?

Nein! – Erreicht wurde aber, dass künftig die näheren Voraussetzungen für deren Anwendung in einer Verwaltungsvorschrift geregelt werden und diese dem Ausschuss vorab zur Kenntnis gegeben wird. Darüber hinaus muss der Ausschuss regelmäßig über die Durchführung von Abhörmaßnahmen, Postkontrollen und Lauschangriffen unterrichtet werden. Gegen Ihren Willen, Herr Senator Wertebach, muss dem Ausschuss mitgeteilt werden, in welchen Beobachtungsfeldern solche Maßnahmen ergriffen wurden, aus welchen Gründen dies geschah und zu welchem Ergebnis die Einschränkung von verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten geführt hat. Erstmals werden damit Maßnahmen des Verfassungsschutzes einem Controlling unterzogen, denn bisher wurde dem Verfassungsschutzausschuss nur die Anzahl der jeweiligen Maßnahmen mitgeteilt – ohne Angaben darüber zu machen, ob sie den Links-, Rechts-, Ausländerextremismus oder die Spionageabwehr betrafen. Das war keine politische Kontrolle. Das war eine Alibimaßnahme. Deshalb befürworten wir diese Bewegung in die richtige Richtung.

[Gram (CDU): Stimmen Sie zu?]

In diesem Punkt schon.

Die im Gesetzentwurf vorgesehene Vertrauensperson lehnen wir nicht grundsätzlich ab. Wir bleiben aber bei unserer Ansicht, dass diese Aufgabe keine Person aus dem Geheimdienstapparat übernehmen sollte. Wir wollen stattdessen eine unabhängige Persönlichkeit, die gewohnt ist, die Arbeit von Behörden für die Öffentlichkeit transparent zu machen. Dafür ist keine neue Institution nötig, sondern die beim Datenschutzbeauftragten vorhandene Infrastruktur wollen wir nutzen. So wird das zum Beispiel, Herr Kollege Benneter, in Niedersachsen praktiziert und wurde unter Ihrem Freund Gerhard Schröder dort eingeführt. Leider konnte auch hier die beste Männerfreundschaft zwischen Schröder und Benneter das Herz der CDU nicht erweichen. Dabei wissen wir doch, dass der Datenschutzbeauftragte bereits mit der Verfassungsschutzmaterie vertraut ist, da er bei abgelehnten Anträgen auf Akteneinsicht von Einzelpersonen angerufen werden kann. Ursprünglich wollten Sie das auch, aber wie so oft ist die SPD aus Koalitionsraison eingeknickt.

(A) (C)

(B) (D)

Der als Vertrauensperson angekündigte ehemalige Verfassungsschutzchef aus Nordrhein-Westfalen, Fritz Achim Baumann, wird von uns kritisch und misstrauisch beobachtet.

[Gram (CDU): Das hat er nicht verdient!]

Auch in Nordrhein-Westfalen gab es unter seiner Verantwortung Skandale, in denen er nicht gerade als Verfechter von Transparenz und Aufklärung agierte. Erinnert sei nur – Herr Gram, hören Sie gut zu – an den ehemaligen rechtsextremistischen V-Mann in NRW, Bernd Schmitt, der eine Kampfsportschule betrieb, in der rechtsradikale Skinheads ausbildete wurden. Darunter befanden sich die späteren Attentäter von Solingen, die einen mörderischen Anschlag auf das Haus der türkischen Familie Genc¸ verübt hatten. Dabei gab es nicht nur zahlreiche Schwerverletzte; auch drei Kinder und zwei Erwachsene wurden getötet. Das ist wahrlich keine Empfehlung für dieses Amt. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 10. Juni 1994 wunderte sich über Baumann, weil er den rechtsradikalen V-Mann selbst dann noch – mit dem Satz, das sei „szenetypisches Verhalten“ gewesen – verteidigte, als die Staatsanwaltschaft gegen ihn schon wegen Unterstützung einer verbotenen rechtsextremistischen Organisation ermittelte. Herr Garstka führt sein Amt seit Jahren tadellos. Deshalb halten wir den Berliner Datenschutzbeauftragten für die bessere Vertrauensperson.

[Beifall bei den Grünen]

Anders als im Untersuchungsausschussgesetz und entgegen unseren Vorstellungen kann der Ausschuss diese Vertrauensperson nur mit Mehrheit beauftragen. Das bedeutet in der Praxis, dass die Regierungsparteien bestimmen, wann und zu welchen Themen Untersuchungen durchgeführt werden. Dies ist der grundlegende Geburtsfehler dieser Kontrollinstanz, denn Minderheitenrechte können so nicht gewahrt werden. Sie, meine Damen und Herren von CDU und SPD, können im Verein mit dem Innensenator noch so oft beschwören, dass Vertrauen und Transparenz praktiziert werden sollen. Diese Konstruktion beschwört genau das Gegenteil.

Auch das Vorgehen bezüglich der zu besetzenden Stellen lässt uns an Transparenz und Seriosität zweifeln. Bereits im Juni wurden die Stellen mit dem Zusatz „vorbehaltlich des Inkrafttretens der gesetzlichen Grundlagen“ ausgeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt lag dem Ausschuss für Verfassungsschutz aber noch nicht einmal der Entwurf des Gesetzes vor. Man kann sicherlich davon ausgehen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Struktur der künftigen Abteilung „Verfassungsschutz“ absehbar war. Nur der zuständige Ausschuss wurde nicht informiert. „Neues Klima“ beim Verfassungsschutz bedeutet für uns vor allem rechtzeitige und umfassende Information. Als Resümee bleibt uns nur der Blick in Goethes Faust: „Die Botschaft hör ich wohl. Allein mir fehlt der Glaube.“ – Dies erst recht bei diesem Senat und bei Innensenator Werthebach. – Vielen Dank!