Protokoll der Sitzung vom 15.03.2001

Für die Nichtteilnahme beziehungsweise teilweisen N i c h t t e i l n a h m e a n d e r h e u t i g e n S i t z u n g haben sich entschuldigt: Herr Senator Strieder, der ganztägig abwesend ist. Er nimmt an der Immobilienmesse in Cannes teil.

[Gelächter bei den Grünen]

Deshalb wird auch der Regierende Bürgermeister uns gegen 16.45 Uhr verlassen. Er wird auf der Messe am Abend erwartet.

[Gelächter bei der PDS und den Grünen]

Meine Damen und Herren! Man kann sich über viele Dinge amüsieren, aber dort geht es um die Vertretung Berlins auf einer weltweit bekannten Messe. Ich glaube, dass sich die Stadt dort repräsentieren muss.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und der SPD]

Wir kommen dann zur

lfd. Nr. 1:

Fragestunde gemäß § 51 der Geschäftsordnung

Ich schlage Ihnen vor, die Fragen 2, 3 und 9, die sich mit der Situation des Krankenhauses Moabit befassen, gemeinsam aufzurufen. Ich schlage Ihnen vor, insgesamt acht Zusatzfragen zulassen, wobei die Fragesteller jeweils das Recht haben, zuerst zwei Nachfragen zu stellen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Ich höre keinen. Wir verfahren so. Frau Helbig, Frau Simon und Herr Eichler werden dann ihre Fragen beim Aufruf der Frage 2 stellen.

Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage über

Stand der Theaterstrukturreform

hat Frau Grütters. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Welchen Stand hat die seit Sommer 2000 vorbereitete Reform der Strukturen der Berliner Theater und Musiktheater, und hat der Reformdialog mit den Theatern bereits sichtbare Erfolge bei den Theaterfinanzen und -programmen gebracht?

2. Welche Schritte hat der Senat unternommen, um die Bundesregierung in eine dauerhafte finanzielle Mitverantwortung für die Musiktheater der Bundeshauptstadt zu bewegen,

und welche Vorteile haben längerfristige Zuwendungsverträge mit privatwirtschaftlichen, zum Beispiel als GmbH geführten Theaterbetrieben gegenüber den jährlichen Haushaltsfestsetzungen?

Zur Beantwortung – Herr Senator Dr. Stölzl, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Grütters! Ich antworte im Namen des Senats zu Nr. 1: Auf Grund eines Auftrags des Unterausschusses Theater vom 16. März 2000 hat die Senatsverwaltung eine Vorlage über Maßnahmen zur Bühnenstrukturreform für den Senat erarbeitet. Der Vorlage waren zwei ausführliche Berichte zur Bühnenstrukturreform und zu Maßnahmen zur Bühnenstrukturreform im Juni bzw. Oktober 2000 vorausgegangen. Diese Berichte haben ein weites Echo, wie nicht anders zu erwarten, lebhafte und zum Teil auch leidenschaftliche Diskussionen sowie eine Vielzahl an interessanten Publikationen und Vorschlägen ausgelöst. Alle deutschsprachigen Opernbühnen in der Deutschen Opernkonferenz trafen sich im Zusammenhang mit diesen Diskussionen in Wien, um zu beraten und eine detaillierte Empfehlungsstudie auszuarbeiten – gemeinsam mit den Opernbühnen hier. Der Senat hat in seiner Sitzung am Dienstag voriger Woche nun die Vorlage zur Umstrukturierung der Berliner §-26-LHO-Bühnen beraten und daraus einzelne Elemente beschlossen. Dazu zählen die Rechtsformänderungen sowie die Einrichtung eines Opernrates.

Für die Frage 2 ziehe ich gleich vor, warum die Rechtsform der GmbH vorteilhaft ist. Sie hat sich nach sehr eindringlichen Empfehlungen des Deutschen Bühnenvereins in vielen deutschen Bühnenstandorten durchgesetzt. Sie ermöglicht ökonomische Selbständigkeit und diszipliniert das finanzielle Handeln stark und hat langfristig die Wirkung, dass die Häuser bei der Frage der automatischen Bindung an die Tarife, die im öffentlichen Bereich ausgehandelt werden, stärker zu Haustarifen und besser die ökonomische Situation beantwortenden Tarifen kommen können.

Ich fahre fort zu Frage 1: Unabhängig davon ist in der Senatssitzung letzten Dienstag diskutiert, aber noch nicht beschlossen worden, wie weit längerfristige Sicherungen, Budgetierungen für die Berliner Theaterbetriebe in den Gesamtrahmen der Haushaltssituation passen. Wir sind der Meinung, dass dies unbedingt die Reformbemühungen begleiten müsse.

Unabhängig vom jetzigen Stand haben im letzten Jahr die Diskussionen um die Bühnenstrukturreform und die damit einhergehende sehr intensive Begleitung der geschäftlichen und der organisatorisch-planerischen Tätigkeit der Bühnen durch die Kulturverwaltung bereits heute ganz erstaunliche Wirkungen erzielt. Die Zusammenarbeit bzw. die Abstimmung der Opernhäuser hat sich sichtbar verbessert. Das Bewusstsein einer gemeinsamen Verantwortlichkeit – früher im Sacro-Egoismo des Künstlertums nicht unbedingt immer Mittelpunkt des Handelns – hat sich sichtlich verbessert. Das kann man an der sehr erfolgreichen Verdi-Aktion Anfang des Jahres sehen,

[Gelächter der Abgn. Frau Ströver (Grüne) und Cramer (Grüne)]

aber auch an der daran anknüpfenden Planung der gemeinsamen Ballettwochen Anfang des nächsten Jahres.

Und das Interessanteste ist: Die noch Anfang des Jahres 2000 prognostizierten großen Defizite, die eigentlich der Auslöser der Diskussion im Parlament gewesen sind, sind nicht erwirtschaftet worden, sondern im Gegenteil bis auf eine Ausnahme haben alle Bühnen – die Sprechtheater wie die Musiktheater – im Haushaltsjahr 2000 schwarze Zahlen geschrieben. Die Deutsche Staatsoper erzielte sogar ein Plus von 5,3 Millionen DM. Das zeigt zweierlei: Die Bühnen haben von der Diskussion und von diesem sehr intensiven Clinch zwischen Verwaltungen und Theaterleitungen profitiert. Und in der Öffentlichkeit – das kann man auch an den Besucherzahlen sehen – ist auch das Interesse an dem Schicksal der Opern dergestalt geweckt worden, dass

mehr Leute in die Theater und Opern gegangen sind. Sie selber haben ganz außergewöhnliche Anstrengungen unternommen, und wir stehen deswegen jetzt vor einer vollkommen anderen, ich glaube, zu einer optimistischeren Einschätzung berechtigenden Ausgangslage, als es vor ganz genau einem Jahr der Fall gewesen ist.

Zu 2 – hier zunächst auch die Vorgeschichte: Berlin hat sich seit dem Beginn der Verhandlungen im Jahr 1993 über die Hauptstadtkulturförderung um die Übernahme auch von Musiktheatern durch den Bund bzw. eine anteilige Mitfinanzierung bemüht. Diesen Forderungen ist der Bund – das ist in der Diskussion vergessen worden – zunächst nachgekommen, und zwar dergestalt, dass in der anteiligen Finanzierung des Hauptstadtkulturvertrags auch die Musiktheater erwähnt wurden als zu fördernde Institutionen; allerdings nicht so, dass sich der Bund tatsächlich in der Institutionenträgerschaft beteiligt hätte. Obwohl für das Jahr 1996 bis 2000 überwiegend die so genannten „Leuchttürme“ im Musiktheaterbereich als hauptstadtwürdige Einrichtungen definiert wurden, hat sich dann die rot-grüne Bundesregierung aus dieser Festlegung verabschiedet. Und in dem Hauptstadtkulturvertrag, der demnächst ja unterschrieben wird, für die Jahre 2001 bis 2005 sind in dem Betrag von jährlich 1 000 Millionen DM als Belegung die Musiktheater nicht genannt, sondern – wie wohl bekannt – GropiusBau, Berliner Festspiele, Jüdisches Museum, Haus der Kulturen der Welt und die Mitfinanzierung der Berliner Leistungen auf der Museumsinsel zu Folgen des Finanzierungsabkommens zur Baufinanzierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Es gibt einen kleinen Wink des Bundes, nämlich die 3,5 Millionen DM zur – ich zitiere aus dem Bundeshaushaltsplan:

Sicherung der musikalischen Leistungsfähigkeit der Staatskapelle und Wahrung der Kontinuität der künstlerischen Leitung.

Dieser Betrag ist aber, wenn man das Haushaltsgesetz des Bundes sehr genau betrachtet, zunächst nur für das Jahr 2001 beschlossen.

Bevor ich die Zusatzfrage zulasse, mein kleiner Hinweis an den Senat: Ich weiß, es ist schwer, aber die Anfragen sollten möglichst in kurzer Zeit beantwortet werden, damit wir viele Mündliche Anfragen behandeln können.

[Frau Ströver (Grüne): Das kann Herr Stölzl nicht – Fragen kurz beantworten!]

Zur Zusatzfrage hat Frau Abgeordnete Grütters das Wort! – Bitte sehr!

Herr Senator! Sie haben soeben vom Wink der Bundesregierung, den 3,5 Millionen DM zur Sicherung der Staatskapelle, gesprochen. Wie konkret sind Ihre Verhandlungen zur gänzlichen Übernahme der Staatsoper durch den Bund – ein Gerücht, das seit einigen Wochen durch die Stadt geht?

Herr Senator! – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Grütters! Jetzt mache ich es kurz: Es ist wohl bekannt, dass vor allem Daniel Barenboim sehr energische Versuche unternommen hat, den Bund in die Mitfinanzierung oder idealiter die Gesamtfinanzierung der Staatsoper hineinzulocken. Das wurde von Herrn Staatsminister Naumann lange Zeit abgeblockt als grundsätzlich unmöglich. Neuerdings, vor einigen Wochen, hat es deutliche Signale gegeben, dass die Bundesregierung die – wie auch immer geartete – anteilige oder gänzliche Finanzierung der Staatsoper Unter den Linden in Erwägung ziehen könnte. Wir haben schriftlich bestätigt, dass das Land Berlin selbstverständlich Interesse daran hat. In welcher Form, in welcher Stückelung ist vollkommen offen. Zunächst klärt die Bundesregierung derzeit, wie sie in ihre Finanzplanungen eine solche Änderung ihrer Zuwendungen zur Hauptstadtkultur Berlins verkraften könnte.

(A) (C)

(B) (D)

Sen Dr. Stölzl

Aber ich möchte noch einmal deutlich sagen, der ideale Zustand im Föderalismus ist an sich eine anteilige Finanzierung und eine gemischte Trägerschaft. Die 100-prozentige Finanzierung halten wir aus unserer Sicht eigentlich nur für einen Zwischenzustand, der dem Geist des kooperativen Föderalismus nicht wirklich ideal entspricht. Trotzdem unterstützen wir energisch alle Bemühungen des Bundes, seine apodiktische NeinHaltung gegenüber dem Musiktheater im Prinzip aufzugeben.

Wünschen Sie eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Grütters? – Bitte sehr!

Herr Senator! In welcher Form, in welcher Stückelung haben Sie Vorsorge für den Fall einer möglichen Beteiligung des Bundes an der Staatsoper dergestalt getroffen, dass die Einsparungen für das Land Berlin dann zumindest in gleichen Teilen der Deutschen Oper zugute kommen, damit sie mit gleichen Startvoraussetzungen in den Wettbewerb einer neuen möglichen rechtlichen Verankerung geht?

[Brauer (PDS): Und die Komische Oper? – Zuruf der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Herr Senator!

Es ist klare Haltung des Senats, dass es keine A-B-C-Musiktheaterlandschaft in Berlin geben darf. Das heißt, wir haben dem Bund auch klar gemacht, dass ein reines Binnengeschäft, eine Plus-Minus-Null-Rechnung der Übernahme der Kosten für die Staatsoper zu Lasten anderer Bundesbeteiligungen selbstverständlich keinen Sinn macht. Nur wenn dadurch die Gleichrangigkeit und die gleichen Startchancen für die Berliner Opern gegeben sind, machen diese Verhandlungen überhaupt Sinn.

Die nächste Zusatzfrage kommt von Frau Ströver! – Bitte sehr!

Herr Senator Stölzl, ganz so rosig, wie Sie es geschildert haben, ist die Situation nicht, wie wir alle wissen, vor allem hinsichtlich der aufgelaufenen Schulden, der Defizite, die wir in den Theatern und Musiktheatern haben. Um die jetzt nur noch übrig gebliebene Minireform zu finanzieren, ist die Entschuldung und auch die GmbH-Gründung und vieles andere zu finanzieren, ungefähr in einer Größenordnung von 40 Millionen DM. Dazu sollten Liegenschaftsgrundstücke der Kultur veräußert werden. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie viele Grundstücke sind Sie schon losgeworden? Wie viel Ertrag hat sich daraus ergeben, so dass Sie ihre Reform, wie sie jetzt noch dasteht, tatsächlich durchführen können?

Herr Senator Dr. Stölzl!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ströver! Wir sind schon sehr froh, dass wir keine neuen Defizite angehäuft haben, denn das Prinzip: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt man gänzlich ungeniert – darf doch nicht gelten. Ich halte es schon für einen bedeutenden Fortschritt, dass es zum ersten Mal zu einem Stopp gekommen ist, was vor einem Jahr niemand erwarten konnte. Die Entschuldung, den genauen Stand der bei den Notaren ratifizierten Verkäufe könnte nur die Finanzverwaltung dartun. Man muss nicht selbstkritisch, sondern nüchtern sagen, dass die Ausschreibung gerade am Ende des Jahres losgegangen ist. So attraktiv der Berliner Markt für jeden ist, der investiert, so braucht es doch ein bisschen Zeit, bis so viele Grundstücke verkauft sind. Es ist Sinn des Ganzen, dass die Theaterbetriebe nach und nach entschuldet werden in dem Maße, wie sich aus den Grundstückserlösen Möglichkeiten ergeben, oder in dem Maße – so derzeit beim Friedrichstadtpalast geschehen –, wie die Theaterbetriebe selbst in der Lage sind, sich ökonomisch auf eine ver

nünftige Basis zu stellen und diese alten Defizite zu begleichen. Auch dies wollen wir nicht aus den Augen verlieren. Es wäre der vernünftigste Weg, um die Gesundung rapide fortschreiten zu lassen, dass man sich ehrlich machen kann. Verglichen mit der Situation vor einem Jahr, die völlig ausweglos erschien, ist dieses Reformwerk, das aus vielen Teilen besteht – Seelenmassage, Controlling, Diskussion, öffentliche Diskussion, ökonomischer Verstand und Mitwirkung des Publikums –, doch einen Schritt vorwärts gekommen. Ich sehe der Zukunft optimistisch entgegen, dass wir mittelfristig – nicht von heute auf morgen – funktionierende GmbHs entschuldet und marktfähig in Berlin etablieren können.