Protokoll der Sitzung vom 31.05.2001

Aus Entwicklungsgebieten wurden Milliardengräber. In das Projekt Großflughafen Schönefeld fließen mit schöner Regelmäßigkeit bis heute zweistellige Millionenbeträge. Nicht zu vergessen die Olympiabewerbung, die nicht nur ein teurer, sondern auch ein peinlicher Flop war. Man lacht über die Karteikarten mit dem Sexualverhalten der IOC-Mitglieder noch heute weltweit. Und dann träumt allen Ernstes Herr Böger gemeinsam mit Herrn Werthebach schon wieder von Olympia im Jahr 2012.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Niedergesäß (CDU): Bravo!]

Ja, bleibt denn dieser geschundenen Stadt nichts erspart? – Lassen Sie sich doch wirklich einmal auf Realitätstüchtigkeit überprüfen!

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Die Stadt hat einen enormen Strukturwandel zu bewältigen. Allein in der Industrie sind zigtausend Arbeitsplätze abgebaut worden. Aber gerade deshalb wäre eine verantwortungsvolle Finanzpolitik um so wichtiger gewesen. Die vielbeschworene Wirtschaftskompetenz der CDU – ergänzt um den Bankenskandal – hat uns in eine Situation gebracht, welche die Industrieund Handelskammer als Schock für den Wirtschaftsstandort Berlin bezeichnet. Ihr Unternehmen Berlin, Herr Diepgen, ist keine Jobmaschine, sondern sie ist eine riesige Arbeitsplatzvernichtungsmaschine, und das ist ein großer Skandal.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS – Niedergesäß (CDU): Unverschämtheit!]

Der Imageverlust, der Berlin durch die Bankenkrise national und international erwächst, ist gigantisch groß. Investoren wenden sich mit Grausen von dieser Filz-Hauptstadt ab. Arbeitsplätze werden deshalb nicht entstehen, sondern im Gegenteil: Heute müssen die 16 000 Beschäftigten bei der Berliner Bankgesellschaft um ihren Arbeitsplatz fürchten. Schon werden Stimmen laut, die wieder nach betriebsbedingten Kündigungen rufen. Der Abbau von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen läuft bereits in großem Maßstab. Viele seriöse kleine und mittlere Unternehmer, die ganz anders als die Aubis geprüft werden, wenn sie einen Kredit bei einer Bank haben wollen, werden die Zeche zahlen. Das ist eine soziale Ungerechtigkeit ungeheuerlichen Ausmaßes,

Herr Diepgen, für die Sie in der Verantwortung stehen. Das ist nicht Modernisierung mit sozialem Gesicht, von der Sie vorhin ständig geredet haben.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

An dieser Stelle auch noch ein Wort zur Verantwortung des Bundes für Berlin: Wenn hier im Hause von Bundeshilfen gesprochen wird, dann ist damit völlig Unterschiedliches gemeint. Wir meinen Bundeshilfe mit klaren Sanierungsaufgaben und Auflagen als Hilfe zur Selbsthilfe für diese Stadt. Wenn Vertreter der CDU von Bundeshilfe reden und Milliardenbeträge vom Bund haben wollen, dann wollen sie so weiter machen wie bisher. Das wird der Bund nicht mitmachen, und das ist auch gut so. [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Der Bund als Financier des Desasters bei der Bankgesellschaft – das wird nicht stattfinden. Die Bundesregierung wäre doch auch von allen guten Geistern verlassen, würde sie finanzielle Hilfen genau an die Geldverschwender auszahlen, die die jetzige Situation zu verantworten haben. Bankrotteure dürfen doch nicht zu Insolvenzverwaltern gemacht werden.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS – Wolf (PDS): Das macht nur die Berlin-Hyp!]

Die Geldverschwender haben die Zukunft Berlins verspielt – vor allem auf Kosten der Kinder und Jugendlichen und der sozial Schwachen. Die Bank frisst das Geld, das wir eigentlich woanders bräuchten. Allein mit den 6 Milliarden DM oder – um es einmal anders auszudrücken, damit man sich die Dimensionen vorstellen kann – mit den 6 000 Millionen DM, die Berlin zusätzlich an Netto-Neuverschuldung dieses Jahr aufnehmen werden muss, könnte man dauerhaft 3 000 zusätzliche Lehrerstellen finanzieren. Oder man könnte ein soziales und ökologisches Infrastrukturprogramm auflegen – dauerhaft mit 8 000 Beschäftigten. Oder man könnte alle Schulen und alle Sportstätten dieser Stadt luxusmäßig sanieren. Aber nichts von alledem wird passieren. Sogar der Zukunftsfonds wird in diesem Jahr für das Stopfen von Schuldenlöchern eingesetzt. Das Unternehmen Berlin ist, wenn auch nicht Konkurs, so doch pleite. Das ist die bittere Wahrheit. Es muss endlich Schluss sein mit aller Schönrederei. [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Schuld will niemand gewesen sein – nicht die Bankvorstände, nicht die Aufsichtsräte, in denen Senatoren aus SPD und CDU ihre Kontrollpflichten offenbar sträflich vernachlässigt haben, und auch nicht Eberhard Diepgen, der nichts gewusst haben will. Das ist Amnesie im fortgeschrittenen Stadium.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Aber was die Leute am meisten empört, und zwar mit Recht, ist, dass die Verantwortlichen für diese Krise weiter in Saus und Braus leben. Landowsky sitzt weiter im Parlament.

[Zurufe von links: Wo ist er denn? – Zuruf von der PDS: Er schwänzt! – Heiterkeit]

Er ist zweiter Mann im CDU-Landesvorstand, auch wenn er vor der heutigen Sitzung hier kneift – er ist ja nicht da –, und er bekommt als Leistungsträger, Herr Steffel, der so viel Gutes über diese Stadt gebracht hat, noch ein goldenes Ruhekissen: 700 000 DM für die nächsten zwei Jahre – inklusive Dienstwagen und Sekretärin – und dann bis zum Lebensende noch einmal jährlich 350 000 DM.

[Zuruf des Abg. Dr. Steffel (CDU)]

Und die Bankenmanager wohnen weiter in Luxusvillen mit Sauna und Schwimmbad für 20 DM pro qm Wohnfläche, was die Bankgesellschaft langfristig ungefähr 45 Millionen DM kostet. Wir sagen Ihnen: Das ist eine moralische Verkommenheit, die abso

lut ihresgleichen sucht. Wir werden alles tun, damit es mit dieser Bereicherung endlich ein Ende hat und die Verantwortlichen Schadensersatz leisten müssen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Gleichzeitig wird darüber diskutiert, die Sozialmieten zu erhöhen und die Sozialhilfe zu kürzen, und den Bezirken steht das Wasser bis zum Hals. Es soll alles privatisiert werden, was nur irgendwie zu privatisieren ist: Bäder, Kliniken, Wohnungsbaugesellschaften. – Die Förderung von Genossenschaften ist genauso gefährdet wie die Programme gegen den Drogenmissbrauch. Wasser predigen und Wein trinken – das ist hier immer noch die Devise, und das empört die Berliner Bevölkerung zu Recht. [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Die Verantwortlichen müssen auch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Es gibt uns zu denken, wenn von 23 Strafverfahren 13 schon wieder eingestellt sind – eines davon ist das von Klaus Landowsky –, und es gibt uns weiter zu denken, wenn der zuständige Staatsanwalt in der Abteilung Wirtschaftskriminalität beklagt, dass durch vorsintflutliche Büroausstattung und fehlendes Personal wohl vieles im Sande verlaufen wird. Ist das ein Zufall? – Deshalb fordern wir: Stellen Sie umgehend die notwendigen Ressourcen zur Verfügung!

[Zuruf des Abg. Gram (CDU) – Weiter Zurufe von der CDU]

Richten Sie eine Sonderkommission von Polizei und Staatsanwaltschaft ein – ähnlich der damaligen „Soko Lietze“ beim Antes-Skandal! Noch, Herr Diepgen, sind Sie hier nämlich der Justizsenator. [Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Berlin braucht einen politischen Neuanfang mit unbelasteten Personen, da können Sie soviel dazwischen krähen, wie Sie wollen, Herr Gram. Die Berliner Bevölkerung hat diese Regierung wirklich nicht verdient. Nicht die Jugendlichen, die mit 30 oder 40 Bewerbungen nach einem Ausbildungsplatz suchen, nicht die Lehrenden und Lernenden an den Universitäten, die jetzt in die Situation kommen, dass die neuen Hochschulverträge gefährdet sein werden, und vor allem die sozial Schwachen haben es nicht verdient, dass ausgerechnet sie die Zeche zahlen sollen. Alle haben in den letzten Jahren ihren Sparbeitrag gebracht, während die politisch Verantwortlichen die Milliarden mit Händen zum Fenster hinausgeworfen haben. Deswegen sagen wir: Wir wollen Entflechtung statt Verflechtung von Politik und Wirtschaft, wir brauchen verantwortlichen Umgang mit öffentlichen Geldern statt Vettern- und Parteibuchwirtschaft. Es gibt zukunftsfähige Strategien für die Stadt. Nutzen wir sie. Die Stadt hat Potential für einen Neuanfang, aber eben nicht mit Herrn Diepgen, dem Regierenden Bürgermeister.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Niedergesäß (CDU): Mit Klotz auch nicht!]

Frau Abgeordnete, Sie müssen zum Schluss kommen!

Ja. Deswegen, es ist schon gesagt worden, werden wir als Grüne gemeinsam mit PDS und FDP ein unabhängiges Personenbündnis

[Goetze (CDU): Völlig unabhängig!]

völlig unabhängig, Sie werden es sehen! – für ein Volksbegehren mit dem Ziel von Neuwahlen unterstützen,

[Niedergesäß (CDU): Sie sind ja eine Traumtänzerin!]

und wir werden dieses Ziel erreichen.

Ich gebe Ihnen noch ein Zitat von Richard von Weizsäcker mit auf den Weg. Der hat gesagt: „Parteien dürfen sich den Staat nicht zur Beute machen“. Hier in Berlin hat sich eine Gruppie

rung aus immer den gleichen Leuten eine ganze Stadt zur Beute gemacht.

[Niedergesäß (CDU): Das ist Irrsinn, was Sie da sagen!]

Das ist der Kern Ihrer politischen Verantwortung, Herr Diepgen. Wenn Sie daraus nicht selbst die Konsequenzen ziehen, dann werden wir es tun. Wir wissen seit 1981, wie das geht.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Zurufe von der CDU: Frau Dr. Klotz, üben!]

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Herr Abgeordneter Wowereit. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorab ein Wort zu Herrn Steffel: Ich kann verstehen – und wir haben es uns so versprochen –, dass wir versuchen, in der Koalition eine Atmosphäre zu schaffen, in der man sachlich zusammenarbeiten kann.

[Beifall bei der CDU]

Das ist in Ordnung. Wenn man in einer Koalition sitzt, macht es keinen Sinn, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben und so zu tun, als habe man nichts miteinander zu tun.

[Niedergesäß (CDU): Aha!]

Aber, Herr Steffel, Ihre Rede war genau das Gegenteil dieses Versprechens, das Sie eingefordert haben. Ich muss eines sagen – damit ist es dann aber auch genug zu Ihrer Rede –: Ich kann verstehen, dass man es als neuer Fraktionsvorsitzender gerade einmal in 14 Tagen schafft, den Teppich auszutauschen, aber den Redenschreiber hätten Sie vielleicht als erstes austauschen sollen. [Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Diese Art von Rede hat mich sehr an vergangene Reden erinnert. Ich habe geglaubt, dass diese Zeiten in diesem Haus endlich vorbei sind.

Ich will auch noch eine Vorbemerkung zu Ihrer Attacke gegen die ehemalige Finanzsenatorin Frau Fugmann-Heesing machen. Ich finde es nahezu unerträglich, wenn ausgerechnet die Person in diesem Saal in der Weise angegriffen und für die Ursachen der Bankenkrise, der Haushaltskrise verantwortlich gemacht wird, die 1996 endlich in Berlin einen Kurswechsel herbeigeführt hat, den Kurswechsel der Konsolidierung und des Anerkennens der Realitäten und nicht der Verweigerung.

[Beifall bei der SPD – Zurufe der Abgn. Gram (CDU) und Rabbach (CDU)]

Wenn es eine Person in der letzten Legislaturperiode gegeben hat, die empfindlich die Kreise der Verflechtungen von Politik und Investoren gestört hat, dann war es Frau Fugmann-Heesing. Sie stand doch im Zentrum der Kritik gerade Ihrer Parteifreunde nicht deshalb, weil sie sich erlaubt hat in der baulichen Unterhaltung zu sparen, sondern weil sie gesagt hat, dass öffentliche Projekte, dass Grundstücke ausgeschrieben werden müssen und nicht nach Gutdünken vergeben werden dürfen. Deshalb stand sie im Zentrum der Kritik.