Protokoll der Sitzung vom 14.06.2001

Erst gestern – Eberhard Diepgen hat darauf hingewiesen – wurde gesagt, dass es überhaupt gar keinen Grund gebe, sich für den Mauerbau zu entschuldigen, im Gegenteil: Man hat die Mauer quer durch Deutschland und Berlin sogar noch verteidigt und gerechtfertigt.

[Gram (CDU): Unglaublich!]

Und das hat nicht irgendein Hinterbänkler aus der kommunistischen Plattform getan. Nein, das war der andere stellvertretende Bundesvorsitzende dieser Partei, Herr Porsch.

Herr Wowereit, wie können Sie sich aus brutaler Machtgier von solchen Leuten zum Regierenden Bürgermeister wählen lassen?

[Beifall bei der CDU]

Liebe Berlinerinnen und Berliner, Willy Brandt hat gesagt: Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört, und Goethe sagte: Sage mir, mit wem du gehst, und ich sage dir, wer du bist.

[Beifall bei der CDU]

Wenn Sie heute, Herr Wowereit, in der Hauptstadt aller Deutschen ein Zeichen setzen und diese PDS für paktfähig erklären, dann sage ich Ihnen, Sie stehlen nicht nur den älteren Berlinerinnen und Berlinern ihre Geschichte, nein, Sie stehlen uns jungen Berlinerinnen und Berlinern unsere Zukunft.

[Beifall bei der CDU]

Oder wie eine große Zeitung gestern aufmachte: Berlin befindet sich ab heute im Rückwärtsgang. Das können Sie doch nicht ernsthaft zulassen, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten.

Ich habe mich in den letzten Tagen und Wochen oft gefragt, warum einige Sozialdemokraten jetzt so handeln, wie sie eben handeln. Ich habe versucht, mich in sie hineinzudenken und hineinzufühlen. Auch wenn es mir schwerfällt, muss ich zugeben: Ich habe bis zu einem gewissen Grad sogar verstanden, was sie umtreibt. Ihre Partei hat mit Louise Schroeder, Willy Brandt und vielen anderen die Geschicke dieser Stadt durch viele lange Jahrzehnte gelenkt. Sie hat in schwersten Zeiten die Hauptverantwortung getragen. Seit 20 Jahren hatten sie nun nicht mehr die Kraft, stärkste Partei in dieser Stadt zu sein. Sei es durch glückliche Fügung, sei es durch die Wiedervereinigung oder sei es durch unsere Verdienste.

Die Berliner CDU hat es mit Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen immer wieder geschafft, stärkste Fraktion in diesem Berliner Abgeordnetenhaus zu werden. Das mögen viele von Ihnen – ich verstehe das – als Demütigung erlebt haben. Sie haben sich, und das muss man auch in der Geschichte anerkennen, durch das schwierige Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer der Zusammenarbeit der beider großen demokratischen Volksparteien nicht verweigert, obwohl es sicher für viele von Ihnen schwer war, dabei eigenes Profil zu gewinnen. Bei manchen von Ihnen mag dabei der Eindruck entstanden sein, dass Sie die Hälfte der Arbeit tragen, aber nur einen Teil der Lorbeeren ernten. Deshalb ist vieles verständlich, aber erklärt dies auch, dass Sie sich nun auf Gedeih und Verderb der PDS ausliefern?

Wir sollten in dieser Stunde auch einmal überlegen, wo das Staatsinteresse anfängt und daher das Parteiinteresse aufhören muss. [Beifall bei der CDU]

Noch, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, können Sie es sich überlegen, ob Sie Eberhard Diepgen mit Hilfe der Kommunisten stürzen und damit den sofortigen Beginn des Wahlkampfes nach einem knappen Drittel der Legislaturperiode provozieren oder ob Ihnen der Auftrag der Wähler zur Vollendung dieser Wahlperiode wichtiger ist. Lassen Sie sich nicht irritieren! Wir haben ein funktionsfähiges Parlament, und die primäre Aufgabe der hier sitzenden Abgeordneten ist nicht der Putsch, sondern die Kooperation der Parlamentarier.

[Beifall bei der CDU]

Lassen Sie sich nicht zu Erfüllungsgehilfen eines gewagten Machtspiels degradieren. Sie sind, wie wir alle, für fünf Jahre in dieses Parlament gewählt, und wir haben von den Wählerinnen und Wählern einen klaren Auftrag übernommen.

Sowohl diese Grünen als auch diese PDS werden von den Leuten der Vergangenheit repräsentiert. Weder von den einen noch von den anderen ist eine zukunftsweisende Politik zu erwarten. Weder die einen, noch die anderen haben auch nur Ansätze einer geistigen Führung für Berlin, für unsere deutsche Hauptstadt, erkennen lassen. Aber dahinter steckt in beiden Fällen eine gewisse geistige Öde und Leere. Nichts vermag die Menschen

an den abgedroschenen Leerformeln und -floskeln dieser Linksparteien und deren Ideologien noch zu fesseln. Keine begeisternden Entwürfe für das neue Berlin, der ideologische Mief vergangener Tage, keine neuen Gesichter, keine neuen Ideen!

[Beifall bei der CDU]

Die Berliner SPD befindet sich in einem Zustand, der zu Hoffnung wenig Anlass bietet. Ein wirklich Orientierung und Perspektive vermittelndes Leitbild ist nicht zu erkennen. Die Grünen leben mehr und mehr von ihrer Substanz. Wirklich neue, innovative Vorschläge kommen von hier kaum noch. Eine Änderung ist nicht absehbar. Und die PDS? Ein tatsächlich alternatives und tragfähiges Gesamtkonzept einer Reformpolitik für die ganze Stadt haben sie bislang noch nicht vorgelegt.

Diese Sätze stammen nicht etwa von mir. Nein, ich habe sie heute auf der Internetseite der PDS von Herrn Wolf gelesen.

[Beifall und Heiterkeit bei der CDU – Zuruf von der CDU: Bravo, Wolf!]

Mit einem Satz: Keiner der drei Linksparteien gesteht Herr Wolf eine tragfähige Perspektive, ein brauchbares Zukunftskonzept zu. Herr Wolf, ausnahmsweise haben Sie Recht. Dem ist nichts hinzuzufügen. [Beifall bei der CDU]

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es scheint Ihnen nicht zu genügen, nur keine Ideen zu haben. Man muss auch unfähig sein, personelle Alternativen zu finden. Finden Sie erst einmal einen Kultur- und Wissenschaftssenator wie Professor Stölzl,

[Beifall bei der CDU]

der sensibel, zielbewusst und hochqualifiziert die Kultur- und Wissenschaftslandschaft dieser Stadt unter schwierigsten finanziellen und politischen Bedingungen schützt und weiterentwikkelt. Finden Sie erst einmal einen Wirtschaftssenator wie Wolfgang Branoner, [Beifall bei der CDU]

unter dessen Ägide wir einen Existenzgründerboom in den Zukunftsbranchen erlebt haben. Finden Sie erst einmal einen Innensenator wir Eckart Werthebach,

[Beifall bei der CDU]

der entschlossen gegen Radikale von rechts und links vorgeht, der besonnen die Bezirks- und Verwaltungsreform durchsetzt und dabei keineswegs auf betriebsbedingte Kündigungen verweist wie Sie, Herr Wowereit. Finden Sie erst einmal einen Finanzsenator wie Peter Kurth,

[Beifall bei der CDU]

der im Unterschied zu seiner Vorgängerin mit Fingerspitzengefühl und großer sozialer Verantwortung die Haushaltssanierung vorantreibt und auch die Bankenkrise meistern wird. Diese Persönlichkeiten haben den Dank und die Anerkennung der Berlinerinnen und Berliner verdient.

[Beifall bei der CDU]

Dass Sie einen verlässlicheren, ehrlicheren, fleißigeren oder gar besseren Regierenden Bürgermeister für diese Stadt finden als Eberhard Diepgen, glaubt Ihnen niemand.

[Beifall bei der CDU]

Wenn Sie sich aber Ihrer demokratischen und moralischen Tradition bewusst bleiben, dann widerstehen Sie den kurzfristigen Verlockungen des Tageserfolges. In drei Tagen jährt sich der blutig niedergeschlagene Arbeiteraufstand in Ostberlin, der 17. Juni 1953. Hier zeigte die zweite Diktatur auf deutschem Boden ihr menschenfeindliches Gesicht. Als Jüngerer will ich nicht auf die Vergangenheit eingehen. Aber wer aus der Geschichte nicht lernt, steht in der Gefahr, sie zu wiederholen. Unser aller Bundespräsident Johannes Rau hat gesagt:

Jede Generation muss sich mit der Geschichte des eigenen Landes neu auseinandersetzen. Die Erinnerung ist nicht nur der Opfer wegen erforderlich, sondern um unserer selbst willen.

Daran sollten Sie in den kommenden 48 Stunden denken!

[Beifall bei der CDU]

Sollte das Misstrauen obsiegen, stürzt die SPD gemeinsam mit der PDS am Samstag einen Mann, der sich für die Stadt und Ihre Menschen aufgeopfert hat. Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, lieber Eberhard Diepgen, egal, welche Bündnisse nun zur Macht drängen, der Dank und die Zuneigung der großen Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner ist Ihnen sicher.

[Beifall bei der CDU]

Sie, Herr Regierender Bürgermeister, sehr geehrter Herr Diepgen, haben Ihren Platz in der Berliner Geschichte verdient, nicht nur als der am längsten dienende Regierende Bürgermeister dieser Stadt, nicht nur als der erste frei gewählte Regierende Bürgermeister des wiedervereinigten Berlins, sondern vor allem als ein großer Mann, der die Geschicke dieser Stadt mit überlegter, ruhiger Hand, mit dem Sinn für Ausgleich und Gerechtigkeit und mit dem Herzen für seine Vater- und Mutterstadt geführt hat!

[Beifall bei der CDU]

Sie werden auch weiterhin unser Vertrauen und vor allem das Vertrauen der Berlinerinnen und Berliner haben! Ihnen und Ihrer Familie danken wir. Sie bleiben der Regierende Bürgermeister der Herzen! [Anhaltender Beifall bei der CDU]

Für die Fraktion der Grünen hat der Abgeordnete Wieland das Wort!

[Unruhe bei der CDU – Zuruf von der CDU: Neuanfang!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Diepgen! Ich habe mich tatsächlich im Vorfeld dieser Debatte in diesen Tagen gefragt, ob der Regierende Bürgermeister nicht einen anderen Abgang verdient hätte. Das sage ich einmal! interjection: [Zuruf von der CDU]

Nun kommt das „Aber“: Meine Fraktion sagte auch zur heutigen Debatte, dass wir lieber nicht auf die Regierungserklärung erwidern. Das ist sein Recht. Er kann in Würde noch seinen letzten Redebeitrag halten.