Herr Abgeordneter! Sie müssen zur Begründung der Großen Anfrage reden. Nachher, in der Debatte, können Sie wieder das Wort ergreifen!
Wir kommen – die Große Anfrage hätte aktueller nicht sein können – zur aktuellen wirtschaftlichen Situation in Berlin und des Bundes. Was im Bund vorgeht und die Stimmung in der deutschen Wirtschaft brauche ich Ihnen nicht zu replizieren, aber einige Dinge, die in Berlin vorgehen: die Presseinformation der Arbeitsgemeinschaft der Verbände des Verkehrsgewerbes oder auch den Brief von Herrn Staatssekretär a. D. Hertel, der in der letzten Woche an den Regierenden Bürgermeister ergangen ist, in dem er die geplante Einstellung des Zukunftsfonds in Berlin scharf kritisiert. Das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen. Das ist der Blick in die Vergangenheit. Was dieser rot-grüne Senat in nicht einmal 14 Tagen angerichtet hat, hätte ich mir davor nicht vorstellen können!
Und dann gibt es den Blick in die Zukunft, auf das, was auf uns zukommen wird. Wir stellen die Frage an den Berliner Senat, wie er mittelständische Unternehmen in Berlin fördern, wie er die schwierige Umbruchsituation in Berlin weiter begleiten will. Da kann ich zum Parteiprogramm der SPD nicht viel mehr sagen als die Grünen in einem Artikel der „Berliner Morgenpost“ vom 10. Juli, dass nämlich auch in den Gebieten der Finanz-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik die SPD keine tragfähigen Konzepte präsentiert. Das ist Fakt!
Wir haben als CDU diese Große Anfrage gestellt, weil wir konkret von der neuen Wirtschaftssenatorin wissen wollen, wie sie mittelständische und kleine Unternehmen in Berlin sieht, in welcher Lage sie sie sieht und wie sie sie in Zukunft unterstützen will. Sie haben schon in zwei Wirtschaftsausschüssen die Möglichkeit gehabt, sich vorzustellen, Frau Senatorin. Ich sage Ihnen ganz offen, ich habe persönlich einen sehr angenehmen Eindruck, aber Sie haben ganz konkret keinen einzigen Vorschlag gemacht. Der einzige Vorschlag, auf dem Sie beharrt haben, war der Berliner Zukunftsfonds, der Ihnen nun leider gestrichen worden ist. Da müssen wir als Opposition Sie ein bisschen in Schutz nehmen und davor bewahren, dass die SPD in Zukunft, in der Legislaturperiode, die noch bis zum 21. Oktober dauern wird, noch ein paar solche „Späßchen“ veranstaltet.
Wir fordern von Ihnen ganz konkrete Vorstellungen zur Berliner Mittelstandsförderung. Da kann ich Sie nur ermahnen, Ihren Referentenentwurf wie in den letzten zwei Wirtschaftsausschüssen zur Seite zu legen und Fakt und Klartext zu reden. – Vielen Dank! [Beifall bei der CDU]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin dem Herrn Abgeordneten Gräff für seine Worte, dass er
mein Anliegen in Richtung mittelständische Unternehmen unterstützt, ausgesprochen dankbar. Es könnte nicht besser sein; wenn ich auf die breite Unterstützung des Hauses bauen kann, wird das die Arbeit in Zukunft sehr erleichtern. Ich habe die vorangegangene Begründung der Großen Anfrage mit großem Interesse verfolgt. Wir scheinen doch eine Menge Gemeinsamkeiten hier zu haben. Nichts dürfte der wirtschaftlichen Entwicklung einer Stadt mehr abträglich sein als Unsicherheit über den wirtschaftlichen Kurs der politisch Verantwortlichen.
Daher stelle ich auch mit Freude fest, dass es zwischen Opposition und Senat offensichtlich einen Grundkonsens gibt, was die Mittelstandspolitik angeht.
Ich wiederhole noch einmal, was ich schon zu Beginn – auch im Wirtschaftsausschuss – betont habe: Dieser rot-grüne Senat ist kein Unternehmer- und kein Investorenschreck.
Denn erstens sind Unternehmer und Investoren viel zu schlau, als dass sie ihre Entscheidungen davon abhängig machen würden, welcher Couleur die gerade amtierende Regierung ist.
Zweitens sind die Unternehmerinnen und Unternehmer Berlins ebenso wie Investorinnen und Investoren von außerhalb viel zu wertvoll, als dass wir sie verschrecken wollen – im Gegenteil: Sie haben Anspruch auf Verlässlichkeit und Vertrauen, und dem wollen und werden wir gerecht werden.
Wir müssen ihnen allerdings durch den Abbau von bestehenden bürokratischen Hürden und die Lichtung des administrativen Gestrüpps das Leben einfacher, sprich: effizienter, machen; denn sie sind es, die Arbeitsplätze, Einkommen und letztlich auch Steuern für Berlin generieren. Die Entbürokratisierung ist in den letzten Jahren ebenso zu kurz gekommen wie die angemessene Gewichtung der Umweltwirtschaft. Sie ist von der Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren geradezu stiefmütterlich behandelt worden.
Sie muss dringend größeres Gewicht bekommen, wenn wir vorankommen wollen bei unserem obersten Ziel der Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Deutschlandweit arbeiten 1,3 Millionen Menschen in der Umweltwirtschaft. Das ist mehr als in der Ernährungswirtschaft oder im Fahrzeugbau. Hier liegen auch die größten Zuwächse. Berlin muss also stärker als bisher Flagge zeigen.
Weiter wird der Aspekt der Nachhaltigkeit stärker als bislang in Wirtschaftsförderentscheidungen einfließen, wie es die EU-Kommission ohnehin vorschreibt.
Mehr Aufmerksamkeit widmen, als dies bislang der Fall war, werde ich dem Thema Verbraucherschutz. Die auf Bundesebene kritisierte Zersplitterung der Zuständigkeiten muss auch auf Landesebene beseitigt werden.
Darüber hinaus müssen künftig mehr Ökoprodukte aus der Region in die Regale der Berliner Supermärkte gelangen.
Auch will ich mich stärker um das unternehmerische Potential der Migrantinnen und Migranten in Berlin kümmern.
Dies hatte sich zwar auch die frühere Koalition auf die Fahnen geschrieben, aber zu wenig Erkennbares geleistet. Dabei bietet allein die Unternehmerschaft türkischer Herkunft in 5 500 Unter
nehmen rund 22 000 Beschäftigten einen Arbeitsplatz und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 6 Milliarden DM. Sie tragen damit nicht nur zur Wirtschaftskraft bei, sondern leisten auch einen unverzichtbaren Beitrag zur Integration und zur Entschärfung von sozialem Sprengstoff in der Stadt. Und natürlich – das wird Sie nicht weiter überraschen – werde ich mich für mehr Chancengleichheit von Frauen im Erwerbsleben, gerade auch bei kleinen und mittleren Unternehmen, einsetzen.
Die Berliner Wirtschaft hat sich zwar in den letzten beiden Jahren erkennbar besser entwickelt. Aber wir sind noch lange nicht da, wo wir hin wollen und wo wir hin müssen. Die Arbeitslosenzahl ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Sie stagniert bei 270 000 Das entspricht der Einwohnerzahl einer Stadt der Größe von Kiel oder Aachen. Das ist nun alles andere als hinnehmbar. Die Wirtschaftsleistung sinkt zwar im Augenblick nicht, die Wachstumsrate von 0,9 % im Jahr 2000 ist aber wahrlich kein Ruhmesblatt, und wir können angesichts der eingetrübten Wachstumsaussichten deutschlandweit froh sein, wenn im Jahr 2001 dieser Wert wieder erreicht wird. Und dass Berlin die rote Laterne unter den Bundesländern abgegeben hat, muss man wohl eher der schwächeren Entwicklung in einigen anderen Ländern zuschreiben als einer aktiv-progressiven Wirtschaftspolitik in Berlin. Wirtschaftspolitik in dieser Stadt muss kleine und mittlere Unternehmen in den Mittelpunkt stellen.
Und ich sage noch mal: Ich freue mich, dass offenbar darüber zumindest in diesem Haus Einigkeit besteht.
Ich komme damit zur Beantwortung Ihrer Fragen, die sich auf Struktur und Entwicklung des Mittelstands in Berlin beziehen. Ohne Frage sind kleine und mittlere Unternehmen das Rückgrat der Berliner Wirtschaft. Sie sind ein dynamisches Element im strukturellen Wandel. Sie stellen sich flexibel den technologischen Herausforderungen und passen sich veränderten Marktgegebenheiten an. Wenn es auch auf Grund fehlender Mittelstandsstatistiken keine exakten amtlichen Angaben gibt, wissen wir doch, dass mehr als 95 % der rund 100 000 Unternehmen der Stadt den kleinen und mittleren zuzurechnen sind. Auch in Berlin gilt, was das Institut für Mittelstandsforschung für Deutschland insgesamt ermittelt hat: Kleine und mittlere Unternehmen beschäftigen rund 70 % aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und bieten 80 % der Ausbildungsplätze, und sie tätigen 56 % der Investitionen und erzielen 57 % der Bruttowertschöpfung. Und der Berliner Mittelstand wächst weiter. Auf Grund der Jahr für Jahr hohen Existenzgründerzahlen hat sich die Selbständigenquote in Berlin von 5,2 % 1991 auf 10,4 % im Jahr 2000 verdoppelt. Im Ostteil der Stadt wurde bereits 1998 eine Selbständigenquote von 11,8 % erreicht, und das ist der Spitzenplatz bei den neuen Bundesländern.
Das Betriebspanel Berlin der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen weist zwischen 1996 und 2000 einen Anstieg der Beschäftigtenzahlen in Betrieben mit weniger als 500 Beschäftigten von rund 50 000 und einen Anstieg der Zahl der Auszubildenden um 12 000 aus. Hier sind allerdings, muss ich hinzufügen, konzernabhängige Betriebe mit weniger als 500 Beschäftigten mitgezählt, die eigentlich ja nicht dem Mittelstand zugeordnet werden können.
Bezüglich der Umsatzentwicklung lässt sich so viel sagen: Aus der Umsatzsteuerstatistik ist ersichtlich, dass sich in Berlin die Zahl der steuerpflichtigen Unternehmen mit Jahresumsätzen bis zu 50 Millionen DM in den Jahren von 1996 bis 1999 nur gering verändert hat. Die Zahl der steuerpflichtigen Unternehmen nahm um 3,6 % zu, die Lieferungen und Leistungen sanken im angegebenen Zeitraum jedoch um 7,6 %. Auch dieses ist nicht unbedingt ein sehr positives Ergebnis.
Welche Standortfaktoren prägen die Entwicklung des Berliner Mittelstands? – Ich sehe die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Berlin vor allem in drei Bereichen: bei wissensorientierten
Dienstleistungen und innovativer industrieller Fertigung, im Bereich Tourismus und im internationalen Austausch, wobei ich ausdrücklich Berlins Chancen als Ort der Ost-West-Kooperation hervorheben möchte, und allen voran im Bereich Medien, Kreativität, Kultur, wo die Stadt eine riesige Anziehungskraft aufweist. In all diesen Bereichen ist der Berliner Mittelstand häufig durch ganz junge Unternehmen direkt vertreten, oft als treibende Kraft oder als Partner großer internationaler Unternehmen beteiligt.
Dies führt unmittelbar zu Frage 6, wo Sie nach Internetpräsenz und Nutzung des Internets durch den Berliner Mittelstand fragen. Hier gibt es durchaus Erfreuliches zu berichten. Die Berliner Wirtschaft ist im Bundesvergleich sehr stark im Internet vertreten und nützt es als zusätzlichen Vertriebs- und Marketingkanal. 90 % der Unternehmen verfügen über einen Internetzugang, über 70 % präsentieren sich mit ihrer eigenen Homepage. In Deutschland sind das nur 49 % im Schnitt. Auch das Handwerk steht hier nicht zurück und ist mit über 50 % seiner Unternehmen im Netz präsent. In einzelnen Innungen wird schon 15 % des Umsatzes über das Internet generiert. Berlin hat sich nach München als attraktivster Standort für Internetgründer in Deutschland platziert, noch vor Hamburg, Frankfurt am Main und Köln.