Diese Solidarität der Stadt sollte sich aller sachlichen Auseinandersetzung zum Trotz auch in diesem Haus fortsetzen. In unserer Demokratie wird viel diskutiert und viel gestritten, aber keiner darf sich darüber täuschen, dass alle Demokraten gegen diejenigen zusammenstehen, die versuchen, die Grundfesten der Demokratie zu erschüttern. Diese Gemeinsamkeit und Einigkeit stehen nicht im Gegensatz zum sachlichen, demokratischen Wettbewerb. Nachdem der Wahlkampf unmittelbar nach den tragischen Ereignissen spontan eingestellt worden war, haben alle Parteien beschlossen, nun auf Showeffekte im Wahlkampf zu verzichten und sich auf die inhaltliche Auseinandersetzung zu konzentrieren. Der Ton muss ein anderer werden, und er wird ein anderer werden. Damit erfüllen wir alle einen Anspruch, den die Bürgerinnen und Bürger zu Recht an uns stellen.
Doch die Erwartungen, die sich jetzt an die Politik richten, gehen weiter. Die Bürger erwarten ein effektives und wehrhaftes Eintreten ihres Staates gegen den Terrorismus, und sie erwarten dies zu Recht, denn der Schutz seiner Einwohner gehört zu den Kernaufgaben jedes staatlichen Gebildes. Wichtige Voraussetzungen sind bereits in der Vergangenheit z. B. mit der Reform des Verfassungsschutzes geschaffen worden. Ein effizient arbeitender Verfassungsschutz wird jetzt mehr denn je gebraucht.
Und es gehört zu den Selbstverständlichkeiten, über die Demokraten nicht streiten müssen, dass Kürzungen im Bereich des Polizeivollzugs angesichts der gegenwärtigen Entwicklung unterbleiben müssen. Der Senat hat dies erkannt und konsequent gehandelt. Knapp 14 Millionen DM stehen in einem Sofortprogramm zur Verfügung, das auch den Schutz der Polizisten verbessert, die unser aller Schutz übernommen haben. Ich möchte mich an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich bei den Berliner Polizeibeamten bedanken, die erhebliche Anstrengungen seit dem 11. September unternommen haben, um uns allen eben diesen Schutz zu gewährleisten.
Es gibt sicherlich noch konkrete Verbesserungen, die angegangen werden können. Ich denke dabei z. B. an die Ausstattung von Polizei und Verfassungsschutz zur Durchführung von Abhörmaßnahmen. Auch dort greift das Sonderprogramm des Senats an. Wartelisten darf es in so einem sensiblen Bereich nicht geben. Grundsätzlich ist dies aber nicht der Zeitpunkt, um über Details zu streiten. Der Senat wird alles unternehmen, um den bestmöglichen Schutz der Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt sicherzustellen. Dabei gilt es auch, mit Augenmaß zu handeln und sich nicht durch jene, die die dramatischen Entwicklungen zu vordergründigen Vorstößen ausnutzen, in puren Aktionismus treiben zu lassen. Seriosität und Verlässlichkeit sind jetzt oberstes Gebot für alle Politiker.
Populismus und Aktionismus sind wirkungslos im Kampf gegen die reale Gefahr. Allzu leicht können sie den Terroristen mittelbar zu Erfolg verhelfen, nämlich dann, wenn wir die Eile über das überlegte Handeln stellen würden und dadurch selbst zu Maßnahmen greifen würden, die die Werte antasten, denen der terroristischen Angriff galt. Wir werden daher Acht zu geben haben, die Freiheit aller friedlichen Bürger nach außen und innen zu verteidigen.
Der Kampf gilt Terroristen, menschenverachtenden Verbrechern, die selbst vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht zurückschrecken. Der Kampf gilt keiner Kultur, keinem Landstrich und keiner Religion. Terror wird und wurde auf dieser Welt im Namen vieler Glaubensrichtungen verübt – auch in Europa. Es gibt keine rationale Verbindung zwischen Extremisten und der Religion, auf die sie sich berufen.
Der Islam, der immerhin die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Berlin bildet, ist ein Glaube des Friedens. Viele deutsche und ausländische Mitbürger islamischen Glaubens leben in Berlin schon lange miteinander – und schon lange friedlich. Sie haben ebenso getrauert und für die Opfer gebetet wie viele andere Berliner. Sie sind Berliner. Sie sind wichtige Mitglieder unserer Stadtgemeinschaft.
New York ist auch heute, auch nach diesen schrecklichen Vorkommnissen noch stolz auf seinen Ruf als melting pot. Ich denke, Berlin kann auch auf seinen Ruf stolz sein, unsere Stadt wird auch in Zukunft ein Beispiel geben für das friedliche Miteinander unterschiedlicher Menschen aus unterschiedlichen Kulturen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, in der letzten Woche ging es uns über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg ähnlich: Wir waren schockiert und fassungslos von den Bildern der grausamen Terrorakte gegen die Vereinigten Staaten, die wir ansehen mussten. Unsere Gefühle
waren bestimmt vom Mitgefühl mit den Opfern und den Angehörigen und von Solidarität mit dem amerikanischen Volk, Solidarität, wie sie eindrucksvoll am letzten Freitag bei der Kundgebung der 200 000 Menschen demonstriert wurde. Und sie waren bestimmt von der Abscheu angesichts des kühl kalkulierten Massenmords an Tausenden von Menschen in New York und Washington. Aber die Stimmung in der Stadt war und ist auch geprägt von der Sorge vor dem, was da noch kommen könnte. Sie ist geprägt von der Befürchtung, dass ein möglicher Vergeltungsschlag zu neuem menschlichen Leid führen könnte und die Gefahr eine unkontrollierbaren Entwicklung und einer friedensbedrohenden Eskalation in sich birgt. Ich glaube, dass Johannes Rau in seiner beeindruckenden Rede vor den 200 000 Menschen am letzten Freitag diese Stimmung getroffen hat, als er sagte:
Wir werden auf die Herausforderung nicht mit Schwäche und nicht mit Ohnmacht reagieren, sondern mit Stärke und Entschlossenheit – und mit Besonnenheit. Hass darf uns nicht zum Hass verführen, Hass blendet.
Wer den Terrorismus wirklich besiegen will, der muss durch politisches Handeln dafür sorgen, dass den Propheten der Gewalt der Boden entzogen wird.
Ich wünsche, dass der besonnene und nachdenkliche Ton dieser Rede des Bundespräsidenten auch prägend ist für die weitere politische Auseinandersetzung und innenpolitische Auseinandersetzung mit diesem Thema in der Bundesrepublik – und auch im Berliner Wahlkampf. Wir brauchen keine verbale Aufrüstung in dieser Situation, und wir brauchen keine Panikmache. Die Situation ist schwierig und ernst genug. Wir können vor allem eines nicht gebrauchen: Versuche, die tragischen Ereignisse zum Zweck des Wahlkampfes parteipolitisch zu instrumentalisieren.
Herr Steffel, ich hatte den Eindruck, nachdem ich zu Beginn Ihrer Rede das Gefühl hatte, dass Sie dieser Versuchung widerstehen, dass es Ihnen nicht durchgängig gelungen ist.
Ich glaube auch, vor einem müssen wir uns hüten: vor einer parteipolitischen Besserwisserei, die sich in schnellem Aktionismus ergeht und versucht, deutlich zu machen: Wir haben es schon immer gewusst – und die Vorschläge, die seit Jahren gemacht wurden, die aber sehr wenig mit Terrorismusbekämpfung zu tun haben und sich bisher nicht durchsetzen konnten, wieder aus der Mottenkiste geholt werden. Ich glaube, wenn wir darüber diskutieren, dass es sich um eine neue Bedrohung handelt und dass wir nach neuen Antworten suchen müssen, dann wäre es allen politischen Kräften angemessen, eine gewisse Ratlosigkeit spüren zu lassen und über neue Lösungen nachzudenken und nicht einfach die alten Antworten als unveräußerliche Gewissheiten hier zu präsentieren.
Es nutzen uns keine Vorschläge, die Sicherheit suggerieren – durch Einschränkung von Bürgerrechten –, ohne sie wirklich herzustellen. In den letzten Tagen ist häufig Benjamin Franklin zitiert worden. Ich will es an dieser Stelle nochmals tun, weil man es nicht oft genug sagen kann. Benjamin Franklin sagte:
Ich glaube, das muss Richtschnur unseres Handelns und auch unserer innenpolitischen Diskussion in der nächsten Zeit sein.
An Besonnenheit zu appellieren, bedeutet nicht Untätigkeit, nicht Untätigkeit nach innen und nicht nach außen. Deshalb begrüße ich auch ausdrücklich das zurückhaltende und besonnene Agieren des Innensenators in der letzten Woche und seine Ablehnung von effekthaschenden Schnellschüssen. Der Senatsbeschluss, anlassbezogen 13 Millionen DM Mehrausgaben für die innere Sicherheit im Bereich des Objektschutzes und der technischen Ausstattung auszugeben, finanziert die notwendigen Mehraufwendungen und tut ganz unaufgeregt das Notwendige. Das Notwendige tun, ist politisch verantwortliches Handeln, Panikmache ist etwas völlig anderes. In diesem Zusammenhang, Herr Steffel, finde ich es wenig hilfreich, wenn von Ihnen in den letzten Tagen zu hören gewesen ist, der Berliner Katastrophenschutz sei auf diese Situation nicht vorbereitet und es gebe hier erhebliche Probleme. Der Chef der Berliner Feuerwehr, Herr Broemme, und auch der Präsident der Ärztekammer, Herr Jonitz, haben sich dazu nochmals geäußert. Sie sehen dieses Problem nicht, und ich finde, wir sollten mit den Befürchtungen und mit den Ängsten, die die Bürger in dieser Stadt haben, sehr vorsichtig, sehr aufmerksam und sehr zurückhaltend umgehen und von jedem Versuch Abstand nehmen, diese Ängste zu schüren oder noch zusätzlich zu wecken und zu erhöhen.
Besonnenheit heißt auch nicht Untätigkeit nach außen. Die Verantwortlichen für diesen minutiös ausgeführten Massenmord müssen ergriffen und zur Verantwortung gezogen werden. Die staatliche Unterstützung von Terrorismus muss weltweit geächtet und mit politischen und ökonomischen Mitteln durchgesetzt werden. Das heißt, es muss auch Abstand genommen werden von der Versuchung, aus kurzfristigen außenpolitischen Gründen terroristische Organisationen für diese Zwecke zu nutzen. Diese weltweite Ächtung des Terrorismus muss bedingungslos und ohne Ausnahme sein.
Auch wenn es schwierig uns langwierig ist, es bleibt wahr, was Johannes Rau in seiner Rede gesagt hat: Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ordnung. Auch diese Aufgabe dürfen wir in der aktuellen Diskussion nicht vergessen.
Eine Aktion zur Ergreifung der Täter, auch wenn sie von militärischen Kräften durchgeführt wird, ist etwas anderes als ein Vergeltungsschlag, ist etwas anderes als Rache, und sie ist auch kein Kreuzzug – wie wir es erst unlängst gehört haben – und sie ist kein Krieg. Ein militärischer Schlag, dem Unschuldige zum Opfer fallen wird nicht nur das Leben der Unschuldigen kosten, er droht auch seinerseits neue Rufe nach Hass und Vergeltung hervorzubringen, droht der Nährboden für eine neue Welle terroristischer Gewalt zu sein.
Er droht auch, ganze Regionen zu destabilisieren – mit unabsehbaren Folgen. Die Nachrichten, die ich aus der islamischen Atommacht Pakistan höre, die drohende Gefahr eines Bürgerkriegs in diesem Staat finde ich ausgesprochen Besorgnis erregend.
Noch ist unklar, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln die USA antworten wollen. Die Solidarität mit dem amerikanischen Volk und die besondere – auch emotionale – Beziehung der Berlinerinnen und Berliner zu den Vereinigten Staaten auf Grund ihrer Rolle als Schutzmacht haben die Berlinerinnen und Berliner in der letzten Woche eindrucksvoll demonstriert.
Aber angesichts des Wortes von der unbedingten Solidarität bedarf es auch einer Konkretisierung. Denn zu Freundschaft und Solidarität gehört auch die Freiheit, Befürchtungen, Sorgen und Kritik zu äußern. Es sind viele in dieser Gesellschaft und in Berlin, die Sorgen vor einer möglichen Eskalation, vor einer Spirale der Gewalt haben und davor warnen. Es sind Kirchen, gewerkschaftliche Gruppierungen, Verbände und vor allen Dingen viele der Menschen, die in den letzten Tagen ihre Solidarität mit den Vereinigten Staaten und ihr Mitgefühl mit den Opfern bekundet haben. Sich dagegen zu wenden, dass aus der militärischen
Rhetorik, die wir in diesen Tagen manchmal hören, aus Worten vom ersten Krieg des 21. Jahrhunderts ein wirklicher Krieg, eine militärische Eskalation wird, ist keine Aufkündigung der Solidarität, kein Antiamerikanismus, sondern die notwendige Diskussion in einer offenen Gesellschaft darüber, wie wir eine zivilisierte Antwort auf den Terror finden.
Der Hass ist ein enger Verwandter der Angst. Und Angst vor Anschlägen führt sehr leicht zu Hass auf vermeintlich Verantwortliche – gerade vor dem Hintergrund, dass die Verursacher, die Verantwortlichen für diesen Terror anonym sind. Hier ist die Politik, hier sind die Verantwortlichen in Wirtschaft, die Gewerkschaften, die Kirchen, vor allem und gerade die Medien aufgefordert, sich gegen die Gefahr einer pauschalen Stigmatisierung ganzer Volksgruppen und Religionsgemeinschaften – wie dem Islam – zu stellen. Der Islam ist so wenig verantwortlich für Terroristen aus seinen Reihen wie das Christentum für Terroristen christlicher Konfession.