Protokoll der Sitzung vom 20.09.2001

Der Hass ist ein enger Verwandter der Angst. Und Angst vor Anschlägen führt sehr leicht zu Hass auf vermeintlich Verantwortliche – gerade vor dem Hintergrund, dass die Verursacher, die Verantwortlichen für diesen Terror anonym sind. Hier ist die Politik, hier sind die Verantwortlichen in Wirtschaft, die Gewerkschaften, die Kirchen, vor allem und gerade die Medien aufgefordert, sich gegen die Gefahr einer pauschalen Stigmatisierung ganzer Volksgruppen und Religionsgemeinschaften – wie dem Islam – zu stellen. Der Islam ist so wenig verantwortlich für Terroristen aus seinen Reihen wie das Christentum für Terroristen christlicher Konfession.

Die Offenheit, die Multikulturalität unserer Gesellschaft darf nicht gefährdet werden. Sie ist gerade eines der Zukunftspotentiale Berlins. Wir müssen sie bewahren, erhalten und ausbauen. Wenn wir dies gefährden, hätten die Terroristen eines ihrer Ziele erreicht. New York war und ist die internationalste Stadt der Welt, und diese Internationalität und Offenheit gehört zu den Werten, die wir jetzt verteidigen müssen.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Vor diesem Hintergrund hat uns nach dem Lob, das ich vorhin dem Innensenator ausgesprochen habe, die heutige Meldung in der „taz“ bedenklich gestimmt, nämlich dass es – zumindest nach dieser Meldung – die pauschale Abforderung von Daten aller arabischen Studenten an der Technischen Universität gegeben haben soll. Es ist ein falsches Signal, Menschen allein auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe unter einen pauschalen Verdacht zu stellen. Die Verfolgung von terroristischen Aktivitäten muss auch hier anhand konkreter Anhaltspunkte und nicht auf Grund der pauschalen Verdächtigung einzelner Volksgruppen stattfinden. Dies ist ein Signal, das in der innenpolitischen Diskussion der Stadt in die Gefahr gerät, falsch aufgenommen und begriffen zu werden.

[Beifall bei der PDS]

Meine Fraktion hat den Präsidenten des Abgeordnetenhauses gebeten, einen runden Tisch der Kulturen einzurichten beziehungsweise dazu einzuladen, der die großen Religionsgemeinschaften zusammenbringt, um ein Signal der Verständigung auszusenden und deutlich die Positionierung des Parlaments darzustellen. Wie ich gehört habe, hat Präsident Führer diesen Vorschlag wohlwollend aufgenommen. Ich hoffe, dass wir gemeinsam eine Zeichen der Verständigung, der Offenheit und der Multikulturalität in unserer Gesellschaft aussenden können.

[Beifall bei der PDS]

Wir haben apokalyptische Bilder gesehen. Sie müssen uns aufrütteln, damit der Friede neuen Raum gewinnt. Die Freiheit braucht die starke Macht des Friedens, und zum Frieden gehört die Freiheit.

Beides, Freiheit und Frieden, gehört untrennbar zusammen, und beides darf in dieser Situation nicht gefährdet werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der PDS und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die Fraktion der Grünen hat Frau Dr. Klotz das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch eine Woche nach den Attentaten in New York und Washington hat sich unser Entsetzen, die Fassungslosigkeit über das Ausmaß und die schrecklichen Folgen des Terrors nicht

verringert. Mit Trauer müssen wir heute eine erste Vermisstenliste des Auswärtigen Amtes zur Kenntnis nehmen, wonach unter den Opfern vermutlich auch sechs Berliner und drei Brandenburger sind. Wir alle wissen nicht, was die nächsten Tage und Wochen uns bringen, was diese skrupellosen Verbrecher weiter planen und ob es zu weiteren Terroranschlägen kommt. Dass in dieser Situation nicht nur die europäischen Staaten, sondern auch Russland, China und Kuba ihre Unterstützung zugesicher haben, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gegen Terrororganisationen, die weltweit agieren, kann es auch nur eine weltweite Antwort geben.

[Beifall bei den Grünen]

Es ist aber eine doppelte Angst, die Menschen überall auf der Welt in diesen Tagen spüren. Es ist die Angst vor terroristischen Anschlägen, aber es ist auch die Angst vor einem Gegenschlag der USA – einem Gegenschlag, der über einen gezielten Angriff der Täter hinausgeht und damit die Chance verspielt, der Gewaltspirale ein Ende zu setzen. Und so sind denn auch die Stimmen, die in diesen Tagen weltweit zur Besonnenheit aufrufen, unüberhörbar. Nach den Regeln des Völkerrechts ist es das Recht der Vereinigten Staaten, sich gegen diesen Angriff zu wehren. Rache ist jedoch kein vom Völkerrecht gedecktes Motiv.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Wir teilen die Besorgnis, aber auch die Hoffnung vieler Menschen, dass die Vereinigten Staaten die Stärke besitzen, konsequent und dennoch besonnen auf das Attentat zu reagieren.

Deshalb ist es gut, dass die Vereinigten Staaten ihre Reaktion auf den schrecklichen Angriff innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft abstimmen wollen. Dies entspricht auch einer Resolution des UN-Sicherheitsrats. Hierin liegt eine Chance, durch besonnene und international getragene Aktionen den Terrorismus zu bekämpfen.

Der Sicherheitsrat der UN hat die Anschläge als Bedrohung der internationalen Sicherheit und des Friedens festgestellt. Er hat alle Staaten zur Zusammenarbeit aufgerufen, um die Täter, Organisatoren und die Hintermänner zu fassen und zu bestrafen. Ebenfalls zu bestrafen sind nach diesem Beschluss diejenigen, die ihnen helfen, die sie unterstützen und die sie beherbergen. In diesem Zusammenhang hat der Sicherheitsrat auf das in der UN-Charta festgeschriebene Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung hingewiesen.

Die Beistanderklärung der NATO-Mitgliedstaaten wird auch von uns mitgetragen. Sowohl die grüne Bundestagsfraktion als auch der Parteirat haben ihr zugestimmt. Diese Entscheidung bedeutet eine politische Solidaritätserklärung mit den Amerikanerinnen und Amerikanern. Die Feststellung des Bündnisfalls ist aber für uns nicht nur Ausdruck einer Solidarität mit den Betroffenen, sondern auch die Chance, auf die Geschehnisse gemeinsam mit den anderen NATO-Partnern Einfluss zu nehmen. Wir dürfen gerade in dieser Situation die Menschen in Amerika nicht allein lassen;

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

nicht mit ihrem Schmerz und nicht mit ihrer Trauer, aber auch nicht mit überzogenen Reaktionen.

Selbstverständlich wird das konkrete Engagement der Bundesrepublik im Deutschen Bundestag entschieden. Diese Entscheidung muss nach den Kriterien des Völkerrechts, der Einbindung in eine politische Gesamtkonzeption und nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel entschieden werden. In jedem Fall aber muss gewährleistet sein, dass eine Reaktion zielgerichtet die Täter und die Unterstützer erreicht. Sicherheit ist nicht allein mit militärischen und mit nachrichtendienstlichen oder polizeilichen Mitteln zu garantieren, Sicherheit ist in der Konsequenz nur durch politisch verantwortliches Handeln zu erreichen.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Natürlich müssen wir auch die Bedingungen analysieren, die den Boden bilden, auf dem der Terror wachsen konnte. Die

Selbstmordattentäter aus New York und aus Washington sind nicht gegen die soziale Verelendung in der Dritten Welt und den Hunger von 800 Millionen Menschen, den größten Skandal unseres Jahrtausends, aktiv geworden. Sie sind auch nicht die Ärmsten der Armen. Ihr Fanatismus hat andere Quellen. Es spricht alles dagegen, ihnen die Weihe der Helden der Armen zu verleihen. [Beifall bei den Grünen]

Aber sie brauchen für ihr Selbstverständnis die Zustimmung der Massen in einigen völlig verarmten Staaten. Dass die Massen nicht immer denen Beifall klatschen, die etwas für die Verbesserung ihrer Lage tun, sondern oft denen, die sie tiefer ins Verderben führen, darüber wissen wir aus unserer Geschichte sehr viel. Deshalb müssen wir, um den Terror zu besiegen, auch die Elendsverhältnisse in dieser Welt verändern.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Diese lassen sich nicht mit militärischen Mitteln beseitigen. Dazu ist vielmehr eine ernsthafte, langfristige und auch mit den notwendigen finanziellen Mitteln versehene Politik nötig. Sie muss darauf abzielen, Armut zu bekämpfen, Menschenrechte, Demokratie und soziale Gerechtigkeit durchzusetzen, den Dialog zwischen den Kulturen zu fördern und in Konfliktfällen für einen fairen Interessensausgleich zu sorgen. Das ist die wirkliche Aufgabe, vor der wir in diesem Jahrtausend stehen.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Der Anschlag der Terroristen galt nicht nur den Symbolen der Weltmärkte, sondern auch der offenen und multikulturellen Gesellschaft. Die Stadt New York steht hierfür wie keine andere Stadt auf der Welt. So fühlt sich die Berliner Bevölkerung nicht nur auf Grund ihrer Geschichte in besonderer Weise mit den USA verbunden. New York ist wie Berlin eine weltoffene Stadt, in der die Kulturen und der auch die Religionen friedlich miteinander leben. Eben dieses friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen, verschiedener Religionen, ist auf brutale Art und Weise angegriffen worden. Deswegen wird es nun unsere Aufgabe sein, diese tolerante Lebensweise zu verteidigen, ohne dabei aber Mittel anzuwenden, die wiederum ausgrenzen. Offenheit, Zivilität und Freiheit sind Grundwerte, die wir bewahren sollten. Demokratie und Bürgerrechte sollten nicht nur in guten Zeiten, sondern auch in schlechten Zeiten gelten.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Natürlich hat ein Staat die Aufgabe, das Sicherheitsbedürfnis seiner Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen und sie zu schützen. Öffentliche Sicherheit ist auch eine Frage von Lebensqualität, und da sagen wir: Wir werden da keine Abstriche zulassen. Aber doch bitte mit den angemessenen Instrumenten! Dazu schreibt der von uns öfter zitierte Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ vom letzten Wochenende:

Innere Sicherheit entsteht auch nicht, wenn man zum Kampf gegen das Verbrechen aufruft. Innenpolitik ist nicht Kriegspolitik. Innere Sicherheit im Rechtsstaat, das ist die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit.

Dies muss sowohl der Maßstab für die Bundesebene als auch für Berlin sein, wenn es um die künftige Innenpolitik geht.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Trotz der relativ besonnenen Tonlage, die Herr Steffel hier für die CDU-Fraktion angeschlagen hat, erweckt das Agieren der CDU in genau diesem Politikfeld in den vergangenen Tagen den Eindruck, als wolle diese Partei das Thema innere Sicherheit für den Wahlkampf nutzen, als wolle sie von Bankenkrise und ihrer Verantwortung für die Haushaltslage im Land Berlin ablenken. Aber wir sagen Ihnen: Das ist leicht durchschaubar. Wenn die CDU mit der verständlichen Verunsicherung der Bevölkerung in den nächsten Tagen und Wochen versuchen sollte, ihre Umfrageergebnisse zu verbessern, so bezeichne ich das als fahrlässig. Ein „Richter Gnadenlos“ hat hier in Berlin keine Chance. Dazu

sind die Berlinerinnen und Berliner zu liberal, dazu sind sie zu offen, und dafür sind sie übrigens auch viel zu intelligent. Das werden weder wir noch die Menschen in der Stadt zulassen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Veränderungen in der Sicherheitspolitik erachten auch wir Bündnisgrünen als notwendig, aber dort, wo sie auch wirklich mehr Sicherheit bringen. Bei der Flugsicherung muss sich einiges ändern; eine Verschärfung der Personen- und Gepäckkontrollen und der Sicherheitsprüfungen für das Personal ist eine absolut richtige Maßnahme, ebenso wie die Tatsache, dass der Einsatz von Sicherheitsbeamten als Flugbegleiter geprüft wird.

Wir halten die Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz für einen richtigen Schritt. Es muss in Zukunft möglich sein, extremistische Gruppen, die sich unter den Deckmantel einer Religion stellen, verbieten zu können, und dies muss gleichermaßen für jede Religion gelten.

Wir sehen auch einen Überprüfungsbedarf bei der Aufgabenstellung des Verfassungsschutzes. Statt Zeitungsausschnitte über die „Kommunistische Plattform in der PDS“ zu lesen, gibt es derzeit nun wirklich andere Aufgaben. Die auf unsere Initiative hin begonnene Verschiebung in Richtung des Rechts- und Ausländerextremismus muss weitergeführt werden. Die erfolgte Einstellung von Islamwissenschaftlern und Arabisch sprechenden Mitarbeitern ist zielgenau und richtig.

[Beifall des Abg. Müller-Schoenau (Grüne)]

Blinde Datensammelwut allerdings, ohne aktuelle Bedrohungsanalysen, bringt kein Quäntchen mehr Sicherheit. Dafür sind die Vorgänge in den USA ein grausames Beispiel.

[Beifall bei den Grünen]

Absolut richtig ist es, dass die Bundesregierung angekündigt hat, den terroristischen Vereinigungen den Geldhahn zuzudrehen. Wenn es wirklich stimmt, dass Osama bin Laden hinter dem Attentat steckt, dann konnte er dies nur, weil er sich als Multimillionär der Dienstleistungen des internationalen Finanzsystems bedient hat. Es gibt sogar Berichte, dass eben dieser bin Laden durch Börsenspekulation noch Profit aus den Anschlägen gezogen hat. Hier in das Bankengeheimnis einzugreifen, ist nicht nur vertretbar – eine vertretbare Beschneidung von Freiheitsrechten –, sondern es ist auch absolut notwendig, um Terrorgruppen finanziell auszutrocknen.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Vorschlägen, die wir ablehnen. Wenig hilfreich ist es, den Datenschutz pauschal zu verunglimpfen. Das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung ist und bleibt ein wichtiges Grundrecht, das nicht eben mal schnell auf dem Altar der inneren Sicherheit geopfert werden kann.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]