Protokoll der Sitzung vom 20.09.2001

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Wir bezweifeln weiterhin, dass eine pauschale Regelanfrage beim Verfassungsschutz bei Einbürgerungen zu Erkenntnissen führt, übrigens genauso wie der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, CDU. Wenn es stimmt, was die „Frankfurter Rundschau“ heute berichtet, dass nämlich der mit den Attentaten in Verbindung gebrachte Student Said B. als Panzergrenadier bei der Bundeswehr gedient hat, dann hat man den Eindruck, dass weder der Verfassungsschutz noch der Militärische Abschirmdienst in diesem Zusammenhang besonders hilfreich gewesen sind.

[Beifall bei den Grünen]

Und auch die pauschale Forderung nach mehr für die Sicherheitsdienste und die Polizei hilft uns in dieser Situation nicht wirklich weiter. Viel Geld für viel Polizei bringt nicht automatisch viel Sicherheit. Statt Quantität sollten wir auf Qualität und damit auf Intelligenz sowie auf eine bessere technische Ausstattung, die hierfür zweifellos notwendig ist, setzen!

[Beifall bei den Grünen]

Deshalb ist es auch richtig, dass der Senat ein Sofortprogramm beschlossen hat, das für eine bessere Ausstattung der Berliner Polizei sorgt. Auch den verbesserten Objektschutz zählen wir zu den sinnvollen Mitteln angesichts der hohen Zahl der gefährdeten Objekte in Berlin, darunter sehr viele Bundesbehörden und Botschaften. Es geht aber auch darum, bei den entsprechenden Sicherheitslagen auch die finanzielle Beteiligung des Bundes einzufordern.

Im Übrigen, das will ich hier auch ganz deutlich sagen, kann ohne Gefährdung der Sicherheitslage durch Umschichtung aus dem Bereich der aufgeblähten Verwaltung eine personelle Verstärkung sichergestellt werden. Weder die großen Stäbe noch das Landespolizeiverwaltungsamt mit seinen über 2000 Stellen oder etwa die untere Straßenverkehrsbehörde sind in der vorhandenen Dimension notwendig. Anschläge lassen sich nicht mit Polizeireitern, dem Polizeiorchester oder der Freiwilligen Polizeireserve verhindern!

[Beifall bei den Grünen]

Um auch einmal mit dem Gerücht aufzuräumen, Grüne wollten die Polizei zum Sparschwein des Berliner Haushalts machen, kann ich nur sagen, dass wir vorhaben, in den nächsten Jahren sowohl für die bauliche Unterhaltung als auch für den Fahrzeugpark deutlich mehr Geld auszugeben, als es die CDU innerhalb der großen Koalition getan hat.

[Beifall des Abg. Trapp (CDU)]

Deswegen finde ich auch Ihre Forderung nach 81 Millionen DM mehr hier und heute unglaubwürdig.

Das von der CDU in den letzten Tagen gemalte Szenario einer von den Sicherheitsbehörden nicht mehr beherrschbaren Lage in der Stadt entspricht nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht der Realität. Ich wäre an Ihrer Stelle auch ein wenig vorsichtig. Fast 20 Jahre haben Sie den Innensenator in dieser Stadt gestellt. [Gram (CDU): Gott sei Dank!]

Haben diese ihren Job nicht anständig gemacht? – frage ich. Ihre aus der sicherheitspolitischen Mottenkiste hervorgeholten Forderungen sind ausschließlich wahltaktisch motiviert. Sie schüren Ängste, ohne zu einer Verbesserung der Sicherheitslage beizutragen. Das bezeichnen wir als verantwortungslos.

[Beifall bei den Grünen]

Wir mussten erkennen, dass es eine absolute Sicherheit nicht gibt. Erreicht werden kann nur eine menschenmögliche Sicherheit. Die momentane Diskussion über Sicherheitskonzepte verlangt deshalb Augenmaß und Weitsicht. Die zum Teil weitreichenden Einschränkungen von Grund- und Bürgerrechten dürfen nicht vorschnell unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse geführt werden. Innenpolitisch wie außenpolitisch muss besonnen und unter Wahrung rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Grundsätze gehandelt werden. Richtschnur muss jetzt in besonderer Weise der verfassungsmäßige Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sein. Wir stellen uns gegen jegliche Mittel, die zu einem Pauschalverdacht gegenüber ganzen Religionsund Bevölkerungsgruppen führen, die Unverdächtige genauso betreffen wie Verdächtige. Das gilt auch für die 300 Studenten aus arabischen Ländern, die an der Technischen Universität immatrikuliert sind.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Wolf (PDS)]

Sie allesamt ausschließlich wegen ihrer Herkunft einem Generalverdacht auszusetzen, ist aus unserer Sicht unangemessen. Ein solcher Vorwurf stigmatisiert eine Gruppe in unserer Gesellschaft zu Tätern. Dementsprechend lehnen wir auch nach wie vor die Rasterfahndung ab.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass in Kirchen, in Synagogen und auch in Moscheen in den vergangenen Tagen gleichermaßen der Opfer gedacht wurde. Jedem Versuch, die Gegnerschaft zum Terrorismus und auch den Fundamentalismus mit einer Feindschaft gegenüber Menschen islamischen Glaubens gleichzusetzen und sie in eine pauschale Mitverantwortung für

die terroristischen Anschläge zu nehmen, müssen wir entgegentreten. Wie wichtig der Dialog und die Verständigung zwischen Menschen verschiedener Kulturen, verschiedener Religionen ist, haben wir in den vergangenen Tagen, beispielsweise am Montagabend, in einer Kreuzberger Moschee erlebt. Wir werden diese Gespräche fortsetzen. Berlin ist und Berlin bleibt eine tolerante Stadt. Nur wenn es uns gelingt, diese Toleranz zu stärken, den Dialog zwischen den Menschen verschiedener Kulturen und verschiedener Religionen zu führen, wird auch der Terrorismus zu besiegen sein. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Das Wort hat der Regierende Bürgermeister!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenige Tage sind vergangen seit dem 11. September, diesem schwarzen Dienstag. Es waren lange Tage der Trauer und der Anteilnahme. Es waren Tage der Suche nach Überlebenden und Vermissten in den Trümmern des World Trade Centers und des Pentagons.

Es waren aber auch Tage der Suche nach Antworten auf Fragen, die wir uns alle stellen: Wie konnte es zu einem solchen Verbrechen kommen? Welche Folgen hat der Terrorismus für unser Zusammenleben in der Welt des 21. Jahrhunderts? Die schrecklichen Bilder aus den USA werden wir nicht vergessen. Niemand kann einfach zur Tagesordnung übergehen.

Gestern haben wir erfahren, dass wahrscheinlich auch sechs Berlinerinnen und Berliner Opfer des Terroranschlages geworden sind. Wir alle denken in diesen Tagen an die Familien, die Hinterbliebenen der Opfer. Die Berlinerinnen und Berliner haben ihre Trauer und ihr Mitgefühl in vielfältiger Weise zum Ausdruck gebracht: durch ihre Teilnahme an der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor, durch Eintragung in Kondolenzbücher und Niederlegung von Blumen an verschiedenen Orten der Stadt, durch Gebet und Andacht in den Berliner Gotteshäusern. Ich danke den Berlinerinnen und Berlinern für ihre ehrliche und offene Solidarität mit dem amerikanischen Volk.

[Beifall]

Wir fühlen uns den Vereinigten Staaten von Amerika fest verbunden, fester denn je. Wir wissen aber auch: Getroffen wurden wir alle, unsere Freiheit und unsere offene Gesellschaft. Auf zwei Dinge kommt es jetzt an: Auf Entschlossenheit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und auf den konsequenten Einsatz für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft. Es geht um Sicherheit und Toleranz. Wir müssen jetzt in den Grundfragen unserer politischen Verfassung als Demokratie zusammenstehen. Wir brauchen Einigkeit und Entschlossenheit, um die Werte unseres Zusammenlebens, die Demokratie und die offene Gesellschaft gegen ihre Feinde zu verteidigen.

[Beifall]

Bei der Verteidigung des Rechtsstaats gegen den Terrorismus darf und wird es kein Wackeln geben. Ebenso darf und wird es kein Abrücken von den Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung geben. Wenn wir zuließen, dass die Freiheit der TerrorBekämpfung geopfert wird, dann hätten wir verloren und die Terroristen hätten gesiegt.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir werden auch nicht in die Falle der Terroristen gehen, die Welt nun auch in gute und böse, in richtige und falsche Religionen, Kulturen oder Nationen einzuteilen.

Wir alle spüren in diesen Tagen bei vielen Menschen tiefe Sorge und Ängste um die Sicherheit in unserem Land und auch in Berlin. Der Senat nimmt diese Sorgen ernst. Er nimmt seine Verantwortung wahr. Er hat ruhig und besonnen, zugleich aber auch entschlossen gehandelt. Im Mittelpunkt steht dabei die Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner. Unmittelbar nach

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RBm Wowereit

den Anschlägen in den USA haben wir daher in enger Abstimmung mit den Bundesbehörden gehandelt und den Schutz gefährdeter Personen und Gebäude verstärkt. Vorgestern hat der Senat ein 13-Millionen-DM-Sofortprogramm zur Stärkung der inneren Sicherheit in Berlin beschlossen. Es ist ein Programm, das der Vorbeugung dient, denn bis heute liegen uns glücklicherweise keine Hinweise auf eine konkrete terroristische Bedrohung in der Hauptstadt vor. Die Berliner Polizei und der Verfassungsschutz werden verstärkt. Zusätzliche Fahrzeuge und notwendige Einsatzgeräte werden sofort beschafft. Weitere Unterstützungskräfte werden angefordert.

Die Bundesregierung, mit der wir uns eng abstimmen, hat gestern ein Bündel von Maßnahmen zur Stärkung der inneren Sicherheit und zur Bekämpfung des Terrorismus beschlossen. Wir unterstützen mit allem Nachdruck den klaren innen- und außenpolitischen Kurs der Bundesregierung, die Verantwortlichen der Anschläge und ihre Hintermänner zu verfolgen und die rechtlichen Mittel gegen terroristische Gruppen zu schärfen.

[Beifall bei der SPD und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Lassen Sie mich all denen im Namen des Senats von Berlin danken, die ihren Dienst unter erheblichen Belastungen verrichten. [Beifall bei der SPD]

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Sicherheitsbehörden haben in diesen Tagen und Wochen eine schwere Aufgabe. Ihnen allen gilt unser Dank und unsere Unterstützung.

[Allgemeiner Beifall]

Der Senat wird an seinem klaren Kurs festhalten: Wo wir Risiken sehen, verstärken wir gezielt die Präsenz. Wo Gewalttaten geplant oder bereits begangen werden, setzen wir alle Mittel des Rechtsstaates ein. Und: Wo Engpässe auftreten, scheuen wir uns angesichts der besonderen Belastungen der Berliner Polizei nicht, Hilfsangebote anderer Bundesländer und des Bundes anzunehmen. Ich danke unseren brandenburgischen Nachbarn für die Bereitschaft, in Berlin zu helfen, wenn die Sicherheitslage es erfordert. [Allgemeiner Beifall]

Mit Ministerpräsident Stolpe und Innenminister Schönbohm stehen wir ständig in engem Kontakt. Wir können auf selbstverständliche Solidarität unserer Nachbarn setzen.

Besonders in diesen Tagen wird deutlich: Sicherheit erreicht man nicht durch Schüren von Angst und Panik. Sicherheit erreicht man nur auf der Basis eines gesellschaftlichen Grundkonsenses. Sicherheit erreicht man nur durch besonnene Entschlossenheit, entschlossen gegen Terrorismus und entschlossen gegen seine Ursachen,

[Allgemeiner Beifall]

entschlossen aber auch für ein weltoffenes und tolerantes Berlin.

Wir hören und lesen in diesen Tagen von pauschalen Urteilen über den Islam und von verbalen Angriffen gegen Menschen, die als Angehörige der muslimischen Glaubensgemeinschaft erkannt werden. Das dürfen wir nicht zulassen, und ich appelliere an alle Berlinerinnen und Berliner, solchen Ausfällen energisch zu widersprechen.

[Allgemeiner Beifall]

Wir appellieren heute an Entschlossenheit in der Auseinandersetzung mit Urhebern von Terror und Menschenverachtung. Das hat mit einem Kampf der Kulturen nichts, aber auch gar nichts gemein. Es geht schlicht um die Achtung vor dem grundlegenden Recht auf Leben, für die wir eintreten.