Protokoll der Sitzung vom 24.02.2000

Wir werden die Kritik an der Politik des Senats und unseren Alternativvorschlag in den kommenden Wochen im Rahmen einer Kampagne auch in der Stadt vorstellen, damit auch deutlich wird – – [Dietmann (CDU): haha!]

Ich weiß nicht, warum Sie da „Haha“ sagen, das ist ja legitim, wenn man Alternativen zu einer Politik auch in der Öffentlichkeit vorstellt und dafür für Verständnis und Unterstützung wirbt. Genau das werden wir in Zukunft tun.

Der hier vorgelegte Hauhaltsentwurf setzt in der Tat Prioritäten. Und das mag möglicherweise ein Unterschied sein, Herr Kurth hat das ja bereits angekündigt. Dass wir diese Prioritätensetzung so nicht teilen, sondern an dieser Stelle kritisieren werden und müssen, ist völlig klar. Wenn man z. B. seine Prioritäten

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so setzt, dass Kürzungen bei der Arbeitsmarktpolitik stattfinden, dass Kürzungen bei den Mitteln für die berufliche Bildung stattfinden, ohne die mögliche Entlastung von kleinen und mittelständischen Unternehmen überhaupt in Betracht zu ziehen, weil das wiederum alten ideologischen Grenzen widerspricht – ich nenne nur das Thema Umlagefinanzierung, das ist eine prima Entlastung von kleinen und mittelständischen Unternehmen; das verdient unsere Kritik.

Der Bereich Jugend und Familie muss auch bei diesem Haushalt wieder leiden. Er hat nicht umsonst den Titel „Elendsressort“ bekommen, das offenbar keiner haben wollte.

[Dr. Borghorst (SPD): Na, na!]

Es wird nur noch als Einsparpotential betrachtet. Folglich hat der Senat in Berlin bis heute keine Landesjugendhilfeplanung vorgelegt, die – so das Gesetz – der Haushaltsaufstellung zugrunde liegen soll. Wozu auch, wenn der Finanzsenator vorgibt, wo die Prioritäten sind. Statt Ausdehnung der Regelfinanzierung, so ist das Ergebnis für Jugendprojekte, werden regelfinanzierte Maßnahmen im Umfang von über 8 Millionen DM dem segensreichen Wohl der Lotto-Stiftung, über die wir heute noch reden werden, anvertraut, in der ein Kartell der Macht unter Ausschluss der Opposition bestimmt, was nötig ist.

Sie heben die Lernmittelfreiheit für die berufsbildenden Schulen auf und bitten stattdessen die Berufsschüler mit 60 DM zur Kasse. Vorhin ist wieder einmal über die Überausstattung geredet worden. Genau das ist kein Beispiel für die Überausstattung Berlins, denn laut den Zahlen des Senats selbst sind in Berlin die Kosten pro Schüler bei 7 800 DM, in Hamburg bei 9 750 DM und in Bremen bei 9 840 DM. Insofern findet hier keine Absenkung auf einen Standard statt.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Bezirke, seit Jahren finanziell gebeutelt, profitieren auch nicht von den Abweichungen des Finanzsenators vom Konsolidierungspfad. Unter fortgesetzter Missachtung der tatsächlich von den Bezirken zu leistenden Ausgaben für Sozialhilfe und ähnliche Leistungen werden zum wiederholten Mal die Zuweisungen für den Z-Teil an den Realitäten vorbei geplant. Das ist seit Jahren von allen Fraktionen im Hauptausschuss kritisiert worden, eine Konsequenz bleibt aus. Mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit hat das nichts zu tun. [Beifall bei der PDS]

Die Bezirksfusion wurde von der Koalition vorab als ihr größter struktureller Einsparerfolg gefeiert. Sie sollte einhergehen – so jedenfalls war es vollmundig angekündigt – mit größerer Bürgernähe. Bürgerämter sollten entstehen, und wir müssen feststellen, dass der Senat die erste Nagelprobe auf die Ernsthaftigkeit seines Anliegens nicht bestanden hat. Die dringend notwendige Anschubfinanzierung für die Bezirke wurde gestrichen, und die gestern noch schnell vom Innensenator angebotenen 2 Millionen DM für Bürgerämter in der ganzen Stadt sind nun wirklich nicht ausreichend. Ich kann nur hoffen, dass die angekündigte Kritik aller Fraktionen sich dann auch tatsächlich in Taten umsetzt. Allerdings habe ich ein bisschen auch die Vermutung, dass man erst Sachen streicht und dann als Wohltat der Koalition wieder in den Haushalt einfügt. Dass man das dann als Erfolg verkauft, das halte ich für eine fragwürdige Variante des Einsatzes für die Bezirke.

[Gewalt (CDU): Beugen schon vor!]

Ich weiß nicht, ob Sie da schon vorgebeugt haben mit der Streichung, keine Ahnung. Aber wenn wir dann am Ende dazu kommen, dass die Anschubfinanzierung für die Bürgerämter entsprechend gut ist, werde ich darüber auch kein Wort der Kritik mehr verlieren. Lassen Sie uns das nur durchsetzen.

[Beifall bei der PDS – Kaczmarek (CDU): Danke!]

Bitte! – Nicht so großzügig, das zum Thema Prioritätensetzung, wie z. B. beim Olympia-Stadion, wo inzwischen 180 Millionen DM Eigenanteil des Landes Berlin geplant sind, im Gegensatz zu den ursprünglich mal diskutierten 100 Millionen, zeigt sich der Senat hingegen im Bereich Soziales. Hier schreckt man

nicht davor zurück, zum Zwecke der Haushaltskonsolidierung viele vergleichsweise kleine Absenkungen im Zuwendungsbereich durchzudrücken, die in ihrer Auswirkung für die Projekte und die Nutzer von deren Leistungen gravierend sind, in ihrer Auswirkung für den Landeshaushalt aber begrenzt. Zum Vergleich: Die Summe, die die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales laut jüngstem Transparenzbericht für die Förderung von allen Projekten freier Träger in diesem Bereich ausgegeben hat, ist mit 68 Millionen DM erheblich geringer als die Summe, die jetzt für die Sanierung des Olympia-Stadions zusätzlich ausgegeben werden soll. Das ist eine Prioritätensetzung, aber eine, die wir ungerecht und unsozial nennen.

[Beifall bei der PDS und den GRÜNEN]

Wenn man letztlich wenigstens – auch das ist angesprochen worden – eine optimistische Sicht auf die Einnahmeseite des Haushalts haben könnte, wenn wirtschaftlicher Aufschwung zu spüren wäre, die Zahl der Arbeitslosen sinken würde und die Wachstumslokomotive Berlin nicht nur eine von Wirtschaftssenator Branoners Worthülsen wäre, dann könnte man vielleicht ganz anders über die Zukunft Berlins reden. Aber auch da sieht es schlecht aus. Berlins Bruttoinlandsprodukt wächst nicht, sondern stagniert. Berlin ist damit Schlusslicht aller Bundesländer und muss sich mit 0,1 % Steigerung gegenüber dem Vorjahr begnügen, während Länder wie Baden-Württemberg und sogar Mecklenburg-Vorpommern mit 1,7 % davonziehen.

[Heiterkeit bei der PDS und den GRÜNEN]

Die Industrie ist nicht nur kein Wachstumspotential, sondern ein Abbaupotential. Hier schließt KWO Neukölln – heute war gerade eine Kundgebung der Beschäftigten –, die Deutsche Handelsbank AG, Otis baut Stellen in Größenordnungen ab, und die BVG, wie in der Fragestunde von Senator Strieder mit dem teuren Unternehmensvertrag angesprochen, droht angesichts der neuen EU-Verordnung gänzlich ins Trudeln zu geraten.

Die Bundesregierung will einen großen Kreuzberger Betrieb, die Bundesdruckerei, veräußern, womit die Produktionsstätte und Zentrale in Berlin und damit Arbeitsplätze gefährdet wären. Wenigstens an dieser Stelle – das ist das Positive zum Schluss – konnte man sich über Parteigrenzen hinweg zu einem gemeinsamen Vorgehen verständigen.

Es tut mir Leid, nichts anderes konstatieren zu können, aber der vorgelegte Entwurf des Landeshaushalts für das Jahr 2000 ist kein guter Einstieg ins neue Jahrtausend. Die Finanzen sind nicht solide, sondern unsolide, und er ist vom Grundsatz her zukunftsfeindlich und ungerecht. Wir werden trotzdem in den kommenden Wochen versuchen, in den Haushaltsberatungen mit unseren Vorschlägen das Beste daraus zu machen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der PDS und den GRÜNEN]

Danke schön, Herr Kollege! – Das Wort hat nunmehr Herr Kollege Kaczmarek für die Fraktion der CDU. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Liebich! Ich widerspreche Ihnen ausdrücklich! Dieser Haushalt ist solide, weil er auf realistischen Annahmen beruht.

[Wieland (GRÜNE): Sie haben schon als Verkehrspolitiker immer gelogen! Da war ja sogar Herr Liepelt glaubwürdiger!]

Er ist sozial, weil wir eine soziale Grundsicherung weit über dem Standard, der in anderen Bundesländern üblich ist, sichern.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Und er ist gerecht. – Herr Wieland, Sie haben doch keine Ahnung von Finanzen! Sie wissen doch, Juristen können nicht rechnen! Also bleiben Sie bei Ihrem Leisten! – Er ist gerecht, weil die Lasten auf viele Schultern verteilt werden, egal, ob an dieser Stelle Widerstand erfolgt oder nicht. Die Koalition bleibt auf dem Konsolidierungspfad, und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sind auf dem Holzweg. Wir haben eine

finanzpolitische Perspektive für das Jahr 2009, und die heißt: Bis dahin werden die Neuverschuldung und das strukturelle Defizit auf Null reduziert.

[Eßer (GRÜNE): Das ist doch alles virtuell!]

Virtuell waren Vorgaben, die wir noch aus dem Haushaltsstrukturgesetz 1996 hatten,

[Zuruf von den GRÜNEN: Da waren Sie doch auch schon an der Regierung!]

und diese Vorgaben sind jetzt an realistische Größenordnungen angepasst worden. Das ist eine Leistung der großen Koalition, die Vorgaben an realistischen Perspektiven zu spiegeln und anzupassen. Wir werden in diesem Jahr eine Rückführung der Netto-Kreditaufnahme um 332 Millionen DM auf noch 3,8 Milliarden DM haben. Das ist zu viel, keine Frage! Wir leisten uns noch immer mehr, als wir uns eigentlich leisten können. Da sind wir sicherlich einer Meinung. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, weiter auf dem Konsolidierungspfad. Die Anpassung des Haushaltsstrukturgesetzes 1996 an realistische Teilschritte ist keine Schwäche, sondern eine Stärke dieser großen Koalition und eine Leistung, die sich an den realistischen Vorgaben orientiert. Die Politik bestimmt den Haushalt, der Haushalt bestimmt nicht die Politik.

Zum Konsolidierungswillen der Opposition haben wir in der Rede von Herrn Liebich schon einiges gehört, aber wir haben auch im Hauptausschuss schon einiges dazu gehört.

[Wieland (GRÜNE): Das war aber nicht schlecht! Das hat mich beeindruckt!]

Herr Wieland, bei den Grünen ist das besonders ausgeprägt! Erstens sparen Sie uns über die Portokasse des Abgeordnetenhauses gesund, was Ihre Kollegin versucht hat. Das wird dann in Tausendmarkschritten versucht.

[Wieland (GRÜNE): Das haben Sie falsch verstanden!]

Ich kann nur sagen: eine brillante Einsparvorgabe. Oder Sie entdecken Haushaltsreserven im Kantinenbereich. Das sind sicherlich auch Größenordnungen, die den Haushalt sanieren werden. Oder Sie stellen Anträge, die billigen Stromverträge, die hier abgeschlossen wurde, durch teurere zu ersetzen. Das ist Ihre Haushaltskonsolidierung, meine Damen und Herren von der Opposition! [Beifall bei der CDU]

Die PDS sagt auf der einen Seite, sie wolle den Haushalt konsolidieren und sparen; im gleichen Atemzug sagen Sie: Aber wir werden eine große Kampagne gegen den Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften fahren. – Das ist Ihr Beitrag zur Haushaltskonsolidierung! Das ist Demagogie, wie sie im Buche steht und wie wir sie von Ihnen gewohnt sind. Ich kann nur den Mieterinnen und Mietern der städtischen Wohnungsbaugesellschaften sagen, sie sollten sich nicht von Demagogen der PDS ins Bockshorn jagen lassen.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Die Rechte der Mieter sind und bleiben gesichert. Niemand muss Angst um seine Wohnung haben.

Wir haben noch weitere große Sparmeister in der Bundesrepublik Deutschland. Da ist der Bundesfinanzminister Eichel, der hoch für seine Einsparbemühungen gelobt wird.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Warten Sie mal ab, Herr Wowereit! – Er hat uns ein „schönes“ Geschenkpaket überreicht, nach dem Motto, wir müssen alle den Gürtel enger schnallen, und der Bund schnallt erst einmal den Gürtel der Bundesländer enger, bis sie keine Luft mehr bekommen. Da ist ein wunderbares Paket, das wir annehmen müssen, die Unternehmensteuerreform, die uns in den Jahren 2000 bis 2003 etwa 955 Millionen DM Mindereinnahmen beschert, da ist die Ökosteuer, die den Haushalt mit rund 50 Millionen DM belastet, da sind andere Maßnahmen, die noch einmal zu rund 530 Millionen DM Belastung führen. Summa summarum kommt man für die Jahre 2000 bis 2003 auf eine Summe von

über 1,6 Milliarden DM. Da kann ich nur sagen, Finanzminister Eichel hat die Spendierhosen an, und wir sind die Hosenträger. Das kann nicht die Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern sein.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von den GRÜNEN]

Kommen wir zu den Personalausgaben. – Sie brauchen nicht so aufgeregt zu sein, der Haushalt ist eine ganz sachliche Angelegenheit, über die man auch sachlich sprechen kann.