Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

[Weinschütz (Grüne): Dann brauchen wir ja gar keine Verträge mehr zu machen!]

Ich teile die Besorgnis der Rektoren und Präsidenten, was die Warnung vor Kürzungen bei den Investitionen betrifft, es geht um 64 Millionen DM. Momentan können wir dazu noch nicht viel sagen, weil der Senat uns hierzu keine detaillierte Liste vorgelegt hat, weder dem gesamten Haus noch dem Hauptausschuss. Wir gehen davon aus, dass der Senat eine Möglichkeit findet, dass im notwendigen Umfang – ob es die gesamten 64 Millionen DM sind oder eine Reduzierung gibt, darüber kann man reden – eine Lösung gefunden wird. Auf keinen Fall darf es dazu kommen, dass beispielsweise im Klinikum Steglitz zwei Etagen im Rohbauzustand stehen bleiben und möglicherweis in Mitte auf dem

Charite´-Gelände Häuser geschlossen werden müssen, weil notwendige Brand- und Sicherheitsmaßnahmen nicht vorhanden sind. [Hoff (PDS): Das ist ja der Skandal!]

Ein Wort noch zu den Anträgen der Fraktion der PDS: Den Änderungsantrag haben Sie bereits im Hauptausschuss eingebracht. Den werden wir hier genauso ablehnen wie dort und zwar deshalb, weil wir überhaupt nicht daran denken, an BESSY 2 etwas zu kürzen und weil wir auch nicht daran denken, an der Deutschen Mediathek etwas zu kürzen. Was das Studentenwerk betrifft, so gibt es hier bisher überhaupt keine Anzeichen, dass das Studentenwerk nicht in der Lage ist, seinen Aufgaben nachzukommen.

[Hoff (PDS): Genau, es erhöht die Preise für Studis!]

Im Übrigen hat das Studentenwerk ein dickes Finanzpolster und auch das wird man sich noch einmal etwas genauer ansehen müssen.

Damit wir nicht nur bei den Zahlen stehenbleiben, möchte ich noch etwas Inhaltliches sagen. Wir haben als wichtigste Aufgabe vor uns und bereits begonnen die Hochschulreform in Berlin – und zwar inhaltlich und strukturell. Wir haben mit den Hochschulen vereinbart, dass neue Studienabschlüsse, international orientiert, nämlich Bachelor- und Master-Abschluss, eingeführt werden. [Beifall bei der SPD]

Dies ist nicht nur eine formelle Anpassung an amerikanische oder andere Abschlüsse, sondern es ist auch die Chance, die Inhalte der Ausbildung zu verändern und gerade durch die Einführung von Studienmodulen dazu zu kommen, dass Studierende viel stärker als bisher die Inhalte ihres Studiums selbst bestimmen. Wir stoßen bei diesem Vorhaben auf Widerstand in den Hochschulen, weil es natürlich schwierig ist, von geliebten Vorstellungen – Diplom, Magister usw. – Abschied zu nehmen. Ich sage aber an die Adresse des Senats gerichtet: Es gibt auch Studiengänge, die mit einem Staatsexamen abschließen. Ich möchte, dass der Senat – wir werden das auch im Abgeordnetenhaus aufgreifen – mit gutem Beispiel vorangeht und dafür Zeichen setzt, wie man auch Staatsexamina diesem System der Modularisierung, der Bachelor- und Master-Ausbildung anpassen kann. [Beifall bei der SPD]

Die SPD-Fraktion hat hierzu in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem ein Modellversuch ermöglicht werden sollte. Dies ist leider bei der Schulverwaltung auf Ablehnung gestoßen und auch bei unserem Koalitionspartner. Vielleicht haben sich beide inzwischen so weiterentwickelt, dass wir in der Sache weiterkommen können.

Ich habe die rote Blume gesehen, ich muss zum Schluss kommen. Das tut mir sehr leid, weil ich auch noch zur Frauenförderung etwas sagen wollte,

[Heiterkeit bei der SPD]

aber das ist ja hiermit geschehen.

Lassen Sie mich damit abschließen, dass ich mit Interesse in der Biografie von Herrn Stölzl gelesen habe, dass er mehrere Jahre an der Universität in Lehre und Forschung verbracht hat. Das gibt mir die Sicherheit, dass er die Kompetenz, die ihm in der Öffentlichkeit für den Kulturbereich zugeordnet wird, mit Sicherheit auch für den Wissenschaftsbereich in gleicher Weise aufbringen wird. In diesem Sinne: Glück auf, Herr Senator!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Die nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Rusta, bitte sehr, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Ströver! Es ist immer falsch, wenn die Politik sich mit der Stadt gleichsetzt. Berlin ist kein Posemuckel – schon gar nicht im Bereich der Kultur.

[Beifall bei der SPD und bei der CDU – Unruhe]

Berlin ist aber gleichzeitig eine Stadt, in der die kulturpolitischen Aufgaben nicht gelöst sind. Wir stehen aber am Anfang der Lösung. Immerhin: Wir stehen davor; das bitte ich zu berücksichtigen. [Unruhe]

Die Opposition hat es so an sich, Defizite der Koalition zuzuschreiben und alle Errungenschaften und Fortschritte erst einmal für sich zu verbuchen. Ich fange bewusst mit einigen positiven Bemerkungen an und werde dann auch zu den kritischen Punkten der Berliner Kulturpolitik Stellung nehmen.

Entgegen düsteren Prognosen und trotz des Rücktritts der politisch verantwortlichen Senatorin können wir heute dank des engagierten Wirkens auch ihrerseits im Haupt- und Kulturausschuss einen Haushalt verabschieden, mit dem keine kulturelle Einrichtung und auch kein wesentliches Förderprogramm zur Disposition steht. Mehr noch: Es ist gelungen, alle wichtigen Investitionen zu sichern – ich nenne vor allem die Museumsinsel, aber auch die Volksbühne und das Maxim-Gorki-Theater –

[Zuruf von links: Und die „Topographie des Terrors“?]

und darüber hinaus für die kulturellen Aktivitäten in den Bezirken erstmals Mittel zur Verfügung zu stellen. Allerdings wäre die Lösung aktueller Probleme der Berliner Kultur ohne ein zusätzliches Engagement des Bundes in unserer Stadt nicht möglich. Wer hier immer noch nach mehr vom Bund ruft, geht an dieser Tatsache vorbei, Herr Lehmann-Brauns, und daran, dass wir noch eigene Hausaufgaben zu lösen haben, bevor wir diese von anderen einfordern. Denn ein Kulturhaushalt in seiner jetzigen Form, in dem die Einrichtungen lediglich konserviert werden, können und wollen wir nicht noch einmal verabschieden. Der Schwerpunkt im Spannungsfeld zwischen Bewahren und Gestalten im Kulturhaushalt muss sich im nächsten Haushalt deutlich auf das Gestalten verschieben. Für den neuen Senator, dem wir eine glückliche Hand wünschen, gibt es keinen – auch nicht den kleinsten – Spielraum, sich an den fälligen Strukturreformen der Berliner Theatereinrichtungen vorbeizumogeln, wie es leider sein Vorgänger getan hat. Herr Lehmann-Brauns, Sie haben Recht, wir haben Diskussionen über Strukturen geführt, aber leider haben diese Diskussionen im Kulturausschuss keine Ergebnisse gezeigt.

Herr Stölzl, Ihre Hauptaufgabe wird darin bestehen, im Rahmen des bestehenden Budgets – man braucht sich keine Illusionen zu machen, mehr Geld wird es für den Kulturhaushalt in absehbarer Zeit nicht geben – den sehr eng gewordenen Spielraum für die Kunst zu erweitern. Hier muss man differenzieren, deshalb ist Ihr Begriff der „auskömmlichen Armut“ nicht ganz präzise. Um das zu erreichen, müssen Sie dafür sorgen, dass es endlich einen Durchbruch in der Tarifvertragsgestaltung gibt – schwierig! –, dass wir Bürokratie in den Einrichtungen selbst abbauen, denn es gibt dort große Polster, und die finanzielle Eigenverantwortung der Einrichtungen stärken. Berlin braucht moderne, flexible Organisationsstrukturen in den großen Einrichtungen, die den Herausforderungen der Finanzkrise gewachsen sind. Der Hintergrund des öffentlichen Protestes der Intendanten ist doch der – und das sollten Sie endlich verstehen, Herr Hoff –, dass lineare Kürzungen im Etat auf Kosten der künstlerischen Produktion gingen; denn bis zu 90 % des Etats in kulturellen Einrichtungen sind personalgebunden, d. h. nicht disponibel. Darüber hinaus gehen mehr als 50 % in nicht künstlerische Bereiche. Das bedeutet, wer Kunst machen will, muss selbst bei sehr verantwortlichem Einsatz der Mittel Defizite erzeugen. Das ist die Problematik der Situation der kulturellen Einrichtungen in Berlin.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Diese Struktur der Einrichtungen hat uns in eine Sackgasse geführt und muss deshalb aufgebrochen werden. Ein gutes Instrumentarium bietet dafür – unter anderem natürlich – ein durchdachter GmbH-Vertrag und die Zusammenfassung von nicht künstlerischen Bereichen in gattungsähnlichen Theatern.

[Zuruf der Frau Abg. Ströver (Güne)]

(A) (C)

(B) (D)

Im Zeitalter moderner Kommunikationstechnik ist das möglich. Für die Lösung des Personalproblems wird oft ein Entschädigungsfonds für die freiwillig ausscheidenden, nicht kündbaren Mitarbeiter vorgeschlagen. Wir werden ihn wohl auf den Weg bringen, aber wir warnen vor seiner Überschätzung. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Gefahr besteht, dass junge Künstler gehen, ältere und nicht mehr so gefragte bleiben und die für uns so wichtige Erneuerung ausbleibt.

[Beifall der Frau Abg. Merkel (SPD)]

Fazit: Nur eine konsequente Strukturreform rettet die Berliner Kultur.

Neben der Strukturpolitik braucht Berlin auch eine sensible und weitsichtige Personalpolitik. Solche Aktionen wie der Hinauswurf von Thomas Langhoff schaden Berlins Ansehen. Bei Neubesetzung schlagen wir allerdings vor, erneut auf Ausschreibungen und Findungskommissionen zurückzugreifen.

Last but not least: Was Berlins Kultur dringend benötigt, ist eine klare kulturpolitische Leitlinie, eine Vision. Diese kann nur darin bestehen, den kulturellen Reichtum zu erhalten und die Kreativität, die junge Kunst, die Innovation, das Experiment in Berlin wieder zu ermuntern; denn darin haben wir inzwischen Defizite. Dafür muss die Projektförderung deutlich aufgestockt werden. Der Anfang dazu ist mit dem Projekt für die Bezirke gelegt, und wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass auch der Hauptstadtkulturfonds im nächsten Etat die volle Summe von 20 Millionen DM erhält; denn dieser ist wichtig für die Projekte, die mit innovativem Charakter nach Berlin kommen sollen.

Fazit: Berlin braucht eine qualifizierte und innovative Kulturpolitik des Senats. Herr Stölzl, die Unterstützung der SPD-Fraktion werden Sie dafür erhalten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Weitere Wortmeldungen aus den Fraktionen liegen nicht vor. Jetzt spricht der neue Senator. Herr Senator Stölzl, Sie haben das Wort zur Jungfernrede. Bitte sehr!

[Starker Beifall bei der CDU und der SPD]

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden es mir nicht verargen, wenn ich heute nicht mit einem Detailfahrplan komme, sondern Sie um Gehör bitte für allgemeine Überlegungen.

Die Richtlinien der Regierungspolitik dieses Senats sagen, dass in Wissenschaft und Kultur die Zukunftskapitalien Berlins liegen. Das ist umso wahrscheinlicher, sagt der Historiker in mir, weil diese Zukunft sehr viel Vergangenheit hat. Immer war Berlin der Ort, wo kühne Denker, Forscher und Künstler die Zukunft in den Blick genommen haben. In Wissenschaften und Künsten hat Berlin seit vielen Generationen immer wieder die Verwegenheit bewiesen, die Johann Wolfgang von Goethe als das unverwechselbar Typische dieser Stadt bezeichnet hat. Wer Wissenschaft und Kultur einmal im Langzeitvergleich betrachtet, wird auch die gegenwärtig heftig diskutierte Situation etwas gelassener einschätzen können. Berlin leuchtet wie vordem. Berlin zieht an wie vordem. Berlin ist Markt- und Kampfplatz der Ideen und Träume und zugleich Labor ernsthaftester Wissbegierde. Die Menschen, die in stetig wachsenden Scharen nach Berlin kommen, um die unvergleichliche Offenheit dieses Ortes zu erleben, um sich anstecken zu lassen von dem, was Robert Musil einst den „grandiosen Möglichkeitssinn der Moderne“ genannt hat, hätten wenig Sinn für den grämlichen Stil, in dem die Debatte um Berlins kulturelle Rolle bisweilen geführt wird.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall der SPD]

Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, obwohl es bei Haushaltsberatungen ein Tabu ist: Mindestens genauso wichtig, wie auskömmliche Haushalte sind, ist ein Klima der geistigen Herausforderung und des ehrgeizigen Wettbewerbs aller wissenschaftlich und schöpferisch Tätigen um die Anerkennung in der ganzen Welt. [Beifall bei der CDU und der SPD]

Berlin hat vor zehn Jahren in der außerordentlichen Glückssituation der deutschen Einigung aus nationaler Verantwortung ein gewaltiges Erbe übernommen. Wissenschaftliche und kulturelle Institutionen, die nicht eine ambitionierte Großstadt, sondern die dramatische deutsche Geschichte als Ganzes hervorgebracht hatte, hat Berlin geschultert. Der Bund sprang bei – „recht und schlecht“, sagen die einen, „auskömmlich“, die anderen. Er hat sich im Einigungsvertrag zur Erhaltung der kulturellen Substanz der ehemaligen DDR und damit auch der östlichen Hälfte Berlins verpflichtet.

Man wird heute fragen dürfen, ob die damals in allem Idealismus gefundenen Lastenverteilungen der großartigen Leistung Berlins auch heute gerecht werden. Dies ist kein verzagter Ruf nach einem neuen Notopfer Berlin – die Älteren erinnern sich an die kleine blaue Briefmarke –, sondern eine Anmahnung, dass kulturelle Leistungen, die hauptsächlich der Nation zu Gute kommen, auch wesentlich von ihr mitgetragen werden. Ich verweise vor allem auf die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs nach dem Verfassungsgerichtsurteil. Dieses muss dazu benutzt werden, die asymmetrisch hohe Kulturleistung Berlins für das Umland und für Deutschland auch finanziell abzubilden.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

So zu fragen, in aller Dringlichkeit, das ist keine Quengelei, wie wir es kürzlich aus Bonn – so muss ich sagen, in dem Fall stimmt auch der Topos – gehört haben, sondern der Appell an die Deutschen, die einzigartige Chance in den Blick zu nehmen, die in einer Hauptstadt liegt, deren Bild zuerst von ernstester Verantwortung gegenüber der dunklen Seite unserer Vergangenheit und dann von demonstrativer Wissenschafts- und Kunstfreundschaft geprägt wird, wie nirgendwo anders auf der Welt. Berlin ist der Fokus für die Blicke unserer Nachbarn in Europa und für alle in der Welt, welche den Weg Deutschlands mit wachen Augen begleiten. Was hier gelingt, das sollten wir unseren föderalen Freunden immer wieder deutlicher sagen als bisher, kommt allen Deutschen zu Gute. Und was hier misslingt, bringt allen Schaden ein.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Welche Gegenwartslandschaft es gibt und welche Wege die Zukunft weist, lassen sich aus dem heute vorgelegten Haushalt ablesen. Der Senat von Berlin sagt für die Wissenschaft in aller Deutlichkeit, dass ein Zusammenspiel, nicht ein Nebeneinander der Universitäten und der wissenschaftlichen und künstlerischen Hochschulen, der Fachhochschulen, der außeruniversitären Forschungseinrichtungen ebenso wie der Berufsakademien der Motor sein muss für die Zukunftsfähigkeit der Stadt. Wir leben in einer Welt, in der alte Barrieren zwischen den Wissencentern dramatisch verschwinden im Zuge der Informationsrevolution, die inzwischen unsere Kinderzimmer schon erreicht hat. Der Senat wird deshalb die internationale Verflechtung der Berliner Forschung und die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft nachhaltig unterstützen.

Einsamkeit und Freiheit der Forschung war in der besten Zeit der Berliner Aufklärung immer schon verbunden mit dem Ehrgeiz, pädagogische Avantgarde zu sein. Berlin will vorbildlich werden in der Beschleunigung des interdisziplinären Denkens und in der Verkürzung sowohl der Studiendauern als auch der Zeiträume zwischen Erfindungen und Entwicklungen von Forschungsergebnissen, die dem Leben nützen. Die Reform von Studiengängen und -abschlüssen muss Berlins Hochschulen gerade auch für die ausländischen Studierenden wieder attraktiver machen als bisher.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]