Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

das Gefühl, er oder sie sei die doofe Minderheit.

[Beifall bei der CDU]

Wer Sozialleistungen mit der Gießkanne über der halben Welt ausschütten möchte, legt die Axt an die Wurzeln dieses Sozialstaates. Das ist nicht sozial, sondern verschwenderisch.

[Beifall bei der CDU – Frau Künast (Grüne): Sagen Sie mal was zum Verfassungsbrecher Kohl!]

Im Interesse gerade der Bedürftigen müssen wir gegen diejenigen, die diesen Sozialstaat aushöhlen, sowohl politisch-juristisch, aber – was viel wichtiger ist – gesellschaftlich-moralisch vorgehen. Sonst gefährden wir die Solidarität der Starken mit den Schwachen.

Aber nicht nur materielles Eigentum – auch geerbtes materielles Eigentum – verpflichtet. Nein, auch Begabung, Intellekt und Wissen verpflichten, sich für die Gesellschaft zu engagieren. Auch hier müssen wir gesellschaftlich-moralische Wertmaßstäbe von der Politik aus setzen. Wir brauchen eine neue Ethik des Unternehmertums mit Verantwortung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – wie das im Mittelstand in Deutschland üblich ist. [Zuruf von der PDS]

Wir wollen nicht – das sage ich sehr wohl überlegt –, dass Menschen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur als ökonomische Verfügungsmasse angesehen werden.

[Beifall bei der CDU]

Wir sind dankbar für jeden Investor und Betriebsgründer, der nach Berlin kommt. Aber die Basis, der Grundstock sind die hier bereits ansässigen Unternehmen. Wir müssen so, wie es jedes intelligente Unternehmen tut, zuerst einmal an unsere Berliner Kioskbesitzer, an unsere Gastronomen, an unsere Taxifahrer, an unsere Handwerker und Händler, die kleinen und großen Produktionsbetriebe sowie unsere Freiberufler denken und ihnen dafür dankbar sein, dass sie sich Tag für Tag in und für diese Stadt engagieren.

[Zuruf von der PDS: Quatsch!]

Für diese Berlinerinnen und Berliner, für diese Unternehmerinnen und Unternehmer werden wir Gesetze und Verordnungen entschlacken. Wir werden Berlin attraktiv machen und setzen im vorliegenden Haushalt die notwendigen Schwerpunkte. Für diese Berlinerinnen und Berliner

[Frau Künast (Grüne): Jung, gesund, wild wie Sie!]

wollen wir weiterhin Wasser- und Strompreise, Straßenreinigungsgebühren und endlich – herzlichen Dank den Sozialdemokraten! – auch die Gewerbesteuer senken.

[Beifall bei der CDU]

Klar ist, dass eine gesunde Wirtschaftsordnung immer neue, junge Unternehmerinnen und Unternehmer benötigt. Gerade der Generationenwechsel bei den mittelständischen Unternehmen birgt Risiken, aber – das ist die Geschichte mit dem halb vollen oder halb leeren Glas – eröffnet vor allen Dingen jungen Existenzgründerinnen und Existenzgründern gewaltige, phantastische Chancen. Hier muss die Politik unterstützen. Unsere Aufgabe – ein bisschen im Land, eine Menge im Bund – ist es, die Lohnnebenkosten endlich zu senken. Wir müssen die Genehmigungsverfahren verkürzen. Wir müssen den Kampf gegen Schwarzarbeit verstärken. Und wir müssen in der Gesellschaft in der Republik, aber auch in Berlin ein noch unternehmer- und gründerfreundlicheres Klima schaffen. Bei manch einer Diskussion im Parlament habe ich den Eindruck, einige haben aus ihrer gescheiterten Vergangenheit noch immer nichts gelernt. Sie sind gegen jeden Modernisierungsschub, gegen den Großflughafen, gegen das Olympia-Stadion, gegen den Transrapid, gegen die Fusion mit Brandenburg, natürlich auch gegen die Bezirksreform. Sie sind die rückständigste Partei dieser Stadt. Und wenn es nach dem Innovationstempo der Grünen ginge, dann würde wahrscheinlich dieser elegante Außenminister noch heute mit der Pferdekutsche seine Staatsbesuche machen.

[Beifall bei der CDU – Ha, ha! und weitere Zurufe von den Grünen]

Doch gottlob geht es nicht nach Ihnen. Und deshalb hat in Berlin ein wahrer Gründerboom eingesetzt. Mit 104 Unternehmensgründungen pro 10 000 Einwohner ist Berlin Hauptstadt der Gründerinnen und Gründer in Deutschland.

[Doering (PDS): Reden Sie doch mal über die Anzahl der Pleiten!]

Die größte Chance, meine Damen und Herren von der PDS, liegt übrigens bei den weiblichen und ausländischen Existenzgründern. [Cramer (Grüne): Die wollen Sie vertreiben!]

Darauf komme ich gerade! – Aber bei 4 Millionen Arbeitslosen und über 12 Milliarden DM Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit für Umschulung und Weiterbildung kann doch die Antwort auf Fachkräftemangel nicht das Abwerben billiger Arbeitskräfte aus Russland oder Indien sein!

[Beifall bei der CDU]

Hier sind Bundesregierung und vor allem und zu allererst die Unternehmen gefordert, schnell ihre Hausarbeiten zu machen. Und natürlich ist es eine falsche Politik, wenn die Bundesregierung im Haushalt 2000 die Mittel für Forschung um 340 Millionen DM reduziert.

[Zurufe der Abgn. Frau Künast (Grüne) und Doering (PDS)]

Frau Künast, bei den Grünen wundert mich in dem Zusammenhang Modernisierung und Technologie gar nichts. Bei Ihnen standen alle modernen Technologien auf dem Verbotsindex – ohne Ausnahme!

[Beifall bei der CDU – Zurufe der Abgn. Cramer (Grüne) und Doering (PDS)]

Medien-, Informations- und Kommunikationsunternehmen sind der Motor für den Boom bei den Existenzgründungen. Laut einer Umfrage vor wenigen Tagen auf der CeBIT in Hannover – diese Zahl ist wirklich bemerkenswert – bevorzugen 39 % der dortigen Aussteller bei einer Ansiedlung in Deutschland den Standort Berlin. Weit abgeschlagen folgen Nordrhein-Westfalen mit 19 % und Frankfurt mit 15 %.

Wissenschaft und Forschung sind also ein großer Standortvorteil Berlins, denn wir sind unverändert die größte deutsche Hochschulstadt.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Klemm?

Nein! – Als der damalige Ministerpräsident und heutige Bundeskanzler Schröder 1996 Informatik an der Universität Hildesheim abgeschafft hat, hat hier eben der Senat unter Eberhard Diepgen in Berlin die Schwerpunkte gesetzt. interjection: [Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und den Grünen]

Deswegen ist es gut, dass Berlin mit unserem Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner einen erfolgreichen Werber für den Zukunfts- und Technologiestandort Berlin hat.

[Zurufe von der PDS und des Abg. Atzler (CDU)]

Die Laptop- und Handygeneration ist bei ihm bestens aufgehoben und uns in Berlin – von der Love-Parade bis zum Internetexistenzgründer – herzlich willkommen.

[Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Wolfgang Branoner ist der richtige Wirtschafts- und Technologiesenator auf dem Weg von der Industriegesellschaft in die Wissensgesellschaft. Er macht hier wirklich – ich glaube, ich kann das beurteilen – einen sehr guten Job.

Aber natürlich gehören zu einer Stadt des Aufbruchs nicht nur Unternehmer und Existenzgründer, sondern in allen Teilen der Gesellschaft unternehmerisch denkende und handelnde Menschen. Deshalb sind wir dankbar, dass so viele nationale und internationale Forscher und Wissenschaftler in Berlin tätig sind.

[Zuruf der Frau Abg. Paus (Grüne)]

Sie sind der intellektuelle Nährboden für die Berliner Pflanze Zukunft. Deshalb werden wir unverändert Universitäten, Fachhochschulen, die Berufsakademie, über 200 wissenschaftliche Einrichtungen, den biomedizinischen Campus in Buch und den Technologiepark in Adlershof unterstützen. Deshalb freuen wir uns über jeden Künstler und Kulturschaffenden aus der ganzen Welt, der Berlin zum Zentrum seines Schaffens und Wirkens macht. Auch bei schwierigster Haushaltslage können sich die

Berlinerinnen und Berliner, aber auch die Besucher aus der ganzen Welt, auf eines verlassen: Wir werden die Kulturhauptstadt Deutschlands bleiben!

[Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Wowereit (SPD)]

Wir werden uns dem Wettbewerb mit den bedeutendsten Stätten Europas bei Wissenschaft, Forschung und Kultur stellen. Kultur ist für uns als Union nicht nur eine intellektuelle und geistig anregende Befruchtung des Lebens.

[Frau Freundl (PDS): Herausforderung!]

Nein, Kultur ist darüber hinaus ein ganz wesentlicher Standortvorteil im Wettbewerb mit anderen Regionen dieser Welt. Die Kulturszene von Ballett bis Techno, von den Internationalen Filmfestspielen bis zur Love-Parade ist ein zentrales Ansiedlungsargument für kreative, dynamische, junge Unternehmen. Und weil Kunst, Kultur, Wissenschaft und Forschung so große Bedeutung als Standortvorteil für Berlin haben, unterstützen wir den neuen Kultur- und Wissenschaftssenator Stölzl nicht nur mit dem Herzen, sondern auch aus tiefer wirtschaftlicher Überzeugung.

[Beifall bei der CDU]

Ich glaube, er sitzt schon ganz gut, wenn ich das so richtig sehe. Die Sitzordnung hilft, Herr Prof. Stölzl.

[Zuruf von der PDS]

Aber auch Intendanten müssen sich – und das sage ich sehr sachlich – an beschlossene Budgets halten. Etatüberziehungen sind kein besonders verantwortungsvoller Umgang mit dem Geld des Steuerzahlers und wohl eher ein bisschen Unkultur.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Kulturelle Vielfalt und Attraktivität sind auch eine Grundlage für die unverändert sehr stark steigenden Zahlen des Tourismus in Berlin. Wir sind übrigens bei Städtereisen nach langen Jahren wieder Nummer 1 in Deutschland. Deshalb werden wir Berlin zu einem der ersten Messe und Kongressplätze Europas ausbauen. Bei dem neuen Messe-Südeingang und einem vernünftigen Konzept für Eisspielbetrieb und den Erhalt der Deutschlandhalle hat Senator Strieder unsere volle Unterstützung. Ich hoffe, dass er schnell, zügig und dann richtig entscheidet.

Seit 1990 haben wir – und das sollten wir einmal vielen Menschen in der Stadt sagen, die uns an dieser Stelle teilweise kritisieren – über 48 000 Stellen im öffentlichen Dienst in Berlin abgebaut und werden in dieser Legislaturperiode nochmals 10 750 Stellen abbauen. Unsere Beschäftigten haben diesen schwierigen Prozess mit Einsatzbereitschaft und viel Verständnis begleitet. Auch hier war Ideenreichtum und unternehmerische Initiative notwendig. Nicht nur deshalb, aber auch deshalb können sich unsere öffentlich Bediensteten auf unser Wort verlassen. Wir werden uns an unsere Zusage halten und keine betriebsbedingten Kündigungen im öffentlichen Dienst vornehmen. [Beifall bei der CDU]