Protokoll der Sitzung vom 16.05.2002

Ein letzter Punkt, weil Sie die freien Radios ansprachen: Wir werden versuchen, bei den freien Radios und den neuen Projekten des Internet-Streaming und anderen innovativen Projekten voranzukommen. Wir werden sie unterstützen. Notfalls werden wir hierzu auch die gesetzlichen Grundlagen ändern. Ich möchte, dass die Redakteure und Journalisten, die hier Qualität anbieten können, auf dem Markt eine Chance haben. Wir werden alles dafür tun, dass dies gelingt.

Berlin ist eine Medienstadt. Es ist keine Fata Morgana. – In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre wohlwollend kritische Anfrage. [Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Herr Zimmermann! Gestatten Sie mir zu würdigen, dass das angesichts Ihres schweren Ischiasleidens eine Leistung war. Nehmen Sie alle guten Wünsche von uns mit auf den Weg, damit Sie Ihre volle Bewegungsfreiheit so schnell wie möglich wiedererlangen. Wir leiden schon beim Zusehen mit Ihnen.

[Allgemeiner Beifall]

Wir fahren in der Debatte fort. Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Braun das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir vorab einige grundsätzliche Bemerkungen. Seit Jahren überzieht die SPD Berlin mit Strukturpopulismus.

[Gelächter bei der SPD und den Grünen]

Für jedes Thema – sei es real oder herbeigeredet – bietet die SPD immer nur eine Lösung, und die heißt Fusion. Statt sich mit einer ernsthaften Staatsaufgabenkritik und einem Abbau von Staatsaufgaben zu befassen, drangsalierte die SPD die öffentliche Verwaltung mit einer im Ergebnis teueren und bürgerfeindlichen Bezirksgebietsreform.

[Zurufe von der SPD und der PDS]

Hören Sie auf zu schreien. Sie können nachher noch reden. – Statt den Wohnungsmarkt sozialverträglich zu privatisieren, übernahm eine staatliche Wohnungsbaugesellschaft die andere, ohne dass bessere wirtschaftliche Ergebnisse erzielt wurden. Letztes Jahr wurde noch von einer Fusion von Bahn und BVG geredet. Jetzt ist das neue Lieblingskind von Herrn Wowereit und seiner ach so innovativen Senatsmannschaft die Fusion der beiden Sender ORB und SFB. In der Koalitionsvereinbarung wird behauptet, die Fusion solle der Stärkung des öffentlichrechtlichen Rundfunks in der Region dienen. Mit derartigen Plattitüden kann ich wenig anfangen.

[Doering (PDS): Das kann ich mir vorstellen!]

Was soll denn das heißen? Wie soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk wirtschaftlich oder inhaltlich oder wie sonst gestärkt werden?

Für die Union sowohl in Brandenburg als auch in Berlin kann ich verbindlich erklären, dass wir zwar nicht vom Fusionsfieber angesteckt sind, uns aber einer Fusion der Anstalten ORB und SFB nicht verschließen werden, wenn folgende vier Voraussetzungen erfüllt sind:

[Wieland (Grüne): Schwarz muss er werden!]

Hören Sie doch erst einmal zu! –

[Doering (PDS): Wir wissen schon, was kommt!]

Erstens: Die Wirtschaftlichkeit des neuen Senders muss gewährleistet sein. Die bisher vorgelegten Zahlen sind – höflich ausgedrückt – widersprüchlich. Nach Berechnung des Verwaltungsrates des Senders Freies Berlin ist bei einer Fusion jedenfalls mit einem Abbau des Programms zu rechnen. Bestenfalls könne eine Fusion kostenneutral gestaltet werden. Schlechtestenfalls drohe ein finanzielles Defizit von bis zu 13 Millionen $. Unberücksichtigt sind hierbei die fusionsbedingten Kosten wie Umzüge etc.

Diese wirtschaftlichen Prognosen sind auch bestenfalls vorläufig. Der Gebührenstaatsvertrag endet 2004. Welche Gebühreneinnahmen – und das sind die Haupteinnahmen der öffentlich-rechtlichen Sender – dann für die fusionierte Anstalt zur Verfügung stehen, ist völlig offen. Die Union fordert deshalb ein fundiertes Wirtschaftskonzept. Nach den Vorstellungen der Koalition in Brandenburg, denen wir uns im Übrigen anschließen, soll die Wirtschaftsberatung Price & Waterhouse und die KEF dieses Konzept dann überprüfen.

Zweitens: Die Union kann sich eine sachgerechte, ehrliche Wirtschaftlichkeitsberechnung ohne Programmstruktur nicht vorstellen. Derzeit werden insgesamt acht Radiowellen von beiden Sendeanstalten betrieben. Es scheint Einigkeit darüber

zu bestehen, dass es künftig nur noch fünf Wellen sein sollen. Welche bleiben werden, ist völlig offen. Offen ist auch, wie künftig auf gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen reagiert werden soll. Die Union will sich nicht in das Programm einmischen, will aber Klarheit darüber, ob es künftig noch ein Stadtradio, ein Inforadio, eine Jugendwelle, ein Kulturradio und „Multikulti“ geben wird. Auch aus medienwirtschaftlichen Erwägungen und im Interesse der Stadt wollen wir, dass der derzeitige Anteil am gesamten Bundesprogramm von 7 % nach der Fusion nicht unterschritten wird.

Drittens: Wir wollen, dass die gesellschaftlichen Gruppen im Rundfunkrat demokratisch legitimiert sind und die gesellschaftliche Realität in Berlin und Brandenburg widerspiegeln. Noch sind wir zwei Bundesländer. Auch bei geplanten Rotationen darf kein Land unterrepräsentiert sein – schon gar nicht in der Anfangsphase.

Viertens: Wir fordern, dass der Intendant mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt wird, um eine breite Akzeptanz zu erzielen. Der Intendant darf nicht Vollstrecker einer politischen Richtung sein. Dass die Verlockung der Sozialdemokraten sehr groß ist, zeigt sich auch

[Wieland (Grüne): Ach! – Weitere Zurufe von den Grünen]

an der heute durchzuführenden Wahl des Polizeipräsidenten. Wir wollen eine offene Wahl des Intendanten und der Geschäftsführung – keine Maßschneiderei für sozialdemokratischen Filz.

[Zuruf des Abg. Wieland (Grüne)]

Vorbereitet werden soll der Fusionsprozess deshalb auch von einem von den Landesregierungen eingesetzten Beauftragten.

Ich weiß nicht, wie wichtig den Berlinern die neue Anstalt und die Fusion sein wird. Wahrscheinlich ist sie den meisten Berlinern egal. Eine Akzeptanz wird die Fusion nur dann finden, wenn der neue Sender auch der Sender der Berliner bleibt, auf ihre Interessen und Wünsche eingeht und die Vielfältigkeit der Stadt widerspiegelt. Mit der Großen Anfrage und auch mit der Behandlung in der Aktuellen Stunde wird deutlich, welche Bedeutung die Medienpolitik für Berlin hat. Die Fusion der beiden Sendeanstalten SFB und ORB ist dabei noch nicht einmal vorrangig.

In den letzten Jahren ist es dem alten Senat und insbesondere Wirtschaftssenator Branoner gelungen, mitzuhelfen, dass mehrere Zehntausend Arbeitsplätze im Bereich der Medienwirtschaft in Berlin angesiedelt werden konnten. Unser Hauptaugenmerk gilt häufig den so genannten alten Medien – also den Fernseh- und Rundfunkanstalten. Nun kann man Herrn Gysi wahrlich nicht vorwerfen, er sei in den Medien zu wenig präsent. Ich würde mir aber wünschen, wir hätten einen Wirtschaftssenator, der sich mit dem gleichen Elan der Sorge der Berliner Medienunternehmen annehmen würde.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir freuen uns, dass gerade in Berlin – und auch das gehört zur geschichtlichen Wahrheit: gegen den Willen der SPD – die privaten und kommerziellen Anbieter Fuß gefasst haben. Umso mehr sorgt uns, die Union, die drohende Insolvenz der KirchGruppe, auch wenn SAT 1, Pro7 und andere private Rundfunkanstalten nicht gefährdet zu sein scheinen. Uns sorgt die weitere Zukunft von TV.Berlin und einigen privaten Radiostationen.

[Doering (PDS): Das glaube ich!]

Konkurrenz belebt auch hier das Geschäft. Wir verstehen nicht, warum in einem Ballungsraum wie Berlin eine private Fernsehanstalt wie TV.Berlin nicht existieren soll.

[Wolf, Harald (PDS): Tut sie doch!]

Wir freuen uns über die Vielfalt der Radioangebote. Diese Vielfalt muss erhalten, gepflegt und umsorgt werden.

[Doering (PDS): Ist ein tolles Programm, was da ankommt!]

Auch im Bereich der neuen Medien gibt es viel zu tun. Wir wünschen mehr Kooperation zwischen den neuen Medien, Internet-Anbietern, wissenschaftlichen Einrichtungen und Forschungsinstituten. Nur durch eine stärkere Vernetzung kann die Weiterentwicklung und die Forschung dauerhaft gesichert werden. Es ist unbestritten, dass die Medienwirtschaft zukunftsträchtige Arbeitsplätze schafft. Jede aus Berlin kommende Produktion ist auch eine Werbung für die Stadt. Sie schafft hier Arbeitsplätze und bringt Steuereinnahmen.

Übrigens: Wir brauchen nicht nur Ansiedlungen deutscher Firmen, sondern auch vom weltweit wichtigsten Medienmarkt USA. Demonstrationen – wie die jetzt gegen Präsident Bush geplante und von der Senatspartei PDS unterstützte – sind dabei kontraproduktiv.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Ritzmann (FDP): So ist es!]

Auch wir wollen eine Konzentration der Zuständigkeiten, um die Schlagkraft zu erhöhen. Trotz aller Bemühungen des Medienbeauftragten der beiden Länder können wir uns nach wie vor nicht vorstellen, dass dieses wichtige Thema von einem OneEuro-Man mit Links erledigt werden kann, der obendrein auf der Gehaltsliste eines Medienunternehmens steht und den die Investoren meistens auf dem Fußballplatz antreffen. Ich appelliere deshalb an den Berliner Senat, sich mit den wirklichen Problemen der Berliner Medien und der Berliner Medienwirtschaft auseinanderzusetzen, statt inhaltsleere Strukturdebatten zu führen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Doering (PDS): Was war denn das eben gewesen?]

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lötzsch – bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer wieder dasselbe Phänomen: Es wird mit großer Leidenschaft darüber debattiert, welches Thema zur Aktuellen Stunde gewählt werden soll, aber wenn dann die Stunde herangekommen ist, ist die Leidenschaft augenscheinlich häufig erkaltet. Aber so ist das halt!

[Beifall bei der PDS und der SPD – Dr. Lindner (FDP): Ja! Weil Sie leidenschaftslos vortragen!]

Herr Lindner, ich hoffe dann noch auf Ihre Rede!

In letzter Zeit ist sehr viel über die Verantwortung der Medien bei der Darstellung von Gewalt gesprochen worden. Einige Politiker sind aufgewacht und wollen wieder Medienpolitik betreiben, nachdem vieles jahrelang dem Selbstlauf überlassen wurde. Mit der Einführung des kommerziellen Rundfunks war aber abzusehen, dass der gnadenlose Kampf um Werbemittel und damit um Einschaltquoten auch Gefahren in sich birgt. Damit man mich nicht missversteht: Ich bin dafür, dass wir das duale System aus öffentlich-rechtlichem und kommerziellem Rundfunk haben. Aber auch wenn wir mitten im Wahlkampf sind, sollten wir uns hier nicht über schnelle Lösungen verständigen. Natürlich kann man mit bestimmten Verboten kurzfristig Gemüter beruhigen, aber wir wissen alle, dass einige der angedachten Verbote zahnlos sind und sehr leicht umgangen werden können.

[Beifall bei der PDS – Beifall des Abg. Ritzmann (FDP)]

Und wenn man sich mit Jugendlichen unterhält, weiß man, dass das Schwingen der Verbotskeule bei ihnen auf Unverständnis stößt.