Protokoll der Sitzung vom 13.06.2002

es als nicht mehr zeitgemäß angesehen, die Familie zu fördern?

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Barth (PDS)]

Und noch die aktuelle rot-grüne Bundesregierung ist dabei, bestimmte Privilegien, die die Familie hatte, abzuschaffen und an diese Grundlagen ganz eindeutig die Axt anzulegen.

[Beifall bei der CDU – Zurufe der Abgn. Frau Dr. Barth (PDS) und Frau Jantzen (Grüne)]

Deswegen kann auch die rein quantitative Betrachtung, nämlich inwieweit es möglich ist, heute einen ganztägigen Besuch in der Kita als Errungenschaft zu haben, nicht befriedigen. Hier geht es eindeutig um Qualität.

Meine Tochter, die jetzt in der ersten Klasse ist, hatte zuvor das Vergnügen, zwei Jahre lang etwas in einer staatlichen Kita zu lernen – oder auch nicht. Dieses Beispiel hat mir jenseits die andere Seite des Theoretisierens in diesem Hause ganz eindeutig gezeigt – und noch viele andere Dinge, die in jeder Diskussionsveranstaltung mit Eltern, Kitaleiterinnen und Erziehern aufkommen. Zwischen dem, was wir hier in der Theorie diskutieren, und dem, was an Praxis läuft oder – besser gesagt – nicht läuft, sind meilenweite Unterschiede.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Das kann man mit den Konzepten, die uns eben vorgestellt wurden, nicht verbessern.

Die SPD ist seit 1995 in Berlin für den Bildungsbereich zuständig. Wenn Frau Tesch für ihre Zustandsbeschreibung, die sich auf die Zeit ab 1995 bezieht, von ihrer Fraktion Beifall

bekommt, dann ist das die Zustandsbeschreibung für die katastrophale Sprachstandssituation in der Vorschulerziehung und der frühen Schulerziehung, die wir hier zur Kenntnis nehmen müssen. Sie haben dafür Beifall bekommen, Frau Dr. Tesch, dass Sie den Qualitätsabbau in den Kitas verteidigt haben. Sie haben dafür Beifall bekommen, dass – ein Redner der Koalition hat es gesagt – man bei dem, was man vorhat, ein deutliches Schwergewicht auf die Kompetenzen der Kitaleitungen legen sollte. Ihre Fraktion hat Beifall dafür gegeben, dass Sie – auch Sie persönlich – im Fachausschuss dafür gestimmt haben, dass Kitaleitungen weniger zeitliche Möglichkeiten haben, sich für das einzusetzen, was Sie fordern. Hier ist zwischen Handeln und dem, was Sie beschließen und durchziehen, ein diametraler Unterschied.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die uns von der PDS vorgestellten Schwerpunkte kaum geeignet sind, deutliche und schnelle Verbesserungen herbeizuführen. Die Eltern, die heute ihre Kinder einschulen oder den Kindergarten auswählen, können wir nicht damit vertrösten, dass wir erst Curricula ändern, anschließend ein Pilotprojekt durchführen, dann die Ergebnisse in der bildungspolitischen Landschaft breit diskutieren und anschließend vielleicht umsetzen oder auch nicht. Dann sind in der Art und Weise, wie das hier läuft, zehn Jahre vergangen. Die Eltern entscheiden aber heute, ob und wo sie ihr Kind in die Kita oder Grundschule bringen. Deswegen findet auf breiter Basis – das wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen – eine Abstimmung mit dem Umzugswagen statt. Das ist eine ganz klare Entwicklung. Deswegen ist dieses Vertrösten auf den Zeitpunkt in zehn Jahren all denjenigen, die heute vor dem Problem stehen, nicht zuzumuten.

Diese Probleme setzen sich fort, denn die Anforderungen in den weiterführenden Schulen sind die gleichen wie vor etlichen Jahren. Die Anforderung beim eventuellen Schulwechsel nach der vierten Klasse sind die gleichen usw. Aber die Eingangsqualifikation der Kinder, die aus dem Kindergarten oder der Vorschule kommen, ist tendenziell schlechter. Die Lücke, die in der ersten bis vierten Klasse zu schließen ist, wird immer größer. Als Konzept für diesen Lückenschluss, für das, was an Problemen immer größer wird, schlagen Sie uns im Prinzip ein Vertrösten auf die Zeit in zehn Jahren vor und ein „Leute, weiter so“. Das ist das Fahrlässige. Wir müssen bemängeln, dass nicht darüber nachgedacht wird, neue Konzepte auszuprobieren und in Alternativen zu denken, sondern bewusst so weitergemacht wird wie bisher. Wohin das führt, haben wir gesehen. Die letzte Sprachstandserhebung hat das katastrophale Ergebnis gezeigt. Es ist nichts passiert. Wir befürchten, dass sich das so fortsetzt. Alles, was heute von der Koalition vorgeschlagen wurde, deutet darauf hin, dass sich substantiell leider nichts ändern wird.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön! – Für die Fraktion der PDS hat die Abgeordnete Schaub das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Goetze, „Weiter so und dann in zehn Jahren“ dazu muss ich Ihnen sagen, dass wir die Chance zu einer Bildungsreform insbesondere in Berlin vor zwölf Jahren hatten. Damals wäre Bildungsreform richtig möglich gewesen.

[Beifall bei der PDS]

Wenn ich mich recht erinnere, dann war Ihre Partei damals der größere Koalitionspartner. Sie haben damals regiert und haben die Bildungsreform zehn Jahre lang verschlafen. Heute stellen Sie sich hin und sagen, nach fünf Monaten müsse alles anders sein.

[Zurufe von der CDU]

In Berlin wie in Deutschland – das muss man konzedieren – hat sich ein Bildungsprivileg neu entwickelt. Das haben wir durch die vorliegenden Studien bestätigt bekommen, und zwar in Deutschland unabhängig davon, welche Partei in welchem Land gerade regiert. Das Schulsystem trägt wesentlich zur Herausbildung dieses neuen Bildungsprivilegs bei, indem es in unerträg

lich hohem Maß soziale Aussonderung zu einem unverantwortlich frühen Zeitpunkt betreibt. Herr Goetze, bei uns geht die Grundschule bis zur sechsten Klasse und nicht kürzer – höchstens wir dehnen die Schulzeit noch aus. Darüber wäre noch zu reden.

Schule ist in Deutschland im OECD-Vergleich am geringsten in der Lage, eine Entkoppelung zwischen sozialem Status einerseits und schulischen Leistungen bzw. Schulerfolgen andererseits zu bewirken. Nachzulesen bei Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn – gestern nach meiner Erinnerung. Mit anderen Worten: Die Schule erfüllt ihren Auftrag, gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder zu schaffen, seit langer Zeit nicht mehr. Chancengleichheit steht auf dem Papier. Die konsequenteste Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis wäre, das gegliederte Schulsystem durch ein integratives zu ersetzen, wie es zur Beispiel in skandinavischen Ländern erfolgreich funktioniert. PISA lässt grüßen. Der Bildungsminister Brandenburgs und die dortige SPD-Fraktion haben einen ähnlichen Vorschlag gemacht. Es ist ein durchaus interessanter Vorstoß, der insbesondere mit dem Blick auf eine künftige Länderfusion nicht einfach beiseite gelegt werden sollte.

Wichtiger als ein Streit um Strukturen sind aber innere Veränderungen, die darauf gerichtet sind, Auslesemechanismen zügig abzubauen und tatsächliche Chancengleichheit zu erreichen. Frau Dr. Barth hat in ihrem Beitrag den Anteil des Vorschulbereichs deutlich gemacht und auch den engen Bezug zur Grundschule betont, die nicht nur den Start in die Schullaufbahn darstellt, sondern in der auch die Grundlagen für den weiteren Bildungsweg und für lebenslanges Lernen gelegt werden. Darauf möchte ich Ihre Aufmerksamkeit besonders lenken.

Die aktuellen Studien wurden heute schon mehrfach zitiert. Sie belegen, wie hoch die Herausforderungen in der Grundschule im Hinblick auf das Ausmaß und die Unterschiedlichkeit des Förderbedarfs sind: Nur ein Drittel der Kinder muss sprachlich nicht gefördert werden. Die Deutschkenntnisse von Kindern anderer Muttersprache sind noch um ein Drittel geringer als die deutscher Kinder. Demnach weisen auch Kinder mit deutscher Muttersprache deutliche Sprachdefizite beim Schulbeginn auf. Kinder anderer Herkunftssprache benötigen besondere Förderung für ihre Sprachentwicklung, und zwar in beiden Sprachen. Erfolge beim Beherrschen der deutschen Sprache hängen entscheidend mit der Beherrschung der Muttersprache zusammen. – Das haben mehrere Professoren dargestellt. Ich denke nicht, dass es richtig wäre, eine Sprache gegen die andere auszuspielen. Ich will aber wenigstens auf den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Sprache und des Denkens – die motorische Entwicklung erwähne ich nur wegen der Vollständigkeit – verweisen. Daran muss gearbeitet werden. Wir brauchen die Entwicklung eines richtigen Sprachenkonzepts in der Grundschule, das dann weitergeführt wird, damit dem Frühbeginn der ersten Fremdsprache, die für manche Kinder die zweite Fremdsprache sein wird, auch Erfolg beschieden sein kann. Ich meine damit nicht das Zurückgehen hinter den Frühbeginn von Englisch oder Französisch. Das wird wichtig sein. Aber es wird auch wichtig sein, wie man das insgesamt in ein Konzept bekommt, damit die Sprachentwicklung bei Kindern überhaupt zum Erfolg werden kann.

Weitere Punkte, die zur Ausprägung von Chancengleichheit gehören, erwähne ich im Interesse der Redezeit nur kurz: Dazu gehört die schon erwähnte flexible Schuleingangsphase, die insbesondere die Möglichkeit schafft, ungleiche Startbedingungen auszugleichen. Dort sind sowohl individuelle Fördermöglichkeiten wie ein individuelles Tempo für das Durchlaufen dieser Phase von besonderer Bedeutung. In die Grundschule gehört binnendifferenzierender Unterricht statt äußerer Fachleistungsdifferenzierung, weil dieser binnendifferenzierende Unterricht besser an die individuellen Möglichkeiten der Kinder anknüpft, um ihre Leistungsentwicklung zu fördern und zu fordern.

[Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne) – Zurufe von der FDP]

Richtig! Da haben wir einen Dissens in der Koalition. Aber gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Studien ist die Frage noch einmal neu aufgerufen, wie man individuellen Förderbedarf

am besten umsetzt. Darüber sollten wir im Interesse der Kinder streiten. Erinnern möchte ich auch noch einmal – es ist hier schon beschrieben worden – an die Notwendigkeit des Ausbaus der verlässlichen Halbtagsgrundschule vor allem im Westteil der Stadt und an die Sicherung des offenen Ganztagsbetriebes, wie wir ihn im Ostteil der Stadt haben, um dort individuelle Förderung wie Entwicklung von Freizeitinteressen zu ermöglichen. Dazu gehören der Ausbau der Ganztagsgrundschule und vor allem die Qualifizierung der Lehrer- und Lehrerinnenausbildung, die auf diese große Herausforderung anders als bisher vorbereitet werden müssen. „Bildung ist der Schlüssel zur Integration“, hat der Senator gesagt. Ich möchte das ausdrücklich wiederholen und mich dem anschließen. Wer in einem Einwanderungsland wie Deutschland die Chancengleichheit verwirklichen will, muss seinen Blick vor allem auf die Integration und die Entwicklung der Kinder richten, die aus sozial benachteiligten Familien und aus Familien mit Migrationshintergrund kommen. – Vielen Dank! [Beifall bei der PDS und der SPD]

Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Augstin. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nun schon vieles über die Wichtigkeit von Bildung gesagt worden und – ich muss wohl sagen – weniger über den vorschulischen Bereich, obgleich das heute das Thema ist. Aber es ist klar: Die Jugend und die Kinder von heute sind die Gesellschaft von morgen. Wie die aussehen wird, hängt davon ab, was wir in die Jugend investieren. Herr Böger, Sie sagen, dass wir unser System weiterentwickeln müssen, und selbstverständlich gibt es auch neue Erkenntnisse. Dazu hat auch – mit einem wenig erfreulichen Ergebnis – die Sprachstandsstudie beigetragen. Sie heißt „Bärenstark“, aber man müsste wohl sagen: Der Bär ist schwach und nicht stark. – Und deshalb müsste man etwas tun, aber ich höre nichts Neues, obwohl es Ihre Chance gewesen wäre, das heute darzulegen, nachdem diese katastrophalen Ergebnisse der Studie vorliegen. Eines muss man wenigstens einräumen: Die Studie gibt erstmals einen eher pragmatischen Hintergrund an, nämlich in Richtung auf pädagogische Konsequenzen, die man daraus ziehen kann. Es ist nicht nur eine wissenschaftliche Studie, die zu diesem Ergebnis kommt. Also wäre es naheliegend gewesen, daraus Schlüsse für die Politik zu ziehen. interjection: [Beifall bei der FDP] Welche Schlüsse zieht aber Herr Böger? – Ich zitiere aus einem Brief an die Eltern: Angesichts der katastrophalen Haushaltslage müssen nach der derzeitigen Beschlusslage alle Bereiche, auch der Kitaund Bildungsbereich, einen allgemeinen – – da kommt der Gedankenstrich, und mir fehlt der Atem, das hier vorzulesen – wenn auch geringen – Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Was sind denn das für „geringe Beiträge“? – Unter „geringe Beiträge“ könnte ich mir z. B. fünf Prozent oder etwas in der Größenordnung vorstellen. Aber nein! Um fast 40 % werden die Gruppengrößen in den Kitas erhöht – von 16 auf 22 Kinder. Oder können Sie nicht rechnen? – Das ist also ein geringer Beitrag? Was ist denn dann bei Ihnen ein großer Beitrag? interjection: [Beifall bei der FDP] Aber es geht weiter, denn Sie sagen: Qualitätscontrolling, das ist gut! – Doch gerade bei denjenigen, die Sie da auf den Weg geschickt haben, nämlich den Leitern und Leiterinnen der Kitas, wird nun auch wieder gespart, und zwar auch wieder in einer Größenordnung von 40 %. Also, bei mir im Kopf muss etwas nicht richtig ticken, wenn ich Herrn Böger verstehen soll, dass das gering ist. interjection: [Heiterkeit – Beifall bei der PDS]

Was muss denn noch in dieser Stadt passieren? Sie haben uns auf Ihrer Seite, wenn Sie unser Bildungssystem weiterentwickeln, aber nicht, wenn Sie dann wiederum behaupten, wir hätten wesentliche Ausstattungsvorteile gegenüber anderen Städten oder Ländern in der Bundesrepublik. Stimmt! Aber sind wir nicht das Land, für das gerade diese Studie deutlich gemacht hat, dass wir wesentlich schlechtere Voraussetzungen im Bildungsbereich haben und dass gerade da etwas getan werden muss? – Und zwar muss das nicht deshalb geschehen, weil das jemanden erfreut, sondern es geht um die Zukunft nicht nur unserer Kinder, sondern unserer Stadt. [Beifall bei der FDP] Deshalb appelliere ich besonders an die Haushaltspolitiker: Wir sollten nicht durch Sparmaßnahmen – wie so schön gesagt wird –, sondern durch Investitionen die Stadt voran bringen und auf diesem Wege etwas dafür tun. Dafür ist auch die Aktuelle Stunde da: Der Bürger soll erkennen, dass umgeschaltet werden muss und dass man nicht, wie die Regierung es vorhat, zurückfahren darf auf einen Standard, der diese Stadt nicht voranbringt, sondern zurückwirft. [Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Doering (PDS): Sagen Sie etwas zur Finanzierung!]

Das Wort hat Frau Jantzen. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehrlich gesagt bin ich nach sieben Jahren im Abgeordnetenhaus die Diskussionen um dieses Thema leid, denn alle die längere Zeit hier sind, wissen, dass wir über Kitapolitik und vorschulische Bildung jedes Jahr erneut reden und in jedem Jahr erneut die gleichen Ankündigungen von unterschiedlichen Regierungen hören, sich aber letztendlich nicht viel geändert hat. Ich kann gut verstehen, dass die Erzieher, Erzieherinnen und Eltern auf die Straße gehen, um dagegen zu protestieren, und auch langsam müde sind, sich immer nur erzählen zu lassen, sie versagten in der Erziehung, kümmerten sich nicht richtig um die Kinder und sprächen nicht mehr mit ihren Kindern. interjection: [Doering (PDS): Das war eine bundesweite Demo – auch gegen Rot-Grün! – Dr. Lindner (FDP): Ihr nehmt euch nicht viel!] – Ach, danke! – Jedenfalls wird den Eltern und den Erzieherinnen, gerade wenn Ergebnisse wie bei PISA oder bei der Sprachstandserhebung auf den Tisch kommen, immer wieder vorgeworfen – Frau Tesch hat das heute im Wesentlichen auch wieder gemacht –, dass sie sich nicht ordentlich um die Kinder kümmern. Die Politik lässt sie aber letztendlich weiterhin im Stich. So kann das nicht weitergehen. interjection: [Beifall bei den Grünen – Beifall der Abgn. Borgis (CDU) und Goetze (CDU)] Ich möchte noch einmal kurz an Folgendes erinnern: Es gab 1998 oder 1999 den Sozialstrukturatlas, und es wurde eine Innenstadtkonferenz einberufen. Damals wurde hier schon einmal diskutiert über Integration, Zuwanderung, die Mütterkurse und all dieses. Ein Teil wurde verwirklicht, aber ein Großteil wird sozusagen vor sich hergetragen. „Bärenstark“ – da gab es im letzten Jahr schon einmal ein Ergebnis im Wedding. Das heißt: Alles das, was wir heute diskutieren oder was „Bärenstark“ an Ergebnissen geliefert hat, bringt nichts Neues. Wie lernen Kinder Sprache? – Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass sie es zuallererst in der Familie lernen – durch Ansprache der Eltern und Verwandten und durch Zuwendung. Auf einen besonders wichtigen Punkt ist in dem Zusammenhang auch hingewiesen worden: Die Sprachentwicklung ist auch abhängig von der motorischen Entwicklung, und wenn wir uns die Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern in dieser Stadt ansehen, dann stellen wir fest, dass sie bis zum Alter von drei oder vier Jahren im Buggy herumgefahren werden, weil sie teilweise nicht einmal auf dem Bürgersteig allein und verkehrssicher gehen können. Dann muss man sich in der Folge

nicht wundern, dass Kinder im Alter von drei oder vier Jahren schon mit Sprachdefiziten in die Kitas kommen und das nicht aufgefangen werden kann.

Es ist uns heute wieder gesagt worden, was geändert werden muss, Herr Böger! Es ist gut und richtig, wenn in der Erzieherund Erzieherinnenausbildung das Niveau angehoben wird. Es ist aber ebenso wichtig, genau hinzugucken, welche Inhalte vermittelt werden. Vor allem ist aber auch wichtig, dass die angehenden Erzieher und Erzieherinnen in selbständigen Lernformen – und nicht verschult – ausgebildet werden. Wie sollen sonst 18oder 19-Jährige, die dann quasi aus der Schule kommen und nicht selbständig gelernt haben, Eltern bei der Erziehung beraten und Kindern die Bildungsmöglichkeiten geben, die sie in der Kita brauchen? Da muss also genau auf die Inhalte geachtet werden.

Ziemlich frech finde ich es aber, wenn Frau Barth uns einen Vortrag darüber hält, wie wichtig die frühkindliche Erziehung ist. Frau Barth! Ich erinnere mich noch sehr gut: Wir sitzen seit zwei oder drei Jahren immer noch in dem Bündnis für Kinder, das sich für eine kindgerechte Bildung gerade im vorschulischen Alter einsetzt. Damals haben auch viele PDS-Stadträte als Erstunterzeichner und -unterzeichnerinnen unterschrieben, und wir waren uns alle einig, dass im Kitabereich keine Kürzungen mehr vorgenommen werden können, sondern dass es dort Verbesserungen und eine pädagogische Qualitätsentwicklung geben muss. Jetzt sitzen sie auf der anderen Seite, und es ist alles vorbei. Das ist dann schon sehr erschreckend.

[Frau Dr. Barth (PDS): Frau Jantzen! Sie kennen doch aber den Vorschlag, – –]

Nein, ich will jetzt gar nicht von Ihnen unterbrochen werden. Die Frage ist ganz einfach: Wie können Sie uns denn hier erklären, wie wichtig die vorschulische Bildung und Erziehung ist, und dann wird ausgerechnet bei den Leitungskräften, die die Qualitätsinitiative, die in den Berliner Einrichtungen wirklich läuft – 60 Kitas machen mit –, tragen, gespart. Auch die Teilnehmer der Fachtagung zu Qualitätsentwicklung haben letzthin erklärt, dass die geplanten Kürzungen kontraproduktiv zu dem seien, was in dieser Stadt und in den Kitas passieren müsse. Wie können Sie das hier erzählen und dann gleichzeitig in der letzten Woche im Jugendausschuss die Hand heben und sich mit den Kürzungen bei der Leitungsfreistellung und eine angebliche Angleichung der Schlüssel der Erzieher im Hortbereich, die aber schlicht keine Angleichung ist, da die Bedingungen in dem offenen Ganztagsbetrieb ganz andere sind als im Hort, einverstanden erklären? Ich finde das unverantwortlich, und so können Sie auch mit den Leuten in der Stadt nicht umgehen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wenn wir hier darüber diskutieren, wie auch im vorschulischen Bereich oder wie Erziehung insgesamt geändert werden muss, damit wirklich alle Kinder in diesem Bildungssystem eine Chance haben, dann geht es in der Tat um mehr als nur Reförmchen oder ein bisschen Sprachförderung hier und da, sondern es geht darum, dass in dieser Stadt und in unserer Gesellschaft eine andere Kultur des Aufwachsens für Kinder geschaffen werden muss, dass es eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft und Umwelt gibt. Da haben alle Parteien noch ihren guten Teil beizutragen.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön! – Weiter Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit hat die Aktuelle Stunde ihre Erledigung gefunden. Wir kommen zur

lfd. Nr. 1 B, Drucksache 15/546:

II. Lesung der Vorlage – zur Beschlussfassung – über Gesetz zum Sechsten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, Drucksache 15/335, gemäß Beschlussempfehlung des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten und Medienpolitik vom 12. Juni 2002

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Vizepräsidentin Michels

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Paragraphen miteinander zu verbinden. Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Überschrift, die Einleitung sowie die §§ 1 und 2 der Beschlussvorlage. Der Ausschuss empfiehlt einstimmig bei Stimmenthaltung der Fraktionen der FDP und der Grünen die Annahme dieses Gesetzes. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Deshalb schließe ich die Einzelberatungen und verbinde die Einzelabstimmungen mit der Schlussabstimmung. Wer dem Gesetz zum Staatsvertrag in der Fassung der Beschlussvorlage Drucksache 15/335 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit ist dieses Gesetz bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP und der Grünen mehrheitlich angenommen.