Protokoll der Sitzung vom 29.08.2002

Meine Redezeit ist zu Ende. Jetzt geht das Ritual wieder los. Frau Spranger muss jetzt wieder eine Rechtfertigungsrede für Herrn Sarrazin halten. – Sie haben mein tief empfundenes Mitgefühl. Sie werden es nicht besser machen. – Es wäre schön, wenn der Senat versuchen würde, eine bessere Haushaltspolitik zu machen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall des Abg. Wieland Grüne)]

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmer! – Frau Spranger hat für die SPD-Fraktion das Wort. – Bitte schön!

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann in diesem Haus zu nachhaltigen Eindrücken gelangen. Frau Dr. Klotz hat vorhin gesagt, dass gestern im Hauptausschuss in der Koalition das Chaos ausgebrochen ist. Mir kam der gestrige Hauptausschuss allerdings vor wie eine Wahlkampfveranstaltung. Die Nerven liegen blank.

[Wieland (Grüne): Bei wem?]

Bei einigen besonders.

[Allgemeine Heiterkeit]

Ich bin nach Hause gefahren und habe mich gefragt, woran mich das erinnert. Ich kam zu dem Ergebnis, dass das berühmte HB-Männchen in der Zigarettenwerbung zwar schon lange nicht mehr existiert, aber in der Realität des Abgeordnetenhauses durchaus.

Herr Dr. Lindner, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie hatten gestern einen Showauftritt, der sagenhaft war. Mehr als Schlagworte waren es leider trotzdem nicht. Das haben Sie heute um die Mittagszeit erneut bewiesen. Wenn diese Schlagworte den Haushalt gesunden lassen würden, wäre das ja noch in Ordnung, den sozialen Frieden stellen Sie mit Ihren gestrigen Äußerungen aber gewiss nicht her. Leider ähneln Sie in der Berliner FDP auch der Bundes-FDP, denn Herr Westerwelle macht das genauso. Wir können natürlich überlegen, ob wir zukünftig im Hauptausschuss Eintritt nehmen wollen. Vielleicht können wir damit auch den Haushalt ein wenig sanieren.

[Ritzmann (FDP): Worüber reden Sie eigentlich?]

Ich denke, solche Spielereien, wie sie gestern abgelaufen sind, sollten wir uns nicht weiter leisten.

Ich will nun auf die von den Oppositionsparteien und der Koalition eingebrachten Anträge eingehen, wobei ich staune, dass in den Reihen der Opposition fast nur die Haushälter sitzen. Herr Zimmer, es tut mir leid, dass bei Ihrer Rede kaum jemand drinnen gewesen ist. Da fragt man sich, wie ernst sie ihre eigenen Anträge nehmen.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Wambach?

Nein! – Zunächst zum Antrag der Fraktion der CDU, der davon ausgeht, mit der Änderung und Ergänzung einiger Rechtsnormen in Berlin das angebliche Finanzchaos im Land eindämmen zu können. Ich sage Ihnen hier mit aller Deutlichkeit, verehrte CDU-Fraktion: Es gibt kein Finanzchaos, und es wird auch keines geben.

[Heiterkeit bei der CDU – Henkel (CDU): Sagen Sie das Sarrazin, nicht uns!]

Die CDU versucht zu suggerieren, man könne durch Regelungswut der Lage Herr werden. Für die tatsächlichen Probleme hat die CDU schon seit Jahren keine Lösungen mehr parat.

[Kittelmann (CDU): Selbstverständlich!]

Wir befinden uns in einer schwierigen Haushaltslage und haben dramatische Verschuldungen, die wir durch Handeln eindämmen können. Dazu war die Verhängung – und das habe ich auch gestern schon gesagt und werde es heute wieder tun – der Haushaltssperre notwendig. Auch hat Senator Sarrazin – selbst wenn Sie das zum fünften Mal nicht hören wollen – korrekt gehandelt. Kein Parlamentarier kann sich über diese Notwendigkeit freuen. Das ist uns auch klar. Aber auf Grund der Steuerschätzungen, die von Mindereinnahmen – das haben wir im letzten haushaltswirtschaftlichen Rundschreiben gelesen – in Höhe von circa 200 bis 300 Millionen $ ausgehen, und der deutlichen Überschreitung der Sozialausgaben der Bezirke musste er zu diesen Maßnahmen greifen. Hätte er dies nicht getan, hätte ich gern die heutige Diskussion erlebt und wie Sie sich als Oppositionsparteien hingestellt und dann argumentiert hätten. Im Übrigen habe ich feststellen können, dass bei der ursprünglichen Planung des CDU-Finanzsenators Kurth die Überschreitung noch wesentlich größer gewesen wäre. Ich denke jedenfalls, dass wir einen realistischen Ansatz vorgelegt haben.

Gleichwohl haben wir die Überschreitung bei den Sozialausgaben der Bezirke um 6,6 % über die Ist-Ausgaben des Vorjahres hinaus. Jeder nicht eingesparte Euro fehlt uns bei anderen freiwilligen Dienstleistungen. Das sehen wir genauso. Die Haushaltsansätze sind aber keine Schätzungen – wie Sie das immer gern suggerieren wollen –,

[Kittelmann (CDU): Dunkel ist der Rede Sinn!]

sondern waren mit dem Ausgehen von der Veranschlagung auf der Grundlage der Ist-Ausgaben des Vorjahres auch ein politisches Programm.

Wir wollen und wir müssen die viel zu hohen Transferleistungen absenken. Diese Zahlungen sind im Zusammenspiel von Bezirken und Senat beeinflussbar, was auch die von Bezirk zu Bezirk sehr unterschiedlichen Zahlen zeigen.

Die Sperre lässt den beschlossenen Haushalt nicht Makulatur werden, noch setzt sie ihn außer Kraft. Vielmehr bezieht sie sich lediglich auf die konsumtiven Sachausgaben des beschlossenen Haushaltes,

[Dr. Lindner (FDP): Jetzt werden Sie sophistisch!]

wobei unter anderem bestimmte Mittel wie z. B. die Hilfe zur Arbeit, weite Teile der Kofinanzierung – das war gestern im Hauptausschuss ebenfalls Thema – sowie das Schul- und Sportstättensanierungsprogramm ausgenommen sind.

Hier, verehrter Herr Zimmer, bitte ich Sie doch noch einmal mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden zu reden und ihm das haushaltswirtschaftliche Rundschreiben zu zeigen, denn so könnte er seine Aussage, dass Investitionen nicht drinnen seien, überprüfen. Ansonsten habe ich Ihren süß-säuerlichen Blick zu seinen Äußerungen schon bemerkt.

Die FDP schwingt sich in Ihrem Antrag zu einer großen Keule auf, was angesichts des sehr differenziert zu betrachtenden Sachverhalts alles andere als verantwortungsvoll ist.

[Czaja (CDU): Jetzt kommt wieder das Traumduo Spranger-Lindner!]

Offenbar kennt die FDP kein zielführendes Verhalten. Nun gut.

Der Antrag von den Grünen fordert schließlich, Mittel zielgenauer zu sperren, eine Überlegung, die man selbstverständlich anstellen kann. Allerdings bedeutet eine zielgenauere Sperre von Mitteln in jedem Fall, dass weniger Bereiche gesperrt wären, als wir jetzt gesperrt haben. Dies wäre zu den jetzigen Regelungen nicht unbedingt die Alternative, und ob wir uns das angesichts der Tatsache, dass Personal- und Investitionsausgaben ohnehin von der Sperre ausgenommen sind, leisten können, darf bezweifelt werden.

[Kittelmann (CDU): Wie viel Zeit haben Sie denn noch?]

Auch bei Beschränkungen der Deckungsfähigkeit und der Umwidmung von Haushaltsmitteln, so wie auch die CDU sie fordert, muss der Vorteil der höheren Transparenz mit dem Nachteil der Einschränkung der gewollten Flexibilität abgewogen werden. Die CDU-Anträge werden in der parlamentarischen Beratung diesbezüglich noch zu prüfen sein.

Das Ziel, gerade während der Haushaltssperre ein Mindestmaß an Transparenz bezüglich des Haushaltsvollzugs zu erhalten, teilen wir selbstverständlich. Aus dem Grund haben wir den gestern angekündigten Koalitionsantrag heute ins Parlament eingebracht. Ich denke, dass dieser Zustimmung finden wird. Ich bedanke mich und stelle fest, dass die Oppositionsanträge von der SPD nicht mitzutragen sind. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Spranger! – Für die FDP hat das Wort der Herr Kollege Matz. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Spranger, ich finde, inzwischen wird es nun doch langsam aber sicher richtig ärgerlich, was wir in Haushaltsdingen im Parlament und auch im Hauptausschuss miteinander besprechen und was dabei herumkommt. Denn was diese Koalition im Moment tut, ist nicht mehr und nicht minder, als das Haushaltsrecht des Parlaments zu verspielen und der Exekutive die alleinige Handlungsmöglichkeit zu geben, überhaupt noch in finanziellen Dingen zu agieren. Über diese derartige Selbstaufgabe des Parlaments sollte man heute noch etwas ausführlicher und deutlicher reden.

[Beifall bei der FDP]

Anstatt dass Sie sich dann im Hauptausschuss dafür einsetzen, dass die Handlungsfähigkeit des Parlaments an dieser Stelle möglichst schnell wiedererlangt wird, können wir in allen wesentlichen Punkten, um die es hier geht, seien es Giftlisten oder die Umorganisation der Polizeiführung, seien es das Überhangmanagement, das Beteiligungsmanagement oder das Facilitiymanagement, nur feststellen: Es kommen immer dieselben Dinge. Es gibt Vorlagen, es gibt vielleicht auch keine. Meistens gibt es Bitten um Fristverlängerung. Gestern hat der Hauptausschuss die Bitte der Verwaltung um eine letztmalige Fristverlängerung beim Überhangmanagement sogar noch um zwei Monate übertroffen. Das ist ein wirklich bemerkenswerter Vorgang.

Eben war von einem Traumteam die Rede. Das war das Duo Infernale, das wir neuerdings im Hauptausschuss haben. Das besteht aus Iris-ich-wiegel-ab-Spranger und Marian-ich-begründe-die-Vertagung-Krüger.

[Heiterkeit – Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen]

Etwas anderes kommt ja gar nicht mehr dabei heraus, als dass wir nur noch über Fristverlängerungen reden und darüber sprechen, wie viele Monate wir noch warten, bis wir irgendwelche aussagefähigen Konzepte überhaupt einmal vorgelegt bekommen.

Ich finde, dass diese Haushaltssperre der Rückfall in die vorläufige Haushaltswirtschaft ist. Auch das muss man ja hier noch einmal feststellen: Wir haben erst ein halbes Jahr vorläufige Haushaltswirtschaft gehabt, und jetzt machen wir die andere Hälfte des Jahres auch in vorläufiger Haushaltswirtschaft. Da hätten wir uns die wochenlangen Haushaltsberatungen insgesamt sowieso sparen können mit all den Nachtsitzungen, die wir da gemacht haben.

Aber Sie haben hier in Wirklichkeit doch als Koalition nur die Situation, auszugleichen oder damit umzugehen, dass der Finanzsenator zurückschlägt. Der ist nämlich schlicht mit den Haushaltsberatungen, die Sie geliefert haben, im Ergebnis nicht zufrieden. Anders ist es überhaupt nicht zu erklären – durch neue Fakten schon gar nicht –, wenn wenige Stunden nach dem Inkrafttreten eines Haushaltes schon eine Sperre verhängt wird. Die dafür zu Grunde liegenden Fakten müssen schon früher vorgelegen haben. Und es kann insbesondere dabei nicht um die Steuerschätzung aus dem Mai gehen, denn diese war zumindest in großen Teilen durch den Senat in seinen Zahlen im Haushalt durch eine pauschale Mindereinnahme schon vorher abgedeckt. In Wirklichkeit geht es doch hier darum, dass diese Koalition aus SPD und PDS im Januar eine Vereinbarung miteinander unterzeichnet hat, in der sie für die Jahre 2002 und 2003 insgesamt 2 Milliarden $ mehr an Einsparungen vorgesehen hat als das, was Ihre Koalition in den Haushaltsberatungen zum Schluss wirklich erreicht hat. Das ist es gewesen, was den Finanzsenator dazu gebracht hat, jetzt offensichtlich hier die Notbremse zu ziehen.

Auf welche Art und Weise Sie mit den Bezirken umgehen, das ist auch etwas Ärgerliches, etwas an dieser Stelle Erwähnung finden muss. Sie gehen auf eine Art und Weise mit den Bezirken um, die ihnen die Steuerung gar nicht erlaubt, gar nicht ermöglicht. Das wird bei allen Parteien in den Bezirken inzwischen schwer bedauert. Ich kann mich an große Erklärungen von Herrn Krüger erinnern, der da erzählt hat, mit welchen Wohltaten Sie die Bezirke überschütten und wie viele Millionen Sie ihnen zusätzlich zur Verfügung stellen gegenüber früheren Jahren. Insbesondere der neu eingeführte T-Teil, da solle sich die Opposition nicht so aufregen und nicht von einer teilweisen Abfederung, die da erforderlich wäre, sprechen, sondern man werde doch immerhin 10 Millionen $ in die Hand nehmen, um mögliche Abweichungen im T-Teil ausgleichen zu können. Das muss uns der Herr Krüger hier gleich einmal erklären, wie das denn eigentlich passieren kann. Im Juni sagt er: Zehn Millionen, reicht doch locker, haben wir doch gar kein Problem. – Und wenige Wochen später müssen wir hier schon feststellen, dass wir in den dreistelligen Millionenbereich der Abweichungen hineinsteuern und dass überhaupt nicht davon die Rede sein kann, dass die Bezirke in irgendeiner Art und Weise mit diesem Ergebnis, mit dem absehbaren Rechnungsergebnis des Jahres 2002 noch umgehen können. Sie haben ihnen im Gegenteil zur Hälfte des Jahres erklärt, dass jetzt gesteuert wird, aber nicht mehr abgefedert, und dann haben Sie sie mit den Ergebnissen alleine gelassen, anstatt sie von vornherein – wir kennen ja alle die Unterschiede in der Handhabung in den Bezirken – darauf hinzuweisen, auf welche Art und Weise diese Steuerung erreicht werden kann.

In Wirklichkeit haben wir hier eine zersplitterte Landschaft verschiedener Anwendungen des Bundessozialhilfegesetzes in 12 verschiedenen Bezirken, die wie 12 eigenständige Städte agieren können. So steht es im Übrigen auch im Gesetz. Aber die eine oder andere Handreichung oder Hilfestellung könnte man den Bezirken dabei schon geben. Und ich möchte das auch mit der Frage verbinden, warum – und Sie wissen ganz genau, dass es das gibt – in den Schubladen der Senatsverwaltungen eine Idee schmort, das Aufgaben- und Zuständigkeitsgesetz zu verändern, so dass sie auch in die Organisationshoheit der Bezirke im Bereich der Sozialämter eingreifen können – warum diese Vorlage nicht herausgeholt und angewendet wird. Ich glaube, es

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liegt daran, dass Ihnen der Mut dazu fehlt, diese Vorlage tatsächlich hier ins Parlament einzubringen und zu diskutieren, denn Sie ahnen, was Ihre eigenen Bezirkspolitiker Ihnen dafür um die Ohren hauen würden.