Protokoll der Sitzung vom 12.09.2002

Nun ist es nicht so, dass es diesbezüglich nicht schon eine Fülle von Aktivitäten in Berlin gäbe. Wir als Senat haben mit diesem Beschluss etwas vollzogen, was in verschiedenen Bezirken bereits vorangebracht worden ist. Sieben Bezirke sind bereits Mitglied im Gesunde-Städte-Netzwerk. Da gibt es eine Fülle an Aktivitäten, die unschätzbar sind für die Diskussion um Prävention und Gesundheitsförderung in der Stadt, aber auch unschätzbar im Hinblick auf ganz konkrete Projekte und Weichenstellungen. Es wird schon so sein müssen, dass auch meine Kolleginnen und Kollegen im Senat erkennen müssen, dass wir eine Selbstverpflichtung mit diesem Beschluss eingegangen sind. Erstens eine Selbstverpflichtung in der Hinsicht, dass wir künftig ressortübergreifend das Problem gesunde Stadt zum Leitbild unserer kommenden Politikentscheidungen machen müssen. Das ist ein großes Stück Selbstverpflichtung.

Sie haben gefragt, welche Kompetenzen und welche Finanzen wir einbringen. Das sind zwei Paar Schuhe. Kompetenzen haben wir allein schon dadurch, dass es zu diesem Thema bereits viele Erfahrungen in Berlin gibt. Die wollen wir produktiv aufnehmen. Als Land bringen wir die Kompetenz mit, dass wir eine sehr entwickelte Gesundheits- und Sozialberichterstattung haben, die gute Grundlagen für politische Weichenstellungen insbesondere im Bereich Kindergesundheit sind.

Bei den Finanzen ist es so, dass das Land Berlin es nicht allein mit öffentlichen Mitteln finanzieren kann. Deshalb haben wir die Initiative mit den Krankenkassen gestartet. Wir müssen mit ihnen darüber verhandeln, ob es endlich gelingen kann, mehr als die bisherigen 50 % der Mittel, die nach dem SGB V für Prävention möglich sind, ausgegeben werden. Wir wollen mehr Mittel für Prävention und Gesundheitsförderung einsetzen. Der Schwerpunkt der Projekte wird bei Kinder- und Jugendgesundheit liegen müssen.

Danke schön, Frau Senatorin! Ich sehe, eine Nachfrage gibt es nicht.

Darf ich noch einmal auf die Vorschrift aufmerksam machen, dass erstens nur eine Frage gestellt werden darf – und nicht, mit Verlaub, drei – und zweitens auch die Antwort kurz sein soll. Ihre Antwort war so erschöpfend, dass es nicht einmal mehr eine Nachfrage gibt. Dass bedeutet nämlich auch, dass weitere Fragesteller keine Chance mehr erhalten. Jetzt ist die halbe Stunde vorbei. Ich schließe die Spontane Fragestunde.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1 A:

Aktuelle Stunde zum Thema „Neue Chancen für die Arbeitsmarktpolitik in Berlin durch das HartzKonzept“

in Verbindung mit

lfd. Nr. 22, Drucksache 15/740:

Antrag der Fraktion der FDP über Vorbereitungen zur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zügig voranbringen

sowie

Drucksache 15/757:

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS über berufsvorbereitende Maßnahmen stärken und entwickeln

Für die beiden Anträge ist Dringlichkeit beantragt. Wird der widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Als Wortmeldung liegt mir für die erste Runde Frau Grosse von der Fraktion der SPD vor. – Bitte schön, Frau Grosse!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sowohl die seit Jahren unbefriedigende Situation auf dem Arbeitsmarkt als auch die geschönten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit haben deutlich gemacht, dass eine noch weitreichendere Reform des Arbeitsmarktes erforderlich ist.

[Dr. Lindner (FDP): Was heißt hier „noch“?]

Bereits mit dem Jugendsofortprogramm, dem Teilzeitgesetz, Herr Lindner, der Qualifizierungsoffensive und dem Job-AqtivGesetz hat die rot-grüne Bundesregierung Reformen eingeleitet.

[Dr. Lindner (FDP): Aber erfolglos!]

Weil Arbeitslosigkeit ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, Herr Lindner, und nur durch eine gesellschaftliche Gemeinschaftsanstrengung nennenswert reduziert werden kann, war es richtig und wichtig, dass dieses Bundesregierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine Expertenkommission eingesetzt hat.

[Dr. Lindner (FDP): Mehr kann sie ja auch nicht!]

Diese Kommission mit 15 Vertretern unterschiedlichster Institutionen und Organisationen hat Konzepte für Reformen des Arbeitsmarktes erarbeitet

[Dr. Lindner (FDP): Nach drei Jahren!]

und die liegen uns nun vor –, um so nachhaltig die Arbeitslosigkeit zu senken. Ich erinnere an das Wahljahr 1998 – und das kann man nicht oft genug wiederholen –, in dem viel Geld in letzter Minute in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gesteckt worden ist, um die Arbeitslosigkeit und somit die Arbeitslosenzahlen kurzfristig zum Wahltermin zu senken. Nachhaltig war das nicht, das war ein Strohfeuer!

[Beifall bei der SPD – Dr. Lindner (FDP): Das war doch glatter Wahlbetrug!]

Unter Leitung des VW-Managers Dr. Peter Hartz – und das ist ein sehr erfolgreicher Praktiker, dem wollen Sie doch wohl nicht widersprechen? – ist es der Kommission gelungen,

[Dr. Lindner (FDP): Der kandidiert aber nicht zum Bundeskanzler!]

gemach, gemach! – ein Reformkonzept zu entwickeln, das ein einstimmiges Votum aller Beteiligten erzielt hat.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Das einstimmige Votum der Hartz-Kommission eröffnet die Chance, den zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen erreichten Konsens – und das ist neu! – für eine große gemeinsame Umsetzung zu nutzen.

[Beifall bei der SPD – Dr. Lindner (FDP): Ja, ja!]

Ich weiß, dass Ihnen das Thema nicht passt! – Alle Beteiligten haben sich aufeinander zu bewegt und müssen jetzt auch zu dem gefundenen Kompromiss stehen. Jetzt sind alle gesellschaftlichen Gruppen, Parteien und Verbände gefordert, ihren Beitrag zu leisten und nicht Rosinenpickerei zu betreiben oder mäkelnd abseits zu stehen, Herr Lindner, oder gar von planwirtschaftlicher Missgeburt zu reden.

[Dr. Lindner (FDP): Ist doch bald vorbei! – Zuruf des Abg. Matz (FDP)]

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Matz! Das Thema dieser Aktuellen Stunde, das wir eingereicht haben, ist, so haben Sie gesagt, ein wichtiges Thema, das hier im Abgeordnetenhaus jetzt aber nicht besprochen werden muss. Das wundert mich ein bisschen, denn die FDP hat doch Anträge zur Aktuellen Stunde eingebracht, zur Schwarzarbeit, zu den geschönten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit – das war wichtig? Dass es aber jetzt, zu diesem Zeitpunkt – vor dem 22. September – nicht passt, das ist mir klar.

Da sind Sie nämlich in der Defensive!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Gelächter bei der FDP – Zuruf des Abg. Ritzmann (FDP)]

Das Thema eignet allerdings nicht dazu – und wenn Sie das gemeint haben, dann stimme ich Ihnen zu –, hier und heute Wahlkampfgetöse zu veranstalten,

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

und hier gucke ich bewusst in Ihre Richtung, Herr Steffel, denn Sie werden ja heute für die Fraktion der CDU reden und nicht Ihr arbeitsmarktpolitischer Sprecher, der wesentlich sachlicher bleiben würde. Da kommt ja noch was auf uns zu!

[Beifall bei der SPD – Ah! von der CDU]

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lindner?

[Zuruf von der FDP]

Deshalb meine Bitte: Gehen Sie mit diesem Thema sensibel um, Herr Steffel, denn wie ich eingangs schon sagte: Nur gemeinsam können wir die Probleme der Arbeitslosigkeit lösen und dazu gehört auch die Opposition.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Die Reform der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung orientiert sich – und das ist auch neu – am Grundsatz des Förderns und Forderns.

[Niedergesäß (CDU): Oha!]

Das Prinzip des Förderns und Forderns gilt aber nicht nur für die Arbeitslosen, sondern es gilt gleichermaßen für die Betriebe. In Berlin sind zur Zeit über 290 000 Menschen arbeitslos, also arbeitssuchend, zuzüglich der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger. Für diese Menschen brauchen wir eine schnelle und effiziente Eingliederung in Arbeit. Mit dem Ausbau der Arbeitsämter zu Job-Centern, das wir übrigens in Berlin in einem Bezirk haben – in Pankow –, wird eine ganzheitliche Beratung und Unterstützung eröffnet. Somit haben auch erwerbsfähige Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger wesentlich größere Chancen zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt – wie das Berliner Modell bereits beweist. Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe macht endlich Schluss mit dem Drehtüreffekt.