Protokoll der Sitzung vom 12.09.2002

Wir haben mit der ökologischen Steuerreform die Rentenbeiträge entlastet. Wir haben es geschafft, –

Frau Klotz! Achten Sie bitte auf die Zeit!

[Czaja (CDU): Einfach hinsetzen! – Zuruf des Abg. Atzler (CDU)]

– 120 000 neue Arbeitsplätze im ökologischen Bereich zu schaffen. Und dass Sie das nicht würdigen, ist in Ordnung, aber dass Sie einfach das Gegenteil behaupten, das zeigt, wie unsolide Sie insgesamt samt Ihrem Herrn Stoiber in Ihrer Argumentation sind.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Frau Klotz! Sie kriegen gleich noch einmal Gelegenheit, sich darüber mit Herrn Steffel auszutauschen. Herr Dr. Steffel hat sich für eine Kurzintervention gemeldet und bekommt jetzt für 3 Minuten das Wort dazu. – Bitte schön!

[Czaja (CDU): Danke schön, Frau Präsidentin!]

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Klotz! Wir können über viele Dinge streiten, aber das, was Sie eben getan haben, finde ich nicht

akzeptabel. Sie haben sich vor laufenden Kameras hingestellt und haben behauptet, ich hätte sieben Personen fristlos gekündigt.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Nein, aus Ihrer Fraktion!]

Ich entnehme Ihrem Zuruf, dass Sie nicht meinen, dass ich als Mittelständler viele Arbeitsplätze in Berlin geschaffen habe, sondern Sie meinen, dass dieses die CDU getan hätte.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Ja!]

Das ist falsch. Ich halte es eigentlich für nicht akzeptabel, dass wir das hier öffentlich diskutieren müssen, aber ich kann das so auch nicht stehen lassen. Es gibt keine fristlosen Kündigungen bei der CDU-Fraktion,

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Haben Sie getan!]

sondern es gibt die Tatsache, dass wir durch das Wahlergebnis und die Verkleinerung des Parlaments von 76 Abgeordneten auf 35 Abgeordnete reduziert worden sind. Unsere Personalkosten waren nach dem Wahlergebnis vom 21. Oktober letzten Jahres über unseren Zuschüssen. Das heißt, wir waren bedauerlicherweise gezwungen, uns betriebsbedingt mit den üblichen Fristen im Großen und Ganzen im gegenseitigen Einvernehmen – mit, glaube ich, einer Ausnahme – von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu trennen. Es gab keine Alternative dazu, weil unsere Personalkosten, ich wiederhole es noch einmal, höher waren als das, was wir vom Land Berlin für unsere Gesamtarbeit als CDUFraktion erhalten. Es gab keine fristlosen Kündigungen, sondern wir haben betriebsbedingt gekündigt.

Leider allerdings ist in Deutschland die Rechtslage so, dass ein Mitarbeiter, wenn er vor dem Arbeitsgerichtsprozess einem außergerichtlichen Vergleich zustimmt, beim Arbeitslosengeld gesperrt wird. Deshalb gab es Vergleiche vor Arbeitsgerichten. Und ich bitte Sie wirklich, Frau Klotz, diesen unfairen, wie ich finde, auch persönlich verletzenden Vorwurf hier zurückzunehmen. Er entspricht nicht der Wahrheit. Er ist schon gar nicht Stil und Umgang der CDU-Fraktion mit verdienten und fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Frau Oesterheld (Grüne): Ja, ja!]

Danke schön! – Frau Klotz, Sie haben die Möglichkeit der Erwiderung!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Steffel! Ich finde es durchaus legitim, wenn hier politische Forderungen vorgetragen werden, dass man auch danach fragt, wie Sie persönlich als Fraktionsvorsitzender z. B. mit der Arbeitgeberfunktion umgehen. Ich habe einzig und allein gesagt, dass ich es schon problematisch finde, wenn man so vorgeht, dass man Beschäftigte, die lange an diesem Arbeitsplatz gearbeitet haben, auffordert, innerhalb von 24 Stunden diesen Arbeitsplatz zu räumen,

[Dr. Lindner (FDP): Es war unter der Gürtellinie!]

dass zum Teil keine Gespräche mit ihnen stattgefunden haben

[Dr. Steffel (CDU): Quatsch!]

und dass ich diesen Umgang nicht in Ordnung finde.

[Dr. Steffel (CDU): Es stimmt nicht! Was behaupten Sie hier? Frau Klotz, das ist eine Lüge!]

Herr Steffel, ich will nicht weiter in die Details gehen, aber ich denke, dass auch Zuschauerinnen und Zuschauer erwarten können, dass jemand, der hier politische Forderungen vorträgt und sich in der Weise deutlich positioniert, auch glaubwürdig ist, dass er sich persönlich, wenn er in einer Arbeitgeberfunktion ist, an diese Regeln auch hält.

[Abg. Hoffmann (CDU): Unwahr! – Dr. Lindner (FDP): Unter der Gürtellinie!]

Und wie es ist, wenn Fraktionen verkleinert werden, das wissen wir. Das muss man nicht auf diese Art und Weise tun.

[Dr. Lindner (FDP): Entschuldigen Sie sich, dann ist es gut! – Hoffmann (CDU): Peinlich! Lüge!]

Ich finde das nach wie vor nicht in Ordnung.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Dr. Lindner (FDP): Das war unter der Gürtellinie! – Dr. Steffel (CDU): Ohne Kenntnis von Details! – Hoffmann (CDU): Sehr unangenehm gewesen!]

Weitere Wortmeldungen liegen in der ersten Runde nicht vor. Nunmehr hat das Wort von Seiten des Senats Herr Senator Wolf! – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorschläge der Hartz-Kommission haben, glaube ich, zu einer dringend notwendigen Belebung der Debatte über die nötigen Reformen in der Arbeitsmarktpolitik beigetragen. Es gab einige Anmerkungen aus den Reihen der Opposition, dass dieses Thema nicht sonderlich berlinrelevant sei. Ich glaube, dass dieses Thema berlinrelevant ist, nicht nur, weil wir in dieser Stadt fast 290 000 Arbeitslose haben, die einen Anspruch auf eine andere und bessere Arbeitsvermittlung haben, sondern auch weil wir uns überlegen müssen, was wir im Land Berlin vor dem Hintergrund dieser Vorschläge der Hartz-Kommission sowohl an praktischer Umsetzung tun können als auch wie wir als Land Berlin in diese Diskussion weiterhin eingreifen müssen. Es ist schon gesagt worden, Frau Klotz hat es angesprochen: Hier steht noch eine gesetzgeberische Ausgestaltung an. Ich finde, dass das Land Berlin hier auch seine Stimme erheben muss.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Um es gleich zu sagen: Ich finde, dass es bei der Diskussion über die Vorschläge der Hartz-Kommission nicht angemessen ist, sie mit den Worten von Herrn Stoiber als „Gequatsche“ abzutun und sich damit in eine fundamentalistische Haltung zu begeben, die sagt, darüber diskutieren wir gar nicht. Und Ihr Beitrag, Herr Steffel, ging in die gleiche Richtung: Keine konkrete Auseinandersetzung mit den Vorschlägen, kein Eingehen auf die konkreten Vorschläge, sondern über andere Fragen diskutieren! – Das war Ihr Beitrag, und das ist nicht angemessen, denn die Vorschläge der Hartz-Kommission enthalten eine Reihe von Punkten, mit denen man sich gerade im Interesse der Betroffenen intensiv auseinandersetzen muss.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Auf der anderen Seite ist es der Sache nicht dienlich, wenn man – wie es der Bundeskanzler gelegentlich tut – die Vorschläge der Hartz-Kommission in ihrer Gesamtheit als Gesamtkunstwerk deklariert und zum Maß aller Dinge erklärt. Vielmehr halte ich es für angemessen und sachgerecht, wenn man die Vorschläge Punkt für Punkt diskutiert und vor allem darauf achtet, wie sie konkret ausgestaltet werden. Denn diese Arbeit steht ja noch vor uns.

Gerade angesichts des vielzitierten Missverhältnisses zwischen 290 000 gemeldeten Arbeitslosen und ca. 9 000 offenen Stellen in Berlin ist es umso dringlicher, den Zustand zu beenden, dass sich einerseits die Arbeitslosen bei der Bundesanstalt für Arbeit und bei den Arbeitsämtern schlecht verwaltet und schlecht behandelt fühlen und gleichzeitig von Seiten der Unternehmer beklagt wird, dass man keine adäquate Vermittlungsleistung erhalte und deshalb auch dem Arbeitsamt keine offenen Stellen mehr melde.

Diese notwendige Reform muss man angehen, und zwar in Richtung Dienstleistungsorientierung und besserer Service – sowohl für diejenigen, die sich als erwerbslos dort melden, als auch für die Unternehmen, die auf die Dienstleistung der Arbeits

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ämter Anspruch haben. Mit der Reform der Arbeitsämter müssen wir auch erreichen, dass die Unternehmen keinen Grund mehr haben, offene Stellen nicht bei den Arbeitsämtern zu melden, sondern dann offene Stellen – und daran appelliere ich auch – wirklich melden. Es sind bundesweit etwa 1,5 Millionen offene Stellen, die nicht den Arbeitsämtern gemeldet werden. Insofern ist auch nur eine eingeschränkte Vermittlungstätigkeit möglich, wenn diese Stellen nicht gemeldet werden. Deshalb an dieser Stelle dieser Appell!

Es ist schon angesprochen worden, dass die Vorschläge der Hartz-Kommission eine Reihe sinnvoller und wichtiger Punkte enthält. Erster Punkt – bereits mehrfach erwähnt: Job-Center. – Wir haben in Berlin mit den Modellversuchen begonnen, und dabei ist als wesentlicher Aspekt die Aufhebung der Zuständigkeit nach Fallgruppen zu nennen – dass nämlich erwerbsfähige Sozialhilfeempfangende auch in den Zuständigkeitsbereich der Job-Center und damit in den Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik kommen. Gerade vor dem Hintergrund der Diskussion über das Fallmanagement bei den Sozialämtern, die wir in Berlin in der Vergangenheit geführt haben, ist das ein entscheidender Schritt. Dieser wichtige Schritt liegt auch im Interesse der Betroffenen, weil damit an einer Stelle für sie ein Angebot formuliert und eine wirkliche Betreuungs- und Beratungsleistung gewährleistet werden kann. Wir sollten alles tun – und darin liegt auch ein klarer Berlinbezug –, um das, was wir mit den Modellprojekten in Berlin begonnen haben, in Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern weiter voranzutreiben und bei der Einrichtung von Job-Centern – im Sinne der Vorschläge der Hartz-Kommission – deutlich und schnell weiterzukommen.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang betrifft die Neuordnung von Leistungen. Es ist zu begrüßen, dass die HartzKommission sich dagegen entschieden hat, die Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe zu überführen und an deren Leistungsniveau anzugleichen – was immer wieder diskutiert worden ist –, und stattdessen für die Einführung eines Arbeitslosengeld II eintritt. Nun müssen wir gerade auch in Berlin darüber diskutieren, wie dieses Arbeitslosengeld II ausgestaltet wird. Ich meine, es sollte sowohl eine Komponente von Grundsicherung enthalten als auch weiterhin den Bezug auf das frühere Gehalt aufweisen, wie es bei der Arbeitslosenhilfe der Fall gewesen ist. Dann wäre das ein gutes und sinnvolles Instrument, um zu einer Vereinheitlichung in den Leistungen zu kommen.

Die zweite große Diskussion, die wir führen müssen – und sie ist gerade für Berlin von besonderer Bedeutung –, betrifft den Zusammenhang mit der Reform der Kommunalfinanzen. Arbeitslosengeld II bietet auch die Chance, in der Auseinandersetzung um die Kommunalfinanzen einen Ansatzpunkt zu finden, dass die Kosten der Arbeitslosigkeit nicht in zunehmendem Maße auf die Kommunen und die Länder abgewälzt werden – über die gestiegenen Sozialhilfekosten –, wie das in den letzten Jahren immer wieder der Fall war. Vielmehr ergibt sich so die Möglichkeit, im Rahmen der Kommunalfinanzen zu einer finanziellen Entlastung zu kommen. Auch hier muss das Land Berlin aktiv in die Diskussion eingreifen.

Hinsichtlich der Personalserviceagenturen bin ich der Auffassung, wir sollten diese Diskussion vorurteilsfrei angehen. Frau Freundl hat Punkte genannt, die ich auch problematisch finde, denn auch ich meine, dass jemand, der arbeitet, mehr bekommen soll als jemand, der nicht arbeitet. Aber die Grundsatzüberlegung, ein Instrument zu schaffen – wie das in einer Reihe anderer europäischer Länder, z. B. den Niederlanden, erfolgreich geschehen ist –, um über Zeitarbeit eine rasche Vermittlung von Arbeitslosen zu gewährleisten, ist positiv. Angesichts der Tatsache, dass Unternehmen häufig bei einer konjunkturellen Verbesserung mit der Begründung, man wisse nicht, inwiefern sich das dauerhaft entwickle, erst einmal keine Neueinstellungen vornehmen und wegen dieses Risikos von Neueinstellungen die Zahl der Überstunden erhöhen, ist die Leiharbeit in der Form der Personalserviceagenturen möglicherweise ein Instrument, wie

man eine rasche Vermittlung erzielen und auch den Unternehmen die Möglichkeit geben kann, übergangsweise zu sehen, ob sich eine dauerhafte Einstellung lohnt. Alle Untersuchungen zeigen, dass bei Zeitarbeit ein so genannter Klebeeffekt von ca. 30 % gewährleistet ist. Das ist eine erstaunliche Zahl, und wir sollten insofern versuchen, dieses Instrument zu nutzen.

Klar ist selbstverständlich auch, dass die tarifliche Absicherung bzw. der Tarif in den Personalserviceagenturen noch der Ausgestaltung bedarf, denn an diesem Punkt wird sich erweisen, ob es sich hierbei um ein Instrument zugunsten der Schaffung tariflich auskömmlich bezahlter Arbeit oder zugunsten der Absenkung des Leistungsniveaus handelt.