Und mit der grausigen Aussicht auf weitere Jahre als CDU-Landesvorsitzender sahen Sie den Weg in die Katastrophe vorgezeichnet. Das kann doch nun wirklich nicht die politische Diskussion sein! [Beifall bei der SPD und der PDS]
Sie haben Ihren Eintritt in die CDU als „Akt der politischen Vernunft“ bezeichnet. Was hat es eigentlich mit politischer Vernunft zu tun, wenn Sie auf dem Höhepunkt der Bankenkrise aus Solidarität mit Eberhard Diepgen in die CDU eingetreten sind?
Hinter dieser Fassade verbirgt sich eine im Kern reaktionäre Haltung, die dem Volk nicht traut und einer demokratischen Mehrheitsentscheidung die Legitimation abspricht.
Mit welchem Recht heben Sie sich über eines der elementaren Grundrechte unserer Demokratie? – dass nämlich jede Stimme gleich, frei und geheim abgegeben werden kann, gleich ob Professor oder Hilfsarbeiter, frei im Motiv und Argument. Und mit welchem Recht maßen Sie sich an, über Vernunft und Unvernunft die Hoheit zu haben? Wer legitimiert Sie dazu, sich selbst einer Elite besseren Wissens zuzuschlagen, während die Mehrheit, von Ihnen abqualifiziert, sich offensichtlich im dumpfen Gefühl bewegt? – Das ist ein Dünkel, den wir schon im vorletzten Jahrhundert überwunden glaubten.
Für die SPD-Fraktion sage ich Ihnen: Unsere Abgeordneten fühlen sich auf Grund der bei Ihnen offenbar gewordenen Geisteshaltung nicht mehr von Ihnen vertreten.
Die Entscheidung über mögliche Konsequenzen liegt bei Ihnen. Hören Sie auf mit verwaschenen Rechtfertigungen und Entschuldigungen. Damit kommen Sie nicht mehr weiter.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen ein Zitat mit auf den Weg geben, das auch Sie wegen des Autors besonders beherzigen sollten: Kopf kurz schütteln vor Gebrauch! – Das ist von Christoph Stölzl. Ich sage Ihnen dazu: Schütteln allein genügt nicht. Man muss seinen Kopf auch gebrauchen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrag, der Aussagen des CDU-Landesvorsitzenden Christoph Stölzl unmittelbar nach Abschluss des Bundestagswahlkampfes bewerten soll. Sie alle kennen Christoph Stölzl, zum Teil seit langen Jahren, mindestens seit zwei Jahren hier in Berlin im Parlament. Er ist eine Persönlichkeit, die von der Mehrzahl der Abgeordneten über Parteigrenzen hinweg respektiert und geschätzt wird. interjection: [Zuruf von der SPD: Wurde!]
Und viele Berlinerinnen und Berliner halten ihn unabhängig von ihrer persönlichen parteipolitischen Orientierung für eine Bereicherung der Berliner Politik.
Das liegt sicherlich auch daran, dass Christoph Stölzl Sachverhalte in einem wissenschaftlichen, kulturellen, vielfach historischen Zusammenhang jenseits der Tagespolitik sieht und beschreibt.
Es zeugt nicht von großer Souveränität, dass Sie, ohne zu wissen, was ich sagen will, bereits dazwischenrufen, gerade bei einem solchen Thema. –
Es hat ihn, der nie Politiker werden sollte, und das wissen Sie alle, [Zuruf von der PDS: Wer weiß das schon!]
obwohl er zweifelsfrei ein politischer Mensch ist, zum respektierten Kommentator von Politik gemacht. Er ist ein freimütiger, manchmal provozierender Denker. Er hat gerade durch diese Art zu Recht viel Sympathie und Anerkennung gefunden. Und er hat im Eifer der Gefühle einer Wahlnacht seine Gedanken nicht so präzise formuliert, wie wir das von ihm gewohnt sind.
In seiner Enttäuschung über das Wahlergebnis hat Christoph Stölzl einen Zusammenhang hergestellt, den er mit ausdrücklichem Bedauern zurückgenommen und für den er sich mittlerweile mehrfach entschuldigt hat. Er hat erlebt, dass Aussagen, die in einem historischen Seminar streitig zu diskutieren wären, eine falsche, für ihn persönlich schmerzhafte politische Wirkung entfalten können.
Christoph Stölzl hat sich aufrichtig und glaubhaft entschuldigt und mehrfach erklärt, dass ihm seine Aussagen herzlich Leid tun. Das unterscheidet ihn übrigens von Frau Däubler-Gmelin, Herrn Stiegler und anderen Politikern.
Er hat auch ausdrücklich bedauert, sein eigenes Ideal des fairen Dialogs verletzt zu haben. Die Auseinandersetzung mit Christoph Stölzl in den letzten Tagen war vielfach verkürzt, heftig und für ihn persönlich schonungslos. Für die weitere Debatte wird es selbstverständlich Zeit und Raum in Foren in den Parteien, auf den Podien dieser Stadt geben. Dazu bedarf es aber keiner Abstrafung durch eine vorhandene linke Mehrheit hier im Abgeordnetenhaus von Berlin und auch keines weiteren Auskostens Ihres Wahlsiegs vom vergangenen Sonntag, Herr Gaebler! Vielleicht wäre auch eine selbstkritische Diskussion über Ihre Form
des Wahlkampfs und die außenpolitischen Konsequenzen der wertvollere Beitrag für die deutsche Demokratie.
Es gibt im politischen Leben Missverständnisse, es gibt verzeihliche und es gibt auch unverzeihliche Fehler. Wer aber aus Missverständnissen und auf Missverständnisse und verzeihliche Fehler unangemessen reagiert, muss sich fragen lassen, wie glaubwürdig seine Empörung ist. Er muss sich fragen lassen, ob es ihm tatsächlich um kritische, aber auch menschlich anständige Bewertung einer Persönlichkeit oder um den parteipolitisch kurzfristigen Erfolg geht. Wer moralische Bewertungen vornimmt, sollte darauf achten, dass sich aus seiner Vorgehensweise keine Doppelmoral ableiten lässt.
Christoph Stölzl ist als Demokrat über Parteigrenzen und weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus respektiert und akzeptiert. Der Versuch, einem so moralisch integren Mann die demokratische Lauterkeit abzusprechen, wird scheitern. Es würde für das Augenmaß und das politische Format dieses Abgeordnetenhauses von Berlin und das der Fraktionen von SPD, PDS und Grünen sprechen, eine Entschuldigung nicht nur einzufordern, sondern eine aufrichtige Entschuldigung auch anzunehmen.
Diese Verweigerung, die Ihrem Entschließungsantrag zu Grunde liegt, soll eine politische Persönlichkeit beschädigen, die über Ihre Zweifel erhaben ist. Ihr Entschließungsantrag zielt auf einen parteipolitischen Triumph und auf die Beschädigung des politischen Gegners. Ihre Weigerung, die Entschuldigung von Christoph Stölzl anzunehmen, zeigt, dass es Ihnen mehr um parteipolitische Auseinandersetzung als um Arbeit zum Wohle unserer Stadt geht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD, PDS und Grünen, ich bitte Sie deshalb: Überprüfen Sie die Angemessenheit Ihrer Entschließung! Überdenken Sie Ihre Position! Sie haben richtig gehandelt, als Sie eine Erklärung und eine Entschuldigung von Prof. Stölzl eingefordert haben. Handeln Sie auch heute richtig! Stellen Sie Ihr Augenmaß und Ihre Fairness unter Beweis, und nehmen Sie die aufrichtige Entschuldigung von Christoph Stölzl an! – Herzlichen Dank!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist eine Crux mit Politikern in diesem Land! Der eine übt sich im vermeintlichen Tabubruch, um am rechten Rand nach den fehlenden 13 % für sein „Projekt 18“ zu graben; die anderen meinen, in Stammtischvergleichen unter Gewerkschaftlern komplizierte Außenpolitik volkstümlich zu vermitteln; und der dritte – hierbei handelt es sich um den Vizepräsidenten dieses Hauses – glaubt, Wahlentscheidungen, die ihm verständlicherweise nicht passen, mit dem Untergang der Demokratie 1914 und 1930/31 vergleichen zu müssen, als müsse man direkt oder indirekt immer „Hitler“ rufen in diesem Land, wenn man Geschichte bemüht.
1914 brach die deutsche Regierung den ersten zweier fürchterlicher Weltkriege vom Zaun, und die Massen begeisterten sich daran tatsächlich in trunkener Kriegshysterie. Auf 1930/31 folgten die Ermächtigungsgesetze, und danach ging es für Hitler unter dem Jubel ebenfalls eines großen Teils des deutschen Volkes ohne Parlament in den Zweiten Weltkrieg mit Millionen von Toten und der Vernichtung europäischer Juden im Holocaust. Was, Herr Prof. Stölzl, haben diese Ereignisse mit dem knappen Wahlsieg von Rot-Grün im Jahre 2002 in der Bundesrepublik zu tun? – Die trunkene Wählerschaft? – Niemand hat Massenhysterien bei Rot oder Grün gesehen! Warum auch?
Ich glaube gern, dass diese Niederlage für Sie auch eine ganz persönliche war, die Sie diesen historischen Ton anschlagen ließ, den Sie auch am frühen, nüchternen Sonntag in der „Berliner Morgenpost“ bereits meinten begründen zu müssen. Wer will schon Chef dieser Berliner CDU bleiben, wenn er sich früher in des Altkanzlers Aura sonnen konnte?
Es ist Ihr spezielles Geschichtsverständnis, das auch andere Reden von Ihnen durchzieht. Sie meinen es ernst, wenn Sie mit bebender Stimme vor diesem Haus ausrufen, dass die SPD mit ihrer Koalitionsentscheidung dem Kommunismus in Deutschland das Tor zu Macht öffnet.