Protokoll der Sitzung vom 26.09.2002

Gestatten Sie mir abschließend noch einige Worte zu den vorliegenden Anträgen:

Erstens: Der Antrag über ein Gesamtkonzept für die Ganztagsbetreuung will das von mir dargestellte Postulat umsetzen. Er spiegelt die unerlässliche Forderung nach einer Verzahnung von Schule und Jugendhilfe wieder, die wir dringend für die Einführung der verlässlichen Halbtagsgrundschule und weiteren Ganztagsgrundschulen benötigen.

Zweitens: Der Antrag über „Vorschulische Förderung und Übergang in die Grundschule qualifizieren“ zielt auf die eingangs geforderte Verzahnung von vorschulischer und schulischer Erziehung ab. Wir haben es in Berlin mit einer Doppelstruktur zu tun, da es vorschulische Angebote sowohl in den Kitas als auch an den Grundschulen gibt. Wir fordern daher den Senat auf, uns ein Konzept vorzulegen, wie er in Zukunft die vorschulische Erziehung zu gestalten gedenkt. Diese beiden Anträge sind erste Reaktionen auf die PISA-Studie und zielen auf eine Verbesserung der Berliner Vorschule und Grundschule ab.

Der Antrag der CDU über die Reform der Lehrerbildung an den Berliner Universitäten hinkt dagegen der Entwicklung hinterher. [Beifall des Abg. Zackenfels (SPD)]

Er fordert den Senat auf, einen Bericht über die geplante Reform der Lehrerbildung vorzulegen.

Frau Abgeordnete, würden Sie bitte zum Schluss kommen, gucken Sie einmal auf die Redezeit!

Letzter Satz! – Die Ziele sind bereits formuliert worden. Die Vizepräsidenten haben an den Universitäten ein Papier vorgelegt, und auch im politischen Raum haben sich zahlreiche Arbeitsgruppen gebildet, um die Reform der Lehrerausbildung voranzubringen. Um aber die detaillierten Forderungen der CDU-Fraktion ausführlich beraten zu können, bitte ich um Überweisung aller drei Anträge in den Schulausschuss. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke sehr! – Für die CDU-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Goetze!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! – Wir beschäftigen uns heute mit einer Aktuellen Stunde, die von den Regierungskoalitionsparteien

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PDS und SPD beantragt worden ist. Nach dem, was wir gehört haben, muss ich jedoch die Frage stellen: Was war denn daran aktuell?

[Beifall bei der CDU, der FDP und den Grünen – Doering (PDS): Bildung ist immer aktuell!]

Was wir gehört haben, waren die seit Beginn des Schuljahres bekannten Thesen des Bildungssenators, wie genial alles in seiner Verwaltung und in der Berliner Schule läuft. Diese sind mehrfach öffentlich verkündet worden, und nun haben wir sie nochmals im Vortrag erhalten.

[Doering (PDS): Das muss doch auch mal gesagt werden!]

Dadurch wird die tatsächliche Situation an den Berliner Schulen aber nicht besser. Die tatsächliche Situation können Sie durch zwei Zitate aus den heutigen Tageszeitungen erfassen. Da heißt es zum einen:

Die Schulverwaltung informiert nicht zur geplanten Oberstufenreform. Den Vorwurf, die Schulleitung mangelhaft informiert zu haben, weist die Sprecherin der Senatsschulverwaltung zurück. Noch vor den Sommerferien seien einige Schulleiter über die geplante Reform informiert worden, und die hatten den Auftrag, die Informationen weiterzugeben.

[Mutlu (Grüne): Peinlich!]

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lindner?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen! – Diese Art und Weise zu informieren ist völlig absurd. „Stille Post“ in der Berliner Schule. Werden so auch die Bildungsinhalte weitergegeben

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

oder die möglicherweise notwendigen Informationen zur Organisation?

Und was wir hier noch für fantastische Dinge gehört haben! Man muss sie an der Wirklichkeit messen, und die Wirklichkeit wird in der zweiten Überschrift dargestellt. Diese heißt – ich bitte für den unparlamentarischen Ausdruck um Vergebung –: „Sparen für‘n Arsch!“ – Ein Artikel in der „tageszeitung“, in dem es heißt:

Weil nun aber die Etats z. B. für Atlanten oder Toilettenpapier immer knapper werden, sah sich die Schulleiterin der Zinnowald-Schule in Zehlendorf in die Situation gebracht, zwischen der Neuanschaffung von Atlanten und dem Kauf von Toilettenpapier entscheiden zu müssen. Sie wählte Bücher.

Und in der Unterüberschrift können wir lesen:

Abstruse Auswirkungen der Sparpolitik. In einer Schule in Zehlendorf sollen Kinder Toilettenpapier selbst mitbringen. In Steglitz führte die Ausgabe von abgezählten Blättern zu heftigen Verdauungsstörungen.

Das ist die Realität an der Berliner Schule und nicht diese absurde Erfolgsbilanz, die uns hier vorgetragen wurde, die nämlich tatsächlich gar keine ist.

[Beifall bei der CDU und den Grünen – Zuruf der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD)]

Die Fragen der Großen Anfrage, die wir vielleicht nachher noch beantwortet bekommen, sind so gestellt worden, dass diejenigen, die schulpflichtige Kinder haben oder die beruflich mit der Schule in Verbindung stehen, sie äußerst merkwürdig finden werden. Die Antworten werden ein Gemisch aus der Interpretation eigener Stastiken, Ankündigungen, Abweichungen vom Thema und Abwiegelung sein. Für jeden, der die Realitäten der Berliner Schule kennt, werden die Ausführungen der Kollegin Tesch von der SPD noch lange im Ohr klingen.

Herr Abgeordneter, Herr Dr. Flemming wünscht eine Zwischenfrage!

Nein, ich bitte auch, keine Nachfrage mehr dazu zu stellen. Ich lasse angesichts der knappen Zeit keine Zwischenfragen zu! – Viele, die sich in Briefen und Eingaben an den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses gewandt haben, an die Oppositionsfraktionen oder den Ausschuss für Schulwesen, empfinden die eben gehörten Ausführungen meiner Vorrednerin wie Hohn. Wie schön wäre es, wenn wir endlich über die Qualitätssicherung unser Schule reden könnten. Tatsächlich müssen wir uns überhaupt erst einmal über die Herstellung einer Mindestqualität an der Berliner Schule unterhalten; denn derzeit ist die Berliner Schule durch die Verwaltung von Mangel gekennzeichnet. Die Realitäten sind: Die Schulgebäude sind in weiten Teilen der Stadt in einem desolaten Zustand. Die Lehr- und Lernmittel stehen diesen Realitäten häufig in nichts nach. Ein Großteil der Lehrerkollegien ist deutlich überaltert. In manchen Schulen ist Deutsch die Sprache einer Minderheit oder wird richtiges Deutsch nur von wenigen Kindern gesprochen, geschrieben und gelesen. Die Klassenzimmer sind überfüllt, die Klassenfrequenzen sind oberhalb des Erlaubten. Die Rahmenpläne sind teilweise seit Jahrzehnten nicht aktualisiert, und Gewalt und Aggressivität prägen inzwischen in manchen Schulen leider das soziale Miteinander. Das ist die Realität, und diese Mindeststandards, die in dieser Situationsbeschreibung alle nicht zum Tragen kommen, müssen wir erst einmal erfüllen, um uns dann über weitschweifende Neuerungen und Ergänzungen unterhalten zu können. interjection: [Beifall bei der CDU – Klemm (PDS): Das ist Ihre Bilanz!] – Das, lieber Kollege von der PDS, ist die Bilanz von sieben Jahren SPD-Schulsenatoren, die wir hier hatten, interjection: [Over (PDS): Die CDU war auch in der großen Koalition!] die bekanntlich – das kennen Sie nach unserer Verfassung – eigenverantwortlich ihr Ressort regeln, ohne dass es eine Richtlinienkompetenz des Regierenden Bürgermeisters gibt. Ich sage an der Stelle: Sieben Jahre CDU- Bildungssenatoren hätten das viel besser gemacht. interjection: [Bravo! und Beifall bei der CDU] Es glaubt Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, doch niemand mehr, der den Schulalltag kennt, dass eine Personalausstattung von 105 % an den Schulen vorhanden ist. Allein an der Schule meiner Tochter z. B. gab es zum Schuljahresanfang nicht einmal 100 % Personalausstattung, weil die Verwaltung des Schulsenators die Pensionierung des Schulleiters nicht mitberücksichtigt hatte. Ein Blick in die Personalakte hätte allerdings ausgereicht, um festzustellen, dass er 65 wird. Deswegen hat man auch keine Stellenausschreibung gemacht. Die Stellenausschreibung gab es erst viele Wochen nach Beginn des Schuljahres. Das Bewerbungsverfahren zieht sich hin. Die Stelle ist bis heute unbesetzt, und genauso ist es dann mit längerfristigen Vertretungen. Auch hier ist z. B. an der Schule meiner Tochter eine Stelle seit vielen Wochen unbesetzt, und wenn ich mir vor Augen halte, dass wir demnächst bald die Grippewelle haben werden, dann schwant mir Böses, interjection: [Zuruf des Abg. Doering (PDS)] was diese angebliche 105-prozentige Personalausstattung mit sich bringen wird. Sie steht nur auf dem Papier, denn die Vertretungsmittel sind gestrichen. Alle müssen mit diesem Volumen auskommen, und deswegen ist Unterrichtsausfall an der Berliner Schule an der Tagesordnung. Oder halten Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, die Situation, die es an den Berliner Schulen als Folge der von der Schulverwaltung erlassenen Änderung zum Grundschulgutachten gibt, für sinnvoll, um die Berliner Schüler erfolgreich zu unterrichten und ihnen vor allem Spaß am Lernen zu vermitteln? Übervolle siebente Klassen sind bestimmt nicht dazu geeignet, unseren Kindern den Einstieg in die Oberschule mit ihren vielfältigen neuen Anforderungen zu erleichtern oder einfach nur Spaß am Lernen zu fördern. Lauter frustrierte Kinder und Lehrer sind bestimmt nicht der geeignete Nährboden für bessere

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Lernergebnisse. Wenn Sie meinen, dass in einem Gymnasium in Berlin nicht einmal die Mindestanforderungen an der fehlerfreien Kenntnis der deutschen Sprache zum Standard gehören sollte, dann muss ich Ihnen sagen: Hier geht Ihr Faible für Multi-Kulti oder aber Ihre Unfähigkeit für Verwaltungsorganisation wirklich an den Nerv der Ausbildung unserer Kinder.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

In keinem anderen Land der Erde kann man eine Schulart, die auf das Studium vorbereitet, ohne ausreichende Sprachkenntnisse in der Heimatsprache besuchen. Nur bei uns geht es. Und deswegen muss auch noch Deutsch als Zweitsprache im Gymnasium angeboten werden.

Sie könnten uns wahrscheinlich auch viele neuerliche Probleme durch die wenig zu Ende gedachte Oberstufenreform ersparen. Wie wäre es, wenn Sie die von unserer Partei wiederholt geforderte zwölfjährige Schulzeit einführten und nicht nur einige Monate durch einen Verschiebebahnhof von Unterrichtsstunden reduzierten?

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Genauso hat die CDU schon Anfang der 90er Jahre die Einführung zentraler Prüfungen angestrebt. Jedoch hat Ihre Partei es damals kategorisch abgelehnt, da mitzumachen, genauso wie bei der Reduzierung der Abiturzeit.

[Hoffmann (CDU): Das war ein Fehler!]

Wie falsch diese Entscheidung war, können Sie daran sehen, dass inzwischen auch zentrale Zwischen- bzw. Abschlussprüfungen für die zehnten Jahrgangsklassen und für Klassen und Stufen darunter gefordert und allgemein akzeptiert werden. Hier war die CDU den heutigen Entwicklungen um Jahre voraus. Am Versagen der SPD und an ihrer Verweigerung sind diese Reformen, die uns inzwischen viel weitergerbacht hätten, damals gescheitert. [Beifall bei der CDU]

Eine letzte Anmerkung noch: Wo führt das angebliche Qualitätsmanagement die Berliner Schule noch hin? – Weil mit der SPD aus ideologischen Gründen ein Religionsunterricht auf der einen Seite oder ein verbindlicher Werteunterricht auf der anderen Seite als freie Wahlmöglichkeit für die, die Religion oder einen anderen Werteunterricht wahrnehmen wollen, bis heute nicht eingeführt ist, weil man kategorisch gegen Religionsunterricht ist und deswegen auch die Zuschüsse an die Privatschulen, die überwiegend kirchlich geprägt sind, gekappt hat,

[Zuruf der Frau Abg. Flesch (SPD)]

aus diesem Grunde haben wir weder Philosophie und Ethik noch Religionsunterricht in der verbindlichen Verantwortung der Berliner Schule.

[Klemm (PDS): Das würde uns retten!]

Jeder, der ein glaubhaftes Konzept vorlegt, kann dort unterrichten. Er darf sogar teilweise verfassungsfeindliche Inhalte von sich geben. Es gibt keine Kontrolle der Schulverwaltung über diesen Vorgang. Das ist deprimierend, zumal alle anderen SPDregierten Bundesländer, mit Ausnahme von Bremen, schon viel weiter sind als wir.

Herr Abgeordneter! Würden Sie bitte zum Schluss kommen!

Und auch deswegen muss ich das Thema Qualitätssicherung in der Berliner Schule, Thema dieser Aktuellen Stunde, an den Realitäten messen. Diese sind schlimm und müssen verbessert werden. Erst dann kann man die ganzen intellektuellen Sprünge wagen, die in der ersten Rede vorgetragen worden sind. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]