Protokoll der Sitzung vom 26.09.2002

b) Drucksache 15/758:

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS über Gesamtkonzept für die Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern

c) Drucksache 15/759:

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS über vorschulische Förderung und Übergang in die Grundschule qualifizieren

d) Drucksache 15/788:

Antrag der Fraktion der CDU über Reform der Lehrerbildung an den Berliner Universitäten

Zur Aussprache empfiehlt der Ältestenrat eine Redezeit von insgesamt 15 Minuten pro Fraktion. Nach einer ersten Rederunde der Fraktionen, in der bis zu 10 Minuten pro Fraktion zur Verfügung stehen, beantwortet der Senat die Große Anfrage. Auch Herr Senator Böger wird gebeten, sich an die Gesamtredezeit von 15 Minuten zu halten. Nach der Beantwortung durch den Senat steht den Fraktionen noch einmal eine Redzeit von bis zu 5 Minuten zur Verfügung. In der Redefolge beginnt eine der antragstellenden Fraktionen für die Aktuelle Stunde sowie für die Große Anfrage. Da hat zuerst für SPD und PDS Frau Abgeordnete Harant das Wort. [Zuruf]

Mir ist Frau Abgeordnete Harant aufgeschrieben worden. Aber es ist in Ordnung – Frau Dr. Tesch hat das Wort. – Bitte schön, Frau Dr. Tesch!

Danke schön, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schade, dass jetzt zu Beginn der Bildungsdebatte die Schulklassen die Tribüne verlassen haben.

[Zuruf von der CDU und von den Grünen]

Nach PISA muss alles anders werden! Nichts darf bleiben wie bisher! Oder älter: Ein Ruck muss durch Deutschland gehen! Diese oder ähnliche Formulierungen hört und liest man in letzter Zeit immer wieder.

[Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

Selten wurde eine Debatte über Bildungspolitik so breit in der Bevölkerung geführt wie diese. Auch das Abgeordnetenhaus von Berlin weiß um die Bedeutung der Bildungspolitik in der heutigen Zeit. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass wir nunmehr zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode im Rahmen einer Aktuellen Stunde ausführlich über dieses Thema im Plenum diskutieren.

Wir verbinden diese Aktuelle Stunde mit einer Großen Anfrage der Regierungskoalition zur Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Berliner Schule sowie drei Anträgen, auf die ich später noch eingehen werde.

Die Große Anfrage gliedert sich in drei Hauptteile: Zunächst fragt sie den Schulbeginn 2002/2003 ab, geht dann auf die Qualtitätsentwicklung und -sicherung in der Berliner Schule ein und widmet sich schließlich den notwendigen Veränderungen in der Lehrerausbildung.

Aber nicht alles muss anders werden. Schnellschüsse sind hier fehl am Platz,

[Mutlu (Grüne): Ja!]

und die Zeitrechnung hat nicht mit PISA begonnen. In der Vergangenheit wurden durchaus sinnvolle pädagogische Verbesserungen durchgeführt, die erfolgreich und daher beizubehalten sind.

Wir haben bereits im vorletzten Plenum als Antwort auf meine Mündliche Anfrage zum Schuljahresbeginn folgende positive Antworten erhalten: Das Schuljahr 2002/2003 ist gut eingerichtet, ausreichend Lehrerstunden stehen bereit und mehr als 300 Lehrer wurden neu eingestellt.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Auch die begonnenen pädagogischen Verbesserungen werden fortgeführt. So werden zum Beispiel die Klassenfrequenzen in sozialen Brennpunkten weiter gesenkt, und der Frühbeginn der ersten Fremdsprache ab Klasse 3 wurde mit dem Schulvorschaltgesetz vor der Sommerpause verbindlich festgeschrieben.

Weiterhin erhalten alle zweiten Klassen der Berliner Grundschulen eine Stunde Deutsch mehr, die vor allem dem Leseverständnis dienen soll – auch eine Antwort auf PISA!

Um der Gewalt und den rechtsextremen Tendenzen an Berliner Schulen zu begegnen wurden ferner neue Schulpsychologen eingestellt.

[Frau Senftleben (FDP): 15!]

Im kommenden Schuljahr sollen die Lehrerinnen und Lehrer bereits drei Tage vor Unterrichtsbeginn an der Schule anwesend sein, damit der Unterricht noch besser geplant werden kann.

Außerdem ist eine umfassende Lehrplanreform geplant, um einerseits überholte Inhalte zu „entrümpeln“ andererseits neue Herausforderungen, wie zum Beispiel den Umgang mit Medien, einarbeiten zu können.

Diese Diskussion auf eine Mündliche Anfrage zu beschränken, erscheint uns zu wenig. Wir möchten dieses überaus wichtige und umfassende Thema daher im Rahmen dieser Aktuellen Stunde behandeln. Auch wenn wir stets an unserem Prinzip: „Bildung hat Priorität“ festhalten und in diesem Bereich keine Einschnitte planen – deshalb auch die Überschrift dieser Aktuellen Stunde: „Trotz knapper Kasse – Priorität für Bildung“ – , muss hierbei auch Folgendes konstatiert werden: Mehr Geld allein schafft keine bessere Schule!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Mutlu (Grüne): Weniger Geld aber auch nicht!]

Berlin gibt mehr Geld für seine Schulen aus als viele andere Bundesländer, zum Beispiel auch Bayern und Baden-Württemberg, Herr Kollege Mutlu! Es gilt vielmehr, die zur Verfügung stehenden Mittel sinnvoll einzusetzen und für strukturelle Verbesserungen zu sorgen.

[Frau Jantzen (Grüne): Richtig!]

Der Umkehrschluss ist aber auch nicht richtig. Die Koalition hält an ihrer Aussage fest, dass in dieser Legislaturperiode 1 040 Lehrerstellen zusätzlich für pädagogische Verbesserungen eingestellt werden.

Außerdem verbietet sich auch ein undifferenziertes Nachdenken über eine erneute flächendeckende Erhöhung der Lehrerarbeitszeit. Viele Kolleginnen und Kollegen sind bereits an ihrer Kapazitätsgrenze angekommen. Sinnvoll wäre es vielmehr, endlich die unterschiedlichen Belastungen der einzelnen Lehrerinnen und Lehrer zu evaluieren und vernünftige Schlüsse daraus zu ziehen. [Beifall bei der SPD]

Zum zweiten Teil: Welche Schlüsse ziehen wir aus PISA? Wir brauchen dringend eine neue Lern- und Lehrkultur in diesem Land. Wir freuen uns, dass dies auch die rot-grüne Bundesregierung, die am vergangenen Sonntag für 4 weitere Jahre gewählt wurde, anerkannt hat und in der kommenden Legislaturperiode 4 Milliarden $ für zusätzliche Ganztagsgrundschulen zur Verfügung stellen will. Zum Glück können wir auch hier mit einer Kontinuität im Bildungsbereich rechnen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Auch die SPD-PDS-Koalition in Berlin hat sich auf 30 zusätzliche Ganztagsgrundschulen verständigt. Diese Schulen sollen aber keine reinen Verwahranstalten für Kinder sein. Auch Frau Ministerin Bulmahn fand vor 2 Wochen auf der Veranstaltung des „Focus“ zur Verleihung des bundesweiten Schülerwettbewerbs deutliche Worte. Ich zitiere sie: „Damit sollen keine Suppenküchen finanziert werden.“

Die Bundesregierung antwortet auf eine Kleine Anfrage, dass es sich bei diesen Ganztagsgrundschulen um gebundene oder integrierte Schulen handelt, in denen auf der Basis eines pädagogischen Konzeptes Angebote zur individuellen Förderung unterbreitet werden.

Wir müssen daher wegkommen von einem Schubladendenken und die Einrichtung von flächendeckenden, verlässlichen Halbtagsgrundschulen und zusätzlichen Ganztagsgrundschulen als Chance begreifen, die so oft geforderte Verzahnung von vorschulischer, schulischer und außerschulischer Erziehung endlich zu verwirklichen.

[Beifall bei der SPD]

Dabei ist auch für den nachmittäglichen Bereich eine Kooperation mit den Musikschulen, den Kinder- und Jugendbibliotheken, dem Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur LesArt sowie den Sportvereinen und Jugendeinrichtungen gefragt, um die Kinder und Jugendlichen in allen Bereichen zu fördern. So können bestehende Strukturen sinnvoll genutzt und Synergieeffekte erzielt werden.

Ein weiteres vorrangiges Handlungsfeld ist die Fortsetzung und Intensivierung von DaZ – Deutsch als Zweitsprache. Auch hier muss bereits im vorschulischen Bereich begonnen und die Erzieherinnenausbildung verbessert werden. Die Deutschkurse für Eltern nichtdeutscher Herkunftssprache müssen weitergeführt und ihre Zahl muss erhöht werden. Die Weiterbildungskurse DaZ für die Lehrenden müssen in Zusammenarbeit mit der TU Berlin weiterhin einen großen Stellenwert einnehmen. In der neuen Studienordnung für Lehramtstudierende müssen DaZSeminare für alle festgeschrieben werden, egal ob sie später Mathematik oder Sport unterrichten werden.

Das Konzept der Förderklassen muss evaluiert werden, um zu einer Qualitätsverbesserung der Förderklassen zu gelangen.

[Mutlu (Grüne): Wann wollen Sie das denn endlich tun?]

Schließlich plädiere ich für eine vorrangige Einstellung von Personal mit Migrationshintergrund. Dies gilt natürlich auch besonders für die vorschulische Erziehung.

Zur Qualitätsentwicklung und -sicherung: Die geplanten Vergleichsarbeiten sind ein wichtiges Instrument, um Aufschluss darüber zu geben, wo wir stehen und welche Verbesserungen nötig sind. Die Bildungsgangempfehlung für den Übergang auf die weiterführenden Schulen ist von uns bereits mit dem vor den Sommerferien beschlossenen Schulvorschaltgesetz verbessert worden. In der letzten Zeit ist vor allem in der Presse der Ruf nach einer Aufnahmeprüfung an den weiterführenden Schulen laut geworden. Ich spreche mich ausdrücklich gegen eine solche Prüfung aus, da sie nur einen punktuellen Wissensstand testen kann. [Beifall bei der SPD und der PDS]

Da die Grundschulempfehlungen aus Erfahrung sehr verlässlich sind, sollte über die Anforderungen im Probehalbjahr erneut nachgedacht werden.

Im Rahmen der Verwirklichung der verstärkten Eigenkompetenz der Einzelschule sind auch hier kontinuierliche inner- und außerschulische Evaluationen durchzuführen.

Zur Lehrer- und Lehrerinnenausbildung: Vorrangig sind hier folgende Ziele: Eine engere Verbindung von Theorie und Praxis bereits in der ersten Phase. Eine engere Verbindung von der ersten und der zweiten Phase, also dem Referendariat. Eine Verzahnung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik, wobei der Fachdidaktik im Lehramtsstudium ein größeres Gewicht beigemessen werden muss. Und schließlich: Eine Verkürzung und Entrümpelung von Studienordnungen, um zu einer Effizienzsteigerung zu gelangen. [Beifall bei der SPD und der PDS]

Diese inhaltlichen Verbesserungen sieht auch das von den vier Vizepräsidenten der Berliner Hochschulen vorgelegte Papier vor, das sich unter anderem an den Eckpunkten der Senatsverwaltung orientiert. Die inhaltliche Füllung dieser Forderungen bedarf meines Erachtens aber noch einer ausführlicheren Diskussion innerhalb der an den Universitäten dafür zuständigen Fakultäten, was von Herrn Prof. Lenzen, einem der Verfasser des Papiers, im vorletzten Schulausschuss auch zugesagt wurde. Hier hat Berlin eine Chance, zum Vorreiter mit zum Beispiel Nordrhein-Westfalen in der Reform der Lehrer- und Lehrerinnenausbildung zu werden.

Gestatten Sie mir abschließend noch einige Worte zu den vorliegenden Anträgen: