Protokoll der Sitzung vom 31.10.2002

Aber die Aktualität ergibt sich mit Sicherheit nicht nur aus den Gesprächen, die zwischen Senat und Gewerkschaft geführt werden, sondern sie ergibt sich praktisch permanent aus der finanziellen Situation, in der sich das Land Berlin befindet. Aus diesem Grund will ich es eingangs auch noch einmal ganz deutlich sagen: Wir reden hier immer noch vor dem Hintergrund, dass Berlin rund 46 Milliarden Euro Schulden hat und dass wir täglich fast 6 Millionen Euro an Zinsen ausgeben. Das ist eine Situation, mit der man sich nicht abfinden kann. Das ist eine Situation, in der wir selbst aktiv werden müssen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Lassen Sie mich bitte auch an dieser Stelle gleich zu Beginn mit einem Vorurteil aufräumen - auch der DGB hat das gerade noch einmal in einer Pressemitteilung gesagt -, es gehe bei den Solidarpaktverhandlungen nur darum, die Schuld für die Finanzmisere einseitig den Beschäftigten des Landes Berlin anzulasten, und es gehe um Stimmungsmache gegen den öffentlichen Dienst. Aber genau darum geht es nicht. Kein einziger Angestellter und Beamter des öffentlichen Dienstes ist schuld an dieser Finanzmisere des Berliner Haushalts. Viele Dinge haben zu dieser Situation geführt.

Es hat in der auch weit zurück liegenden Zeit eben politisch bewusst gewollte Beschlüsse gegeben, dass es zu diesen großen Verwaltungsapparat im Ostteil und im Westteil der Stadt gekommen ist.

Die Bundeshilfe in Berlin ist mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen weggefallen. Es hat auch politische Fehlentscheidungen gegeben. Das ist gar keine Frage. Aber es hat eben auch

den Aufbau des Ostteils unserer Stadt gegeben, wo das Abgeordnetenhaus in der zurück liegenden Zeit ganz wichtige und richtige Beschlüsse gefasst hat, die auch viel Geld gekostet haben.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es hat in der zurückliegenden Zeit auch schon eine Reduzierung von mehreren tausend Stellen im öffentlichen Dienst gegeben.

[Zuruf von der CDU: 60 000!]

Aber obwohl wir mehr als jedes andere Bundesland Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut haben, haben wir noch immer zu viele öffentlich Bedienstete. Wir geben immer noch - auch das muss man immer wieder deutlich sagen - nahezu die gesamten Steuereinnahmen aus, um Löhne und Gehälter des öffentlichen Dienstes zu bezahlen.

In den letzten Tagen war gerade auch vor diesem Hintergrund, dass die Situation ausweglos erscheint, zu hören - auch von Gerwerkschaftsseite -: Das schaffen wir ohnehin aus eigener Kraft nicht. Das werden wir nur mit dem Bund bewältigen. Ich sage an dieser Stelle auch ganz deutlich : Natürlich gehe auch ich davon aus, dass wir zur Reduzierung dieser gewaltigen Schuldenlast die Hilfe des Bundes brauchen. Aber was ist das für eine Haltung, was ist das für eine Mentalität, auf die Bundesebene zu starren und zu sagen: Wir allein können nichts machen, die müssen uns helfen. Ich glaube, der Bund wird uns nur helfen, wenn wir beweisen, dass wir alles, was wir tun können, um Ausstattungsvorsprünge gegenüber anderen Bundesländern abzubauen, auch wirklich tun, wenn wir Handlungsfähigkeit beweisen, wenn wir selbst aktiv werden.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es ist daher geradezu unsere Pflicht, jetzt wichtige Strukturentscheidungen zu treffen.

Wie sieht nun das Angebot des Senats an die Gewerkschaften aus? Nach dem Motto: "Tausche Einkommen gegen Freizeit" müssten die Angestellten des öffentlichen Dienstes in den nächsten 4 Jahren auf Tariferhöhungen, rund 2 % pro Jahr, verzichten. Ich sage es noch einmal: auf die Tariferhöhungen verzichten, und nicht von dem, was man jetzt hat, etwas abgeben, sondern nur auf den Aufwuchs verzichten, allerdings auch auf das 13. Monatsgehalt und auf das Urlaubsgeld. Im Gegenzug würde die Arbeitszeit auf 37 Stunden verringert werden, und der Senat bietet

eine Beschäftigungsgarantie weit über das Jahr 2004 hinaus an.

Darüber hinaus, und das ist mir ganz besonders wichtig, könnte es einen Einstellungskorridor für rund 7 000 Nachwuchskräfte in unserem Land geben. Das bedeutet, wenn man es einmal durchdekliniert, rund 4 000 Lehrerinnen und Lehrer, knapp 2 000 Polizisten, mehrere Hundert Mitarbeiter bei Feuerwehr, Justiz und Finanzämtern. Und wir haben immer gesagt, auch das ist wichtig im Angebot des Senats, dass der Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld zeitlich befristet sein soll.

Wir haben in den Gesprächen darüber hinaus immer deutlich gemacht, dass dieses Angebot des Senats nicht 1:1 angenommen werden muss, sondern dass es durchaus den einen oder anderen Punkt gibt, an dem man Veränderungen vornehmen kann. Ein Beispiel dafür wäre es, das 13. Monatsgehalt erst bei höheren Besoldungsgruppen komplett zu streichen oder untere Einkommensgruppen vom Verzicht auf das Urlaubsgeld auszunehmen.

Wir müssen bei jedem Vorschlag, bei jeder Sparmaßnahme, bei jedem Einschnitt, den es im Land Berlin geben soll, sehr genau überlegen, welche Auswirkungen diese Vorschläge auf die Zukunft unserer Stadt haben. Diese Überlegung hat der Senat bei diesem Vorschlag sehr wohl angestellt, und er hat damit den Gewerkschaften ein wirkliches Angebot für einen Solidarpakt im eigentlichen Sinne des Wortes vorgelegt.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es ist doch angesichts der brutalen Sparzwänge, denen wir unterworfen sind, auch eine Frage, wie der öffentliche Dienst einen Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen des Landes Berlin leisten kann. Und wie sollen wir denn auch den sozialen Frieden in unserer Stadt wahren, wenn es nicht zu drastischen Einsparungen im öffentlichen Dienst kommt und wir damit nicht den notwendigen Handlungsspielraum zur Erfüllung anderer Aufgaben gewinnen, die genauso wichtig sind, wie das Zahlen der Löhne und Gehälter.

Wir haben Aufgaben im Sozialbereich, im Bildungsbereich zu erfüllen. Kleine und mittlere Unternehmen warten auf Unterstützung auch des Landes Berlin, und für alle diese Maßnahmen brauchen wir auch den Handlungsspielraum, den wir aus dem Ergebnis der Solidarpaktverhandlungen gewinnen müssen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Ich hoffe vor diesem Hintergrund, dass die Vernunft siegen wird, dass die Gewerkschaften an den Verhandlungstisch zurückkehren werden und ihre Verweigerungshaltung dem Senat gegenüber aufgeben werden, gerade eben weil der Senat sonst zu einseitigen Maßnahmen gezwungen ist.

Und diese einseitigen Maßnahmen sind genau das Gegenteil dessen, was wir eigentlich wollen. Sie bedeuten Einstellungsstopp, sie bedeuten betriebsbedingte Kündigungen und Arbeitszeiterhöhungen von 40 auf 42 Stunden. Bei all dem wären als Erste auch die Arbeiter und Angestellten betroffen, also auch jene aus den unteren Einkommensgruppen, denen es ja nicht so sehr gut geht. Gerade vor diesem Hintergrund muss es doch auch von Gewerkschaftsseite nicht nur Solidarität mit denjenigen geben, die schon im Erwerbsleben stehen, sondern es muss doch auch Solidarität mit denen geben, die rein wollen ins Berufsleben, mit den jungen Leuten, die diesen Einstellungskorridor dringend brauchen!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es muss Solidarität mit denen geben im Ostteil der Stadt, die eben noch nicht 15 Jahre oder länger dabei sind und die als Erste betroffen wären von den einseitigen Maßnahmen. Auch das sind Überlegungen, die die Gewerkschaften anstellen müssen. Geht es hier nur um Besitzstandswahrung, oder geht es auch um eine zukunftsweisende Politik von ihrer Seite aus?

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wir wollen diese einseitigen Maßnahmen nicht, aber es wird keine anderen Möglichkeiten geben, wenn wir nicht auf Verhandlungswege mit dem Ursprungsangebot des Senats zu einem Ergebnis kommen.

An der Stelle möchte ich noch einmal auf Vorwürfe eingehen, die es von Gewerkschaftsseite gibt, dass wir nämlich nicht auf ihre Forderungen nicht eingegangen wären mit dem Angebot. Aber: Die Ursprungsforderung lag ja schon darin, ein Angebot vorzulegen! Es wurde uns immer unterstellt, wir würden diese Einsparsummen aus der Luft greifen, ohne darstellen zu können, wie wir eigentlich zu diesem Ergebnis kommen können. Das Angebot - ein sehr gutes, ein sozial ausgewogenes Angebot - liegt auf dem Tisch!

Die zweite Forderung war: Was ist mit der Beschäftigungsgarantie? Die muss doch über 2004 hinaus diskutiert werden. - Auch dazu gibt es die entsprechende Formulierung in dem

Angebot: Ja! Es soll bei einer entsprechenden Vereinbarung über 2004 hinausgehen!

[Dr. Lindner (FDP): Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Quatsch!]

Was ist mit der Verwaltungsreform? - Natürlich muss man über Einsparungen in der Verwaltung in Bezug auf Verwaltungsreform und –vereinfachung reden. Der Innensenator hat dazu erste Schritte unternommen, hat Vorschläge unterbreitet, Gesetze und Verordnungen abzuschaffen, die zur Reduzierung von Verwaltung führen.

Was ist mit der Einnahmenseite, was ist mit der Neueinführung der Vermögenssteuer, mit der Erbschaftssteuer, mit der Neuberechnung der Erbschaftsteuer? - Dazu wird es nachher ja noch eine Diskussion hier im Parlament geben.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, auch diese Entwicklung zur Einführung der Vermögensteuer und Neuberechnung der Erbschaftsteuer voranzutreiben. Das hat nicht nur etwas mit den Forderungen der Gewerkschaft zu tun, sondern das hat auch etwas damit zu tun, dass diese Punkte in erster Linie unserem sozialdemokratischen Verständnis von Steuergerechtigkeit entsprechen. Auch deswegen sind wir an der Stelle initiativ geworden.

[Beifall bei der SPD und der PDS - Zuruf des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Die Haushaltsklage liegt ohnehin jeden Tag auf der Tagesordnung, wenn wir in den Gesprächen mit dem Bund nicht zu einer Vereinbarung kommen.

Ganz offensichtlich hat die Mehrheit der Berliner Bevölkerung verstanden, dass im öffentlichen Dienst gespart werden muss. Ich bin überzeugt, dass weite Teile der Bevölkerung das Angebot des Senats auch deswegen gutheißen, weil die darin enthaltene Beschäftigungsgarantie bei vergleichsweise geringer und vorübergehender Lohneinbuße in vielen Betrieben in der Bundesrepublik mit Freude aufgenommen werden würde. Offenbar kennen die Berlinerinnen und Berliner die harten Realitäten in der freien Wirtschaft und vergleichen diese mit dem Angebot des Senats.

[Dr. Lindner (FDP): So ist es!]

Und offensichtlich ist das jetzt auch beim Beamtenbund angekommen, der ja auch noch

einmal auf den Senat zugegangen ist und Angebote gemacht hat und damit auch die Einsicht gezeigt hat, dass für die Lösung der Berliner Finanzprobleme alle, ich betone alle, Verantwortung tragen, Parteien, aber eben auch Gewerkschaften. Man sieht an diesem letzten Gespräch, dass auch der Senat sich bewegt, wenn unser Verhandlungspartner sich bewegt. Der Senat hat während der Verhandlungen mit dem Beamtenbund beschlossen, die Entscheidung über die Arbeitszeitverlängerung 3 Wochen auszusetzen, um zu sehen, ob man zu einer entsprechenden Vereinbarung kommt.

Wir stehen an der Tür und halten sie weit auf. Wir sind zu jeder Tages- und Nachtzeit gesprächsbereit, und selbstverständlich kann man über das Paket des Senats

[Dr. Lindner (FDP): Pakete!]

erneut reden und erneut verhandeln. Sollte es zu Einigungen kommen, kann man auch Maßnahmen zurücknehmen. Dass wir zu dieser Einigung kommen können, setzt natürlich auch schnelle Gesprächsbereitschaft bei der Gewerkschaftsseite voraus.

Wenn Größenordung und Zeitplan stimmen, dann sind wir auch immer für neue Vorschläge offen. Ich fordere aber noch einmal alle Beteiligten auf - und es soll ein eindringlicher Appell auch an die Gewerkschaftsseite sein -, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, denn die Stadt erwartet von uns nicht Konfrontation, sondern sie erwartet einen Kraftakt zur Lösung der Probleme. Sie erwartet, dass die Politik wieder handlungsfähig wird, um die Zukunft Berlins zu sichern.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Vielen Dank, Herr Kollege Müller! - Für die CDU erhält das Wort Herr Zimmer - bitte schön, Sie haben das Wort!

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Vorfeld der heutigen Aktuellen Stunde hat der Kollege Dr. Lindner zu mir gesagt, ich wäre einer der größten Freunde der Gewerkschaften hier in diesem Hause. Ich kann eines sagen: Ich bekenne freimütig, ein Freund der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sein.

[Beifall bei der CDU - Oh! von der PDS]