Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

[Beifall bei der FDP]

Danke schön! – Es folgt die PDS. Frau Seelig hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Ritzmann! Ihre letzte Schlussfolgerung kann ich so nicht teilen. Ich weiß nicht, warum diese Große Anfrage vonnöten gewesen ist. Ich finde es eher ein trauriges Beispiel dafür, dass die CDU selbst da, wo sie vermeintlich vorgegeben hat, besondere Kompetenz zu besitzen, also bei Sicherheit und Ordnung, ein so klägliches Schauspiel bietet. Mit diesen Fragen, mit diesen Unterstellungen, mit diesem Nichtwissen hier zu agieren, das war schon irgendwie schwierig und auch traurig anzusehen.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Der Titel Ihrer Großen Anfrage, meine Herren von der CDU, lautet: Rot-roter Senat steht vor dem Scherbenhaufen seiner Sicherheitspolitik. – Ein bisschen größer hatten Sie’s nicht da?

[Zurufe von der CDU: Nee!]

Wie kommen Sie denn darauf? Aus der polizeilichen Kriminalstatistik dieses ersten Halbjahres, die wir im Übrigen auch im Innenausschuss schon gründlich behandelt haben, können Sie das doch nicht ersehen haben. Womöglich nehmen Sie einige Zeitungen, die Sie vorab und tendenziös informiert hatten, als Grundlage Ihrer Erkenntnisse. Da macht sich ja Mord und Totschlag gut in Überschriften. Wenn Sie auch nur ein wenig seriös argumentieren würden, wüssten Sie, dass die Mehrzahl aller Tötungsdelikte Beziehungsdelikte sind. Das heißt, Täter und Opfer kennen sich, und viele dieser Taten finden auch hinter geschlossenen Türen statt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Trapp?

Bitte schön!

Frau Kollegin Seelig! Sie sprachen die polizeiliche Kriminalstatistik an. Ist Ihnen bekannt, dass im Landeskriminalamt 5 000 unbearbeitete Delikte liegen mit einem Liegevermerk, darunter Korruptionsdelikte und Insolvenzdelikte, was die Sicherheit in dieser Stadt vielleicht nicht gefährdet, aber das Rechtssystem stark untergräbt?

Diese Problematik ist mir durchaus bekannt. Aber es ist Ihnen sicher auch bekannt, dass es sich sehr oft um OK-Delikte handelt, dass es sich um Delikte handelt, die sich aus vielen verschiedenen Sachverhalten speisen und daraus eine sehr lange Bearbeitungszeit entsteht, die nicht wünschenswert ist.

[Trapp (CDU): Die werden gar nicht bearbeitet!]

Wir waren jetzt eigentlich bei dem, was Ihre Argumentation ursprünglich ausgemacht hat, nämlich dass die Kriminalstatistik insbesondere auch höhere Zahlen bei Mord- und Totschlag aufweist. Da ändert die größte und höchste Polizeidichte auf der Straße traurigerweise nichts. Entscheidend ist hier die Aufklärungsquote, und die ist in Berlin bekanntermaßen hoch, auch gerade auf diesem Gebiet. Im Gegensatz zu Kriminalstatistiken ist diese Aufklärungsquote auch nicht relativierbar.

Warum erzähle ich Ihnen das? Sie wissen es, aber seit Jahren ist Ihre Sicherheitspolitik die der Angstmache. Natürlich glauben Menschen, dass hinter solchen Überschriften Gefahren für sie lauern, sehen Mörder durch das nächtliche Berlin streifen, ihnen auflauern, und es hindert sie an ihrer Mobilität, es macht ihnen Angst. Ich finde, eine solche Politik, wie Sie sie hier machen, ist unverantwortlich. Es ist geradezu absurd, wenn Sie die Auflösung des Freiwilligen Polizeidienstes für die Zunahme solcher Straftaten anklagend mit in die Verantwortung nehmen. Die Gründe wurden eben genannt.

Sie wissen auch mit mir, wie relativ Kriminalstatistiken sind. Man kann sowohl das eine wie das andere herauslesen. Nehmen wir das Beispiel Schwarzarbeit, das hier schon angesprochen wurde. Da verzeichnet die Statistik einen Anstieg um 109,4 %. Das ist dramatisch, wenn die Schwarzarbeit um eine solche Summe angestiegen ist, denn sie richtet ohne Zweifel einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden in der Gesellschaft an. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass es tatsächlich einen Anstieg in diesem Bereich gibt. Auf der einen Seite haben wir eine zunehmende Verantwortungslosigkeit vieler Betriebe, die Mitarbeiter nicht einstellen oder ausbilden, zugunsten ihrer Gewinnmaximierung auf diese Mittel zurückgreifen, und auf der anderen Seite gibt es schlichtweg keine reguläre Arbeit für Menschen, die arbeiten wollen und müssen, so dass diese Schattenwirtschaft leider boomt. Dieses gesellschaftliche Problem wird die Polizei nicht lösen. Das ist eine politische Aufgabe von erheblicher Tragweite, und sinnvolle Vorschläge sind auch von Ihnen willkommen. Andererseits besagt die Erhöhung um 109,4 % aber auch, dass die Polizei ihre Arbeit im Rahmen dieser Problematik gut macht. Denn Schwarzarbeit ist ein Kontrolldelikt, und je mehr die Polizei kontrolliert, desto höher steigt die Zahl der Fälle. Das gilt für andere Bereiche übrigens auch, und das macht solche Statistiken immer problematisch.

Sie sehen also, keine Kriminalstatistik ist ein Grund zum Alarmismus, wie ihn hier die CDU betreibt, sondern kann immer nur Grundlage für eine genaue Analyse sein. Deshalb werden wir uns weiterhin mit solchen Statistiken sachlich in Innenausschusssitzungen auseinandersetzen. Ich finde, die sind hier im Plenum fehl am Platze, die langweilen in der Regel auch alle Anwesenden, und die Abwesenheit bei diesem wichtigen Thema, das Sie selber eingebracht haben, als Ihr eigener Mann redete, sprach eigentlich Bände, wie interessant Sie Ihren eigenen Anfragen finden.

[Wieland (Grüne): Aber bei Ihnen sind sie wieder reingeströmt, Frau Seelig?]

Ansonsten, finde ich, hat Rot-Rot auch deutlich gemacht, dass es schnell und effizient auf Strukturveränderungen im Interesse der Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner drängt. Ich denke auch, die FDP-Vorschläge zum Thema Bagatelldelikte – wie man die anders behandeln kann – müssen geprüft werden, das ist gar kein Zweifel. Wir haben dazu auch in der Koalitionsvereinbarung Positionen.

[Ritzmann (FDP): Wer hat das denn da reinge- schrieben?]

Der von Ihnen abgelehnte Polizeipräsident hat in Angriff genommen, was Ihre CDU-Polizeipräsidenten in all den Jahren nicht geschafft haben, nämlich eine Neuordnung der Führungsstrukturen, die endlich die Führungsgliederung der Polizei strafft, an diesen Stellen einspart, um die Direktionen und Abschnitte zu stärken, dort, wo die Leistungen für den Bürger erbracht werden.

Ich verstehe auch nicht, warum Sie sich dagegen wehren, dass bis zum Jahresende 100 neue Fahrzeuge für die Polizei angeschafft werden. Ich kann es nicht nachvollziehen, zumal für das Jahr 2003 rund 4,2 Millionen € für eine Erneuerung des Fuhrparks zur Verfügung stehen. Kollegin Hertel sagte es schon: Den Schrott, mit dem Polizistinnen und Polizisten noch immer ihren Einsatz fahren müssen, haben wir von Ihnen übernommen.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Trapp?

Nein, jetzt nicht mehr, ich komme jetzt zum Schluss. – Warum haben denn die CDU-Innensenatoren keine Prioritäten darauf gesetzt?

Noch einen letzten Satz zur Einsparung bei der Vollzugspolizei. Es ist doch ein Unterschied, ob mit der Ist-Veranlagung der Personalmittel endlich ein Schritt zur Haushaltsklarheit gegangen wurde oder mit fiktiven Stellen jongliert wird, die seit Jahren nicht mehr besetzt waren. Das als Stellenkürzung zu beschreiben, mag man Gewerkschaften nachsehen, aber kein einziger Mitarbeiter im Vollzugsdienst hatte durch diese Zahlenakrobatik weniger Stunden oder weniger Aufgaben.

Alles in allem gehen die Unterstellungen Ihrer Großen Anfrage ins Leere. Es gibt keinen sicherheitspolitischen Scherbenhaufen, sondern es gibt einen Mentalitätswechsel in der Sicherheitspolitik, und ich denke, der wird dieser Stadt auch gut zu Gesicht stehen. – Danke schön!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Seelig! – Für die Grünen spricht Herr Ratzmann. Bitte sehr!

[Frau Fischer (SPD): Los, Volker, hau rauf! – Wieland (Grüne): Nein, wir sind in der Opposition, Frau Fischer!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Die Große Anfrage, die hier von Seiten der CDU gestellt worden ist, ist nicht nur völlig überflüssig, sie geht in ihren Fragestellungen, denke ich, auch am Kern

aller sicherheitspolitischen Probleme dieser Stadt völlig vorbei.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Herr Henkel, Ihr Kollege Goetze hat vorhin, als Sie geredet haben, in einem Zwischenruf gesagt, er habe sich ja auch den Quatsch über die bezirkliche Selbstverwaltung anhören müssen, und ich glaube, damit hat er schon selbst eine zutreffende Bewertung der Qualität Ihrer Anfrage vorgenommen.

Die CDU versucht, mit dieser Anfrage – wieder einmal, muss man wohl sagen – ein Bild zu zeichnen, als versänke diese Stadt im Chaos, in Mord, Totschlag und Gewaltverbrechen. Bereits der Titel: „Rot-roter Senat steht vor dem Scherbenhaufen seiner Sicherheitspolitik“ macht schon deutlich, dass es Ihnen nicht um die Lösung von Problemen geht, sondern um bloße Stimmungsmache. Genauso wie Sie sich in der Solidarpaktdebatte plötzlich alle zu Arbeiterführern mausern, stellen Sie sich hier – wieder einmal, muss man wohl sagen – populistisch als Scharfmacher in die Öffentlichkeit. Natürlich haben wir Kriminalitätsprobleme in der Stadt, die kann man nicht wegdiskutieren. Aber die hängen doch nun wirklich nicht damit zusammen, dass wir plötzlich einen SPD-PDS-Senat haben. Diese Probleme hatten wir vorher, und die werden wir im übrigen auch nach diesem Senat noch haben.

Die Kriminalität ist unter Werthebach und sogar unter Ihrem werten Herrn Lummer genauso gestiegen und gesunken, wie sie unter Pätzold und Körting gestiegen und gesunken ist. Alltagskriminalität orientiert sich nun einmal nur in den seltensten Fällen an der politischen Couleur von Regierungen. Mit Ihren Anfragen und Ihrem unseriösen Herumzündeln mit polizeilichen Kriminalitätsstatistiken, meine Damen und Herren von der CDU, verabschieden Sie sich vollständig aus jeglicher seriösen sicherheitspolitischen Debatte. Wer wie Sie eine polizeiliche Halbjahresstatistik zum Beweis des Anstiegs von Kriminalität und des Scheiterns von Sicherheitspolitik in die Öffentlichkeit stellt, hat bestenfalls keine Ahnung, im schlimmsten Fall schürt er Ängste und macht Stimmung.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Wir wissen doch spätestens seit den Veröffentlichungen des Kriminologen Pfeiffer, dass polizeiliche Kriminalitätsstatistiken keine verlässliche Grundlage für das Messen von Kriminalität sind. Sie sind geeignet, langfristige Tendenzen aufzuzeigen, aber niemals Momentaufnahmen zu zeichnen. Ein Beispiel: Die Halbjahresstatistik, die Sie heute so herausgestellt haben, verzeichnet einen Anstieg der Morde um 65,5 % – gruselig! In Fällen ausgedrückt, heißt das für 2001 29, für 2002 48 Fälle. Das war

auch groß und breit in allen Boulevardblättern zu lesen. Was allerdings nicht in den Boulevardblättern stand, war, dass 20 der 48 Fälle in die Statistik gekommen sind, weil ihre Bearbeitung erst im ersten Quartal 2002 abgeschlossen war. Wann sie begangen wurden, das wissen wir nicht. Es steht zu vermuten, dass sie im übrigen noch unter der Regie der großen Koalition begangen worden sind.

[Wieland (Grüne): Oder rot-grüne Morde waren!]

Die PKS ist eine Statistik, die die Abgabe der Fälle an die Staatsanwaltschaft dokumentiert. Sie dokumentiert rechtliche Bewertungen von Polizeibeamten, die zudem noch Lebenssachverhalte auseinander dividieren und so die Kriminalitätsstatistik künstlich aufblasen. Wenn wir ein wirkliches Bild zeichnen wollten von Kriminalität in dieser Stadt, dann brauchten wir eine Statistik über die Verurteilungen, die Auswertungen dieser Verurteilungen, Tatzeitpunkte der Ereignisse, Bewertungen. Aber da wird mir die Frau Justizsenatorin sicherlich sagen, dass das mit dem Justizhaushalt keinesfalls leistbar ist.

[Frau Bm Schubert: Es sei denn, er wird aufge- stockt – Heiterkeit bei den Grünen]

Mit uns immer, Frau Schubert, das wissen Sie!

„Scherbenhaufen seiner Sicherheitspolitik“ – als hätte dieser Senat mit weitreichenden Maßnahmen und Veränderungen bereits eine eigene Sicherheitspolitik etabliert. Als habe seine konkrete Politik die Sicherheitslage drastisch verschärft. Die haben doch noch gar nichts geschafft! Wir warten doch alle, dass die angekündigten Maßnahmen endlich umgesetzt werden, von der Kennzeichnung der Polizei bis zur Etablierung der Drogenkonsumräume.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Bis jetzt ist doch nur immer alles verschoben worden! Außer der Abschaffung der Reiterstaffel und des Freiwilligen Polizeidienstes haben sie doch nichts Relevantes hingekriegt.

[Na immerhin! von den Grünen]

Na, das war so eine große Anstrengung nun auch nicht –. Und Sie, meine Damen und Herren von der CDU, wollen nicht ernsthaft den Übergang der polizeilichen Kavallerie auf den BGS für den Anstieg des Missbrauchs von Scheckkarten verantwortlich machen. Ich habe zwar von Ihrem werten Vorgänger, Herr Henkel, Herrn Gewalt, noch gelernt, dass der erhöhte Sitz auf einem Pferd eine verbesserte Beobachtungsposition mit sich bringt. Ich glaube

aber, dass auch in der Berliner Polizei dieser Vorteil – noch – durch technische Hilfsmittel wettgemacht werden kann.

[Hoffmann (CDU): Nee!]

Nicht mal den von Ihnen vorgeworfenen Personalabbau kann man diesem Senat doch ernsthaft anlasten. Herr Körting hat ausgeführt, dass er alle Polizeischüler, jedenfalls für dieses Jahr, noch eingestellt hat und dass er sich zumindest mit – wie ich finde – einiger Maßen diskutablen Instrumenten bemüht dafür zu sorgen, dass wenigstens ein kleiner Teil an jungen Leuten in der miserablen Haushaltssituation noch eine Chance, auch im Polizeidienst, bekommt. Probleme werden wir allerdings im nächsten Jahr bekommen, wenn keine Neueinstellungen vorgenommen werden können. Und wir werden sie sicherlich auch verstärkt kriegen, wenn es nicht gelingt, Strukturänderungen zur Senkung der Personalkosten zu vereinbaren.

Bei aller Kritik an den Vorschlägen des Senats und seiner Verhandlungsführung – das, was wir gestern von den Gewerkschaften zum Abschluss eines Solidarpakts lesen durften, stimmt nicht sehr hoffnungsfroh. Natürlich ist es begrüßenswert, wenn, wie vorgeschlagen, alle gesellschaftlichen Gruppen zusammengeholt werden, um die Probleme zu lösen und Lasten gerecht zu verteilen. Wer aber, wie die DGB-Gewerkschaften und wohl allen voran die GdP, ihr neuer Bündnispartner, ernsthaft meint, man könnte hier notwendige Kürzungen durch individuelle, freiwillige Vereinbarungen erbringen, der verabschiedet sich wohl als Akteur von kollektivrechtlicher Steuerung.

Die CDU hat mit dieser Anfrage wieder einmal deutlich gemacht, dass ihr zur Kriminalitätsbekämpfung nichts einfällt außer Polizeipräsenz und Technik. Natürlich ist die Ausstattung der Polizei schlecht, natürlich sind die Autos veraltet, und natürlich wollen auch wir, wenn schon, statt alter stinkender Wannen neue schicke Wagen auf dem neusten ökologischen Standard auf Berlins Straßen sehen. Das will niemand klein reden. Ich habe nur von Ihnen keinen einzigen Satz gehört, wie das finanziert werden soll. Es ist anscheinend bei Ihnen immer noch nicht angekommen, dass wir hier lediglich den Mangel noch verwalten können in der Stadt und zwar auch als Opposition. Und zwar weil Sie in 16 Jahren Großer Koalition mit der SPD zusammen alle Chancen verspielt haben! Und dieses finanzpolitische Problem, das Sie dieser Stadt hinterlassen haben, wirkt sich auch sicherheitspolitisch aus.