Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

Dann haben Sie das Wort, Herr Mutlu!

Tut mir Leid, Herr Kollege, aber ich möchte fragen, ob Sie der Meinung sind, dass ein Großteil der Menschen in diesem Saal taub sind?

[Pewestorff (PDS): Weil Sie so brüllen!]

Es freut mich, aber – – Aber sagen wir einmal so: Ich habe die Lautsprecher nicht so laut eingestellt, ja?

[Beifall und Gelächter bei der FDP und der CDU]

Vielleicht kann die Technik das regeln? – Wir werden Ihnen helfen.

Ich weiß aus Erfahrung, dass ich hier vorne, wenn jemand einen Zwischenruf macht, den nicht verstehen kann, einfach deshalb, weil der Raum das nicht zulässt. Aber das ist ein guter Hinweis, ich werde meine Phonstärke etwas zurücknehmen, aber das liegt eben auch daran. Aber ich möchte auch, dass meine Informationen Sie erreichen.

[Doering (PDS): Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen!]

Herr Dr. Augstin! Sie können sie beibehalten, die Technik hat jetzt die Lautstärke etwas zurückgenommen. Jetzt können Sie sich voll entfalten.

Die FDP will deshalb, dass die Minderung der Leitungsanteile, der Zeitanteil, zumindest für die kleinen Einrichtungen zurückgenommen wird. Es kann nicht sein, dass nur durch eine Duldung hier Lösungen entstehen, die im Grunde genommen rechtswidrig sind.

Daneben gibt es hier den Antrag der SPD-PDS, der zu einer Neuordnung der Kitalandschaft führen soll, nämlich ein Berichtsauftrag. Nun könnte man sagen, ein Berichtsauftrag ist immer gut, aber nicht, wenn er bestimmte Vorgaben macht, wo man Zweifel hegen kann, Herr Böger. – Er ist jetzt gerade nicht im Raum, scheint mir.

[Buchholz (SPD): Doch, hier steht er!]

Diese Zweifel hat Herr Böger zwar nicht, aber wir. Hier steht nämlich, dass es um die Überführung in eine neue Rechtsform geht. Wir ahnen: Die Träger in der neuen Rechtsform, das sind zu guter Letzt aus Gründen übergeordneter Schwierigkeiten nachher große Monopolbetriebe, die nicht mehr das pluralistische Angebot, wie es derzeit noch existiert in der Stadt, repräsentieren. Und Sie werden dann zum Schluss eine Übertragung, Herr Böger, dieser Einrichtungen – kommunale Einrichtungen nennen Sie sie – auf freie Träger nur behindern, statt diesen Prozess, wie es auch die CDU fordert, allmählich jetzt schon in Gang zu setzen.

[Frau Dr. Barth (PDS): Der Prozess ist doch schon in Gang!]

Dann werden gleiche pädagogische Bedingungen gefordert. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir gleiche Standards zwar gut finden, aber nicht, dass alle Bedingungen der Pädagogik überall in dieser Stadt gleich sein sollen.

Ich möchte darüber hinaus sagen – und damit komme ich mehr oder weniger zum Ende meiner Rede –, dass wir dem CDU-Antrag zur Sicherung der Praktika deshalb zustimmen können, weil es nun einmal zwingend notwendig ist, dass auch die Praktikanten jetzt in Arbeit und Brot kommen, ihre Aufgabe erledigen können. – Selbst dem Antrag der SPD und PDS, nämlich „Konzept für die Reform der Erzieherinnenausbildung“, können wir folgen, weil wir meinen, hier ist es dringend notwendig, zu einer neuen Lösung zu kommen. – Der Vorlage der Grünen können wir aus finanzpolitischen Gründen nicht folgen.

[Frau Jantzen (Grüne): Welcher Vorlage?]

Dann möchte ich nur ganz kurz noch auf das noch eingehen, das wäre jetzt abschließend, nämlich auf das Mentorenprogramm, von dem – –

Herr Abgeordneter! Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen. Sie sehen, wir waren wirklich großzügig, aber das wird jetzt überstrapaziert.

Ja! – Ich komme ja zum Schluss. Das ist auch mein letzter Punkt, den ich hier habe, nämlich das Mentorenprogramm für Kitas. Das wäre unbürokratisch, das wäre finanzierbar, das würde den Zugang zu Wissen und die Hilfestellung bei fachspezifischen Aufgaben ermöglichen. Für mich ist vollkommen unerfindlich, wieso das den Widerspruch der Koalition gefunden hat, denn es hätte ein Beitrag zur Lösung ihrer Probleme in dieser Stadt sein können. – Danke!

[Beifall bei der FDP – Dr. Lindner (FDP): Bravo!]

Ich möchte im Nachgang dieses Redebeitrags im Interesse auch eines korrekten Protokolls etwas anfügen. Sie haben in Ihrem Redebeitrag ins Mikrofon gesprochen, was dann auch im Protokoll so steht, dass der Senator sich nicht im Saale befinde. Der Herr Senator lauscht hier, in diesem Fall nicht von vorne, er saß nur nicht auf diesem Platz, sondern hat Ihnen selbstverständlich zugehört, aber von einem anderen Ort des Plenarsaals aus.

[Brauer (PDS): Das war von vorne nicht zu sehen!]

Das nur, damit es im Protokoll richtig festgehalten wird und sich nicht nachher so anhört oder liest, als wenn der Senator nicht dagewesen wäre.

[Doering (PDS): Ob er das Protokoll überhaupt liest?]

Nun hat Frau Jantzen das Wort für die Fraktion der Grünen. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, nicht zu schreien und mich trotzdem verständlich zu machen.

[Beifall bei den Grünen – Brauer (PDS): Danke!]

Es ist eine wirklich interessante Debatte über dieses Thema zu diesem Zeitpunkt. Mein Eindruck ist, dass sich die Rollen vertauscht haben zwischen der PDS, die früher in der Opposition war, und der CDU,

[Doering (PDS): Die CDU ist in der Opposition, das ist richtig!]

weil diese Große Anfrage mit der Überschrift: „Berliner Kitas bald ein Scherbenhaufen?“ wäre garantiert ähnlich von der PDS gekommen, wenn CDU und SPD oder eine andere Koalition wie die Ampel so etwas beschlossen hätte.

[Beifall bei den Grünen – Beifall der Abgn. Frau Herrmann (CDU) und Hoffmann (CDU)]

Der erste Teil der Überschrift der Großen Anfrage lautet ja „Konzeptionslose Kürzungen“ für die Berliner Kitas. Und diesem Teil kann ich auch zustimmen, weil so, wie die Kürzungen bei der Freistellung für die Leitungsaufgaben und im Hortbereich beschlossen wurden, kann kein Konzept dahinterstehen.

[Beifall des Abg. Hoffmann (CDU)]

Herr Böger hat ja auch gesagt, sie seien rein finanzpolitisch begründet. Deshalb sind sie auch nicht gut. Denn wenn wir Qualität in Kitas entwickeln wollen, wenn wir aus PISA Schlüsse ziehen wollen, dann brauchen wir natürlich eine klare Vorstellung, wie wir unsere Kitas zur Bildungseinrichtungen entwickeln können und wie Strukturen auch in dieser Kita- und Schullandschaft gestrickt werden sollen.

Und ich bin Herrn Böger da jetzt doch einmal dankbar,

[Frau Dr. Tesch (SPD): Oh!]

dass er sehr kurz, recht knapp dargestellt hat, wie die Senatsverwaltung oder der Senat sich das in Grundzügen vorstellt. Diese Vorstellungen entsprechen nämlich fast hundertprozentig dem, was wir in unseren Anträgen, die wir mit der Großen Anfrage „Bildung hat Priorität“ im Februar dieses Jahres hier eingebracht haben, die dann leider, leider – wie das so oft passiert – von der Regierungskoalition erst einmal nicht behandelt wurde – es ist ja jetzt November, das ist schon fast ein ganzes Jahr her –, und dann jetzt doch auf die Tagesordnung kam. Man sehe und staune, oder man höre und staune, und das wissen vielleicht nicht alle im Hause: Letzte Woche Donnerstag wurde im Ausschuss unser Antrag „Bildung hat Priorität – Kindertagesstätten zu elementaren Bildungseinrichtungen weiter entwickeln“ behandelt, der drei Teile hatte: Kitas als Bildungseinrichtung qualifizieren mit Sprachförderung, Qualitätsoffensive als einem Teil, dem zweiten Teil Vorklassen abschaffen, gleiche Strukturen schaffen in Ost und West, weil die Vorklasse haben wir ja nur im Westen,

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Barth (PDS)]

und mit dem dritten Teil flexible Schuleingangsstufe. Das ist alles das, was Herr Böger skizziert hat, wie man sich das vorstellt, und wie wir das auch gut finden. Doch dieser Antrag wurde im Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport von den Regierungsfraktionen abgelehnt. Das finde ich dann doch recht, recht merkwürdig. Der Widerstand, den es, wie Frau Barth meinte, in dieser Stadt gegen solche Überlegungen gebe, liebe Frau Barth, der Widerstand ist weniger auf der Straße bei den Leuten in den Kitas, bei den Eltern, der ist weniger bei den Grünen, möglicherweise auch hier auf der rechten Seite nicht, der Widerstand ist, ich denke, ziemlich stark in der SPD und vielleicht bei Ihnen zu finden. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich bald entscheiden könnten, damit wir klare Entscheidungen haben und klare Strukturen schaffen und damit die Kinder ein gutes Bildungsangebot in dieser Stadt erhalten und die Eltern endlich wissen, woran sie in Zukunft sind.

[Beifall bei den Grünen]

Ich lobe eigentlich wenig und Herrn Böger nicht unbedingt gerne, aber ich fand es trotzdem sehr beeindruckend, dass er sehr deutlich gesagt hat, wenn es um die vorschulische Bildung – sprich: die Abschaffung der Vorklasse, worüber ja diskutiert wird – gehe, so gehe es dabei nicht um das letzte Jahr vor der Schule, sondern insgesamt um die Bildung vor der Schule – d. h. die frühkindliche Bildung bis zum Eintritt in die Schule, und das sei Aufgabe der Kita insgesamt. – Das, Frau Barth, sollten Sie sich dann auch einmal genauer anhören, denn Sie haben dezidiert von vorschulischer Erziehung permanent nur in Bezug auf die Vorklasse – also das letzte Jahr vor der Schule – gesprochen! Da fehlt Ihnen die fachpolitische Erkenntnis, die Sie noch umsetzen müssen.

[Beifall bei den Grünen – Frau Dr. Barth (PDS): Schönen Dank, Frau Oberlehrerin!]

Ja! Das kann ich gern zurückgeben, denn Ihr Vortrag war da noch ein Zacken schärfer!

[Heiterkeit]

Ich werde nicht so lange reden wie die anderen, denn fachlich sind die Positionen genügend ausgetauscht. Ich möchte noch einmal kurz etwas zur Politikverdrossenheit sagen, die durch die verzögerte Entscheidung und dadurch, dass die Regierungsfraktionen immer wieder alles auf die lange Bank schieben, sehr stark gefördert wird, und zwar nicht nur meine Verdrossenheit, diesen Debatten in diesem Hause noch zu folgen, sondern auch die Politikverdrossenheit der Menschen draußen in der Stadt. Wenn Sie sich einmal in Diskussionen einklinken, die Eltern über Internetaustausch pflegen,

dann stellen Sie fest, dass alle gern wissen wollen, was mit der Ganztagsschule wird: Wie soll sie aussehen? Welches Konzept gibt es für sie? – Sie wollen auch wissen, ob sie ihre Kinder demnächst noch in die Vorklasse oder nur noch in die Kita geben können. Sie sind völlig verunsichert, weil Schulen plötzlich mitteilen: „Wir bewerben uns mal eben für dieses Ganztagsschulkonzept.“, aber keiner kann ihnen genau sagen, welche Form es hat.

In dem Sinne, wie Herr Böger es skizziert hat, ist es völlig okay, nämlich klar zu sagen: Wir machen die verlässliche Halbtagsgrundschule und entwickeln in Zusammenarbeit von Jugend und Schule ein Angebot, das dann danach in der Form ähnlich wie der offene Ganztagsbetrieb aussieht – ob in offener oder gebundener Form, das muss man entscheiden. Die Menschen haben ein Anrecht darauf, dass dieses Konzept vorgestellt wird. Deshalb, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, werden wir Ihre Anträge zwar nicht ablehnen, aber wir werden ihnen auch nicht zustimmen. Sie geben Berichtsaufträge bis zum März nächsten Jahres zu Fragen, an denen die Verwaltung schon längst arbeitet und zu denen uns Herr Böger die Grundzüge schon klar dargestellt hat. Das ist eine Verschleppungstaktik, die wir nicht mitmachen.

[Beifall bei den Grünen]

Wenn wir – und das wollen alle, da sind wir uns hier einig – Reformen in der Kita und eine Qualitätsentwicklung auch in der Schule haben wollen – und wir wissen nicht erst seit PISA, dass das dringend nötig ist –, dann müssen wir die Menschen, die es letztlich betrifft, auch daran beteiligen. Das sind für mich in erster Linie die Eltern, die Erzieher und Erzieherinnen, die Lehrer aber auch die Träger und in Bezug auf die Reform der Erzieher- und Erzieherinnenausbildung die Fachschulen. Schließlich sind es auch wir als Parlament. In diesem Sinne bitte ich Sie sehr eindringlich, so schnell wie möglich über die hier skizzierten Grundstrukturen zu entscheiden, sie vorzustellen und sie für eine breite Beteiligung in die Öffentlichkeit zu geben, damit wir dann, nachdem es ausführlich diskutiert wurde, hier darüber entscheiden können. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]