wenn Hitler die Wahl gewonnen hätte, wenn nicht so ein starker Kandidat wie Hindenburg angetreten wäre – übrigens unterstützt von vielen demokratischen Parteien? – Also, wir sollten bei der Einschätzung Hindenburgs natürlich auch Rücksicht nehmen auf den damaligen Zeitgeist. Beide Extreme wollten diese Weimarer Republik nicht. Der eine – Hitler nämlich –, weil er das Versailler System bekämpfte, und der andere, Thälmann, weil er ohnehin gegen das kapitalistische System war. Beiden war eines gemeinsam: Beide wollten diese Weimarer Republik nicht, beide wollten nicht einen bürgerlichen Rechtsstaat, wie wir ihn heute noch kennen. Stellen Sie sich vor, liebe Frau Ströver, wir säßen in einem Parlament, in dem die stalinistischen Kommunisten um Thälmann und die Nazis um Hitler die absolute Mehrheit haben. Wie wollten Sie dann regieren? – Das hat Hindenburg zu spüren bekommen. Und das Tragische an ihm ist möglicherweise auch, dass er, der Monarchist war, ausgerechnet als Monarchist diese Verfassung verteidigen wollte und verteidigen musste, an der er eigentlich gar nicht hing. Er hatte 1933 nur die Möglichkeit – und das ist sozusagen die Tragik, wir wissen, wie sie geendet hat: Die Menschen damals wussten ja nicht, was das Ende war und sein konnte –, zu entscheiden zwischen einer Militärdiktatur unter Schleicher auf der einen Seite oder einer Koalitionsregierung unter Hitler auf der anderen Seite. Deutschland stand 1932 – auch das muss man sich einmal in Erinnerung rufen – kurz vor einem Bürgerkrieg. Deutschland hatte riesige wirtschaftliche Probleme – 8 Millionen Arbeitslose –, und die politischen Extreme wurden immer stärker. Die Nazis hatten seit Sommer 32 230 Abgeordnete im Reichstag von, ich glaube, knapp 600 Mandaten. Das Bestreben Hindenburgs war – da muss man auch versuchen, seiner Figur gerecht zu werden –, einerseits so lange wie möglich die Nazis zu verhindern, auch natürlich die Kommunisten zu verhindern, weil er die Weimarer Verfassung verteidigen wollte. Er hat sich lange Zeit gesträubt, Hitler, von dem er eigentlich nicht viel hielt, zu berufen. Sie kennen alle den Ausspruch, dem kleinen Gefreiten traue ich sowieso nichts zu – er, der große Hindenburg –.
Er hat sich dann aber entschieden in der Frage: Was mache ich eigentlich? Militärputsch, Staatsstreich von Schleicher auf der einen Seite, oder Koalitionsregierung mit der DNVP und NSDAP auf der anderen Seite? – , um zu sagen: Dann soll Hitler es mal versuchen.
Heute zu urteilen, ist leicht. Aber zu urteilen in jener Zeit, nach drei Präsidialregierungen, dem Elend der Weimarer Republik, 1932 Wirtschaftskrise mit bis zu 8 Millionen Arbeitslosen – ich habe es gesagt –und dem bevorstehenden Bürgerkrieg, ist
deutlich schwerer. Heute können wir sagen: Er hätte das kleinere Übel wählen sollen. Das kleinere Übel wäre gewesen, von Schleicher an die Macht zu lassen mit einer Art von Militärdiktatur, nachdem die Demokratie durch einen Reichstag, in dem, wie ich auch schon erwähnt habe, Kommunisten und Nazis die Mehrheit hatten, eigentlich nicht zu retten schien. Seine Rolle, als er Hitler, gegen den er sich immer gewehrt hat, zum deutschen Reichskanzler berief –, den Mann übrigens, der, Herr Momper hat es gesagt, mit Abstand die stärkste Partei im Reichstag stellte, ein Drittel der Deutschen haben absurderweise NSDAP gewählt, und wie sich Hindenburg nach 1933 instrumentalisieren ließ, ist Teil seiner Tragik. Der Tag von Potsdam ist genannt worden und wie er als greiser alter Mann Dinge unterschrieben hat, von denen man eigentlich erwartet hätte, dass er als Reichspräsident sie nicht hätte unterschreiben müssen – auch hier nur das Stichwort Ermächtigungsgesetz.
Ich glaube, wir müssen in einem Gesamtkontext auch solchen historischen Persönlichkeiten gerecht werden, und es nützt wenig, wenn wir jetzt mit einem Kurzschlussantrag versuchen, hier Geschichte und historische Persönlichkeiten in fünf Minuten zu bewerten. Damit werden wir diesen historischen Persönlichkeiten nicht gerecht. Deshalb sind wir sehr dafür, dass wir darüber noch einmal diskutieren und abwägen, am besten ohne den Blick durch die rot-rote, grüne oder schwarze Brille irgendeiner Ideologie, sondern sachlich und objektiv.
Der Vorschlag von uns wäre: Eine Historikerkommission sollte sich mit verschiedenen Persönlichkeiten, die alle in dieser Stadt umstritten sind, befassen und darüber nachdenken, wer als Ehrenbürger noch tragbar ist. Da fallen mir noch ein paar andere Namen ein. Worüber die Historikerkommission auf keinen Fall reden sollte – da sollten wir uns als Demokraten einig sein –, ist, dass Namen von Mauertoten hier endlich auch eine Straße oder Platz verdient haben und dass wir diese angemessen würdigen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Ströver, ich wollte Ihnen vorhin widersprechen. Ich hatte mir das fest vorgenommen, als Sie beim ersten Hören mit der kühnen
Es braucht eine intensive Diskussion, sagten Sie. Dem wollte ich widersprechen. Ich musste mich in den letzten Minuten arg revidieren. Mir geht es eigentlich nicht gut, nach dem, was ich gehört habe.
Ich muss Ihnen auch sagen, warum, Sie brauchen nicht in so ein merkwürdiges Gelächter auszubrechen. Ich darf zitieren aus den Drucksachen des Abgeordnetenhauses von Berlin, 1. Wahlperiode – hören Sie bitte zu –, es stammt aus dem Jahre 1953 – ein bisschen mühsam zu finden, aber selbst Sie müssten es finden, bemühen Sie die Bibliothek.
1. Personen, die sich um Berlin in hervorragender Weise verdient gemacht haben, kann das Ehrenbürgerrecht von Berlin verliehen werden.
Ehrenbürgerrecht hat etwas mit Auszeichnung der zu ehrenden Person zu tun. Ehrenbürgerrecht heißt aber auch: Eine Stadt, eine Kommune definiert über die Verleihung der Würde eines Ehrenbürgers ihre eigene Identität. Mit der Ehrenbürgerliste zeigt eine Kommune, wes Geistes Kind sie eigentlich ist.
Solche Listen sind dann auch tatsächlich nicht Zufallspunkte, sondern dem jeweiligen Zeitgeist überlassen, den Goethe seinerzeit definierte, „Was ihr hier den Geist der Zeiten nennt – der Herren eigener Geist, der ist es stets gewesen“. Genau aus diesem Grunde haben die Abgeordneten dieses hohen Hauses der ersten Wahlperiode einen Passus IV eingebaut:
Erweist sich der Beliehene durch sein späteres Verhalten, insbesondere durch Begehung einer entehrenden Straftat oder durch Verletzung der demokratischen Staatsordnung, der Auszeichnung unwürdig, wird ein solches Verhalten nachträglich bekannt oder wird nachträglich festgestellt, dass die Voraussetzungen der Verleihung zum Zeitpunkt der Verleihung nicht vorgelegen haben, kann das Ehrenbürgerrecht etc. aberkannt und der Ehrenbürgerbrief zurückgefordert werden.
Gar nicht „Schlaumeier“! Das ist einfach ein Zitat. Lassen Sie diese Sprüche endlich sein. Schauen wir in die Verleihungsurkunde und in die diversen Begründungen, und ich werde wortwörtlich zitieren. Die Vorgängerinnen und Vorgänger dieses Hauses haben im Jahr 1933 festgestellt, es ist nicht die Reputation Herrn von Hindenburgs gewesen, es sind nicht die Taten im Ersten Weltkrieg gewesen, die man durchaus auch als organisierten Massenmord einstufen kann und einstufen muss, – –
Nicht Quatsch! Schauen Sie genauer in diese Untersuchungen, die vorliegen, Herr Dr. Lindner, ignorieren Sie doch nicht einfach die Geschichte. Schauen Sie darauf, wie die Liste der seinerzeit von den Alliierten zur Auslieferung beantragten Kriegsverbrecher aussah, dann werden Sie einige Namen finden, die in den Geschichtsbüchern stehen.
Ich zitiere, 1993 erklärten die 86 NSDAP- und DNVP-Abgeordneten der Stattverordnetenversammlung von Berlin:
In Würdigung der Verdienste, die sich der Herr Reichspräsident von Hindenburg und der Reichskanzler Adolf Hitler um die nationale Wiedergeburt der Stadt Berlin erworben haben, wird die Ehrenbürgerwürde verliehen.
In Würdigung um die „nationale Wiedergeburt“: Herr Dr. Lindner, schauen Sie bitte in den diversen Lexika zur Geschichte des Dritten Reichs bzw. der NSDiktatur nach, was sich hinter dem Begriff „nationale Wiedergeburt“ verbirgt. Ursächliche Verdienste um die Stadt Berlin kann man beim besten Wissen und Gewissen nicht feststellen. Hindenburg, der hier so beschworen wurde als derjenige, der tapfer auf seinem Amtssessel die Demokratie und Verfassung von Weimar vor Schlimmsten bewahrt hat, gehört tatsächlich – wenn man genauer nachschaut – zu denjenigen, die die Dolchstoßlegende noch vor dem 9. November 1918 kreiert haben, Herr Momper.
Paul von Hindenburg hat seinerzeit diesen tödlichen Virus, der entscheidend mit zum Untergang der Weimarer Republik beitrug, zum Untergang der ersten deutschen Demokratie, in die Welt gesetzt. Er hat das, womit er im September 1918 in enger Kooperation mit Herrn Ludendorff antrat – nach der Niederlage der letzten deutschen Offensive an der Westfront –, auch tatsächlich Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre in die Realität umgesetzt. Er hat dieser Demokratie, auf die er einen Eid geleistet hatte, den Todesstoß versetzt, und das kann man nicht auf
irgendwelche Senilitätsfaktoren zurückführen. Er hat gewusst, was er tat Ende der 20er Jahre, als das SPD-Kabinett aus der Regierungsverantwortung getrieben wurde. Zur Notverordnungspolitik hätte es Alternativen gegeben. Er war verstrickt in dieses die Nazidiktatur vorbereitende System, durchaus auch materiell bedingt. Das wissen auch alle, Stichwort: Osthilfeskandal. Was er dann tat, war nichts anderes als eine Fortsetzung dessen, womit er begonnen hat. Nichts anderes.
Insofern finde ich es schon merkwürdig, wenn ich jetzt hier Verrenkungen erleben musste, die versuchten, das Ganze zu entschuldigen. Es ist wirklich kein Zufall, dass er auf diese Liste kam. Ein Zufall ist es eher, dass er noch drauf ist, und es ist an der Zeit, dass wir dieses korrigieren.
Frau Kollegin Ströver hat Herrn Kollegen Stölzl zitiert. Ich möchte dieses Zitat nicht wiederholen. Bleibt Paul von Beneckendorff und Hindenburg auf dieser Liste, dann sollten wir auch den Mut haben, sein Portrait in die Ehrenbürgergalerie dieses Hauses zu hängen, und zwar nicht in irgendeine dunkle Ecke, wo man dann verschämt ausländische Gäste, die sich eventuell daran stören könnten, drum herum führt, sondern dann sollen alle sehen, zu welchem Geist wir uns mit einer solchen Entscheidung bekennen. – Ich sage aber, er gehört runter!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ganz zum Schluss einmal wieder Kultur, heute eher im historischen Winkel. Paul von Hindenburg, um den es jetzt geht, hat in seinen späten Lebensjahren fatale Entscheidungen getroffen, die der Diktatur Hitlers den Weg ebneten. Trotzdem findet sich sein Name immer noch auf der Liste der Ehrenbürger Berlins.
Wie gehen wir heute, nachdem wir um die Folgen seiner Entscheidung wissen, mit dieser Tatsache eigentlich um? Sollen wir nun Paul von Hindenburg aus dieser Liste streichen, und zwar nur ihn? Natürlich könnte man sich jetzt überlegen, ob wir einen Kriterienkatalog entwickeln, anhand dessen wir alle 111 Namen, die auf dieser Liste stehen, überprüfen. Aber welches sind denn die richtigen Kriterien? Und, um Gottes willen, wer definiert sie denn? Wir, die Generation, die dankenswerter Weise Krieg und Diktatur nie am eigenen Leib erfahren mussten? Ein nachträgliches Korrigieren hat immer den Anstrich von nachträglicher Geschichtsklitterung, von nach
träglicher Korrektur von Entscheidungen, die damals 1933 in einem ganz anderen zeitlichen Kontext getroffen worden sind. Wo ist hier der Anfang, und wo ist hier das Ende?
Ich denke, uns muss besonders deutlich werden, in welcher Verantwortung wir stehen, wenn es darum geht, zukünftige Ehrenbürgerwürden zu verleihen, und nach welchen Kriterien wir dieses vornehmen. Wie werden wir diese Entscheidungen irgendwann einmal in einem geschichtlichen Rückblick bewerten müssen? Ich denke, jetzt kann nur gelten, die Liste aller Ehrenbürger so zu nutzen, dass wir uns der wechselvollen Geschichte Berlins stellen und aus ihr lernen. Eine Bitte sei mir am Schluss gestattet: Machen Sie den Kulturausschuss nicht zum Debattenzirkel um historische Fragen, sondern lassen Sie uns endlich anfangen, die Probleme dieser Stadt zu lösen. – Vielen Dank!
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Damit haben wir diesen Antrag so überwiesen.