Protokoll der Sitzung vom 28.11.2002

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Für die CDU-Fraktion hat nunmehr Herr Abgeordneter Wellmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ritzmann! Ihr erster Antrag ist eigent

lich schon Allgemeingut. Die gleichen Forderungen finden Sie im Scholz-Bericht,

[Ritzmann (FDP): Rhetorisch!]

wobei ich sagen muss, die Beschlüsse des Senats zu diesem Bericht – da gibt es ja die Schlussfolgerung aus dem Abschlussbericht der Expertenkommission – ergehen sich in blumigen Phrasen und nebelhaften Anspielungen. Konkretes steht dort nicht. Da ist z. B. vom kooperativen Sozialstaat die Rede als Leitbild, was in die Irre führt, weil es kein Sozialstaatsproblem ist. In den Stellungnahmen des Senats zu den einzelnen Verwaltungsbereichen ist auch kaum über Konkretes die Rede, es müsse noch abgestimmt, nachgeprüft und untersucht werden – was, weiß man nicht.

[Ritzmann (FDP): Neue Kommission!]

Tatsache ist, dass der Senat an die Strukturen nicht einmal ansatzweise herangegangen ist. Der Senat versucht, durch sehr grobe Maßnahmen wie Arbeitszeiterhöhungen Sparerfolge zu erzielen. Das reicht aber nicht. Einem fällt immer wieder der Satz vom alten Tucholsky in dem Zusammenhang ein – „das deutsche Schicksal, vor einem Schalter zu stehen, das deutsche Ideal, hinter einem Schalter zu sitzen.“

[Wieland (Grüne): Ja, das ist so!]

Wenn man aber nun genau hinsieht, was sich da abspielt, dann gibt es Dinge, die man gar nicht glauben will. Da gibt es das Bauressort in jenem großen Südbezirk, in dem sage und schreibe 700 Mitarbeiter tätig sind – in einem Ressort in einem Bezirk!

[Wieland (Grüne): In Ihrem Bezirk!]

Ich sage jetzt nicht, in welchem, Herr Wieland! – Da müsste dem Finanzsenator, der jetzt nicht da ist, das Wasser in die Augen schießen. Das kostet nämlich muntere 70 Millionen Mark jedes Jahr, nur Personalkosten!

[Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

Da sind staatlicherseits ungefähr 400 Gartenbauarbeiter, Friedhofsarbeiter und alles Mögliche beschäftigt. Die müssen wir privatisieren. Die müssen in private Firmen. Die Vermessungsämter können wir privatisieren. Die Planungsämter können wir deutlich herabzonen. Warum gibt es in den Hochbauämtern in den Bezirken jeweils mehrere Dutzend Bauleiter als alten Zeiten, als Berlin noch eigene Bauvorhaben hatte? – Die sind aber längst vorbei. Die Bauleiter können wir auch einsparen. Und dass die bezirklichen Wohnungsämter wegfallen können, das bestätigt Ihnen inzwischen jeder Bezirksbürgermeister. Nach meiner Kenntnis sparten Sie da mehrere Hundert Stellen in Berlin, ungefähr 300 Stellen.

[Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

Mit einigen erfahrenen Leuten mache ich Ihnen ein Konzept, das in den Bauressorts mit einem Bruchteil der Leute auskommt, wozu auch gehört, dass wir die zahlreichen Gesetze durchforsten und möglichst viele davon abschaffen müssen. Jetzt kommt natürlich von Ihnen das Totschlagargument, wir könnten doch die 700 Leute nicht auf

die Straße setzen. Das will auch keiner, das passiert auch nicht, aber wir müssen doch erst entscheiden, was wir politisch wollen, wohin wir politisch wollen und welche Aufgaben der Staat noch wahrnehmen will.

[Dr. Lindner (FDP): Sehr richtig!]

Und dann müssen wir uns überlegen, was wir mit den Leuten machen und in welchem Zeitraum wir das machen.

[Beifall bei der FDP]

Ich weiß, jedem guten Sozialdemokraten blutet sein Gewerkschaftsherz, wenn er Bürokratie abbauen soll und wenn er dabei auch noch Stellen spart. Das bestätigt ein hervorragender Zeuge, der Kollege Lindner hat ihn schon zitiert, der Herr Tilman Fichter heute im „Tagesspiegel“. Fichter ist derjenige mit dem Satz: „Unter den Talaren der Muff von 1 000 Jahren“.

[Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

Wenn ich mir Rot-Grün im Bund angucke, dann ist der Spruch im Moment sehr aktuell. – Fichter, bis vor kurzem Bildungsreferent der SPD, attestiert Ihnen, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD, Sie seien zur Partei des öffentlichen Dienstes denaturiert.

[Zuruf des Abg. Dr. Flemming (SPD)]

Da weiß jeder, Herr Schimmler, warum sich Ihre Partei bei der Beschneidung des öffentlichen Dienstes gerade so schwer tut.

[Dr. Flemming (SPD): Wer steht denn vor dem öffentlichen Dienst? Herr Zimmer!]

Es hilft alles nichts. Wir müssen an die Strukturen heran. Wir müssen den Menschen die Wahrheit sagen, was noch geht und was nicht geht, was wir noch brauchen und was wir nicht brauchen. Deshalb werden wir den FDPAnträgen zustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Danke schön! – Für die PDS-Fraktion hat nunmehr Herr Abgeordneter Klemm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Ritzmann! Sie haben Ihre Anträge hier in sehr grundlegenden Worten gelobt und über Zukunftschancen geredet, über wesentliche Strukturveränderungen, über Staatsaufgabenkritik, über Aufgabenreduktion – alles richtig! Ich habe – offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen – die Anträge gelesen, denn das deckt sich nicht ganz mit Ihren großen Worten.

Herr Wellmann, Sie haben mich besonders verblüfft. Es ist schade, dass die CDU erst jetzt so weit ist, zu sagen: Geben Sie mir eine Hand voll Leute, und ich baue 700 Stellen ab. – Sie haben in den vergangenen Jahren in der Stadt regiert. Hätten damit schon früher angefangen, wären wir jetzt weiter.

[Beifall bei der PDS]

Aber in einem haben Sie Recht, auch und gerade im Baubereich finden sich Einsparpotentiale. Die Koalition ist dabei, diese auszuloten und sie dann auch auszuschöpfen. Das ist völlig klar.

Und, Herr Ritzmann, weil ich die Anträge durchgelesen habe, war ich dann doch ziemlich verblüfft. Dem Kollegen Schimmler ist es immerhin noch gelungen, in Ihrem ersten Antrag einen Sinn zu finden. Das ist mir nicht wirklich gelungen. Da kann man sich Punkte heraussuchen, über die wir gerne diskutieren können. Berlin soll Beteiligungen veräußern, steht dort. Welche, könnte man fragen. Aufgaben durchforsten – glaube ich gerne, sehen wir auch ein. Organisation straffen – wo, wie? – Der erste Antrag gehört in die Rubrik: Anträge, die das Parlament nicht braucht. Das ist auch eine Form von Bürokratie, wenn wir uns mit Anträgen befassen, mit denen wir nichts anfangen können. Ich wüsste gar nicht, in welchen Ausschuss wir diesen Antrag überweisen sollten. Dort steht nichts. Es ist eine misslungene Präambel, ein Inhalt findet sich dort nicht.

[Beifall bei der PDS – Beifall des Abg. Wieland (Grüne)]

Mit den Anträgen zwei bis vier kann man schon etwas anfangen, weil sie zumindest die Position der FDP klarstellen und weil dort auch Forderungen stehen, mit denen man durchaus leben kann, natürlich auch Forderungen dort stehen, von denen ich deutlich sage: Da widersprechen wir Ihnen, da haben wir andere politische Ansätze. – Zur Stadtplanung sage ich Ihnen: Ein guter Versuch, der Rat der Bürgermeister ist da weiter und will das Ausführungsgesetz zum Baugesetzbuch jetzt novellieren.

[Dr. Lindner (FDP): Den Rat der Bürgermeister wollen wir auch abschaffen!]

Da braucht man eine grundlegende Herangehensweise, aber Ihr Grundansatz, die Bezirke sowohl in der Bereichsentwicklungsplanung zu schwächen als auch den Rat der Bürgermeister bei der Festsetzung von Gebieten von außergewöhnlicher städtischer Bedeutung herauszunehmen – –

[Dr. Lindner (FDP): Der Rat der Bürgermeister gehört abgeschafft!]

Ja, das ist Ihre Position, dass der Rat der Bürgermeister abgeschafft gehört. Wenn Sie das an dieser Stelle tun, laufen Sie Gefahr, genau das Gegenteil zu erreichen. Sie können in einer Dreimillionenstadt nicht alle Entscheidungen zum Thema Stadtentwicklung auf die Verwaltungsspitze heben und dann noch meinen, dass sie vor Ort, z. B. für den Mittelstand, greifen. Das ist genau ein Irrweg. Das ist Ihre Ideologie, aber mit der Praxis hat das schlichtweg nichts zu tun.

[Beifall bei der PDS – Beifall der Frau Abg. Flesch (SPD)]

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ritzmann?

Ja, gerne!

Bitte sehr!

Herr Kollege! Können Sie sich mit dem Gedanken anfreunden, dass es durchaus Sinn hat, zuerst die Ziele und die Grundlinien zu definieren, bevor man dann in einer langen Reihe großer Ansätze Sparvorschläge, Strukturveränderungen anbringt, und nicht einfach konzeptlos herangeht?

Ja, damit kann ich mich sehr wohl anfreunden. Ich wäre auch sehr zufrieden, wenn Ihnen das mit dem ersten Antrag gelungen wäre.

[Ritzmann (FDP): Es ist gelungen!]

Lesen Sie ihn!

[Ritzmann (FDP): Lesen Sie ihn doch mal!]

Sie finden die Grundtendenz nicht. Hätten Sie den ersten Antrag als Präambel in Ihre Rede gesetzt, hätte er mehr Substanz als so. Es ist einfach ein schlechter Antrag. Der Versuch ist löblich, er ist aber nicht gelungen, jedenfalls nach meiner Meinung. Damit müssen Sie dann leben.

Diese Zentralisierungstendenz halte ich für falsch, weil sie Verwaltung eher auf- als abbaut. Das gilt auch für Ihren Ansatz zur Denkmalschutzbehörde. Gerade in dem Bereich haben wir eine relativ straffe Behörde. Von einer Überausstattung kann man in diesem Zusammenhang nicht reden. Wenn Sie bei der Denkmalschutzbehörde die bezirklichen Denkmalschutzämter abschaffen wollen, dann verlagern sie Entscheidungen auf höhere Ebenen, verlangsamen Prozesse wie die Erarbeitung von Bebauungsplänen und erreichen genau das Gegenteil dessen, was Sie wollen.