Protokoll der Sitzung vom 16.01.2003

Das nächste Thema bei der Bankgesellschaft ist aber, dass alle Kassandrarufe von März oder April 2002, die wir von uns gegeben haben, Wirklichkeit geworden sind. Ich erinnere daran, meine Fraktion hat zusammen mit den Grünen und der CDU darum geworben, dass wir klar festlegen, inwieweit und in welchen Abständen dieses Parlament von der Bankgesellschaft über den Fortgang der Verhandlungen, über die Inanspruchnahme der Abschirmung, der Garantien informiert wird. Das hatten wir alles verlangt.

[Beifall des Abg. Dr. Steffel (CDU)]

Was ist passiert? – Bis heute hat die wiederum von Ihnen beschlossene Controllinggesellschaft noch nicht einmal das operative Geschäft aufgenommen. Auch hierzu benötigen Sie Ewigkeiten. Eine Gesellschaft kann man in ein, zwei Stunden bei FORIS kaufen, man muss zum Notar gehen, einen Geschäftsführer bestellen. Man benötigt nicht anderthalb Monate dazu, um letztlich in einem, wie Sie selbst sagten, elementaren Bereich für Berlin erneut nichts bieten zu können. Das ist die übliche Geschwindigkeit, mit der in Berlin Dinge umgesetzt werden.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der FDP – Beifall des Abg. Dr. Steffel (CDU)]

Ein weiteres Kapitel ist Ihre Standortpolitik.

[Dr. Steffel (CDU): Welche denn?]

Ja, welche denn? Herr Steffel, das ist tatsächlich eine berechtigte Frage. – Vor ein paar Wochen stand der zurzeit erkrankte Herr Wolf hier und erklärte anlässlich seines Amtsantritts, spätestens Weihnachten gebe es ein abgestimmtes Konzept zur One-Stop-Agency. Nichts gibt es, nur ein ganz lausiges zweiseitiges Papierchen, das haben wir gestern im Hauptausschuss überreicht bekommen, dort sind einige Spiegelstriche darauf. Per Spiegelstrich sind ein paar Sachen erwähnt, die schon lange bekannt sind, zum Beispiel eine Fusion von Medienbüro und Filmboard, die bereits in den Schiphorst-Papieren vor einem Jahr erwähnt worden sind. Zu dem notwendigen Herauslösen der IBB aus dem Bankgesellschaftskonzern und zum Verhältnis zu brandenburgischen Einrichtungen nichts, aber auch gar nicht.

Herr Kollege Dr. Lindner! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoff?

Nein, ich möchte im Zusammenhang sprechen.

[Zuruf des Abg. Hoff (PDS)]

Im Übrigen der lapidare Hinweis, dass das Konzept im Moment in einer Arbeitsgruppe im Rat der Bürgermeister diskutiert wird. Das kann dauern. Die Never-ending-Story wird fortgesetzt.

Genau so dilettantisch, wie Sie bei der Verwaltungsreform, Privatisierungen und Standort politik vorgegangen sind, haben Sie sich bei den Solidar

paktverhandlungen verhalten. Es mangelte von Anfang an an einem Gesamtkonzept für den öffentlichen Dienst. Die Beschäftigten in der Verwaltung, aber vor allen Dingen auch alle anderen Berlinerinnen und Berliner haben ein Recht darauf zu erfahren, wohin die Reise geht, was die Kernaufgaben des Staates sind, welche Behörden gestrafft oder abgeschafft werden, welche Gesetze und Vorschriften erhalten bleiben und wie viel Verwaltung zur Bewältigung dieser Aufgaben es noch braucht. Das muss am Anfang stehen. Hier muss ein klarer Horizont für alle Beschäftigten her, verbunden mit einer ganz klaren Aussage zum Umfang des Personalabbaus.

Mit einem solchen Konzept geht man in Verhandlungen hinein. Man verhandelt nicht einfach ins Blaue hinein. Das Scheitern der Solidarpaktverhandlungen konnte insoweit nur einen Trottel oder einen vollkommen Ahnungslosen verwundern.

Die Konsequenzen, das ist genau so ein Stück der Wahrheit, die Sie aus dem Scheitern der Verhandlungen und vor allen Dingen aus dem Tarifabschluss von Potsdam gezogen haben, unterstützen wir gleichwohl – und dabei sind wir offenkundig die einzige Oppositionsfraktion. Es war richtig, aus den Arbeitsgeberverbänden auszusteigen. Berlin kann es sich nicht leisten, diesen faulen Kompromiss von Potsdam zu übernehmen. Diese Stadt kann vom öffentlichen Dienst nicht restlos ausgeblutet werden, das muss man ganz klar sagen. Schon jetzt geben wir fast die kompletten Primäreinnahmen für das Personal aus. Damit hier gar kein Missverständnis entsteht, der Anspruch, für gute Arbeit auch gutes Geld zu bekommen, ist nicht falsch oder unmäßig. Auch die Gewerkschaften und insbesondere Verdi haben hier in Berlin aber die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen.

Herr Regierender Bürgermeister! Sie sollen Ihre Richtlinienkompetenz haben. Aber wir können bei dieser Gelegenheit gleichzeitig den Rat der Bürgermeister abschaffen. Klare Verantwortlichkeiten, Effizienz und vor allem Geschwindigkeit sollten endlich Einzug in diese Stadt halten.

[Beifall bei der FDP]

Finanzpolitisch haben Sie ebenfalls nichts, oder schlimmer noch, Schlechtes für diese Stadt getan. Mit einer relativ geringen Absenkung des Gewerbesteuerhebesatzes hätten Sie Unternehmen einen Anreiz bieten können, nach Berlin zu kommen oder nicht in das Umland abzuwandern.

[Liebich (PDS): Wunschträume! Hat noch nie funktioniert!]

Sie hätten mit einer Absenkung des Satzes gleichzeitig für eine deutliche Erhöhung des Gesamtaufkommens sorgen können. Hier hätte das Absenken der Steuer wie gewöhnlich zu einer Erhöhung der Einnahmen geführt.

[Liebich (PDS): Das hat ja super funktioniert in den letzten Jahren!]

Aber auch hierzu fällt Ihnen nichts ein. Steuererhöhungen, das ist das linke Credo, das ziehen Sie auch an dieser Stelle durch. Sie haben gleich gut angefangen mit der Grundsteuererhöhung. Ende Oktober ging von Berlin die Initiative aus zur Einführung von Vermögen- und Erbschaftssteuer.

[Liebich (PDS): Richtig!]

Richtig, Herr Liebich. Wir werden Ihnen heute Gelegenheit geben – Sie haben auch damals sofort abgestimmt – zu zeigen, ob Sie auf der Seite der rot-grünen Bundesregierung, ihres Bundesvorsitzenden und Bundeskanzlers Schröder stehen, der, wie wir meinen, eine vernünftige pauschale Zinsabgeltungsteuer einführen will, und zwar anstelle der Vermögensteuer,

[Liebich (PDS): Quatsch, das können Sie vergessen!]

oder ob Sie Ihren finanzpolitischen Unsinn fortsetzen und ein spezielles Berliner Biotop erhalten wollen.

Auch hier, Herr Regierender Bürgermeister, erinnere ich Sie an einige Sätze Ihrer Regierungserklärung:

Stärkung der Wirtschaftskraft ist eine Kernaufgabe. Dafür gibt es 290 000 gute Gründe.... Wir haben die Pflicht, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sie eine Chance bekommen. Dafür werden wir arbeiten.

Durch Steuererhöhungen, noch mehr Regulierung, noch mehr Ämter schaffen Sie ganz prima gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft.

[Beifall bei der FDP]

[Beifall bei der FDP]

Wir befinden uns am Abgrund einer Rezession. In den meisten Betrieben, Handwerksunternehmen, mittelständischen Unternehmen, Dienstleistern geht es schon lange nicht mehr darum, wie man Löhne und Gehälter erhöht. Dort sitzen Betriebsräte zusammen, diskutieren Belegschaften mit den Chefs darüber, dass man das Streichen des 13. Monatsgehaltes und des Weihnachtsgeldes in Kauf nehmen muss. Das wird diskutiert, um den Arbeitsplatz zu erhalten. Das sind die Diskussionen, die außerhalb des öffentlichen Dienstes geführt werden. Dahin sollte Verdi auch endlich kommen.

[Beifall bei der FDP]

Deswegen haben die Menschen auch kein Verständnis mehr dafür, dass hier eine Parallelwelt aufgebaut wird, in der immer noch von 3 %igen Lohn- und Gehaltssteigerungen gesprochen wird, obwohl – und das ist auch richtig – die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst relativ sicher sind. Wir leben in einer Stadt, in der schon heute wegen der Finanznot dringendste Aufgaben nicht mehr geleistet werden können. Es tropft durch Turnhallendächer, Schulbücher und notwendige Schutzbekleidung für Polizisten können nicht angeschafft werden. Auch dies sollte Verdi im Auge haben, wenn sie sich morgen mit

keit erhält.

Ich mache Ihnen noch einen weiteren Vorschlag, wie Sie es schaffen können, voranzukommen. Wir müssen nämlich auch eine Öffnungsklausel im Bereich des Kündigungsschutzes haben. Hier ist es genau so: Das Kündigungsschutzgesetz ist für Unternehmen der Privatwirtschaft gemacht worden. Diese können sich im Insolvenzverfahren von personellem Überhang befreien. Das können die Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht. Deswegen muss in § 23 Absatz 1 des Kündigungsschutzgesetzes eine Öffnungsklausel hineingenommen werden, die klarstellt, dass Kündigungsschutz nicht für öffentlichrechtliche Körperschaften, nicht für Länder gilt, die sich in einer extremen Haushaltsnotlage befinden. Hier haben Sie einen ganz konkreten Hinweis, wie Sie es machen können, wie Berlin auch dann tatsächlich wie ein insolventes Unternehmen hinsichtlich des Personalumfangs zu einer Dimension gelangen kann, die nicht alles andere, was Staat zu leisten hat, erstickt.

Das Ziel muss sein, einen schlanken und effizienten Staat zu erhalten, der seine Kernaufgaben schnell und präzise bewältigt, einen Staat mit deutlich weniger Beschäftigten, die aber dann auch – und das ist die Kehrseite – wieder gut bezahlt werden können. Darauf haben die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes einen Anspruch, darauf haben die Bürgerinnen und Bürger Berlins einen Anspruch. Wachen Sie endlich aus Ihrer Schlafmützigkeit auf! Sie werden für das Handeln und nicht für das Reden bezahlt.

dem Innensenator zusammensetzen und die Verhandlungen beginnen. An Sie, Herr Körting, appelliere ich: Bleiben Sie hart, knicken Sie nicht ein wie Bundesinnenminister Schily, seien Sie sich der Verantwortung für diese Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger bewusst. Die Menschen in Berlin und vor allen Dingen die Schwachen in dieser Gesellschaft haben ein Anrecht darauf, dass dieser Staat sich wenigstens einen Rest von Handlungsfähig

[Beifall bei der FDP]

Lohn- und Gehaltsverzicht, Arbeitszeitverlängerung und Öffnung der Beamtenbesoldung sind Instrumente, die zur kurzfristigen Überbrückung einer extremen Haushaltsnotlage, in der sich Berlin befindet, dringend benötigt werden. Deshalb unterstützen wir das auch, meine Fraktion und auch ich ganz persönlich. Mittel- und langfristig bieten sie jedoch keine Perspektive für Berlin. Mittel- und langfristig muss es zu einer Sanierung der öffentlichen Verwaltung Berlins kommen.

Herr Regierender Bürgermeister! Sie selbst erklären in der letzten Zeit in jedem Interview, Berlin sei vergleichbar mit einem Unternehmen, dass sich in der Insolvenz befindet. Wieder einmal gut gebrüllt Löwe, unser bislang so zahnloser Löwe. Versuchen wir ausnahmsweise einmal, diesen Spruch ernst zu nehmen, und überlegen, was ein Insolvenzverwalter in vergleichbaren Situationen tut. Der stellt einen Sanierungsplan auf, trennt die profitablen von den weniger profitablen Teilen, überlegt sich, welche nicht profitablen Teile sanierungsfähig und -würdig sind und gliedert klar die Teile des Unternehmens aus, die geschlossen werden müssen. Als nächstes muss ein Investor gefunden werden für eine übertragene Sanierung oder für ein Insolvenzplanverfahren. Gleichzeitig wird ein Konzept aufgestellt, wie entsprechend Personal abgebaut wird und welche Personen konkret. Auf Berlin übertragen bedeutet dies: Konzentration des Staates auf seine Kernaufgaben, Abgrenzung des hoheitlichen Bereichs von den Aufgaben, die der Staat zwar zuständigkeitshalber erledigen muss, aber nicht zwingend durch eigene Kräfte, eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten, und im Gefolge dieser Verwaltungsreform, im Gefolge von Deregulierung müssen in Berlin – da brauchen wir uns nichts vorzumachen – 40 000 bis 50 000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst abgebaut werden, um das Ausgabenniveau von Hamburg etwa zu erreichen.

[Beifall bei der FDP]

Auch hier wird es nicht ohne betriebsbedingte Kündigungen gehen. Ich weiß schon, jetzt kommt der Einwand: Das geht alles nicht, das ist rechtlich nicht möglich. – Darauf antworte ich Ihnen: Schließen Sie sich unserem Vorschlag an, landesgesetzgeberisch tätig zu werden und das Personalvertretungsrecht zu ändern, damit wir zumindest auf das Niveau des Bundes kommen und die Mitbestimmung bei Kündigungen abschaffen. Schließen Sie sich dem an, dann können Sie endlich auch beweisen, dass Sie beim Mentalitätswechsel mitgekommen sind.

[Beifall bei der FDP]

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Schönen Dank, Herr Dr. Lindner! – Das Wort für die PDS-Fraktion hat nunmehr deren Vorsitzender, der Abgeordnete Liebich. – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Lindner! Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie am Ende Ihrer Wald- und Wiesenrede zum Thema gekommen sind und gesagt haben, wie Sie den Abschluss auf Bundesebene bewerten. Sie haben gesagt, der Abschluss von Potsdam sei ein fauler Kompromiss, der in Berlin nicht umgesetzt werden solle. Das sind klare und deutliche Worte, die ich von der CDU vermisst habe. Herr Steffel, Sie können zwar die Rhetorik von Klaus Wowereit bewerten und wie üblich den Mangel an Visionen beklagen, sie können viel über Symbolismus reden, aber auf eine Frage haben Sie keine Antwort gegeben: Findet die CDU in Berlin, findet die größte Oppositionspartei in Berlin, dass der Abschluss 4,4 % Gehaltserhöhung für den öffentlichen Dienst in Berlin übernommen werden soll, oder soll er nicht übernommen werden? Ja oder Nein? – Vor dieser Antwort haben Sie sich gedrückt, und das ist feige, Herr Steffel!

[Beifall bei der PDS und der SPD – Beifall des Abg. Wieland (Grüne)]