Protokoll der Sitzung vom 13.03.2003

Zusätzlich sollten sie Passanten ansprechen und diese an die Nase fassen. Kosten dieser Maßnahme: 10 000 € pro Teilnehmer. Wenn diese Maßnahmen eingespart werden, wird es von meiner Seite keine Kritik geben.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Auch diese Maßnahmen müssen unbedingt evaluiert werden. Das Umsetzungsproblem, eine Maßnahme zu konzipieren und dann auch – insbesondere, wenn es von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen, aber auch, wenn es von Steuermitteln geleistet wird – die Verpflichtung zu haben zu schauen, ob diese Maßnahme wirklich adäquat ist, hat auch noch einen weiteren Aspekt: Wer in dieser Maßnahme sagt, dass er an dem Erfolg selbiger zweifelt, dem kann es schon einmal passieren, dass in den langen Abschlussberichten seine Motivation angezweifelt wird und er Probleme mit der Bewilligung seiner Leistungen bekommt. Hier muss deutlich nachgebessert werden. Hier ist ein guter Ansatz in sein Gegenteil verkehrt. Hier sind sinnvolle Einsparmöglichkeiten notwendig.

Zum Abschluss der ersten Runde unterbreite ich noch einen Vorschlag, der versucht, die Probleme, die auf Bundesebene existieren, und die Probleme, die Berlin sowieso hat, zu verbinden. Es gibt das Job-Aqtiv-Gesetz und seit dem Januar dieses Jahres die Notwendigkeit einer Wartefrist. Wer also eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme, sprich: ABM oder SAM, durchlaufen hat, muss drei Jahre bis zur nächsten Maßnahme warten. Jetzt fehlt dieses Maßnahmepaket auch noch für Arbeitslosengeldempfänger. ABM und SAM gibt es nicht mehr für Arbeitslosenhilfeempfänger. Das passt alles gar nicht mehr. Ich frage die Parteien, die das vielleicht im Bundestag und in der Bundesregierung besser transportieren können: Wenn eine Maßnahme nur für sechs Monate bewilligt wird und sich überhaupt eine Person gefunden hat, auf die die Ansprüche und die Zuweisungsmöglichkeiten passen und die dann auch das Angebot, das zur Verbesserung der Infrastruktur an die Stadt gemacht werden soll, einlösen kann, gilt dann für diese Person auch die dreijährige Wartefrist? – Ich bitte ganz dringend darum, sich diese Maßnahme angesichts der Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit noch einmal zu überlegen. Unser Vorschlag wäre, sie auszusetzen.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Vielen Dank, Frau Kollegin Freundl! – Die erste Rederunde schließt mit der FDP. Das Wort hat der Kollege Lehmann. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Trendwende schaffen – innovative Arbeitsmarktpolitik für unsere Region – so lautet der Antrag der beiden Koalitionsfraktionen SPD und PDS für die heutige Aktuelle Stunde im Abgeordnetenhaus. Daraus lässt sich schon einiges ableiten.

Erstens geht daraus hervor, dass der Senat bislang noch keine Trendwende in der Arbeitsmarktpolitik geschafft hat. Sie suggerieren damit schon selbst, dass der Senat und damit auch SPD und PDS in der Arbeitsmarkt

politik hoffnungslos versagt haben und vor einem Scherbenhaufen stehen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Deshalb gleicht schon der Versuch, von innovativer Arbeitsmarktpolitik zu sprechen, der Quadratur des Kreises.

[Dr. Steffel (CDU): Es muss Rot-Rot verkraften!]

Sie beschuldigen Herrn Clement, die Zusammenarbeit aufgekündigt zu haben. Warum gehen Sie nicht einfach auf Ihren Bundeskollegen zu und versuchen, mit ihm das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen?

[Bm Wolf: Heute Abend! – Over (PDS): Ist ja auch ein Superminister!]

Das ist schön. Freut mich zu hören! – Anstatt in der Öffentlichkeit staatliche Investitionsprogramme für die Kommunen zu verlangen, sollten Sie sich lieber dafür einsetzen, wie man am besten den Kündigungsschutz

Und noch eine Frage muss in diesem Zusammenhang erörtert werden: Was passiert eigentlich mit dem Arbeitsmarktpolitischen Rahmenprogramm, wenn die vielen

Projekte nicht mehr finanziell abgedeckt werden können? – Das kann ich Ihnen ganz genau sagen: Das so genannte ARP ist auf mehrere Jahre angelegt. Ohne Planungssicherheit werden Sie entweder schnell ein neues ARP verabschieden müssen oder am besten überhaupt kein ARP mehr auflegen. Ich prophezeie Ihnen: Das wird so geschehen.

Was wir jetzt brauchen, ist eine schonungslose und tabufreie Evaluierung der Förderpolitik des Senats in der Arbeitsmarktpolitik. Das gilt übrigens für alle Bereiche. Dort, wo Förderung in Zeiten knapper Kassen sinnvoll ist, soll das auch geschehen, aber es ist beispielsweise nicht einzusehen, dass Hunderte von Weiterbildungsträgern in Berlin ohne Hinterfragung ihrer Ausbildungsqualität weiterhin unterstützt werden.

So macht es keinen Sinn, wenn zum Beispiel Projekte für junge Mütter mit Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt wahllos zusammengestrichen werden, gleichzeitig aber Umschulungsmaßnahmen weiterfinanziert werden sollen, wo schon jetzt klar abzusehen ist, dass der Bedarf auf dem Arbeitsmarkt in wenigen Jahren nicht mehr vorhanden ist.

lockert, den Flächentarifvertrag reformiert oder die Lohnnebenkosten senkt,

[Beifall bei der FDP und der CDU]

zum Wohle der Berlinerinnen und Berliner in unserer Stadt. Staatliche Investitionsprogramme dagegen helfen nicht und können das Problem allenfalls lindern. Die Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten haben das doch gezeigt. Anscheinend ist diese Entwicklung an Ihnen vorübergegangen.

[Cramer (Grüne): Wie ist das denn beim Transrapid?]

Doch kann ich mir vorstellen, dass Sie wahrscheinlich vor Freude im Dreieck gesprungen sind, als der Bundeskanzler angekündigt hat, ein Kreditprogramm für Städte und Gemeinden aufzufahren. Wir werden es ja morgen alle im Bundestag beobachten können.

[Henkel (CDU): Luft!]

Ich appelliere an Sie, Herr Senator: Springen Sie nicht auf diesen Zug auf! Noch mehr Förderprogramme bringen nichts. Sie erhöhen im Gegenteil damit den Förderungsdschungel, der sowieso schon in Berlin existiert. Ich wäre froh, Herr Senator, wenn Sie in Zukunft mehr Wirtschaftspolitik als Arbeitsmarktpolitik machen würden.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Benjamin Hoff?

Nein, das können wir vielleicht in der zweiten Runde noch machen. – Die Bundesanstalt für Arbeit hat kürzlich angekündigt, die Mittel für Förderprojekte im Jahr 2003 in Berlin und Brandenburg um insgesamt 300 Millionen € zu kürzen. Ich gehe einmal davon aus, dass in den nächsten Jahren weitere Streichungen auf der Tagesordnung stehen. Schon jetzt ist abzusehen, dass auch ab dem Jahr 2007 ESF-Mittel nicht mehr wie Milch und Honig fließen werden. Durch die EU-Osterweiterung und durch die Notwendigkeit, dass sich die Europäische Union eine neue Finanzverfassung geben muss, erhält Berlin in Zukunft nur noch einen Bruchteil der heutigen finanziellen Mittel. Im Klartext heißt dies doch: Die Arbeitsmarktpolitik in Berlin steht vor einem radikalen Wandel. Die Priorität, den zweiten Arbeitsmarkt mit öffentlichen Geldern zu stärken, wird so bald der Vergangenheit angehören. Deshalb muss der Senat schon jetzt Vorbeugemaßnahmen treffen. Leider denkt er bisher nicht daran. Zum einen werden im Nachtragshaushalt bei Ausbildungsplätzen und MDQM europäische Fördergelder vorgezogen. Was passiert aber danach? – Der Senat bleibt die Antwort schuldig. Zum anderen werden Lohnkostenzuschüsse für Betriebe gekürzt, obwohl diese Mittel auf Landesebene das Effizienteste sind, um arbeitslose Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.

[Zuruf des Abg. Over (PDS)]

[Zillich (PDS): Was jetzt?]

Natürlich Letzteres!

[Beifall bei der FDP – Zuruf der Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne)]

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Auch die Maßnahme der Bundesanstalt für Arbeit, nur noch diejenigen Träger zu unterstützen, die eine Vermittlungsquote von 70 % nachweisen können, halte ich für albern. In erster Linie muss es um die Ausbildungsqualität dieser Träger gehen.

Ich fordere den Senat daher auf, in den kommenden Monaten eine Konzeption vorzulegen, wie mit geringeren Geldern effektiver gefördert werden kann. Dazu gehört auch die Frage, ob es nicht sinnvoll erscheint, sich auf Problemgruppen zu fokussieren. Ich denke dabei an junge Mütter in Teilzeit oder an schwer vermittelbare Jugendliche. Wir haben mit unseren Anträgen, die in den nächsten Wochen sicherlich diskutiert werden, einen ersten Schritt dazu getan. Leider kann man dies, verehrte Frau Klotz, von Ihren Anträgen im Plenum nicht behaupten. Müsste ich ein Fazit daraus ziehen, so heißt die offizielle Marschrichtung der Grünen schlicht und einfach: Sie wollen die Zementierung des zweiten Arbeitsmarktes und verkaufen die „Luftnummer Hartz“ als Wundermittel.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Auch Sie sollten sich einmal ein paar Gedanken machen, wie Sie das alles finanzieren möchten. Glücklicherweise sind Ihre Kollegen in der Bundestagsfraktion schon weiter. Im Übrigen sitzen Sie dort auch in der Regierung, und Ihre Kollegin Dückert marschiert schon voran, wenn sie wieder ein zeitlich einheitliches Arbeitslosengeld fordert.

Wir haben einen Rückgang des privaten Verbrauchs. Das merken wir in Berlin zum Beispiel schmerzhaft daran, dass die Zahl der Touristinnen und Touristen aus der Bundesrepublik Deutschland zurückgeht, nicht aus dem Ausland. Das ist ein Hinweis darauf, dass wir zur Zeit

eine bundesweite Fehlentwicklung haben. Wir haben einen Rückgang der Investitionsneigung der Unternehmen. Das Problem ist nicht, dass Berlin keine Mittel hat, um sie für Wirtschaftsförderung zur Verfügung zu stellen, sondern dass trotzdem die Unternehmen nicht ausreichend investieren und wir deshalb diese Mittel nicht ausschöpfen können. Das ist die Realität.

In einer solchen Situation ist es besonders schwierig, gerade auch in einer Stadt wie Berlin, die auf Grund ihrer Geschichte anerkannte Strukturschwächen hat, gegen den Trend anzugehen. Das wissen wir alle. Da brauchen wir nicht das Spiel aufzuführen, dass Sie, weil Sie in der Opposition sind, sagen, die Wachstumsraten sind so schlecht, weil Rot-Rot an der Regierung ist. Nein, wir haben in der Stadt ein Strukturproblem, und es gebietet die Fairness, dieses festzuhalten.

Wir brauchen dringend die Strukturreformen auf der Bundesebene, unter anderem zur Senkung der Lohnnebenkosten. Hier muss eine Reform der Sozialversicherungssysteme einsetzen, die verhindern, dass Arbeit in diesem Land immer teuerer wird und deshalb Arbeit nicht mehr eingestellt wird. Wir brauchen einen Abbau bürokratischer Hemmnisse. Und gleichzeitig brauchen wir, Herr Lehmann, eine Stärkung der Nachfrage. Wir brauchen eine Verbesserung auf der Angebotsseite, aber wenn wir ernsthaft darüber reden – und das sagen mittlerweile alle ernst zu nehmenden Wirtschaftswissenschaftler –, dass die Deflation eine reale Gefahr ist, dann müssen wir auch die Nachfrageseite stärken. Deshalb habe ich gesagt, wir brauchen unter anderem auch ein kommunales Investitionsprogramm.

Wir werden in Zukunft auch weitere Vorschläge zur Entschlackung und Entbürokratisierung der Arbeitsmarktpolitik in Berlin machen und den Senat unter Druck setzen. Es ist nicht hinzunehmen, dass Senator Wolf in seinem Amt den Bereich Wirtschaft weiterhin vernachlässigt und sich gänzlich auf die Förderung der Arbeitsmarktpolitik konzentriert. Deshalb ist zu überlegen, ob ein Teil der Förderprogramme nicht in den Bereich Soziales abwandern sollte, damit die Wirtschaft in Berlin eine neue Chance erhält. Arbeitsplätze muss die Wirtschaft schaffen und nicht die öffentliche Hand. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Lehmann! – Es ist vermutlich richtig, dass Herr Senator Wolf die Große Anfrage für den Senat beantwortet. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass sowohl die Situation auf dem Arbeitsmarkt in Berlin als auch die rückläufige Wachstumsrate eine dramatische Entwicklung darstellen, eine Entwicklung, bei der wir versuchen müssen, mit den Möglichkeiten der Landespolitik gegenzusteuern. Es ist aber genauso richtig, dass dies kein isoliertes Berliner Problem ist, sondern dass wir es zurzeit mit einem bundesweiten Problem zu tun haben. Und das sage ich nicht, um mich und den Senat aus der Verantwortung zu nehmen, sondern ich sage es, weil es wahr ist. Wir haben zurzeit in der Bundesrepublik eine Besorgnis erregende Entwicklung in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb unter anderem wird die Regierungserklärung des Bundeskanzlers morgen mit so großer Spannung erwartet. Aus der Diskussion mit den Kolleginnen und Kollegen sowohl aus den Arbeitsministerien als auch aus den Wirtschaftsministerien der Länder wird diese Situation parteiübergreifend als eine betrachtet, in der dringend notwendig ist, dass von Seiten der Bundesregierung neue Rahmenbedingungen geschaffen und Strukturreformen ergriffen werden. Das gehört auch in die Verantwortung eines Länderministers, eines Senators in Berlin, diese Notwendigkeiten zu benennen und zu formulieren und in der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung zu sagen, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Denn wir haben zur Zeit eine Situation, in der wir nicht nur eine lang anhaltende Stagnation haben, sondern in der mittlerweile durchaus mit Anlass darüber diskutiert wird, ob wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht in eine deflationäre Situation kommen.

[Niedergesäß (CDU): Sind wir schon!]

[Beifall bei der PDS und der SPD]