Er meinte damit die Zerschlagung jener Demokratie, auf die er einst einen Eid geleistet hatte. Von Senilität zeugt seine durchaus reale Einschätzung der Situation des März 1933 nicht. Man muss dazu nicht den absolut unbefangensten Kronzeugen zitieren, den es überhaupt gibt: seinen langjährigen Staatssekretär Otto Meißner.
Wir sehen uns einig mit dem Brandenburgischen Bildungsminister Reiche – auch SPD –, der Hindenburg durchaus als Wegbereiter Hitlers empfindet und der am Rande der schon zitierten Potsdamer Veranstaltung sein Bedauern darüber ausdrückte, dass Hindenburg als Ehrenbürger Potsdams nicht gestrichen wurde.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, der CDU und der FDP! Bitte zeigen Sie den Mut, den die Potsdamer offensichtlich nicht hatten: Stimmen Sie gegen Ihren eigenen Antrag und bestätigen Sie durch diesen Schritt die politischen Essentials, zu denen Sie sich anlässlich der Ehrenbürgerschaftsverleihung an Marlene Dietrich erst vor ganz kurzer Zeit bekannt haben. Die preußische Diva Marlene hätte für ein anderes Verhalten keinerlei Verständnis. Stimmen Sie gegen Ihren eigenen Antrag! – Ich danke Ihnen!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 70 Jahre später erscheint uns die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Paul von Hindenburg durchaus nicht nur als ein Willkürakt nationalsozialistischer Diktatur, sondern auch als ungerechtfertigt im Hinblick auf seine politischen Entscheidungen. Da sind wir durchaus einer Meinung. Für Berlin hat Paul von Hindenburg schon erst einmal gar nichts getan. Nein, Hindenburg ist wirklich nicht die große einnehmende historische Figur.
Hindenburg wusste immer, was er tat. Er wusste es, als er im Herbst 1918 die Dolchstoßlegende in die Welt setzte, eine Verleumdung der ersten deutschen Republik, die – an Ihre Adresse – nicht nur Liebknecht und Luxemburg das Leben kostete, sondern einige Jahre später auch Friedrich Ebert, den ersten sozialdemokratischen Reichspräsidenten.
Hindenburg wusste, was er tat, als er Hitler auf den Kanzlerstuhl setzte. Er wusste, was er tat, als er eben diesem Hitler die Herrn von Schleicher verweigerte Reichstagsauflösung gewährte. Er wusste, was er tat, als er mit seinen Unterschriften die diversen Notverordnungen und das Ermächtigungsgesetz in Kraft setzte, und er wusste das auch in Hinsicht auf den ersten legislativen Schritt in Richtung Holocaust, dem Gesetz zur Wiederherstellung „des Berufsbeamtentums“.
Ausdrücklich auf seinen Einspruch hin wurde in diesem Gesetz die Kriegsteilnehmerklausel aufgenommen. Hindenburg hatte also auch unter den Bedingungen der Kanzlerschaft Hitlers Handlungsspielräume, und er hat sie genutzt, wo sie ihm nützlich erschienen. Er hat sie nicht genutzt, wo er sich zumindest im stillschweigendem Einverständnis mit den Maßnahmen der Nazis befand, und das war offensichtlich überwiegend der Fall. So etwas wollen Sie weiterhin als Ehrenbürger der „City for peace Berlin“ halten – unmöglich!
Hindenburg hat nicht nur, wie Steffen Reiche es jüngst ausdrückte, die Nationalsozialisten geadelt. Er hat ihnen eine entscheidende Scheinlegitimierung ihrer Terrorherrschaft verschafft, und das unterscheidet ihn denn schon vom einzigen Berliner Ehrenbürger des Dritten Reichs, dem anderen Ehrenbürger, dem Operettenkomponisten Paul Lincke. Um das festzustellen, brauchen Sie, verehrte Kollegen, denke ich, keine Kommission.
Es ist auch völlig überflüssig, die Grundsätze für eine künftige Verleihung der Ehrenbürgerwürde darzulegen. Diese sind in der Verordnung des Jahres 1953 hinlänglich definiert, übrigens auch die Kriterien für die Aberkennung. Das einzige offene Problem ist das der posthumen Ehrung. Auch über den Sinn von Ehrenbürgerwürden lässt sich auf der Grundlage dieser Verordnung nicht streiten. Die Stadt ehrt mit der Verleihung von Ehrenbürgerwürden immer sich selbst. Ehrenbürger sind die internationale Visitenkarte einer Kommune. Ausgerechnet Hindenburg soll diese Funktion erfüllen. Das meinen Sie doch wirklich nicht ernst.
Ehrenbürgerlisten sind eben nicht nur historische Dokumente, die Nachgeborene kein Recht zu ändern hätten, sehr verehrte Frau Fugmann-Heesing, so zu sagen ein Zettelkasten, aus dem man nach Belieben – mit Ausnahme des Erzschurken Hitler – die aktuellen Helden der jeweiligen Legislaturperiode herauszieht. Eben diese Argumentation stößt in der Beschlussempfehlung des Kulturausschusses ziemlich sauer auf.
Streichen wir ihn jetzt aber von der Ehrenbürgerliste? Ihn allein oder alle anderen, über die wir vorhin gesprochen haben, auch? Jedes Jahr eine neue Diskussion über Ehrenbürger, je nach politischer Richtung? Nutzen wir die Ehrenbürgerliste zum parteipolitischen Schlagabtausch untereinander? – 70 Jahre später wäre auch diese nachträgliche Korrektur ein einfacher Federstr
Heute, in der Welt, in der wir leben, in einem verhältnismäßig großzügigem Wohlstand, abends auf der Couch in einem Leben in Freiheit und Demokratie, ist unser Blick auf die Helden unserer Eltern und Großeltern natürlich ein aufgeklärterer. Die heute – natürlich folgenlose – Empörung bei Hindenburg ist zwar historisch richtig, aber nur leider wenig mutig. Sie dient einzig und allein der Eitelkeit von uns Spätgeborenen.
Die Liste so anzunehmen, wie sie ist, mit all ihren Brüchen in unserer Geschichte und der damit verbundenen Ermahnung, dass sich so etwas nie wieder wiederholen darf, ist in meinen Augen die sehr viel mutigere und sehr viel schwierigere Aufgabe, vor die uns diese Ehrenbürgerliste immer wieder stellt. – Vielen D
Wenn ich mir die SPD ansehe, tut es mir richtig weh. Wir hatten schon bei der ersten Einbringung des Antrags das Statement unseres Historikers und Präsidenten Walter Momper gehört. Er hatte für die SPD wahrscheinlich die Richtlinie vorgegeben. Frau Fugmann-Heesing hat noch einige Passagen von Professor Winkler nicht genannt. Diese waren wesentlich deutlicher. Es gibt Äußerungen von Hindenburg, die dokumentieren, dass er ganz genau wusste, was er tat. Warum haben Sie denn das nicht zitiert? Es ist schließlich im gleichen Raum geschehen.
Ich hätte mir gewünscht, dass Herr Walter Momper im Ausschuss und Professor Winkler in der SPD-Fraktion erschienen wäre,
dann wäre diese Diskussion vielleicht zu Ende geführt worden. Innerhalb des Ausschusses war es für mich eine Sternstunde der demokratischen Auseinandersetzung. Ich finde es hingegen ziemlich traurig, was hier im Parlament geschieht. Ich bitte zum Schluss trotzdem noch einmal die CDU und die FDP, sich von diesem Antrag zu lösen. Mir ist nicht ganz klar, ob Sie genau wissen, was Sie tun, oder korrigieren Sie Ihre Reden von heute Vormittag.
Danke schön! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so dass wir nun zur Abstimmung kommen. Ich lasse zuerst über den Änderungsantrag von SPD, CDU und FDP Drucksache 15/1438-1 abstimmen, der zum Begehr hat, die Beschlussempfehlung zu verändern. – Wer diese Veränderung möchte und dem Änderungsantrag seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke schön! Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit ist dies so beschlossen, und wir haben die Beschlussempfehlung geändert.
Frau Präsidentin! Vielen Dank! Meine Damen und Herren! Diese Beschlussempfehlung, die hier als Änderungsantrag angekündigt worden ist, ist kein Änderungsantrag, sondern ein Ersetzungsantrag. Für mich ist er ein Tiefpunkt des parlamentarischen Lebens, so lange ich hier als Abgeordneter tätig bin. Er ist es deswegen, weil die schwarz-rot-gelbe Hindenburg-Koalition nicht den Mut hatte, den klar gestellten Antrag der Fraktion der Grünen mit Ja oder Nein zu beantworten.
Sie hätten die Möglichkeit gehabt, diesen Antrag als einen gesonderten Antrag einzubringen; dann hätte man sich darüber unterhalten können. Sie schreiben hier: Änderung der Überschrift. Sie vollbringen hiermit die Ermordung einer Überschrift. Das ist eine dialektische Umdrehung eines Antrages, der eine andere Zielsetzung verfolgt.
Sie können ruhig darüber lachen. Ich kann es einmal vorlesen: „Paul von Hindenburg aus der Ehrenbürgerliste zu streichen“ und Sie bringen „Umgang mit der Ehrenbürgerliste“. Sie können doch selbst in Ihrer Vorstellung nicht die Konstruktion anbringen, dass dies hier nur eine Änderung ist. Es ist vielmehr die Umfunktionierung eines Antrages.
Herr Ritzmann, ich hoffe, dass Sie Ihre Rede von heute Mittag noch im Kopf haben. Herr Dr. Steffel ist seine Rede hoffentlich auch noch bewusst. Sie haben sehr viel über Demokratie und Freiheit und Diktatur gesprochen. Wir befinden uns mitten in einer Diktaturdebatte. Dazu gehört auch die Hindenburg-Frage. Wer sich einbildet, dass er durch Streichung eines Namens Vorwürfe entwickelt, er würde Geschichtsklitterung betreiben, dem kann ich nur entgegenhalten, dass dieses historische Dokument bis zum heutigen Tage erhalten bliebe. Wir würden wirklich selbst politisch entscheiden, wie wir uns zu dieser Frage in dieser Diktaturdebatte verhalten.
Bei Ihnen kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, wie Sie heute Ihre Reden hier zur Irakfrage halten konnten und gleichzeitig diesen Antrag tragen. Vielleicht lesen Sie sich Ihre Rede von heute noch einmal durch. Darin liegt so viel Widerspruch, dass ich das nicht so richtig begreifen kann. Das hat mit einer neuen Geschichtsdarstellung überhaupt nichts zu tun.
Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich gegen die Fraktion der Grünen bei Enthaltung der PDS die Annahme des soeben veränderten Antrags mit neuer Überschrift und in neuer Fassung. – Wer jetzt in namentlicher Abstimmung, die von der Fraktion der Grünen beantragt ist, dieser geänderten Beschlussempfehlung seine Zustimmung zu geben wünscht, müsste in der namentlichen Abstimmung mit Ja, bei Ablehnung mit Nein stimmen oder sich der Stimme enthalten. Ich bitte Sie zu prüfen, ob Ihre Karten richtig eingesteckt ist und die gelbe Lampe leuchtet. Ich höre keinen Widerspruch und beginne mit der namentlichen Abstimmung. Ich bitte darum, die Abstimmung während der Gongzeichen vorzunehmen.
Ich hoffe, Sie hatten alle die Möglichkeit, Ihre Abstimmung vorzunehmen. Ich schließe die Abstimmung.
Eine Beratung wird inzwischen nicht mehr gewünscht. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Eine Beratung ist nicht mehr vorgesehen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und mitberatend an den Ausschuss für Verwaltungsreform und Kommunikations- und Informationstechnik. Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann haben wir dies so überwiesen.