Protokoll der Sitzung vom 27.03.2003

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Auf diesem Weg hat die Polizei unsere volle Unterstützung und Anerkennung. Seit Wochen hat die Berliner Polizei mögliche Auswirkungen eines Kriegs im Irak für den Berliner Raum geprüft, Maßnahmen für die Zeit ab Kriegsbeginn wurden erarbeitet, um Gefahren abzuwenden. Viele der Maßnahmen mussten ohne öffentliche Bekanntgabe geplant und durchgeführt werden, mit anderen hat sich die Polizei an die Öffentlichkeit gerichtet – der Innensenator hat hierzu Details ausführlich geschildert.

Berlin ist als deutsche Hauptstadt zugleich das Zentrum des Protestes, stärker als Bonn dies jemals gewesen ist. Das ist mit zusätzlichen Belastungen für die Menschen verbunden, die im Zusammenhang mit Demonstrationen auch die eine oder andere Unannehmlichkeit in Kauf nehmen müssen. Die Berlinerinnen und Berliner ertragen das mit großer Gelassenheit. Neben diesen Belastungen gibt es aber auch Belastungen an anderer Stelle, das sei hier gesagt, nämlich in unserem Haushalt. Wir müssen erkennen, dass die Hauptstadtfunktion Berlins unseren Haushalt erheblich belastet, weil wir in ganz anderem Maße für Sicherheit sorgen müssen, als Bonn dies je tun musste. Daher werden wir bei der Neuverhandlung des Hauptstadtvertrages mit dem Bund darauf drängen und auch den Innensenator vehement in diesen Bemühungen unterstützen, dass der Beitrag des Bundes für die Wahrnehmung hauptstadtbedingter Sicherheitsaufgaben erhöht wird.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

[Dr. Lindner (FDP): Na, Gott sei Dank!]

Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Polizei und Verfassungsschutz all das tun werden, was nötig ist, um die Sicherheit in dieser Stadt zu gewährleisten. Wir dürfen uns allerdings keinen Illusionen hingeben: Absolute Sicherheit gibt es nicht, übrigens nicht einmal in einem Überwachungsstaat, und wer will den schon haben?

Was auch immer in den nächsten Wochen im Irak passieren mag – worauf wir keinen Einfluss haben werden –, wir alle haben in dieser Stadt Einfluss darauf, dass Berlin eine friedliche und tolerante Metropole bleibt. Lassen Sie uns dieses Gut gemeinsam bewahren. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Schönen Dank, Frau Kollegin Fischer! – Für die FDP erhält das Wort der Kollege Ritzmann – bitte schön!

Vielen Dank! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde der Verlockung widerstehen, hier eine Bundestagsdebatte nachzubilden. Ich möchte mich auf die Situation in Berlin, auf unsere Verantwortung konzentrieren.

Wie der Innensenator ausgeführt hat, ist die Sicherheitslage angespannt, auch wenn keine konkreten Hinweise auf Bedrohungen in Berlin vorliegen. Alle 16 000 Berliner Polizisten sind im Einsatz oder in Bereitschaft, fast 700 Objekte werden bewacht. Aber – es ist schon mehrfach angeklungen – in einem freiheitlichen Rechts

Auf welcher Demonstration fehlen die Schilder, bei denen George Bush mit Adolf Hitler verglichen wird, wo antiamerikanische Parolen propagiert werden? – Hier kommen wir doch zu einem großen Problem. Es vermischen sich berechtigte Anliegen verunsicherter Bürger, die für den Frieden auf die Straße gehen, mit Parolen von Extremisten aller Couleur und Richtung. Die amerikanische Fahne am Checkpoint Charlie wird seit Beginn des Kriegs immer wieder abgerissen und verbrannt. Gerade an diesem historischen Ort der deutsch-amerikanischen Freundschaft haben wir eine besondere Verantwortung.

Wer das problematisiert, ist noch lange nicht für den Krieg. Wer den Missstand benennt, kann die aktuelle Politik der amerikanischen Regierung trotzdem ablehnen. Ich tue dies.

Was kann verantwortliche Politik tun? – Ich fange damit an, was sie aus meiner Sicht nicht tun kann. Ich nehme als Beispiel den Po-Protest der PDS, den Sitzstreik vor der amerikanischen Botschaft in der Hoffnung, von der Polizei medienwirksam weggetragen zu werden. Nachdem die Polizei ausgeführt hat: Sie können hier sitzen, so lange Sie wollen –, wurde diese Aktion nach 30 Minuten abgebrochen. Selbst die linke „taz“ macht sich über diese Form des Aktionismus lustig.

staat kann es keine absolute Sicherheit geben. Insbesondere müssen wir darauf achten, dass wir die Freiheit schützen, ohne sie dabei selbst aufzugeben.

[Beifall bei der FDP, der PDS und den Grünen]

Gerade die islamistisch-extremistischen Gruppierungen, die bereits durch ihre Sprache Gewaltbereitschaft signalisieren, werden direkt durch die Polizei angesprochen. Es wird gesagt: Passt auf, wir haben euch im Visier, verhaltet euch nach unseren Regeln, dann könnt ihr agieren, wie ihr möchtet! – Durchsuchungen der Al-Nur-Moschee zeigen, dass die Sicherheitsbehörden auf der Fährte sind und frühzeitig, und bisher glücklicherweise auch rechtzeitig, einschreiten. Daraus ergeben sich aber für mich zwei Gefahren: Die eine resultiert aus der angesprochenen möglichen Bedrohung durch die islamistischen Extremisten. Die andere Gefahr besteht darin, dass aus Unkenntnis und Angst Menschen islamischen Glaubens vielleicht diffamiert und in Sippenhaft genommen werden. Dies darf nicht geschehen. 99 % der Menschen islamischen Glaubens sind friedliebend, tolerant und fester Bestandteil der kulturellen Vielfalt Berlins.

[Beifall bei der FDP, der PDS und den Grünen]

Am ersten Tag des Irakkrieges gab es 100 Demonstrationen in Deutschland, 30 davon in Berlin. Bundesweit 210 000 Teilnehmer, davon 150 000 in Berlin, also fast drei Viertel. Aus dem Umland kommen die Menschen nach Berlin, um ihr Grundrecht auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit auszuüben. Die deutsche Hauptstadt trägt den größten Teil der Last, sie bringt die Lebendigkeit unserer Demokratie zum Ausdruck. Allerdings – da möchte ich mich den Vorrednern anschließen – wird dies in großem Maße auch dadurch ermöglicht, dass die Berliner Polizei besonnen und professionell arbeitet. Deshalb gebühren ihnen auch von der FDP Anerkennung und Dank für die bisher geleistete Arbeit.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, der PDS und den Grünen]

Unsere Polizei schützt unsere Bürger bei der Ausübung ihrer Grundrechte.

Wenn man sich allerdings die Vielzahl der Demonstrationen anschaut, fehlen mir jedoch Aussagen, Forderungen, Initiativen, die sich für die Freiheitsrechte des irakischen Volkes einsetzen.

[Zuruf des Abg. Over (PDS)]

Wo bleibt der Aufschrei gegen den tausendfachen Mord, gegen die Unterdrückung durch den Diktator Saddam Hussein? Es entsteht der Eindruck, hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Wer ist hier der Verbrecher, wer der Massenmörder?

[Beifall bei der FDP und der CDU – Dr. Lindner (FDP): So ist es! – Zuruf des Abg. Brauer (PDS)]

UNICEF hat ausgeführt, dass seit dem letzten Irak-Krieg 5 Millionen Kinder im Irak gestorben sind.

[Brauer (PDS): Das ist Heuchelei, was Sie da erzählen! – Dr. Lindner (FDP): Ihr seid Heuchler!]

[Beifall bei der FDP und der CDU]

[Beifall des Abg. Krestel (FDP)]

[Zurufe von der PDS]

Wer zweifelt daran, dass dieses Schauspiel nur dazu dienen sollte, politisches Kapital aus den Ängsten der Bevölkerung zu schlagen? – Ein ernsthaftes Anliegen hätte weitergeführt werden müssen, auch wenn medienwirksame Bilder ausbleiben.

Es gibt Ängste, Gefühle, Ohnmacht in der Bevölkerung. Die Demonstrationen in Berlin bieten die Möglichkeiten, dass man sich mit seinem Anliegen nicht allein fühlt. Hier geht es insbesondere um Kinder und Jugendliche, für die wir als Erwachsene eine besondere Verantwortung haben, die Welt nicht in schwarz und weiß, gut und böse aufzuteilen. Denn gerade bei den jungen Menschen können Vorurteile entstehen, die später schwer abzubauen sind. Dieser Appell richtet sich an die Politik in Deutschland, auch an die USA und gerade an uns in Berlin. Heute wird auch viel von Mut geredet, Mut für den Protest gegen den Krieg, Mut, auf die Straße zu gehen. Wir haben im Moment die Situation, dass die Bundesregierung, der Senat und der allergrößte Teil der Medien in eine Richtung marschieren. Ich glaube, dass Mut heute heißt, zu differenzieren und einfache Antworten auf komplexe Fragen abzulehnen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Sieben Stunden nach dem Beginn des Krieges gegen den Irak gingen in Berlin 50 000 Schülerinnen und Schüler mit einem friedlichen Protest auf die Straße. Am Abend kamen 70 000 Menschen zusammen, die nicht

resignieren wollen, obwohl die weltweiten Demonstrationen zuvor diesen lange geplanten Krieg nicht verhindern konnten. Berlin kann stolz darauf sein, dass so viele Menschen Tag für Tag gegen diesen Krieg auf die Straße gehen. Es gibt Mahnwachen, Lichterkette, Gottesdienste, Aktionstage in Berliner Schulen. Niemand scheint friedensmüde zu sein.

Die Berliner Polizei leistet in diesen Tagen ihren Dienst unter schwersten Bedingungen mit Gelassenheit und Augenmaß bei den Demonstrationen, mit hoher Professionalität vor den Botschaften und anderen zu schützenden Objekten. Sie agiert der Lage angemessen. Der Dank natürlich auch unserer Fraktion ist selbstverständlich.

Natürlich wird mit der Dauer des Krieges auch das Gefühl der Ohnmacht anwachsen. Aber Angst und Trauer müssen nicht in Gewalt umschlagen. Die Proteste sind generationenübergreifend und strahlen die Botschaft aus: Wir sind die Mehrheit. – Dazu trägt die Politik des Berliner Senats und vieler Mitglieder des Abgeordnetenhauses ihren Teil bei. Der Regierende Bürgermeister hat bereits sehr früh gemeinsam mit seinen europäischen Amtskollegen vor diesem Krieg gewarnt. Es gab einen Aufruf der Senatorinnen und Senatoren der PDS. Peter Strieder war, wie viele andere Politikerinnen und Politiker dieses Hauses, auf den großen Friedensdemonstrationen, und die Koalitionsfraktionen haben gemeinsam mit der Fraktion der Grünen eine Resolution gegen den Irakkrieg verabschiedet und sich der Initiative „Cities for Peace“ angeschlossen.

Wer gegen den Krieg ist, der ist nicht automatisch antiamerikanisch.

[Beifall bei der FDP und der PDS]

Wer für Freiheit des irakischen Volkes eintritt, ist nicht automatisch für diesen Krieg.

[Beifall bei der FDP]

Machen wir es uns nicht so einfach, die Frage „Freiheit, Krieg und Frieden“ ist dafür zu wichtig.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Ritzmann! – Für die PDS erhält Frau Kollegin Seelig das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Anfang, vor mehr als einer Woche, waren sie wieder da, die grünen Computerbilder, wie im zweiten Golfkrieg. Sie erhellten auf unserem Fernsehbildschirm den Himmel über Bagdad. Inzwischen gibt es andere Bilder. Inzwischen sind uns Namen wie Basra, Nasarija, die Hafenstadt Umm Kasr und Kirkuk geläufig. Es ist kein Desert Storm an ihnen vorbeigezogen, wie am Anfang vermutet wurde, sondern es gibt schreckliche Kämpfe um diese Orte mit viel zu vielen Opfern bei der Zivilbevölkerung, aber auch Opfer bei den Soldaten der Kriegskoalition. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass es hier nicht um einen Kampf gegen den Terrorismus geht, sondern dass völkerrechtswidrig der irakische Staat angegriffen wurde und seine Menschen, dann betrachten Sie die so genannten Kollateralschäden auf dem Markt von Bagdad, dann sehen Sie die Rauchschwaden über Basra. Ein Land wird verwüstet, eine Region destabilisiert, um einen Diktator und seine Clique zu Fall zu bringen, die man selbst gegen den Iran hochgerüstet hatte?

[Dr. Lindner (FDP): Jetzt erzählen Sie rechten Quatsch!]

Es trifft im Namen der Demokratie wieder einmal eine Bevölkerung, die in vielen Jahren des Embargos schon vorher den Preis für ihre Führung bezahlt hat. In diesen Tagen hat der britische Premierminister Tony Blair doch sehr zynisch gesagt, man richte mit diesem Krieg keine humanitäre Katastrophe an, sie sei schon da. Die Sterblichkeit sei höher als in Mosambik, in den letzten fünf Jahren seien 400 000 Kinder im Südirak an Unterernährung und mangelnder medizinsicher Versorgung gestorben.

[Dr. Lindner (FDP): Hat er da nicht Recht?]

Die USA und Großbritannien hätten in all diesen Jahren diese Katastrophe verhindern können.

[Dr. Lindner (FDP): Und die Deutschen und die Europäische Union und die PDS, wo waren sie?]