Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Wir kommen nun zur

lfd. Nr. 2:

a) Aktuelle Stunde

„1. Mai – Gewaltrituale durchbrechen“

b) Dringlicher Antrag

Missbilligung des Senators für Inneres Dr. Körting

Der Missbilligungsantrag gegen den Innensenator ist nicht anders als absurd zu bezeichnen angesichts der Maikrawalle unter der harten Hand der CDU-Senatoren, die Sie

offensichtlich schon nach zwei Jahren vergessen haben, ebenso wie für Sie auch keine Innenausschusssitzung stattgefunden hat, wo sich die Polizeiführung zum Konzept geäußert hat. Sie sind unbelehrbar, und Sie können es nicht einmal kaschieren.

Und die FDP? – Sie ist beleidigt, weil ihre Anträge, die sie von der Konzeption der Polizei abgeschrieben hat und die ansonsten ein paar Allgemeinplätze formulieren, klar abgelehnt wurden. Sie suggeriert nun, dass mit der Annahme dieser sinnlosen Anträge alles anders gekommen wäre. Keine eigene Idee, ein Verständnis vom 1. Mai, das im Anpöbeln der Gewerkschaften besteht,

Es ist auch an diesem 1. Mai ebenso wie in der Walpurgisnacht wieder zu Randale gekommen, und zwar gesucht und vorbereitet. Ich bin mir auch sicher, dass es taktische Fehler beim Einsatz an der einen oder anderen Stelle gegeben hat, die analysiert und ausgewertet werden müssen. Aber wann haben wir je in den vielen Jahren erlebt, dass Polizeiführung wie auch die politisch Verantwortlichen damit öffentlich und selbstkritisch umgehen? Es hat mir schon imponiert, wie die Einsatzleiter Knape und Markowski im Innenausschuss sehr deutlich gemacht haben, dass sie ohne Wenn und Aber zum Konzept der ausgestreckten Hand, das sie selbst mit erarbeitet haben, stehen und mit nachvollziehbarer Empörung die Unterstellung von der rechten Seite dieses Hauses zurückgewiesen haben, sie seien Handlanger eines rot-roten ideologischen Konzepts.

Antrag der CDU Drs 15/1646

lfd. Nr. 30:

a) Beschlussempfehlung

Gewaltritual am 1. Mai durchbrechen (I) – Wo sind die Konzepte des Senats

Beschlussempfehlung InnSichO Drs 15/1587 Antrag der FDP Drs 15/1440

b) Beschlussempfehlung

Gewaltritual am 1. Mai durchbrechen (II) – Initiative für einen bunten und friedlichen 1. Mai

Beschlussempfehlung InnSichO Drs 15/1588 Antrag der FDP Drs 15/1441

c) Beschlussempfehlung

Gewaltritual am 1. Mai durchbrechen (III) – vorhandene polizeiliche Mittel endlich ausschöpfen

Beschlussempfehlung InnSichO Drs 15/1589 Antrag der FDP Drs 15/1442

Wird der Dringlichkeit des Missbilligungsantrages der Fraktion der CDU Drucksache 15/1646 wird widersprochen?

[Doering (PDS): Na, ja!]

Das reicht nicht. Dann ist dies nicht der Fall.

Für die Beratung steht uns eine Redezeit nach den Vorschriften zur Aktuellen Stunde zur Verfügung. Die Redefolge richtet sich nach der Fraktionsstärke. Die SPD hat die PDS vorgelassen. Frau Seelig hat das Wort für die Fraktion der PDS. – Bitte schön, Frau Seelig!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines ist wie immer nach diesem 1. Mai: Es gibt Schuldzuweisungen und – nicht ganz so üblich, aber seit zwei Jahren auch Ritual – auch diesmal von der CDU, obwohl in den letzten Jahren unter CDU-Senatoren diese Schuldzuweisungen von Ihrer Seite ausblieben, trotz viel größerer Krawalle, trotz abgeriegelter Wohnquartiere, trotz bürgerkriegsähnlichen Zuständen, weil die Polizei mit ihrer Einsatzstrategie nicht unterschied zwischen Friedlichen und Unfriedlichen. Seit mehr als zwei Jahren mühen sich Innensenator, Polizeiführung und auch viele engagierte Polizistinnen und Polizisten in den Kiezen gemeinsam mit dem Politikern der Koalition und auch der Grünen-Opposition, die Rituale sinnentleerter Gewalt zu durchbrechen. Was fällt der CDU dazu ein? – Gar nichts! Aber auf jeden Fall müsse man die Deeskalationsstrategie beenden, die Demonstrationen verbieten, von denen schon im zweiten Jahr keine Gewalt mehr ausgegangen ist – besser lässt sich der sinnentleerte Zustand der CDU kaum illustrieren.

[Beifall bei der PDS]

[Beifall bei der PDS und der SPD]

[Gelächter des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

aber ein sinnvolles und bewährtes Konzept ablehnen!

Meine Herren von der CDU, Ihr Totschlagargument bei den früheren 1. Mai-Debatten, wir würden die Polizei nicht so lieb haben wie Sie, hat sich nun auch schon fast ins Gegenteil verkehrt.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Mit einer selbstbewussten und bürgernahen Polizei, die Gewalt gegen alle vermeidet, die entweder friedlich feiern oder friedlich, wenn auch politisch provokativ diesen Tag begehen, können wir gut leben, offensichtlich besser als Sie. Wir können gut mit einer Polizei leben, die in monatelangen Vorbereitungen Kooperationspartner für das Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain und für die IG Oranienstraße war und die verlässlich ist, auch wenn dann wieder das Äußerste geschieht. Das hat ein nie da gewesenes Vertrauensverhältnis geschaffen. Da gehen Polizisten nachts durch die immer noch Feiernden in der Oranienstraße, obwohl es an anderen Orten heftige Auseinandersetzungen gegeben hat, und sie werden nicht als Feinde angesehen und nicht angepöbelt. Da werden Polizistinnen von lachenden Punks für ein Foto fürs Familienalbum umringt. Die Einwohner Kreuzbergs haben in diesem Jahr ihre Straße, ihren Kiez besetzt und damit den 1. Mai auch gegen sinnlose Gewalt repolitisiert.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

im Gegenteil: Auch wir hätten uns gewünscht, dass die Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern, Gewerbetrei

benden und anderen Organisationen den Erfolg gehabt hätten, den sie sich selbst wünschten und der zu einer friedlichen Walpurgisnacht und einem friedlichen 1. Mai beigetragen hätte.

als bereits die so genannte Grottian-Initiative im Vorfeld und erst recht danach am Widerstand gewalthungriger Chaoten scheiterte. Das Bedauerliche daran war und ist, dass der Innensenator und der rot-rote Senat aus diesem Scheitern keine Lehren und – noch schlimmer – keine Konsequenzen gezogen haben. So mussten sich wie im letzten Jahr die gleichen Rituale vollziehen: Aufrufe zur Mäßigung, Konzepte der Gewaltfreiheit, Dialog um jeden Preis und die Präsentation einer Nichteinschreitungsgarantie seitens der Polizei oder, wie Sie es nennen, eines Deeskalationskonzepts.

Das hat im letzten Jahr nicht funktioniert und in diesem Jahr noch weniger. Eine solche Vorgehensweise kann nicht funktionieren, weil Krawallmacher und Chaoten diese Art des Rückzugs der Politik aus ihrer Verantwortung natürlich als Schwäche auslegen, was im Ergebnis dazu führt, dass auf Teufel komm raus randaliert wird.

Das Konzept von Grottian aus dem letzten Jahr brauchte seine Zeit, und es musste von den Menschen vor Ort als eigenes angenommen werden. Mit langem Atem und einer Weiterentwicklung der Strategie der ausgestreckten Hand und nicht mit jährlich neuen Experimenten wird es möglicherweise irgendwann gelingen, den Raum für Gewalttäter zu schließen.

Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass insbesondere Männlichkeitsrituale türkischer und arabischer Jungmänner nicht nur am 1. Mai selbst und nicht durch ausgeklügelte Polizeikonzepte zu beenden sind. Es gibt ein großes Integrationsdefizit, das dazu führt, dass der eigene Kiez, der eigene Jugendladen zerstört wird, wie in diesem Jahr geschehen. Im Wrangelkiez sind keine fremden Luxuskarossen in Flammen aufgegangen. Verantwortlich ist eine jahrzehntelange Ausgrenzungspolitik. Natürlich sind Bildungs-, Jugend- und Einwanderungspolitik gefragt, aber es sind auch die Eltern, Vereine und Organisationen der Communities in der Verantwortung. Da in den Dialog zu kommen, ohne sich aus der Verantwortung der Mehrheitsgesellschaft zu stehlen, ist eine Aufgabe, die nicht nur das Gesicht des 1. Mai in Kreuzberg in der Zukunft verändern kann. Da brauchen wir keine Hau-drauf-Debatte von einer CDU, die sich noch immer der Tatsache verweigert, dass wir ein Einwanderungsland sind. Da braucht es auch keine FDP, die demnächst wahrscheinlich den 1. Mai verbieten will, da sie ihn als gewerkschaftlichen Quatschtag ansieht, sondern einen breiten gesellschaftlichen Dialog. – Danke schön!

[Beifall bei der PDS und der SPD – Dr. Lindner (FDP): Sieht doch kein Mensch, ob die paar Gewerkschaftsfuzzis da herumlaufen!]

Danke schön, Frau Kollegin Seelig! – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Henkel das Wort. – Bitte schön, Herr Henkel!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, dass alle Fraktionen in diesem Hause eine Aktuelle Stunde zur Gesamtthematik 1. Mai beantragt haben, macht wenigstens als kleinsten gemeinsamen Nenner deutlich, dass es auch nach diesem 1. Mai erstens Diskussionsbedarf gibt und wir zweitens nach den Geschehnissen in der so genannten Walpurgisnacht und am 1. Mai nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können. Aus Sicht der CDU-Fraktion können wir schon deshalb nicht zur Tagesordnung übergehen, weil sich unsere Befürchtungen hinsichtlich des Scheiterns der rotroten Deeskalationsstrategie leider bestätigt haben.

[Lederer (PDS): Herbeigeredet!]

Es kam sogar weit schlimmer, als wir es erwartet hatten. Trotz dieser Bestätigung empfand und empfindet meine Fraktion weder am 1. Mai noch heute jedwede Art von Genugtuung,

[Pewestorff (PDS): Schlecht geheuchelt!]

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Leider funktionierte dies in diesem Jahr so wenig wie im letzten Jahr,

[Doering (PDS): Und in den Jahren davor!]

[Lederer (PDS): So ein Unsinn!]