Protokoll der Sitzung vom 12.06.2003

Um dem Vorwurf zu entgehen, wir würden damit dem Gedenken zum 17. Juni 1953 ausweichen, mache ich jetzt einmal einen ganz unorthodoxen Vorschlag: Es gab schon einmal in diesem Haus die Situation, dass zwei Aktuelle

Stunden durchgeführt wurden. Tun Sie das wieder! Springen Sie über Ihren Schatten und sagen, dass es zwei wichtige Themen und damit zwei Aktuelle Stunden sind. Dann können wir über beide mit der ausreichenden Intensität und Ernsthaftigkeit reden!

Danke schön! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse über das heutige Thema der Aktuellen Stunde abstimmen. Es gab dazu bereits eine Diskussion im Ältestenrat. Zuerst lasse ich über den Antrag der Regierungskoalition SPD und PDS abstimmen. – Wer diesem Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke schön. Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit ist so beschlossen, dass wir das Thema der SPD und PDS behandeln werden. Die anderen Anträge haben damit Ihre Erledigung gefunden.

Ferner weise ich auf die Ihnen vorliegende Konsens

liste und auf das Verzeichnis der eingegangenen Dringlichkeiten hin. Sofern sich gegen die Konsensliste bis zum Aufruf des entsprechenden Tagesordnungspunktes kein Widerspruch erhebt, gelten die Vorschläge als angenommen. Über die Anerkennung der Dringlichkeit wird dann wieder jeweils an entsprechender Stelle der Tagesordnung entschieden.

klärt? Ja, wer hat denn, Herr Wowereit, all diejenigen, die dies für unrealistisch hielten, als sparunwillig diffamiert? Das waren Sie! Dann müssen Sie im Umkehrschluss auch verstehen, dass wir dafür gern eine Erklärung haben wollen. Mit einem Nebensatz bei einer Senatspressekonferenz ist es wirklich nicht getan. Sie sind uns und den Berlinern diese Erklärung schuldig. Sie werden sie auch abliefern müssen!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – RBm Wowereit: Alles zu seiner Zeit!]

Zum Mentalitätswechsel gehört auch Ehrlichkeit. Ohne Ehrlichkeit gibt es keine Sanierung. Eine Finanzplanung ohne alle Risiken, ohne Einbeziehung von Schattenhaushalten, ohne die tatsächlich zu erwartenden Defizite ist Selbstbetrug. Selbstbetrug nutzt in dieser Stadt niemandem mehr, weder der Bevölkerung noch beim Gang zum Bundesverfassungsgericht.

Um eine tragfähige Finanzplanung vorzulegen, muss man auch wissen, welche Stadt man will. Da bietet dieser Senat – ich formuliere einmal sehr dezent – keine gemeinsame Perspektive. Die Stadt, die Herr Sarrazin will, ist eine, bei der mindestens eine Universität geschlossen wird, die Studentenzahlen abgesenkt werden, die Sozialhilfe abgesenkt wird.

Nach der in den Zeitungen geführten Debatte scheint mir das nicht dieselbe Stadt zu sein, die Frau KnakeWerner und Herr Flierl wollen, wenn ich das nachlese. Wenn die Haushaltssituation wirklich die Ausgaben für Wissenschaft und Soziales bestimmt, können wir uns gar keine Universität mehr leisten. Dann müssen wir die Sozialhilfe auf das Niveau der Ukraine absenken.

Deshalb ist es so wichtig – das betone ich jetzt noch einmal –, die Debatte über die Zukunftsperspektiven und Zukunftsinvestitionen in dieser Stadt gemeinsam mit dem Thema Haushaltskonsolidierung zu erörtern. Sie gemeinsam zu führen, ist die anstehende Aufgabe, die wir heute gern wahrgenommen hätten.

Es ist geradezu unsere Pflicht als Opposition, dafür werden wir bezahlt, den Finger in die Wunde zu legen. Dazu gehört auch, dass der Regierende Bürgermeister zentrale Aufgaben nicht wahrnimmt. Herr Wowereit, wo ist eigentlich die Hauptstadtkommission, die Sie am 16. Juni letzten Jahres so vollmundig angekündigt haben? Diese gibt es bis heute nicht. Wieso findet eigentlich keine Verwaltungsreform mehr statt? Das Lenkungsgremium hat im August letzten Jahres das letzte Mal getagt. Das sind alles Fragen, auf die eine Antwort angebracht wäre. Deswegen fordere ich von dieser Stelle den Senat und die Koalition noch einmal auf: Machen Sie sich ehrlich. Stimmen Sie unserer Aktuellen Stunde zu. Sie können dem Thema dauerhaft ohnehin nicht entgehen.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ich habe Ihnen folgende Abwesenheiten von Mitglie

dern des Senats mitzuteilen: Der Regierende Bürgermeister wird ab 20.00 Uhr an einem Essen der Atlantikbrücke e. V. anlässlich der 11. Deutsch-Amerikanischen Biennial-Konferenz teilnehmen. Frau Senatorin Schubert ist ganztägig auf Grund ihrer Teilnahme an der zweitägigen Konferenz der Justizminister in Glücksburg abwesend. Senator Böger wird ganztägig abwesend sein, er nimmt teil an der Kultusministerkonferenz in Rostock.

Ein Hinweis noch: Sie werden bemerkt haben, Senator Wolf ist nicht an seinem Platz. Er wird diesen voraussichtlich in 30 Minuten einnehmen. Er ist unterwegs aufgehalten worden.

[Dr. Lindner (FDP): Seine vielen Fans, die ihm applaudieren!]

Wir kommen jetzt zur

lfd. Nr. 1:

Fragestunde gem. § 51 der Geschäftsordnung

Das Wort zur Mündlichen Anfrage über

Neuregelungen für 0190- und 0900-Nummern

hat nunmehr Frau Abgeordnete Hertlein von der Fraktion der SPD. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

Hat die Fragestellerin eine Nachfrage? – Das ist der Fall – bitte!

Frau Senatorin! Das klingt ausgesprochen positiv, aber der Einfallsreichtum unseriöser Anbieter hat sich als nahezu unerschöpflich erwiesen. Welchen Rat kann man Nutzerinnen und Nutzern geben, die überhöhte Telefonrechnungen vermeiden möchten?

Frau Abgeordnete Hertlein! Das Problem besteht darin, dass man kriminelle Energie per Gesetz nur schwer eindämmen kann. Es wird immer möglich sein, auch aus solchen relativ strengen Regelungen auszubrechen. Deshalb ist es notwendig, dass Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin aufmerksam sind, dass sie Eigeninitiative entwickeln und der kriminellen eigene Energie entgegensetzen, um sich vor solchen Machenschaften zu schützen. Es gilt insbesondere, keinen Rückruf zu tätigen, wenn eine unbekannte Nummer anruft, weil dies häufig genau solche Verbindungen sind, die dann auf entsprechenden Dialer-Konten landen. Es wird darauf ankommen, Beweise zu sichern, damit man solchen Machenschaften überhaupt nachgehen kann. Darüber hinaus wird es notwendig sein, dass jeder einen Einzelverbindungsnachweis für seinen eigenen Anschluss beantragt und diesen auch überprüft, so dass er eine Chance hat, Beweismaterial zu sichern, wenn es darum geht, dem Ganzen auf dem Gerichtsweg nachzugehen.

1. Wie bewertet der Senat die Neuregelungen zu den 0190- und 0900-Nummern, und wann werden diese Regelungen in Kraft treten?

2. Bieten die Neuregelungen aus Verbrauchersicht ausreichenden Schutz und eine klare Unterscheidungsmöglichkeit zwischen seriösen und unseriösen Dienstleistern?

Das Wort zur Beantwortung hat Frau Senatorin Knake-Werner – bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Hertlein! Wir haben uns bereits häufiger mit dem Problem des Missbrauchs von 0190- und 0900-Nummern hier im Haus beschäftigt. Es gibt in der Tat ein drängendes Problem des Verbraucherschutzes in diesem Telekommunikationsbereich, weil es hier eine Reihe von unseriösen, teilweise auch kriminellen Praktiken gibt. Diese Praktiken schaden nicht nur den Verbraucherinnen und Verbrauchern, sondern auch den seriösen Anbietern. Deshalb hat die Bundesregierung dem Missbrauch in einem Gesetzentwurf zu den 0190- und den 0900-Nummern den Kampf angesagt. Dieses Gesetz ist am 5. Juni 2003 im Bundestag verabschiedet worden. Aktuell befindet sich dieser Gesetzesentwurf noch im Gesetzgebungsverfahren und soll in II. Lesung am 20. Juni 2003 im Bundesrat beschlossen werden. Danach kann das Gesetz im Juni 2003 in Kraft treten.

Ich glaube, dass mit diesem Gesetz, das im Bundesrat noch zu Gunsten von Verbraucherinnen und Verbrauchern verändert und auch verschärft worden ist, durchaus eine Verbesserung der Situation erreicht worden ist. Die neuen Zuteilungsregelungen für 0900-Nummern und die Regelungen des Gesetzes verbessern damit die Situation und die Position von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Ich will einige Punkte beispielhaft nennen, um das deutlich zu machen: Es gibt künftig eine Auskunftspflicht über Anbieter von 0190-Nummern, es gibt eine Datenbank über Anbieter von 0900-Nummern, die Pflicht zu Preisangaben, sowie die Notwendigkeit, Vorgaben über Preisobergrenzen zu machen. Das alles führt dazu, dass nicht unter der Hand die monatlichen Telefonrechnungen ins Unermessliche steigen können. Es gibt weitere Maßnahmen, die ich hier nicht im Einzelnen aufzählen will.

Zusätzlich zu dem Gesetzentwurf hat der Bundestag – durch Anregung durch den Bundesrat – einstimmig eine Entschließung verabschiedet, in der einzelne Prüfpflichten an den Bundesgesetzgeber aufgegeben worden sind, die noch stärker darauf gerichtet sind, den Missbrauch dieser Nummern einzudämmen. Es kommt jetzt darauf an, mit diesem Gesetz, das – sofern alles klappt wie geplant – im Juli in Kraft tritt, Erfahrungen zu sammeln. Eines wird aus meiner Sicht aber nach wir vor schwierig bleiben, nämlich das klare Unterscheiden zwischen seriösen und unseriösen Dienstleistern. Dennoch begrenzt der Gesetz

geber Angebote von unseriösen oder kriminellen Anbietern sehr stark und sie werden aus meiner Sicht auf ein Minimum reduziert werden können.

Frau Senatorin!

Frau Hertlein, keine zweite Nachfrage? – Dann hat als nächster Herr Schmidt das Wort – bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Mich interessiert, da das vom Bundestag beschlossene Gesetz sich vor allem mit der Information der Verbraucher beschäftigt, inwieweit Sie es als ausreichend betrachten, mit der dann gültigen Rechtslage auch gegen die Anbieter von 0190- und 0900-Nummern vorzugehen, die sich vor allem im EU- oder Nicht-EU-Ausland aufhalten, so dass man auch dann, wenn der Schaden aufgetreten ist, gegen diese Anbieter vorgehen kann, und inwiefern Informationen mit Preisansagen während des Gesprächs bei den elektronischen Dialern, wo nichts in der Leitung durchgesagt werden kann, bei elektronischer Nutzung gewährleistet werden können.

Frau Senatorin!

Herr Abgeordneter! Darauf kann ich Ihnen jetzt nicht konkret antworten, weil

Ich möchte auf dieses Niveau, das Sie mit Konsequenz einhalten, ernsthaft antworten, allein deshalb, weil die Sache „Europa“ zu wichtig ist, um in solch kleinliches politisches Hickhack gezogen zu werden: Herr Abgeordneter Wambach, um die Sache Europa und die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Grenzregion stände es wirklich schlecht, wenn es so wäre, wie Sie es unterstellen, dass ein Glückwunsch des Regierenden Bür

germeisters spätestens am Pfingstmontag, möglichst gleich eine Sekunde nach Bekanntgabe des Ergebnisses, die deutsch-polnischen Beziehungen entscheidend prägen würde.

Das Gegenteil ist richtig. Unsere Beziehungen zu unseren polnischen Nachbarn sind in Ordnung, gefestigt und in ständiger guter Pflege. Es gibt dauernde Kontakte auf vielen Ebenen zu unserer Partnerstadt Warschau. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen: Wir versäumen nichts, und die polnische Seite auch nicht. Im Gegenteil: Wir haben im Vorfeld der Abstimmung sinnvoll geholfen und in einem Pressegespräch am 28. Mai in Zusammenarbeit mit der polnischen Botschaft die in Berlin lebenden Polinnen und Polen versucht, zu mobilisieren. Ich selbst bin in meiner Amtszeit mehrfach in Polen gewesen. Ich darf daran erinnern, dass ich meine erste Auslandsreise als Bundesratspräsident bewusst nach Warschau gelegt habe, um ein Zeichen zu setzen. So viel zu dem Thema, was eigentlich Chefsache ist.

Ich würde mir ernsthaft Sorgen machen, wenn in der polnischen Öffentlichkeit oder Politik Kritik an unserer Arbeit laut geworden wäre oder laut würde. Das ist mir aber nicht bekannt. Im Übrigen hat die Senatskanzlei der polnischen Botschaft selbstverständlich die Glückwünsche Berlins übermittelt.

dieser Komplex zu den Prüfaufträgen gehört, die in dem bereits erwähnten Entschließungsantrag enthalten sind. Die Bundesregierung soll genau diese Möglichkeiten überprüfen, vor allem auch diejenigen auf europäischer Ebene, um zu sehen, welche Verabredungen mit anderen Ländern getroffen werden können, um hier ausreichenden Schutz anbieten zu können. Das wird sich hoffentlich in den nächsten Monaten klären.

Danke schön! – Weitere Zusatzfragen gibt es nicht.

Damit kommen wir zur Mündlichen Anfrage über

Senat verschläft EU-Referendum in Polen

Fragesteller ist der Abgeordnete Wambach von der Fraktion der CDU. – Bitte, Sie haben das Wort!

Danke, Frau Präsidentin! – Ich frage den Regierenden Bürgermeister:

1. Welchen Grund hatte es, dass der Senat von Berlin – im Gegensatz zum Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg – nicht spätestens am Pfingstmontag auf das erfolgreiche Referendum in Polen über den EU-Beitritt reagiert hat?

2. Sind die Verleihung des Bundesfilmpreises und die Durchführung des Karnevals der Kulturen im Berliner Senat Chefsache – die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Grenzregion aber nicht?