Protokoll der Sitzung vom 12.06.2003

[Beifall bei der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Hillenberg! – Das Wort für die Fraktion der FDP hat nunmehr der Kollege Hahn – bitte schön!

Danke schön, Herr Präsident! Es ist in der Tat nicht nötig, jedes Jahr zu begründen, weshalb die Arbeit des Landesbeauftragten für Berlin so wichtig ist, aber wenn es eines Beweises dennoch bedürfte, dann ist er vielleicht für den letzten nicht Überzeugten gestern auf der Veranstaltung hier in unserem Haus geliefert worden.

Wer da aufmerksam dem Zeitzeugen Horst Linowski aus Magdeburg zugehört hat - einem Opfer des 17. Juni, der für seine Beteiligung, die im Zerreißen eines Flugblattes und dem Herumstehen bei dem Versuch der Gefangenenbefreiung bestanden hat, zu 8 Jahren Arbeitslager verurteilt worden ist, von denen er 7,5 Jahre absitzen musste und der danach in seinem Leben in der DDR nie darüber berichten durfte - der weiß, welche Probleme wir noch immer bei der Aufarbeitung dieser Vergangenheit haben. Welche Anlaufstelle haben denn diese Menschen, wenn nicht die des Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen? Woher würden wir heute die Zeugen nehmen, die wir doch so dringend brauchen, zur Aufklärung der Ereignisse des 17. Juni und der Verfolgung in der DDR,

Wer die Beispiele über Schicksale im diesjährigen Bericht liest – Einzelhaft, Dunkelhaft über ein halbes Jahr

Dauer oder Ähnliches –, der ahnt, welch schlimme Schäden die Opfer davongetragen haben, und dagegen sieht, wie kümmerlich unser Land materiell mit diesen Opfern umgeht, wenn es darum geht, sie zu entschädigen. Auch das entnehmen wir wieder dem Bericht. So lange das noch so ist, ist es notwendig, hierüber immer wieder eine Debatte zu führen. Wir sind als Gesellschaft gerade in diesem Jahr, in dem sich der 17. Juni zum 50. Mal jährt, aufgerufen, hier endlich tätig zu werden. Das ist für mich die dringlichste Botschaft des diesjährigen Berichts des Landesbeauftragten, dem ich zusammen mit seinen Mitarbeitern an dieser Stelle namens meiner Fraktion ganz herzlich für seine Arbeit danken möchte.

Danke schön, Herr Kollege Hahn! – Für die Fraktion der PDS hat nunmehr die Kollegin Seelig das Wort – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 50. Jahrestag des Arbeiteraufstandes am 17. Juni macht noch einmal deutlich, dass es immer wieder in der Geschichte Menschen gegeben hat, die Mut und Entschlossenheit mit dem Leben, Verfolgung und Haft bezahlen mussten. Auch völlig Unbeteiligte wurden Opfer der Herrschenden während und nach dem 17. Juni.

Diese Repression wurde im Laufe der DDRGeschichte subtiler. Allein wenn wir einen Begriff des MfS wie „Zersetzung“ nehmen, der tiefe Eingriffe in die Persönlichkeit und ins persönliche Umfeld meint, dann lässt sich leicht feststellen, in welchem Ausmaß Bespitzelung und Haft auch in den Folgejahren traumatisierte Menschen hinterließ.

wenn wir nicht diese Anlaufstellen für die Menschen, die Zeugnis darüber ablegen können, hätten?

Es ist in seiner Wirkung nicht zu unterschätzen, auch in seiner politischen Bedeutung nicht, die es hat, dass diese Zeugenaussagen heute der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Mir ist gestern die Bemerkung von Frau Birthler in Erinnerung geblieben, dass ihr über all die Jahre nicht ein einziger Name der Teilnehmer am Aufstand des17. Juni bekannt gewesen sei. Ich habe mich dann selbst gefragt, wer mir dazu spontan einfällt, und musste mir eingestehen, dass auch ich diese Namen nicht kenne. Aber es ist doch so wesentlich, wenn wir das Erbe des 17. Juni der jüngeren Generation weitergeben wollen, dass wir dieses mit Namen verbinden können. Da können uns die Anlaufstellen für die Opfer, die wir haben, unterstützen. Denn diese Menschen haben nach wie vor Probleme. Das ergibt sich auch aus dem neuen, 9. Bericht des Landesbeauftragten.

In seinem 8. Bericht schrieb des Landesbeauftragte, es wäre unerträglich, wenn 10 oder 14 Jahre nach Ende der SED-Diktatur zwar ein Schlussstrich gezogen würde, soweit es Funktionsträger oder Täter der überwundenen Diktatur betrifft, jenen aber, die durch ihren aufrechten Gang, durch Zivilcourage, durch ihre demokratische Gesinnung und den Einsatz für Bürger- und Menschenrechte Schaden genommen haben, eine adäquate Anerkennung im Weg eines gerechten Schadenausgleichs verwehrt bliebe. Was hat sich da seit dem letzten Jahr geändert? – Ich habe den neuen Bericht dazu gelesen. Und wer ihn ebenso aufmerksam gelesen hat, wird feststellen müssen: Leider herzlich wenig! So schließt der diesjährige Bericht unseres Beauftragten auch wieder damit:

Es muss jetzt gehandelt werden, wenn Mut und folgendes Leid jener, die vor 50 Jahren für Freiheit, freie Wahlen und Wiedervereinigung auf die Straße gingen und anschließend verfolgt wurden, nicht nur verbal in Veranstaltungen und Reden, sondern auch materiell gewürdigt werden soll.

In der Tat muss gehandelt werden. Wenn wir uns den Bericht vornehmen, stellen wir fest, dass es hier noch Möglichkeiten gibt. Zwar ist in vielem der Bundesgesetzgeber gefordert, aber auch von Berlin, der Stadt, in der der 17. Juni seinen Ausgang nahm, ist zu erwarten, dass man noch einmal im Wege einer Bundesratsinitiative tätig wird, dass es endlich zu Gunsten der Verfolgten zu einer Beweislastumkehr kommt. Denn das ist doch das Dringlichste: Wenn heute noch Menschen bei ihren Rentenanträgen umständlich begründen müssen, weshalb die Schäden, die sie davongetragen haben, aus der Zeit der Verfolgung, der Verurteilung und Verhaftung stammen, dann ist das ein Skandal. Wir müssen diese Opfer in dieser Beziehung endlich den Opfern des Dritten Reichs gleichstellen. Das ist umso dringender geboten, je älter diese Menschen werden.

[Beifall bei der FDP]

[Beifall bei der FDP]

Auch die „nur“ gebrochenen Erwerbsbiographien fordern im Grunde noch heute Opfer, nämlich die Opfer über das Rentenrecht. Insbesondere darauf geht der Berliner Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in seinem Tätigkeitsbericht ein. Auch wir finden, dass die Neuregelung des Paragraphen 1a des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes nicht ausreicht. Insbesondere die Normenklarheit hinsichtlich dessen, was ein Berufsverbot oder ein Abstiegsschaden unter den spezifischen DDR-Bedingungen war, scheint nicht hinreichend. Den Betroffenen stehen ihre politischen Präferenzen frei, aber dass ausgerechnet – wir sprachen heute schon in einem anderem Zusammenhang darüber – mit der CDU/CSU, wenn sie 2002 die Wahl gewonnen hätte, deutliche Verbesserungen erreicht worden wären – eine Hoffnung, die der Landesbeauftragte auf den Seiten 2 und 3 artikuliert –, wage ich angesichts der Unzulänglichkeiten der beiden ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetze, die unter der Ägide Helmut Kohls entstanden, zu bezweifeln. Da setze ich meine Hoffnungen – auch wenn sie etwas vage sind – schon lieber in die von den gegenwärtigen Koalitionsparteien der Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbarte Fristverlängerung für Rehabilitierungsanträge über das Jahr 2003 hinaus. Diese ist wichtig. Das sind wir den Betroffenen schuldig. Den Landespar

Für die Zukunft wird aber wahrscheinlich die politische Bildung in der Behörde immer mehr Bedeutung

gewinnen. Aufklärung und Information sind nötig, um der sentimentalen, ostalgischen Verklärung und Legendenbildung vorzubeugen. Herr Apelt, das, was Sie eben über den CDU-Antrag gesagt haben, trägt auch zur Legendenbildung bei, denn die Verlängerung der Arbeit des Landesbeauftragten wurde in der kurzen Zeit von Rot-Grün beschlossen. Dazu bedurfte es Ihres Antrags nicht.

Zurück zum Bericht: Wir erleben gerade jetzt in der Diskussion über den 17. Juni, wie wenig über die damaligen Ereignissen in der Bevölkerung präsent und bekannt ist. Die Broschüre, die Sie über den 17. Juni veröffentlicht haben und die in Kooperation mit dem LISUM entstanden ist, dokumentiert die Ereignisse nicht nur hervorragend, sondern sie beschreibt auch, wie durch die Kunst der Bildbearbeitung Eindrücke verändert werden können. Mit den einfachsten Mitteln ist eine Beeinflussung der Meinung machbar. Wie einfach war es erst mit den Mitteln der Medien und einer Propagandamaschinerie, den Volksaufstand von 1953 in eine Konterrevolution oder gar in eine faschistische Kollaboration umzudeuten? – Diese subtilen Mechanismen sind mir bei der Lektüre selbst bewusster geworden, so dass ich mir wünsche, dass das gelungene Werk möglichst vielen Jugendlichen zur Verfügung gestellt wird. Ich hoffe, dass die Schulen das anfordern und es sich die Lehrer zu eigen machen.

teien von SPD und Grünen ist nicht verboten, die Umsetzung dieses Vorhabens im Bund zu begleiten.

Ein weiterer wichtiger Punkt im vorliegenden Bericht ist die politische Bildung. Eine Vielzahl von Aktivitäten für Lehrer, Schüler, aber auch ein breiteres interessiertes Publikum wird aufgelistet. Dabei spielen die geförderten Vereine und Projekte – wie die Robert-HavemannGesellschaft – eine herausragende Rolle.

Leider muss man gerade bezüglich der geschilderten Einzelschicksale konstatieren, dass die breit gefächerten Publikationen aus dem Bereich der politischen Bildung kaum Einfluss auf die Rechtsprechung haben. Ich greife den Fall der Punkerin heraus – es könnte auch ein anderer sein –, die als 17-Jährige wegen Rowdytums und Beeinträchtigung gesellschaftlicher Tätigkeit zu sechs Monaten Haft und der Anordnung staatlicher Kontrollmaßnahmen verurteilt wurde. Ein bundesdeutscher Richter kann sich nicht vorstellen, dass dieser Straftatbestand allein schon wegen der Tatsache, dass sie Punkerin war, angenommen wurde. Diese Formulierung gegenüber anders Aussehenden, insbesondere Punks in den 80er Jahren, weist direkt auf diese Art der Verfolgung hin. Es gibt gut recherchierte Publikationen, die auf MfS-Unterlagen basieren, die diese Verfolgung eindeutig belegen. Gerade für diese Tätigkeit des Berliner Landesbeauftragten wünsche ich mir für die Zukunft, dass sie nicht nur von denen zur Kenntnis genommen wird, die von vornherein, weil sie Betroffene oder besonders engagiert sind, sensibilisiert sind. Ich wünsche mir, dass diese Materialien verstärkt auch von vom Rest der bundesdeutschen Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen werden.

Ich bedanke mich für die geleistete Arbeit und den vorgelegten Bericht bei Ihnen, Herr Gutzeit, und Ihren Mitarbeitern.

[Beifall bei der PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Seelig! – Für die Fraktion der Grünen hat nun Frau Hämmerling das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht Ihrer Behörde, Herr Gutzeit, stellt klar, dass die Stasiopfer auch 13 Jahre nach der Wende die eigentlichen Verlierer der deutschen Einheit sind. Alte Stasibonzen haben ihre Pensionen höchstrichterlich durchgesetzt. Viele Stasiopfer kämpfen dagegen bis heute vergeblich um die Anerkennung ihrer beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitation. Viele haben bereits aufgegeben, denn Gerechtigkeit gibt es auch im Rechtsstaat nicht immer. Dieser Rechtsstaat hat bis heute nicht die passenden Antworten auf das DDRUnrecht. Er kann das Geschehene nicht ungeschehen machen. Und auch deshalb brauchen die Opfer die Unterstützung Ihrer Behörde und das Engagement Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

[Beifall bei den Grünen]

[Beifall bei den Grünen]

Wir kennen heute die Gefahren der Geschichtsklitterung, der Verklärung und der Instrumentalisierung historischer Ereignisse. Wir wollen für die Zukunft, dass rassistische und antisemitische Entwicklungen nicht mehr stattfinden. Das sind wir dem 17. Juni 1953, dem 9. November 1989 und der Demokratie, die wir uns im Osten erkämpft haben, schuldig. Weil Intoleranz, Antisemitismus und Rassismus durch Unwissenheit und Geschichtslügen begünstigt werden, sind die Auswertung der Stasiarchive, die politische Bildung und die Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Aufgabe des Stasibeauftragten. – Bei der Beratung und Unterstützung der Opfer wünschen wir Ihnen weiterhin viel Kraft und Erfolg!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin Hämmerling! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bedanke mich im Namen des gesamten Hauses bei Ihnen, Herr Gutzeit, und Ihren Mitarbeitern für die geleistete wichtige Arbeit und wünsche uns weiterhin gute Zusammenarbeit.

Dann rufe ich auf

lfd. Nr. 9:

a) Große Anfrage

Nachhaltige Wissenschaftspolitik – Berlin ohne Wissenschaft in der Wissensgesellschaft?

Große Anfrage der CDU Drs 15/1612

b) Antrag

Allerdings fand seit 1996 eine Umorientierung in der

Berliner Hochschulpolitik statt. Die Finanzierung der Hochschulen wurde von einer jährlich zu beschließenden Bedarfsfinanzierung umgestellt auf das System der Hochschulverträge. Die Hochschulen erhalten für einen mehrjährigen Zeitraum Zuschüsse und verpflichten sich auf der Gegenseite zur Bereitstellung von 85 000 Studienplätzen sowie zu einzelnen Reformmaßnahmen. Parallel dazu wurden weitreichende Flexibilisierungen im Bereich der Haushaltswirtschaft eingeführt, wie die gegenseitige Deckungsfähigkeit und die Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln. Im Bereich der Personalwirtschaft hat sich die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur aus der Detailsteuerung zurückgezogen. Zustimmungsvorbehalte wurden aufgegeben. Dies bedeutet eine Zunahme der Verantwortlichkeit auf Seiten der Hochschulen und damit eine größere Eigenständigkeit in der Wahrnehmung der entsprechenden Aufgaben.

Auf der Grundlage der Erprobungsklausel des § 7 a

BerlHG haben die Freie Universität, die HumboldtUniversität, die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft, die Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik „Alice Salomon“ sowie zuletzt die Technische Fachhochschule neue Kuratorien eingeführt, die die Aufgabe von Hochschulräten wahrnehmen, wie sie der überregionalen Diskussion entsprechen. Die HumboldtUniversität hat darüber hinaus eine hauptberufliche Hochschulleitung etabliert, die nach dem Ressortprinzip aufgebaut ist und keinen Kanzler mehr vorsieht.

Zukunft Wissenschaft I – Künstlerische Hochschulen erhalten

Antrag der Grünen Drs 15/1751

c) Antrag

Zukunft Wissenschaft II – Hochschulvertragsverhandlungen nutzen, um drohenden LehrerInnenmangel abzuwenden

Antrag der Grünen Drs 15/1752

d) Antrag

Zukunft Wissenschaft III – Überfälligen Landes-Innovationsbericht endlich vorlegen