Protokoll der Sitzung vom 11.09.2003

[Doering (PDS): Richtig!]

[Heiterkeit und Beifall bei der CDU]

Das Ziel, das wir alle gemeinsam haben, muss doch eigentlich sein, dieses beispielhafte ÖPNV-Netz, das wir in Berlin haben – es ist in der Tat positiv beispielhaft –, zu erhalten und in der Zukunft auch unter schwierigen Bedingungen zu erhalten und auszubauen. An der Stelle, Herr Cramer, können auch Sie sicherlich klatschen.

Die Frage ist: Sind die Maßnahmen, die der Senat in den letzten Monaten ergriffen hat, tatsächlich die richtigen, oder sind sie es nicht? – Die FDP ist zu dem Schluss gekommen, sie sind es nicht. Ob nun alle Formulierungen auf die Goldwaage gelegt werden sollten, ob nun in den Anträgen alles so glücklich dargestellt worden ist, das ist vielleicht Gegenstand eines germanistischen Referats. Der Kernpunkt ist richtig. Was der Senat auf diesem Gebiet betreibt, ist nicht zielführend, sondern – im Gegenteil – katastrophal. Es häufen sich die Fehlentscheidungen in der letzten Zeit merklich.

Was ist mit diesem beispielhaften S-Bahnnetz, das wir in dieser Stadt haben? – Niemand kann bestreiten, das ist ein sehr gutes Netz. Da hat Herr Sarrazin offensichtlich aus seiner persönlichen Befangenheit im Umgang mit der Deutschen Bahn – wenn man da gearbeitet hat, hat man offensichtlich hinterher gewisse Aversionen – die Idee bekommen, man könne einfach das vertraglich vereinbarte Geld kürzen. Man hat zwar einen Vertrag und auch eine finanzielle Grundlage, die mit allen Bundesländern abgestimmt ist, aber man kann es einmal versuchen. Der Versuch ist nun kurzfristig gescheitert, wie wir gesehen haben. Das Geld wird jetzt teilweise doch ausgezahlt, aber für die nächsten Monate wiederum nicht. Ergebnis ist jedenfalls, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SBahn sind aufs höchste beunruhigt, und das zu Recht, weil ihre Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Die

Kaczmarek

Und die BVG? – Das ist richtig, Herr Gaebler, es gibt Monitoringberichte. Das ist auch der Anlass, warum wir darüber diskutieren. 1 Milliarde € Schuldenlast und letztendlich ein zweistelliges Millionendefizit jedes Jahr geben Anlass, darüber zu diskutieren und die Frage zu stellen: Wie gehen wir mit diesem Unternehmen um? – Ich erwarte und vermisse bisher Antworten des Senats und der Koalition, wie es weitergehen soll. Mit „Augen zu und durch!“ und: „Der Unternehmensvertrag wird es schon regeln!“ wird es wohl nicht funktionieren, denn wir alle wissen, die Wettbewerbsfähigkeit der BVG wird im Jahr 2007 nicht hergestellt sein, wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher. Beantworten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die gestellten Fragen, und zwar möglichst schnell, im Interesse der Mitarbeiterinnen

und Mitarbeiter im Unternehmen und im Interesse der Fahrgäste in dieser Stadt. – Vielen Dank!

Danke schön! – Für die Fraktion der PDS hat Frau Abgeordnete Matuschek das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin etwas verunsichert,

Fahrgäste des ÖPNV in Berlin sind auch aufs höchste beunruhigt, denn eines ist klar: Wer in dieser Größenordnung Geld kürzt, und zwar Bundesmittel, wohlgemerkt, die gar nicht anders zu verwenden sind, der wird auch damit leben müssen, dass das Netz und das Angebot verringert und verschlechtert werden.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Wellmann?

Ach, Herr Wellmann, ja! Herr Wellmann hat sicher auch noch wichtige verkehrspolitische Aspekte beizutragen.

[Heiterkeit bei der SPD und den Grünen]

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie den Herrn Finanzsenator beim Telefonieren stören?

[Heiterkeit bei der CDU]

Danke schön, Herr Wellmann! – Der Finanzsenator ist eben ein sehr kommunikativer Mensch, jedenfalls in dieser Hinsicht. Manchmal fehlt es offensichtlich an der Kommunikation zwischen Senatsmitgliedern, aber an der Stelle wollen wir sie auch befördern.

Was ist mit dem Verkehrsverbund, der auch in diesen Anträgen angesprochen worden ist? – Da gibt es wieder die Befindlichkeit des Herrn Verkehrssenators Strieder, der sich da in der zweiten Reihe versteckt, der Herrn Stinnt nicht leiden kann, den Geschäftsführer des Verkehrsverbundes, und sich deshalb zum Ziel gesetzt hat, diesen Verkehrsverbund abzuwickeln, und das immer mit der Begründung: Es dürften doch nicht brandenburgische Landräte darüber bestimmen, wie der Bus in Berlin fährt. – Das ist allerdings ein wunderbarer Beitrag zum Zusammenwachsen der Länder Berlin und Brandenburg. Es ist wahrhaftig eine merkwürdige Einstellung, und zwar auch finanziell, wenn man bedenkt, dass dieser Verkehrsverbund immerhin 3 Millionen € kostet, aber letztendlich keine Wirkung mehr haben soll und zusätzlich noch eine Nahverkehrsgesellschaft draufgesetzt wird, die obendrein noch einmal 3 Millionen € kosten soll. Vielen Dank für diese hervorragende Einsparung!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Bravo! bei der CDU]

[Gram (CDU): Das kennen wir bei Ihnen!]

weil ich zweifellos nicht in der Lage sein werde, die humoristischen Einlagen meines Vorredners zu übertreffen.

[Henkel (CDU): Der Zug ist auch abgefahren!]

Ich finde auch sehr bemerkenswert, dass Herr Kaczmarek mit dem Wechsel von der Regierungsverantwortung hin zur Opposition immer amüsanter wird. Das muss richtig Spaß machen, das finde ich gut.

[Zuruf des Abg. Doering (PDS) – Zurufe von der FDP]

Aber er hat auch wieder der Versuchung nicht widerstehen können, die Debatten zur Verkehrspolitik zu Generaldebatten zur Verkehrspolitik zu machen, und leider verabsäumt, im Detail auf die vorliegenden Anträge der FDP einzugehen. Vielleicht hat er das mit Bedacht getan, denn diese Anträge sind – wie auch der Vortrag von Herrn von Lüdeke bewiesen hat – nicht gerade von Sachkenntnis geprägt.

[Dr. Lindner (FDP): Aber Sie!]

Herr Gaebler hatte schon darauf hingewiesen, was in dem Antrag über die Berichtsaufträge über den Zustand der BVG steht, das ist längst erfolgt. Das passiert alljährlich, sogar halbjährlich. Herr von Lüdeke müsste doch des Lesens kündig sein, er müsste nur nachschauen, was es dazu schon an Papierbergen gibt, beispielsweise zum Monitoringbericht. Die Aufgaben des VBB sind ziemlich deutlich definiert. Auch die Voraussetzungen, wie Sie schreiben, für mögliche Ausschreibungen sind geschaffen worden. Die sind im ÖPNV-Gesetz Berlins geschaffen worden. Da steht in § 4:

Der VBB kann Ausschreibungen im Auftrag tätigen.

Das sind die Voraussetzungen, mehr brauchte man dazu nicht. Man kann es dann im Detail prüfen, ob es sinnvoll ist oder nicht.

Bei den Dingen, die Sie mit „Kundennähe“ überschreiben, frage ich mich allerdings, wo Sie in Ihrem Antrag die Kunden gelassen haben. Gut, wenn Sie die Beförderungsbedingungen verändern wollen – die übrigens nicht erst seit einem Jahr oder ein paar Monaten gelten oder seitdem sich die Schlagzeilen der Boulevardpresse dessen angenommen haben –, die sind seit vielen Jahren mit diesem Passus formuliert, dass man ohne gültigen Fahrschein den Bahnhof nicht betreten darf. Ich

Frau Matuschek

Sie reden über die BVG und verkennen, dass es sich natürlich bei öffentlichem Nahverkehr und motorisiertem Individualverkehr um zwei kommunizierende Röhren

handelt. Wenn man den öffentlichen Verkehr stützt, wenn man dort investiert, wenn man ihm freie Bahn gibt, dann wird man den Modal-Split in diese Richtung verändern. Wenn man das Gegenteil macht – wie es die Koalition gemacht hat und Rot-Rot es leider fortführt –, dann wird man den motorisierten Individualverkehr verstärken. Das ist das Hauptproblem. Zu sagen, mit irgendwelchen Rechenkünsten könnte man einen kostendeckenden öffentlichen Nahverkehr bewerkstelligen, das gibt es in keiner Stadt der Welt, das wird auch in Berlin nicht der Fall sein. Entweder schaffen Sie ihn ab, dann haben Sie ihn kostendeckend, haben jedoch andere Probleme. Deshalb geht es darum, wie man ihn so effizient wie möglich und mit so wenig Geld wie notwendig, aber so kundenfreundlich wie möglich gestaltet. Das ist die Aufgabe.

Den Modal-Split wollten Sie in den letzten Jahren zugunsten von Bus und Bahn verändern. Das Gegenteil war der Fall. Der BVG allein ist jeder vierte Fahrgast weggelaufen. Das hat Ursachen. Die permanenten Tariferhöhungen, mehr als das Doppelte im Verhältnis zu 1990, das Ausbleiben weiterer Busspuren – 50 Kilometer hatte Herr Strieder angekündigt, ich glaube, er hat noch nicht einmal anderthalb Kilometer realisiert. Die Beschleunigung stockt. Auch Projekte, die wichtig sind, wie Alex II, werden mittendrin abgebrochen. Herr Strieder, Ihre halben Sachen schaden dem Land Berlin, schaden der Haushaltskonsolidierung und schaden dem öffentlichen Nahverkehr in Berlin!

finde es übrigens gut, dass Sie das endlich einmal gefunden haben. Das ist nicht unbedingt richtige Kundennähe. Unter Kundennähe verstehe ich etwas anderes, als wenn Sie über die Benutzeroberfläche von Fahrscheinautomaten sprechen, die gerade für teures Geld angeschafft worden sind, was dann wiederum den Gedanken zur wirtschaftlichen Situation der BVG nahe legt. Kundennähe einzuführen, Herr von Lüdeke, das wäre mal ein lohnenswertes Unterfangen in Berlin.

Kundennähe zu verankern im Controllingsystem, in öffentlich nachvollziehbarem Beschwerdemanagement: Kundennähe lässt sich auch nachweisen über Zufriedenheitsmessungen bei den Fahrgästen, über die Akzeptanz von Fahrpreissystemen und Fahrpreishöhen. Das wäre Kundennähe, das würde ich gern in weiteren Verkehrsverträgen mit wem auch immer verankern. Ein solches transparentes Kundenmonitoring würde uns und den Verkehrsbetrieben weiterhelfen. Sie dagegen verstehen Kundennähe im Nahverkehrsplan, und da ist von Kundennähe wenig zu merken.

Ich rufe dazu auf, dass wir Ihre Anträge im Ausschuss beraten,

[Ritzmann (FDP): Das ist aber lieb!]

aber dann wirklich unter dem Aspekt der Kundennähe, darunter, wie man Kundenwünsche für die Verkehrsbetriebe und die Verwaltung zu einem Innovationsstimulans machen kann. Dass aus der Verwaltung immer die Innovationen kommen, das glaube ich allerdings nicht. Was den Verkehrsverbund anbelangt, der ist nun einmal so gegründet worden, wie er gegründet ist, der hat bestimmt erheblichen Reformierungsbedarf. Ob das nun alles dadurch besser wird, wenn ein neuer Geschäftsführer kommt, das ist zu bezweifeln. Es muss eine Gesamtkonzeption auf den Tisch, um die erhöhten Anforderungen an das Nahverkehrssystem erfüllen zu können. Darüber können wir im Ausschuss ausführlich reden. Derweil können wir mit amüsanten Reden von Herrn Kaczmarek und der kommenden von Herrn Cramer den Abend im Plenum weiter gemeinsam verbringen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS]

Das Wort für die Fraktion der Grünen hat der Abgeordnete Cramer. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, diese Rederunde – und das gilt auch für die nächste – ist dadurch gekennzeichnet, dass, wenn man sich inhaltlich nicht viel zu sagen hat, man die Bedeutung hervorheben muss, dass man zu später Stunde vor leerer Pressetribüne und halbleerem Haus noch eine Debatte über Grundsatzprobleme führen will. Aber gut, Sie haben es so gewollt, Ihre Rede haben Sie noch nicht einmal beendet. Was wollten Sie eigentlich sagen? Jetzt müssen wir uns damit befassen.

[Beifall bei den Grünen]

[Beifall bei den Grünen]

Stattdessen setzen Sie auf den Individualverkehr. Der Alex-Tunnel, den Sie zuschütten wollen, der wird mal eben für 5 Millionen € saniert. Sie wollen die Autofahrer entlasten! Die einzigen Gebühren, Herr Lindner, die seit 1990 nicht verändert worden sind, sind die Parkgebühren. Da will Herr Strieder jetzt auch noch sagen, dass die erste halbe Stunde frei ist. Dann kommen alle Autofahrer in die Stadt,

[Beifall bei der FDP]

aber gleichzeitig ist seine Programmatik, den Autoverkehr aus der Innenstadt herauszuhalten. Also, Herr Strieder, erst überlegen, dann handeln, aber dann schön stringent und nicht in permanentem Widerspruch.

[Dr. Lindner (FDP): Freie Fahrt für freie Bürger!]

Nun zu diesen Anträgen. Der Unternehmensvertrag muss, weil er nicht zu halten ist, überarbeitet werden. Das geht in gegenseitigem Einvernehmen, pacta sunt servanda. Sie können nur zweiseitig verändert werden, und wenn sie nicht eingehalten werden können, dann ist das notwendig. Aber was Sie noch weiter wollen, ist, Parallelverkehre abzuschaffen. Selbstverständlich gibt es Parallelverkehre. Berlin ist so groß wie das Ruhrgebiet. Von Düsseldorf nach Bochum gibt es natürlich Parallelverkehre, den Regionalverkehr, den S-Bahnverkehr, die Busse. Die haben unterschiedliche Funktionen. Man muss nur solche Verkehre stoppen, die dieselbe Funktion ausüben.