Protokoll der Sitzung vom 25.09.2003

[Beifall bei den Grünen]

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Bei der Großen Anfrage der Fraktion der Grünen ist mir die Frage nach den Diskussionen im Bundesrat etwas unklar geblieben. Ich teile durchaus ihre Einschätzung und wünsche mir an dem jetzt vorliegenden Entwurf auch wenig Veränderungen, besser gesagt, keine. Wenn – und die Mehrheitsverhältnisse sind so – es dort zu Verhandlungen kommen muss, kann ich mir nicht vorstellen, dass es nicht irgendwo eine Kompromisslinie geben kann, wo wir uns als Rot-Grün auf Bundesebene bewegen müssen. Ein Scheitern des Zuwanderungsgesetzes würde ich für verheerend halten, insbesondere in der symbolischen Wirkung nach außen. Wie wollen wir dann weitermachen? Nehmen wir unseren Senat und die von uns getragenen Regierungsfraktionen in die Pflicht, sie sollen hart verhandeln. Aber so, wie es in der Großen Anfrage formuliert ist – wenn es noch ein Jota von Veränderung gibt, dann lieber gar kein Zuwanderungsgesetz –, dem vermag ich nicht zu folgen.

Integration fördern ist der zweite Schwerpunkt Ihrer Anfrage. Die Senatorin hat gerade im Einzelnen ausgeführt, was im Land Berlin alles gemacht wird und was weiter geplant ist. Es ist völlig unstrittig, dass wir auf diesem Weg voranschreiten müssen. Ich lege den Schwerpunkt daher auf einen anderen Gesichtspunkt, da ich gestehen muss, dass mich die nach dem Urteil des

Als letzten Komplex möchte ich auf die von den Grünen angesprochenen Fragen zur Flüchtlingspolitik zu sprechen kommen. Mir ist zwar nicht nachvollziehbar, wo Sie globalpolitische Veränderungen sehen, die es jetzt erforderlich machen sollen, nicht staatliche und geschlechtsspezifische Verfolgungen als Anerkennungsgründe anzusehen. Solche Gründe gab es leider schon immer. Wo da die neuere Entwicklung sein soll, kann ich nicht nachvollziehen. Wir sind uns einig in der Ansicht, dass es wünschenswert und erforderlich ist, solche Gründe als Fluchtgründe anzuerkennen. Wir wissen aber auch, welche Mehrheitsverhältnisse wir in diesem Land haben. Wir werden wohl noch einen längeren Diskussionsprozess zurücklegen müssen, eh wir das in Deutschland erreichen.

In diesem Zusammenhang müssen wir darauf achten, dass in einem zusammenwachsenden Europa zumindest im Rahmen der Länder der EU möglichst einheitliche Kriterien gelten.

Eine letzte Bemerkung möchte ich zum Bleiberecht machen. Dies halte ich für einen sehr problematischen Bereich. Viele der humanitären Probleme entstehen einfach daraus, dass die Verfahren bei uns unendlich lange dauern und durch die Dauer der Verfahren tatsächlich neue Sachverhalte geschaffen werden. Wenn Menschen nach Deutschland kommen, über ihren Anerkennungsantrag erst nach 6 bis 7 Jahren entschieden wird und sie in der Zwischenzeit Kinder bekommen, die hier geboren sind, die das Heimatland überhaupt nicht kennen, gibt es humanitäre Probleme. Dass die Lösung allerdings darin liegen kann, dass nach 4 oder 5 Jahren jeder, der so lange in der Bundesrepublik ist, automatisch ein Bleiberecht hat, wage ich sehr zu bezweifeln. Damit konterkarieren wir die eigentlichen Zuwanderungsregelungen. Die Lösung kann nur darin liegen, dass wir uns zum einen weiterhin darum bemühen, dass Verfahren beschleunigt werden – und damit meine ich nicht den Abbau von Rechtsschutzmöglichkeiten. Wir haben uns in Deutschland schon viel zu sehr daran gewöhnt, dass Verwaltungsverfahren mitunter sehr lange dauern. Im Weiteren kann – solange wir das Problem auf dieser Ebene nicht geklärt haben – eine Lösung nur darin liegen, dass wir immer wieder über Altfallregelungen nachdenken und versuchen – bezogen auf bestimmte Gruppen und bestimmte Einzelfälle –, zu akzeptablen Lösungen zu kommen. Der Senat ist in diesem Sinne auf dem richtigen Weg. Die Bedenken des Kollegen Ratzmann gegen die Person des Innensenators kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich habe den Innensenator bisher als jemanden erlebt, der sehr differenziert und mit einem sehr humanistischen Weltbild an die Lös

Bundesverfassungsgerichts losgetretene Debatte sehr erschreckt hat. Integration kann nur dann gelingen, wenn wir weiterhin in Toleranz miteinander umgehen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Wenn ich als erste Reaktion lese, dass der Kollege Mutlu alle für naiv erklärt, die anderer Meinung sind als er, oder der von mir eigentlich sehr geschätzte Kollege Gram aufrechnerisch erklärt, wenn kein Kreuz, dann auch kein Kopftuch, dann habe ich den Eindruck, wir befinden uns auf einem Niveau der Debatte, die der Sache nicht förderlich sein kann.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Ratzmann (Grüne)]

Ich appelliere an dieses Haus: Lassen Sie uns gemeinsam die auf uns zukommende Diskussion möglichst sachlich führen, und lassen Sie es uns gemeinsam vermeiden, kleinteilig religiöse Symbole gegeneinander aufzurechnen. Wenn ich heute in einer Zeitung lese, in der Schule soll künftig nur noch der Adventskranz erlaubt sein, dann kann das nicht das Ziel sein, wie wir miteinander umgehen. Ich möchte insbesondere die Warnung aussprechen, dass wir keine politische Diskussion lostreten, der wir nicht mehr Herr werden. Für mich habe ich das persönlich festmachen können, als ich gestern Abend noch einmal kurz ins Fernsehen guckte und plötzlich auf eine Umfrage stieß, bei der die Zuschauer aufgefordert wurden mitzuteilen, ob sie gegen oder für ein Kopftuch seien. Da war nicht mehr die Rede von Schule oder staatlicher Neutralität von Lehrern, sondern es ging nur noch um Kopftuch – ja oder nein. Wenn wir die Diskussion auf dem Niveau führen, so wecken wir Geister, die wir uns alle miteinander nicht wünschen können.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Ich bitte deshalb die Mitglieder dieses Hauses wirklich eindringlich, die anstehende Diskussion unter dem Gesichtspunkt zu führen, dass es für Bedienstete im öffentlichen Dienst eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sich in Weltanschauungsfragen oder politischen Meinungsäußerungen zurückzuhalten. Wenn wir die Debatte unter dieser Zielrichtung führen und hoffentlich möglichst rasch zu einem Ergebnis kommen, sind die von mir angerissenen Gefahren, so hoffe ich, gebannt.

ung dieser Fragen herangegangen ist, [Frau Jantzen (Grüne): Seine Behörde leider nicht!]

und ich gehe davon aus, dass dies auch weiterhin der Fall sein wird. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön! – Das Wort für eine Kurzintervention hat der Abgeordnete Mutlu!

Kollege Kleineidam! Was hat heute Frau Senatorin Knake-Werner gesagt: Halbzitate! Wenn Sie schon aus meiner Erklärung zitieren, so tun Sie das bitte korrekt. Ich habe bedauert, dass das Bundesverfassungsgericht keine Klarheit in Bezug auf das Neutralitätsgebot des Staates geschaffen hat. Ich habe gesagt, jetzt sind die Bundesländer gefordert, jetzt müssen die in dieser Frage Klarheit schaffen. Ich will Sie noch einmal an das erinnern, was Ihr Kollege Böger heute Früh gesagt hat, bevor er nach Ankara geflogen ist – da wird er sich im Übrigen auch diesen Fragen stellen müssen. Er hat gesagt: Keine Mönchkutte, kein Kopftuch. Das ist ein Schnellschuss, wenn einen Tag nach dem Urteil sofort ein Gesetz ohne jede Beratung gefordert wird. Das haben wir übrigens nicht gefordert.

Welche Enttäuschung wollen wir noch erleben bei Menschen, die voller Hoffnungen nach Deutschland gekommen sind, und wir geben ihnen nicht die geringste Chance, aber wirklich nicht die geringste Chance, hier bei uns einen Arbeitsplatz zu finden?

Deshalb sind wir es der angestammten, und Herr Mutlu, sicher auch der zugewanderten Bevölkerung und ganz besonders den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schuldig, die langfristigen Folgen von Zuwanderungsregelungen zu bedenken. Zuwanderung in den Arbeitsmarkt darf sich nicht an den regionalen Gegebenheiten orientieren, sondern muss immer die Lage im gesamten deutschen Arbeitsmarkt im Auge haben.

Auch das Liebäugeln vieler Zuwanderungsverfechter mit willigen und insbesondere billigen Arbeitskräften und die oftmals angeführte Verjüngung der Gesellschaft ist, so glaube ich, weitaus zu kurz gegriffen. Ebenso verhält es sich mit dem Totschlagargument der Zuwanderung gut ausgebildeter Eliten. Gerade aus deutscher Sicht kann es nicht richtig sein, die gut ausgebildeten Eliten aus Schwellen- oder Dritte-Welt-Ländern abzuwerben.

[Zuruf des Abg. Liebich (PDS)]

Lesen Sie einfach meine Erklärung, dann werden Sie sehen, was ich gefordert habe.

Danke schön! – Das Wort für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Herr Wansner!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Streit um die Frage, ob Deutschland Zuwanderung braucht oder nicht, gehört zu den wenigen Fragen, Herr Ratzmann, bei denen unsere Gesellschaft noch immer – leider – gnadenlos in die Grabenkämpfe der 68er Jahre zurückfällt. Wer bezweifelt, dass Deutschland weitere Zuwanderung braucht, und wer vor allem die Idee der multikulturellen Gesellschaft in Frage stellt, läuft Gefahr, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Sehen Sie sich den Wahlkampf in Bayern an, da hat es Ihre Partei versucht.

Dieser ideologische Lagerkampf verstellt leider seit Jahren den klaren Blick auf die tatsächliche Lage und verhindert, dass wir endlich das dringend Notwendige tun. Betrachten wir doch die Situation in Deutschland einmal ganz nüchtern. Zwischenzeitlich leben ca. 7,5 Millionen Ausländer leben zwischenzeitlich in unserem Land – das sind fast 10 % der Gesamtbevölkerung. Vor 30 Jahren waren es noch 3,5 Millionen, seitdem hat sich der Anteil der in Deutschland lebenden Ausländer mehr als verdoppelt. Die Zahl sozialversicherungspflichtiger Ausländer ist dagegen von 2,3 Millionen auf 2 Millionen zurückgegangen. Die Zuwanderung findet also zu häufig oder insgesamt nur noch in unsere Sozialsysteme statt. Das hat auch eine Untersuchung des SPD geführten Bundesarbeitsministeriums 2001 bestätigen müssen. Anfang 2001 bezogen 2,8 % der Deutschen, aber 8,3 % der Ausländer Sozialhilfe in Deutschland. Die Bezugsquote in der Arbeitslosenhilfe lag Mitte 2002 für Deutsche bei 9,9 %, bei Ausländern aber bei 18,4 %. Bis 2050, Herr Ratzmann, rechnen heute schon Bevölkerungswissenschaftler mit einem bundes weiten Ausländeranteil von ca. 20 %. In Großstädten wie in Berlin werden wir dann sicherlich einen Ausländeranteil von 40 - 50 % erwarten dürfen.

[Ratzmann (Grüne): Das sind aber keine Ausländer mehr!]

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, das können wir anschließend machen. – Da die EU-Osterweiterung ab 2011 Freizügigkeit herstellt, besteht für Zuwanderung aus anderen Ländern erst recht keinen Bedarf mehr. Bei fast 5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland ist zusätzliche Zuwanderung aus nicht EU-Staaten daher auch nicht mehr hinnehmbar.

[Beifall bei der CDU]

[Ratzmann (Grüne): Das kann man ja ändern, Herr Wansner!]

[Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

Und, Herr Mutlu, der ist sicherlich, da geben Sie mir Recht, katastrophal.

[Mutlu (Grüne): Wo leben Sie denn?]

Diese Kräfte werde gerade zum Aufbau dieser Länder gebraucht, damit die Menschen in ihrer Heimat eine Chance haben und nicht versuchen, legal oder illegal in Industrieländer einzuwandern.

[Frau Grosse (SPD): Aufhören!]

Über die Frage, ob sie Deutschland braucht

[Mutlu (Grüne): Peinlich ist das, peinlich!]

oder nicht, Herr Mutlu, werden wir uns sicherlich noch mehrmals streiten. Weiterbringen wird uns das keinen Schritt. Stattdessen ist es nun an der Zeit, die ideologischen Scheuklappen fallen zu lassen

[Zuruf von links: Ja!]

und endlich die Integrationsprobleme zu kennen bzw. auch damit beginnen, Frau Senatorin, sie zu beseitigen.

[Beifall bei der CDU]

Hier erwarten wir von diesem Senat endlich einmal ein Integrationsprogramm, ein Konzept, wie Sie die in den letzten Jahren größer gewordene Kluft zwischen Deutschen und Ausländern beseitigen möchten. Ich zitiere sicherlich selten die „taz“,

[Frau Simon (PDS): Gibt ja nicht genug her!]

ich empfehle Ihnen aber, den Bericht vom 2. April 2003 unter der Überschrift: „Die falsche Toleranz“ zu lesen. – Die Zwischenbemerkungen sollten Sie sich manchmal sparen. – Herr Präsident, erlauben Sie mir – Oder: Frau

Für den Integrationserfolg stehen Sprachkenntnisse, Bildung, berufliche Qualifikation und ihr rechtlicher Status. Wichtig sind das Miteinander, der Austausch, die gegenseitigen Ergänzungen und die Bedingungen der Menschen in den Wohnbereichen und an den Arbeitsplätzen, alles, was zurzeit nicht mehr stattfindet. Die Integration der Menschen unterschiedlicher Herkunft muss dabei auf der Grundlage unserer Verfassung erfolgen, Herr Mutlu. Ihre Grundpfeiler sind Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung sowie die Gleichstellung von Mann und Frau – auch das ist ein Thema, mit dem wir uns sicherlich einmal beschäftigen müssen – sowie die Trennung von Staat und Kirche. Die Anerkennung dieser Grundpfeiler und die gleichberechtigte Teilhabe der Zuwanderer am gesellschaftlichen Leben sind der Rahmen für eine erfolgreiche Integration und für ein friedliches Zusammenleben in dieser Stadt.