Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

Bio- und Lebenswissenschaften sind ein zentraler Kompetenzbereich der Stadt und Voraussetzung für Innovationen und damit Basis für Unternehmensgründungen. Die Hochschulmedizin ist ein gewichtiger Eckpunkt für diese Entwicklung. Die Charité, die Universitätsmedizin Berlin, gehört zu den erfolgreichsten Universitätsklinika in Deutschland.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Mit der zum 1. Juni 2003 erfolgten Fusion zu einer medizinischen Fakultät und einem Universitätsklinikum ist eine Bündelung der Ressourcen auf den Weg gebracht worden. Im weiteren Prozess der Neustrukturierung wird es darauf ankommen, eine stärkere organisatorische Verbindung und Konzentration leistungsfähiger Bereiche und Schwerpunkte in der Forschung und Krankenversorgung zu Zentren der Forschung wie auch der Krankenversorgung zu erreichen. Damit sollte es gelingen, die wissenschaftliche, medizinische Exzellenz der Hochschulmedizin auch in Zukunft zu sichern.

Es muss natürlich auch erwähnt werden, dass der Wissenschaftsstandort Berlin nur zukunftsfähig zu sichern ist, wenn auch entsprechende Investitionsmittel bereitgestellt werden, um diese Neuordnung, die Bestandssicherung und die Modernisierung der Hochschulliegenschaften sowie die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktureinrichtungen zu gewährleisten. Die fünfzigprozentige Bundesbeteiligung an allen Baumaßnahmen und der Großgerätebeschaffung für Zwecke der Hochschulen bringt derzeit vom Bund jährlich noch rund 50 bis 60 Millionen € nach Berlin. Nur mit dieser Bundesbeteiligung können die für die weitere Standortsicherung erforderlichen baulichen Neuordnungs- und Modernisierungsmaßnahmen realisiert werden. Dazu gehört eben auch die mit besonderer Priorität hier bereits herausgestellte Konzentration der FHTW auf einen Campus in Oberschöneweide. Das ist uns nun mit vereinter Hilfe von verschiedenen Partnerinnen und Partnern auf der Ebene der Senatsverwaltungen und der Koalition gelungen.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Sie können sich beim Parlament bedanken! – Schruoffeneger (Grüne): Der Senat hat der Bauverwaltung sogar das Weiterplanen verboten!]

Das ist nicht richtig. Außerdem haben Verbote dieser Art auch nicht viel bewirkt. Sie wissen, dass da kräftig weitergearbeitet wurde

[Beifall bei der PDS]

und dass in gewisser Weise sowohl die lokalen Akteure, die Hochschule als auch verschiedene politische Akteure an dem Prozess sehr tatkräftig festgehalten haben.

Ich hoffe, Sie überzeugt zu haben, dass es durchaus lohnt, von der Zukunftsfähigkeit der Berliner Wissenschafts-, Hochschul- und Forschungslandschaft zu sprechen

[Brauer (PDS): Ja, das haben Sie!]

und dass wir alles tun werden, auch im Rahmen der reduzierten Budgets, Berlin als herausragenden Wissenschaftsstandort, als Wissenschaftsmetropole zu erhalten. Ich werde jedenfalls meine ganze Kraft einsetzen, und ich denke, dass ich bei verschiedenen schwierigen Fragen in den letzten Monaten auch bewiesen habe, dass mein voller Einsatz dazu reicht, ich also nicht unbedingt ergänzt werden muss. Ich wäre dankbar, wenn es eine Ergänzung gäbe. Sie können sicher sein, dass ich meine ganze Kraft dafür einsetzen werde, diese Probleme zu schultern, und dass wir trotz der Haushaltsnotlage eine erfolgreiche, nachhaltige und zukunftsfähige Wissenschaftspolitik betreiben werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Vielen Dank, Herr Senator Dr. Flierl! – Bevor wir zur zweiten Rederunde kommen, habe ich die angenehme Pflicht, eine Delegation zu begrüßen. Zu Gast ist eine Delegation des Finanzausschusses des Parlaments der Republik Montenegro. Herzlich willkommen in diesem Hause!

Vizepräsident Dr. Stölzl

Doch Rot-Rot tröstet sich lieber mit der Tatsache, dass wir es zwar locker mit Kiel und Lübeck aufnehmen können, aber was ist mit den anderen Universitätsstädten, Heidelberg, Tübingen, Marburg oder auch Bonn? – Diese lassen Sie lieber außen vor. Das riecht ein bisschen sehr nach Kleinkleckersdorf.

Wenn es um eine Neuausrichtung geht oder auch um eine Fehleranalyse, brauchen wir klare Worte. Es steht einerseits fest: Das Land Berlin befindet sich in einer existenziellen finanziellen Krise. Das wissen wir. Andererseits müssen wir unsere Hausaufgaben erledigen und den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort hier stärken, um die Misere zu überwinden. Genau deshalb müssen wir uns an den erfolgreichen Universitäten messen. Wir müssen von den Besten lernen, damit Berlin nicht den Anschluss verliert, und damit wir irgendwann einmal von Exzellenz reden können.

Kann das gehen? – Wir sagen Ja – ein klares Ja. Es geht jedoch nur dann, wenn wir direkt umsteuern, und zwar lieber heute als morgen.

Erstens: Die Universitäten und Hochschulen bedürfen einer stabilen öffentlichen Sockelfinanzierung, die sie durch die Erhebung eigener Studiengebühren ergänzen können. Falsch sind Strafgebühren für Langzeitstudenten oder für diejenigen, die aus Interesse mehr Kurse belegen. Besonders falsch ist es, wenn man die eingenommenen Mittel nicht den Hochschulen selbst zur Verfügung stellt, lieber Herr Senator.

[Beifall]

Die Delegation befindet sich hier auf Einladung des Unterausschusses Haushaltskontrolle des Hauptausschusses.

Nun fahren wir fort in der Redeliste. Die FDP beginnt. Frau Senftleben hat das Wort, bitte schön!

Vielen Dank! Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Sie haben unserer Aktuellen Stunde zugestimmt. Offensichtlich erkennen auch Sie, die Damen und Herren der Regierungskoalition, den desolaten Zustand dieser unserer Berliner Hochschullandschaft. Das Thema ist in der Tat aktuell, und Sie, meine Herren Senatoren Flierl und Sarrazin, sind gerade dabei, das letzte Tafelsilber, das wir in dieser Stadt haben, zu verscherbeln.

Unsere Universitäten sind chronisch unterfinanziert und überreguliert. Sie können sich im internationalen Wettbewerb kaum noch behaupten. Fazit: Es steht schlecht um die Berliner Hochschullandschaft. Lange ist es her, da gehörte Berlin einmal als Wissenschafts-, Forschungs- und auch als Universitätsstandort zur Weltspitze. Wissenschaftler von internationalem weltweitem Renommee haben in Berlin gewirkt. Die Liste der ehemaligen Nobelpreisträger ist lang.

[Brauer (PDS): Und wird immer länger!]

Heute: Unsere Universitäten stehen insbesondere im internationalen Vergleich nicht mehr ganz so hoch im Kurs. Für viele Studenten, Doktoranden und Hochschulprofessoren, insbesondere für die Crème de la crème, ist die Arbeit an einer Berliner Hochschule nicht sonderlich attraktiv. Und dann lassen sie sich schon gerne von den amerikanischen Elitehochschulen anlocken, was wir ihnen nicht so richtig verübeln können, denn ohne Frage: Die Bedingungen, unter denen an Yale, Harvard oder am MIT studiert, geforscht, gelehrt wird, sind in den meisten Fällen unvergleichlich besser als an der HU; FU oder TU.

Frau Senftleben, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Flemming?

Nein, im Augenblick nicht, Herr Flemming! – Meine Herren, meine Damen! Wir vergleichen uns inzwischen gerne. Da gibt es Vergleichsstudien, ich sage nur mal PISA. Da hat man sich auch dem internationalen Vergleich gestellt. Inzwischen werden auch Hochschulvergleiche durchgeführt, wie z. B. die HIS-Studie. Doch ich frage hier ein bisschen schmunzelnd: Wer wird hier mit wem verglichen? – Berlin mit Kiel und Lübeck! Ich will hier überhaupt nicht die Hochschulstandorte Kiel und Lübeck schmälern, aber wir müssen uns wirklich die Frage gefallen lassen, ob wir uns an dem Kleinsten messen sollen oder ob es nicht viel mehr Sinn machen würde, bedeutendere Universitäten hierfür heranzuziehen.

[Beifall bei der FDP – Hoff (PDS): Sie haben den Sinn überhaupt nicht verstanden!]

[Beifall bei der FDP]

[Beifall bei der FDP]

Die FDP-Fraktion sagt ganz klar: Gebühren ja, und zwar für diejenigen, die unmittelbar von den Leistungen der Universität profitieren. Das sind nun einmal die Studierenden, und das sind genau die High Potentials von morgen. Dabei ist unbestritten: Studiengebühren müssen sozial verträglich sein. Auch hier haben wir genügend Modelle, zum Beispiel über den Weg der nachlaufenden Studiengebühren, die erst dann fällig werden, wenn man in Lohn und Brot steht. – Das hätte vielleicht auch noch den Nebeneffekt, dass die Universitäten sich intensiv um die Jobvermittlung kümmerten. – À la longue, sage ich Ihnen, so wahr ich hier stehe: Studiengebühren in ihrem Lauf halten weder Hoff noch Flemming auf.

[Beifall bei der FDP – Zurufe von der PDS]

Zweitens: Die FDP fordert, dass die Hochschulautonomie ausgebaut wird. SPD und PDS neigen eher dazu, restriktiv zu verfahren. Sie bevormunden, greifen in Hochschulbereiche ein, in denen Sie eigentlich nichts zu suchen haben. Wie sonst ist es zu verstehen, dass Sie die Promotionsordnung der Universitäten „verbessern“ wollen? – Die Hochschulen können ihre Belange besser allein regeln. Sie sollen vor Ort Entscheidungen treffen, ohne dass ihnen ständig von regelungswütigen oder auch selbstverliebten Steuerungsfanatikern ins Handwerk gepfuscht wird.

Das sollten wir alle gemeinsam nicht tun. Ich appelliere jedenfalls daran, dass die Verantwortlichen in dieser Stadt, wir als Parlamentarier, die Hochschulpräsidenten, die Organe der Hochschulen und die gesellschaftlichen Gruppen, in dieser Frage zu einem Konsens kommen, nämlich voller Stolz auf das hinzuweisen, was wir in dieser Stadt leisten.

Und ich wünsche mir ein Zweites: Wir führen in der Bundesrepublik zurzeit eine Föderalismusdebatte. Mir ist nicht bekannt, dass in dieser Debatte mit Ausnahme der Frage, ob es zu einer Entflechtung der Finanzierung der Forschungslandschaft kommen soll, wirklich einmal auch die Frage in den Mittelpunkt gestellt wird, wie wir eigentlich zukünftig sicherstellen, dass der Wissenschafts- und Forschungsstandort Bundesrepublik Deutschland qualitativ verbessert und erhalten werden kann und die Strukturveränderungen in den einzelnen Ländern nicht davon abhängig werden, wie zufällig die Kassenlage des einzelnen Bundeslandes ist.

(D Das ist eine zentrale Frage für die Entwicklung dieses Landes, und sie gehört in die Föderalismusdebatte, die zurzeit auf Bundesebene läuft.

[Beifall bei der FDP]

Herr Senator! Meine Herren Flemming und Hoff! Lassen Sie bitte den Präsidenten der HumboldtUniversität eigenverantwortlich entscheiden, wie er die von Ihnen verpasste Einsparsumme umsetzen will! Vorschriften sind hier fehl am Platz.

Letzter Satz, Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis: Wir brauchen starke, autonome und ausfinanzierte Hochschul- und Forschungseinrichtungen. Die Berliner Wissenschaftseinrichtungen, die Berliner Bildungseinrichtungen sind unser Tafelsilber. Verschleudern Sie es nicht leichtfertig! – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Frau Kollegin Senftleben! – Es folgt sie SPD. Frau Dr. FugmannHeesing hat das Wort. – Bitte schön!

Meine Damen und Herren! Was ist das für eine müde Diskussion, die wir zu dem zentralsten Thema für die Berliner Zukunft und die Gestaltung der Politik in diesem Lande führen?

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der CDU und FDP]

Die Diskussion ist geprägt von Nörgeleien, von Mäkeleien und vom kleinen Karo. Wenn wir so die Wissenschaftspolitik in diesem Land gestalten wollen, dann wird es uns sicherlich nicht gelingen, die Zeichen auf Zukunft zu stellen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es ist nicht die Senatspolitik,

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Eine gewagte These!]

die dem Wissenschaftsstandort schadet, so wie die Aktuelle Stunde hier von der FDP benannt wurde, sondern es ist die Art und Weise, wie wir in diesem Land miteinander über Wissenschaftspolitik diskutieren, hier, in diesem Haus, draußen, in dieser Stadt, und über die Medien. Warum gelingt es uns eigentlich nicht, in einem Land, das in der Bundesrepublik federführend ist in der Ausbildung von Studenten, in einem Land, das in einem Maße wie kaum ein anderes Bundesland Mittel in die Forschung steckt, voller Stolz hinzuweisen auf das, was wir für Wissenschaft und Forschung hier in Berlin tun?